Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung (Nabelhernie)
Aufenthaltsverlängerung wegen Kapazitäts- und Organisationsproblemen bei Notfällen
Medizinische Erforderlichkeit einer Behandlungsmaßnahme
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung.
Der bei der Beklagten versicherte T.R. wurde am 1. Oktober 2008 aufgrund einer ärztlichen Verordnung vom 24. September 2008
in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus stationär aufgenommen. Aufnahmegrund war das Vorliegen einer Nabelhernie
ohne Einklemmung und ohne Gangrän. Die ursprünglich für den Aufnahmetag vorgesehene Operation wurde aufgrund mehrerer Notfälle
im Verlauf dieses Tages auf den Folgetag verschoben. Die Entlassung des Versicherten erfolgte am 3. Oktober 2008.
Für die Behandlung stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 8. Oktober 2008 einen Betrag von 1.817,52 EUR in Rechnung.
Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst vollständig, beauftragte aber am 20. Oktober 2008 den Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung N. (MDK) mit der Überprüfung der Dauer der stationären Behandlung. Der MDK kam in seinem Gutachten vom
7. Januar 2009 zu dem Ergebnis, dass die Verweildauer des Versicherten nicht erforderlich gewesen sei, da er bereits am Aufnahmetag
hätte operiert werden können. Daraufhin verrechnete die Beklagte am 18. Oktober 2011 einen Betrag von 621,42 mit einer unstreitigen
Forderung.
Am 22. November 2011 hat die Klägerin zur Geltendmachung dieses Betrages Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, es sei grundsätzlich
zutreffend, dass der Versicherte am Aufnahmetag hätte operiert werden können. Dies sei zunächst auch so vorgesehen gewesen
und der Versicherte sei für die Operation vorbereitet worden. Diese habe dann aber wegen unvorhersehbarer und dringlicher
Notoperationen auf den Folgetag verschoben werden müssen. Eine zwischenzeitliche Entlassung zu einer zumutbaren Zeit sei nicht
möglich gewesen. Bereits mit der Aufnahme des Versicherten sei ein Krankenhausvertrag zustande gekommen, aufgrund dessen er
ärztliche Versorgung, Unterbringung und pflegerische Betreuung erhalten habe. Insoweit habe es sich um eine zu vergütende
Teilleistung gehandelt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. April 2013 abgewiesen und ausgeführt, der Aufenthalt am 1. Oktober 2008
sei medizinisch nicht erforderlich gewesen, denn im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung komme es nur auf Umstände an, die
in der Person des Versicherten bestünden. Kapazitäts- und Organisationsprobleme, auch bei Notfällen, fielen demgegenüber in
den Risikobereich des Krankenhauses.
Die Klägerin hat dagegen am 14. Mai 2013 die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt und trägt vor, die Auffassung
des Sozialgerichts führe zu Unrecht dazu, dass der Krankenhausträger auch bei Zufall und höherer Gewalt keinen Vergütungsanspruch
geltend machen könne. Richtigerweise komme aber ein Wegfall des Vergütungsanspruchs nur bei Verschulden des Krankenhauses
in Betracht. Der Versicherte sei am 1. Oktober 2008 stationär aufgenommen, pflegerisch betreut und für die Operation vorbereitet
worden, die lediglich aufgrund der eingetretenen unvorhersehbaren Notfälle habe verschoben werden müssen. Da somit an diesem
Tag bereits Krankenhausbehandlung tatsächlich stattgefunden habe, sei dafür auch ein Vergütungsanspruch entstanden. Das Sozialgericht
habe die Behandlungsbedürftigkeit unzulässigerweise aus einer "ex-post-Sicht" beurteilt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
sei insoweit aber zu prüfen, ob nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Behandlung sowie
dem damals verfügbaren Kenntnisstand des Krankenhausarztes eine Krankenhausbehandlung erforderlich gewesen sei (" ex-ante-Sicht").
Dass die Operation wegen der Notfälle zu verschieben sein würde, sei dem Krankenhausarzt aber im Zeitpunkt der Aufnahme nicht
bekannt gewesen. Auch wäre bei zwischenzeitlicher Entlassung der Vergütungsanspruch nicht geringer gewesen. Schließlich sei
nicht erkennbar, aufgrund welcher Auffälligkeit die Beklagte das Prüfverfahren durch den MDK eingeleitet habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 15. April 2013 zu verurteilen, an den Kläger 621,42
EUR nebst 5 % Zinsen seit dem 18. Oktober 2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihren bisherigen Vortrag und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Ergänzend trägt sie vor,
dass bei zwischenzeitlicher Entlassung allenfalls eine vorstationäre Behandlung in Betracht gekommen wäre, die aber mit der
DRG abgegolten sei. Die Auffälligkeit, die zur Einleitung des Prüfverfahrens geführt habe, bestehe vorliegend darin, dass
die erbrachte Operation (OPS 5-534.1) im Katalog der ambulant durchführbaren Operationen aufgeführt sei und damit in der Regel
ambulant erbracht werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie auf die in der
Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten und Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die von der Klägerin
geltend gemachte Forderung ist durch Aufrechnung (§
69 Abs.
1 S. 3
SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) i.V.m. §§
387 ff.
Bürgerliches Gesetzbuch) erloschen. Der Beklagten stand insoweit ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, denn sie hatte der Klägerin für
den hier streitigen Behandlungsfall zunächst EUR 621,42 ohne Rechtsgrund bezahlt. In dieser Höhe stand der Klägerin eine Vergütung
nämlich nicht zu, da nur eine Verweildauer von zwei Tagen - statt der abgerechneten drei Tage - erforderlich war.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten restlichen Vergütungsanspruchs ist §
109 Abs.
4 S. 3
SGB V, § 17b Abs. 1 S. 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2008
sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002
zwischen der H. Krankenhausgesellschaft e.V. und unter anderem der Beklagten (Vertrag nach §
112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig
von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem
zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne des §
39 Abs.
1 S. 2
SGB V erforderlich ist (BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 3 KR 14/11 R - Juris).
Vorliegend war die stationäre Behandlung des Versicherten nur für zwei, nicht aber für drei Tage erforderlich. Die Erforderlichkeit
der Krankenhausbehandlung hängt davon ab, ob der Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung hatte. Ob dies der Fall
ist, richtet sich allein nach medizinischen Erfordernissen (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 25.09.2007 - GS 1/06; BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R; beide Juris). Wie das Bundessozialgericht ausgeführt hat, ergibt sich dies bereits
aus dem Gegenstand der Gesetzlichen Krankenversicherung als einer Versicherung gegen Krankheit, bei der es um die Bereitstellung
der für diese Zwecke benötigten medizinischen Versorgung geht. Für andere Risiken haben die Krankenkassen nicht einzustehen.
Zu Recht hat das Sozialgericht daher entschieden, dass es für die Frage, ob eine stationäre Behandlung medizinisch erforderlich
war, nur auf die Umstände des konkret betroffenen Versicherten ankommen kann (ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.04.2009
- L 9 KR 34/05 - Juris), also allein darauf, ob dessen Gesundheitszustand eine stationäre Behandlung erforderte. Dieser benötigte, wie zwischen
den Beteiligten unstreitig ist, keine stationäre Behandlung über drei Tage, denn es gab keine medizinischen Gründe in seiner
Person, die einer Operation am Aufnahmetag entgegengestanden hätten.
Dass die Klägerin wegen mehrerer unvorhersehbarer Notfälle die Operation nicht - wie geplant - am Aufnahmetag durchführen
konnte, sondern sie auf den Folgetag verschieben musste, ist demgegenüber kein Grund, der seine Ursache in der gesundheitlichen
Situation des Versicherten hatte. Es mag zutreffen, dass die Krankenhäuser weder verpflichtet noch in der Lage sind, für derartige
Situationen organisatorische Vorkehrungen zu treffen (so LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.01.2006 - L 11 (16) 358/93
- Juris). Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, diese Risiken der Gesetzlichen Krankenversicherung aufzubürden, da es hierfür
an einer gesetzlichen Grundlage fehlt. Die leistungsrechtlichen Vorschriften des
SGB V machen den Sachleistungsanspruch des Versicherten und damit den Vergütungsanspruch des Krankenhauses allein von der medizinischen
Erforderlichkeit einer Behandlungsmaßnahme abhängig. Für die Berücksichtigung anderer Umstände ist damit kein Raum, soweit
dies nicht ausnahmsweise durch Einzelvorschriften des Leistungsrechts angeordnet ist (BSG, Urteil vom 25.09.2007, aaO., Rn. 20ff), was hier nicht der Fall ist.
Der Einwand der Klägerin, dass auch am 1. Oktober 2008 stationäre Krankenhausbehandlung stattgefunden habe, kann zu keiner
anderen Beurteilung führen. Dabei kann dahin stehen, ob dies tatsächlich zutrifft, denn ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses
entsteht nicht schon dann, wenn Krankenhausbehandlung erbracht worden ist, sondern nur, wenn diese auch medizinisch erforderlich
war. Dies ist, wie ausgeführt, nicht der Fall.
Ebenso wenig führt der Hinweis der Klägerin auf eine gebotene "ex-ante-Betrachtung" zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.
Das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 25.09.2007, aaO.; BSG, Urteil vom 22.04.2009 - B 3 KR 24/07 R - Juris) hat insoweit ausgeführt, dass das Gericht die Frage, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung medizinisch erforderlich
war, uneingeschränkt zu überprüfen, dabei jedoch von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des
verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen hat. Dies bedeute, dass bei einer nachträglichen Fehlbelegungsprüfung die Berechtigung
zur Krankenhausbehandlung nicht rückschauend aus der späteren Sicht eines Gutachters zu beurteilen, sondern zu fragen sei,
ob sich die stationäre Behandlung nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt
der Behandlung und dem damals verfügbaren Kenntnis- und Wissensstand des Krankenhausarztes zu Recht als medizinisch notwendig
dargestellt habe.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann insoweit aber nicht für die gesamte Behandlungsdauer auf den Kenntnisstand am Aufnahmetag
abgestellt werden, denn zu diesem Zeitpunkt ist vielfach noch nicht absehbar, welche Behandlungsmaßnahmen im Einzelnen notwendig
werden und welche Behandlungsdauer dafür erforderlich ist. Dies ist vielmehr von dem weiteren Verlauf der Erkrankung und des
Heilungsprozesses abhängig, der nicht immer von Beginn an vollständig vorsehbar ist. Der Krankenhausarzt muss sich daher auf
die weitere Entwicklung und eventuelle unvorhergesehene Veränderungen der Umstände einstellen und gegebenenfalls die weitere
Erforderlichkeit der Behandlung jeweils erneut überprüfen und beurteilen. Darüber hinaus geht es im vorliegenden Fall nicht
darum, nachträglich bekanntgewordene medizinische Umstände in der Person des Versicherten oder geänderte medizinische Sichtweisen
rückwirkend zugrunde zu legen. Vielmehr war bereits im Behandlungszeitpunkt bekannt, dass die Verschiebung der Operation nicht
aus medizinischen, sondern allein aus organisatorischen Gründen erfolgte, wodurch sich der Vergütungsanspruch rechtlich nicht
begründen lässt.
Des Weiteren kann es dahin stehen, ob die Beklagte bei Einleitung des Prüfverfahrens in ausreichender Weise eine Auffälligkeit
im Sinne des §
275 Abs.
1 Nr.
1 SGB V benannt hat. Selbst wenn die Beklagte das Prüfverfahren nach §
275 SGB V verletzt haben sollte, könnte die Klägerin hieraus keine Rechte herleiten, denn allenfalls könnte ein solcher Verstoß zu
einem Verwertungsverbot medizinischer Unterlagen führen, die vom Krankenhaus nicht freiwillig, sondern allein auf besondere
gerichtliche Anforderung zur Verfügung gestellt worden sind (BSG, Urteil vom 16.05.2013 - B 3 KR 32/12 R - Juris). Vorliegend ist aber der medizinische Sachverhalt unstreitig und es geht allein um die rechtliche Bewertung, ob
ein Vergütungsanspruch für Tage eines stationären Aufenthalts besteht, der nicht aus medizinischen, sondern allein aus organisatorischen
Gründen erforderlich wurde.
Schließlich kann es auch dahin stehen, ob bei zwischenzeitlicher Entlassung des Versicherten gleich hohe oder höhere Kosten
entstanden wären, denn die Höhe eines Vergütungsanspruchs bemisst sich nach dem tatsächlichen Sachverhalt und nicht nach den
fiktiven Kosten, die bei einem anders gelagerten Verlauf entstanden wären.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.