Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einer anerkannten Berufskrankheit Nr. 2108.
Mit Bescheid vom 9. April 2015 setzte die Beklagte ein Anerkenntnis aufgrund eines gerichtlichen Verfahrens beim Sozialgericht
Hamburg (Aktenzeichen S 36 U 146/10) um und stellte eine Berufskrankheit nach Nummer 2108 der Anlage der Berufskrankheiten Verordnung (BK 2108) bei dem am xxxxx
1954 geboren Kläger fest. Als Folgen der Berufskrankheit wurde eine deutliche Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule
mit dadurch bedingtem Schmerzempfinden anerkannt. Dem Kläger wurde eine Rente ab 29. März 2010 bis auf weiteres nach einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert (v.H.) zuerkannt.
Der Kläger legte am 29. April 2015 dagegen Widerspruch ein und begehrte die Feststellung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
von mindestens 70 v. H. Im Widerspruchsverfahren fertigte Professor Dr. K. auf Wunsch des Klägers unter dem 2. September 2015
ein chirurgisches Gutachten. Hierbei beschrieb er die Unfallfolgen beim Kläger und schätzte den "Grad der Behinderung" mit
60 v.H. ein. Auf Nachfrage der Beklagten führte der Oberarzt T. aus, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 50 v.H. einzuschätzen
sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zusammengefasst
führte die Beklagte aus, die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei seitens der Beklagten festzustellen. Hierbei sei
eine Begutachtung durch Professor Dr. K. erfolgt. Insbesondere aus der ergänzenden Stellungnahme ergäbe sich, dass die Minderung
der Erwerbsfähigkeit derzeit mit 50 v.H. als angemessen angesehen wurde.
Am 20. Juli 2016 hat der Kläger dagegen Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben und hat die Auffassung vertreten, die
Minderung der Erwerbsfähigkeit müsse mindestens 70 v.H. betragen. Bereits Professor Dr. K. habe in seinem Gutachten vom 2.
September 2015 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v.H. angenommen. Außerdem müssten die bestehenden HWS-Beschwerden
berücksichtigt werden.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden
bezogen.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat der Facharzt für Chirurgie-Unfallchirurgie, Sozialmedizin Dr. T1 den Kläger nach Untersuchung
des Klägers am 14. August 2017 ein fachchirurgisches Gutachten erstattet. Er hat in seinem Gutachten die Auffassung vertreten,
dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 50 v.H. bereits am oberen Rand des Ermessens angesiedelt sei, da eine Minderung
der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. eine schwerste Leistungseinschränkung voraussetze, die bei schwersten motorischen Störungen
und persistierendem gravierendem Kaudasyndrom angenommen werden könne. Beim Kläger bestünden keine Lähmungserscheinungen oder
ähnliches, sodass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. gerade noch angenommen werden könne.
Dem Gutachten von Professor Dr. K. könne nach Meinung des medizinischen Sachverständigen nicht gefolgt werden. Dieser habe
die Halswirbelsäulen-Beschwerden zunächst vollumfänglich als Berufskrankheitenfolge der BK 2108 angesehen und von einem Grad
der Behinderung von 60 gesprochen. Gemeint sei wohl eine Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v.H. Auch
in der ergänzenden Stellungnahme seien verschleißbedingte Veränderungen der Halswirbelsäule der Berufskrankheit zugeordnet
worden. Dies sei insoweit nicht zutreffend.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2018 abgewiesen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei
beim Kläger nicht über 50 v.H. festzustellen. Das Gericht folge den schlüssigen Ausführungen des medizinischen Sachverständigen
Dr. T1, der nach eingehender Untersuchung des Klägers die von ihm benannten Folgen der anerkannten Berufskrankheit (BK 2108)
zutreffend medizinisch festgestellt habe. Dr. T1 habe sich bei seiner Empfehlung zur Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit
an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand in Bezug auf die Einschätzung der Folgen der BK 2108 gehalten (Hinweis
auf Schönberger/Mehrtens/Valentin 9. Aufl. 2017, S. 548), wobei ein Wert von 50 v.H. für ein lumbales Wurzelkompressionssyndrom
mit schwersten motorischen Störungen, ein persistierendes, gravierendes Kaudasyndrom oder schwerste Funktionseinschränkungen
und Beschwerden nach Operationen vorliegen müsse, die erhebliche Einschränkungen für Handhaben vom Lasten, Gehen, Stehen,
Beugen, Bücken und Hocken, Überkopfarbeit, Sitzen und Schwingungsbelastungen im Sitzen zur Folge haben müssten. Der erfahrene
medizinische Gutachter Dr. T1 habe ausgeführt, dass die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 50 v.H. durch
die Beklagte bereits am oberen Rand des Ermessens erfolgt sei, denn beim Kläger lägen diese genannten Funktionseinschränkungen
nicht vollständig vor. Das Sozialgericht hat darauf hingewiesen, dass HWS-Beschwerden nicht bei der BK 2108 zu berücksichtigen
seien. Ein schweres Heben und Tragen von Lasten, welches die Tatbestandsvoraussetzungen der BK 2108 darstellen, betreffe in
ihren Wirkungen den unteren Bereich der Lendenwirbelsäule. Das medizinische Bild zur Feststellung einer BK 2108 führe gerade
nicht dazu, dass Halswirbelsäulenbeschwerden dem Krankheitsbild, welches für die "medizinische" Anerkennung einer BK 2108
vorliegen müsse, zugerechnet würden. Nach den Konsensempfehlungen sei ein gewisser Grad an Schädigungen der Halswirbelsäule
kein Ausschlusskriterium für die Anerkennung einer BK 2108.Umgekehrt folge daraus aber nicht, dass insoweit Schädigungen an
der Halswirbelsäule von dem Versicherungsfall der BK 2108 umfasst würden.
Der Kläger hat gegen diese seinem Prozessbevollmächtigten am 3. August 2018 zugestellte Entscheidung am 3. September 2018
Berufung eingelegt. Er können sich einer Einschätzung seiner Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 50 v. H. nicht anschließen.
Seine Wirbelsäule sei vom unteren Abschnitt der Brustwirbelsäule über die gesamte Lendenwirbelsäule hinweg versteift. Die
daraus folgenden Bewegungseinschränkungen seien so gravierend, das die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 70 v.H.
einzuschätzen sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 31. 7. 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 9. 4. 2015 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 15. 6. 2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente nach
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 70 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wendet ein, dass eine Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 50 v.H. bereits am oberen Rand des Ermessens
angesiedelt sei. Nach der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur sei eine höhere Einordnung nur bei schwersten Leistungseinschränkungen
gerechtfertigt, die beim Kläger nicht vorlägen. Der Kläger litte weder an schwersten neurologischen Störungen noch an einem
Kauda-Syndrom (Querschnittssyndrom mit Schädigung der Nervenfasern).
Der Senat hat mit Beschluss vom 19. März 2019 die Berufung gegen den Gerichtsbescheid auf den Berichterstatter zur Entscheidung
mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte und die Sitzungsniederschrift
vom 19. Juni 2019 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Eine Entscheidung konnte durch den Berichterstatter mit den ehrenamtlichen Richtern ergehen. Gründe, die gegen eine Übertragung
sprechen, liegen nicht vor und wurden auch vom Kläger nicht vorgetragen.
Die statthafte (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§
151 SGG) Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung der ihm mit Bescheid vom 9. April 2015 grundsätzlich
zuerkannten Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 50 v.H. Der insofern angefochtene Bescheid
vom 9. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2016 ist rechtmäßig. Der Kläger ist dadurch nicht beschwert
im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1SGG.
Die Bemessung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht gemäß §
128 Abs.
1 S. 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 25/05 R, juris). Die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei dem Kläger wird in den Gutachten des Dr. K1 (25. Juni 2014), des
Dr. N. (3. Juni 2014) und des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. T1 vom 14. August 2017 einheitlich mit 50 v.H. angenommen.
Die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einer BK 2108 richtet sich nach den objektiven Funktionseinschränkungen, insbesondere
den Bewegungseinschränkungen, Instabilitäten, Wurzelreizsyndromen und neurologischen Ausfällen. Hiervon ausgehend ist zu beurteilen,
welche Tätigkeiten aufgrund der Erkrankung nicht mehr ausgeführt werden können. Hieraus sind dann die auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt gegebenen Einschränkungen zu ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass ein vorliegender Zwang zur Aufgabe der aktuellen
gefährdenden Tätigkeit nicht gleichbedeutend ist mit einem Zwang, jegliches Heben und Tragen zu vermeiden (vgl. Römer in:
Hauck/Noftz, SGB, Stand 7/17,
BKV Anlage 3, Rn. 22).
Nach den Konsensempfehlungen Teil 2 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten
der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3) ist eine Einteilung in vier Stufen je nach dem Grad der Beeinträchtigung
vorzunehmen: Leicht, mittel, schwer und schwerst mit einer Staffelung von 10, 20, 30 bis 40 sowie 50 und mehr v.H. Dabei wird
mittleren Beeinträchtigungen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zugeordnet. Sie sind mit mittelgradigen Beschwerden
und deutlichen Funktionseinschränkungen verbunden. Eine mehr als gelegentliche Handhabung schwerer Lasten ist dann meist nicht
mehr möglich. Von einem schweren Krankheitsbild ist auszugehen, wenn starke belastungsabhängige Beschwerden bestehen, motorische
Störungen funktionell wichtiger Muskeln und starke Funktionseinschränkungen vorliegen. In diesem Fall ist auch ein gelegentliches
Handhaben schwerer Lasten nicht mehr möglich. Hier ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Bereich von 30 bis 40 v.H. einzuordnen.
Erst bei schwersten Fällen mit erheblichen motorischen Ausfällen und Lähmungen ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von
50 v.H. und mehr anzusetzen. Jedes Arbeiten in gebückter Haltung bzw. Heben und Tragen ist dann nicht mehr möglich.
Im Streitfall geht der Sachverständige Dr. T1 davon aus, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers maximal ("Oberrand
des Ermessens") mit 50 v.H. angenommen werden kann. Ein so hoher oder höherer Wert sei nur bei schwersten Leistungseinschränkungen
gerechtfertigt. Das sei bei dem Kläger insoweit aber nicht der Fall als Störungen der motorischen Funktion oder Lähmungserscheinungen
nicht vorlägen. Das Gutachten des Dr. T1 ist schlüssig und überzeugend, die Anamnese und Befunderhebung auf neurologischem
Fachgebiet erscheint gründlich und umfassend, zumal auch keine medizinisch fundierten Einwendungen gegen das Gutachten von
dem Kläger erhoben wurden. Der Sachverständige befasst sich hierbei auch mit der Einschätzung der Vorgutachter und begründet
ebenfalls überzeugend seine eigene Einschätzung. Dabei berücksichtigt er auch die einschlägige Fachliteratur. Seine abweichende
Einschätzung gegenüber dem Gutachten von Professor K. (2. September 2015), der von einem GdB (Grad der Behinderung") von 60
(vermutlich aber von einer "MdE" von 60 v.H.) ausgegangen war, hat der Sachverständige nachvollziehbar und in Übereinstimmung
mit der Stellungnahme von Professor Oberst (8. Juli 2015) begründet. Verschleißumformungen der Halswirbelsäule seien zwar
ein Anhaltspunkt dafür, inwieweit die Halswirbelsäule einer bandscheibenschädigenden Exposition ausgesetzt gewesen sei. Schäden
an der Halswirbelsäule ließen sich aber nicht im Umkehrschluss als anerkennungsfähige Folge einer BK 2108 interpretieren.
Danach erscheint es gerechtfertigt, bei dem Kläger, bei dem eine komplette Versteifung der Lendenwirbelsäule und der unteren
Brustwirbelsäulenabschnitte besteht, die erhebliche funktionelle Beeinträchtigungen nach sich ziehen, von einem Minderung
der Erwerbsfähigkeit- Wert auszugehen, der den bei einer "schweren Leistungseinschränkung" zugebilligten Wert (30 - 40 v.H.)
übersteigt. Mehr als ein Grad von 50 v.H. ist angesichts des verbliebenen Leistungsvermögens aber auch nicht gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.