Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht einer Klage gegen eine Erstattungsforderung aufgrund der Anrechnung von
Einkommen auf eine Hinterbliebenenrente
Erforderlichkeit der Beantwortung schwieriger Rechtsfragen im Hinblick auf die Bescheideigenschaft und die Ermächtigungsgrundlage
für die Rückforderung
Gründe
I. Der 1948 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 1.11.2013 Regelaltersrente. Nach der Scheidung von seiner zweiten
Ehefrau im November 2013 beantragte er im August 2015 (erneut) große Witwerrente nach seiner ersten Ehefrau. Dabei gab er
an, er sei vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2014 bei der Firma W in P beschäftigt gewesen, und legte dazu eine Verdienstbescheinigung
vor. Eine weitere seit dem 27.11.2014 bestehende (geringfügige) Beschäftigung bei der Firma L GmbH & Co. in X gab er nicht
an. Die Beklagte bewilligte große Witwerrente ab dem 1.8.2014 (Bescheid vom 24.11.2015). Die Regelaltersrente und das Einkommen
aus der Beschäftigung bei der Firma W führten dabei nicht zu einer Anrechnung von Einkommen.
Nachdem die Beklagte aufgrund eines Datenabgleichs im April 2016 von der weiteren, bis zum 31.5.2016 andauernden Beschäftigung
des Klägers bei der Firma L GmbH & Co erfahren hatte, hat sie - ohne den Kläger zuvor anzuhören - die große Witwerrente ab
dem 1.8.2014 neu berechnet und eine Erstattungsforderung von 492,20 EUR geltend gemacht (Bescheid vom 1.6.2016). Der Kläger
hat dazu mit einem nicht unterschriebenen Schreiben vom 24.6.2016 mitgeteilt, er erkenne die Forderung an und bitte, ihm aus
wirtschaftlichen Gründen zu gestatten, die Summe in Raten innerhalb von zwölf Monaten zu zahlen; die Rückzahlung könne auch
von der monatlichen Rente für Hinterbliebene abgezogen werden.
Nachdem der Kläger im August 2016 erneut geheiratet hatte, entzog ihm die Beklagte nach vorheriger Anhörung die große Witwerrente
mit Wirkung ab dem 1.9.2016 (Bescheid vom 6.10.2016), so dass es nicht mehr zu einer Aufrechnung mit der Erstattungsforderung
kam.
Anschließend hörte die Beklagte den Kläger dazu an, dass sie beabsichtige, den Bescheid vom 24.11.2015 über die Anerkennung
des Anspruchs auf große Witwerrente für die Zeit ab dem 1.7.2015 teilweise aufzuheben, soweit es die Einkommensanrechnung
betreffe. Des Weiteren sei beabsichtigt, ihn zu Rückzahlung der in der Zeit vom 1.7.2015 bis 30.6.2016 zu Unrecht gezahlten
Beträge in Höhe von insgesamt 492,20 EUR zu verpflichten. Dieses Vorhaben setzte die Beklagte anschließend um; dabei nahm
sie auf ihren Bescheid vom 1.6.2016 Bezug sowie darauf, dass der Kläger die dort festgesetzte Erstattungsforderung von 492,20
EUR bereits anerkannt habe. Diese Forderung vermindere sich um eine Nachzahlung für den Monat Juni 2016 über 107,15 EUR, so
dass der Erstattungsbetrag nur noch 385,05 EUR betrage (auf § 48 SGB X gestützter Bescheid vom 24.11.2016; Widerspruchsbescheid vom 11.8.2017).
Mit der dagegen erhobenen "Klage und Prozesskostenhilfegesuch" macht der Kläger geltend, aufgrund seines Zuverdienstes sei
ein Entfallen der Bedürftigkeit nicht gegeben; dieser habe nicht zum Überschreiten der Einkommensgrenze geführt. Das Gericht
möge seine Ermittlungen aufnehmen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt, weil der Kläger sich mit nicht nachvollziehbarer Begründung gegen den
umfangreich begründeten Bescheid der Beklagten gewandt habe, ein Sachbezug seines Vorbringens sei nicht erkennbar (Beschluss
vom 25.6.2018, dem Kläger bekannt gegeben am 6.7.2018). Mit seiner noch im Juli 2018 dagegen erhobenen Beschwerde hat der
Kläger geltend gemacht, er habe sein Einkommen ordnungsgemäß angegeben und wehre sich ausdrücklich gegen die Anrechnung dieses
Einkommens auf seine Rente.
Die Beklagte hält ihre Bescheide für rechtmäßig. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei zurecht abgelehnt worden.
II. Die Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht (SG) abgelehnt, Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur
zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint, §§ 73a
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), 114 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die Rechtsverfolgung, nämlich die Klage gegen den Bescheid vom 24.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.8.2017,
bietet bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg (und ist schon deshalb nicht mutwillig). Für die Annahme
hinreichender Erfolgsaussicht ist nicht erforderlich, dass der Kläger mit seiner Anfechtungsklage mit (hoher) Wahrscheinlichkeit
obsiegt. Es genügt, dass eine - nicht ganz entfernt liegende - Möglichkeit des Obsiegens besteht, weil für die Entscheidung
schwierige Rechtsfragen zu beantworten sind und der Ausgang des Verfahrens deshalb offen ist. Das ist hier der Fall.
Das SG hat zunächst zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zur Begründung seines Klageantrags nichts Erhebliches vorgetragen
hat. Dies allein rechtfertigt indes nicht die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Zwar trifft zu, dass der Umfang
der Amtsermittlung des Gerichts (§§
103,106
SGG) mit den Mitwirkungsobliegenheiten des Klägers korreliert. Das Gericht muss bei fehlendem schlüssigen Sachvortrag nicht ins
Blaue hinein ermitteln. Das Gericht ist indes verpflichtet, die Akten zu lesen und ihren Inhalt bei der Entscheidung zu berücksichtigen.
Bereits danach hat die Rechtsverfolgung, nämlich die Klage gegen den Bescheid vom 24.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11.8.2017, hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil schwierige Rechtsfragen zu beantworten sind und eine für den Kläger
günstige Entscheidung gut möglich ist.
Dazu sind zwei Rechtsfragen in den Blick zu nehmen: (1) Zunächst ist zu klären, ob es sich bei dem angefochtenen Bescheid
vom 24.11.2016 um einen Zweitbescheid oder um eine wiederholende Verfügung handelt, soweit der Bescheid vom 24.11.2015 teilweise
aufgehoben und der Kläger verpflichtet wird, 492,20 EUR zu erstatten. Es kommt in Betracht, dass die Beklagte mit dem Bescheid
vom 24.11.2016 eine Regelung nur insoweit getroffen hat, als (1) eine Aufrechnung mit der laufenden Witwerrente nicht mehr
in Betracht kam, da diese zum 1.9.2016 entfallen war, und (2) die Erstattungsforderung sich wegen der verfügten Aufrechnung
mit einem Nachzahlungsanspruch von 107,15 EUR auf 385,05 EUR verringert hatte. Sollte das SG zu diesem Ergebnis kommen, hätte die Klage keine Aussicht auf Erfolg, weil Aufhebung und Erstattung bereits bestandskräftig
feststehen. Sollte das SG zu der Auffassung gelangen, der Bescheid vom 24.11.2016 sei ein Zweitbescheid, mit dem die Beklagte auch die Aufhebung und
Erstattung erneut geregelt hat, kommt (2) in Betracht, dass sie diesen Bescheid auf eine falsche Rechtsgrundlage gestützt
hat. § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kommt als Ermächtigungsgrundlage nämlich nur in Betracht, wenn sich im Vergleich zu einer früher getroffenen Regelung nach
der Bekanntgabe des früheren Bescheides eine wesentliche Änderung der für die Entscheidung wesentlichen Umstände ergeben hat.
Daran könnte es hier deshalb fehlen, weil im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch auf große Witwerrente am 24.11.2015
die geringfügige Beschäftigung des Klägers bei der Firma L GmbH & Co. KG bereits bestand und (seit dem 1.7.2015) auch zur
Anrechnung von Einkommen auf die große Witwerrente geführt hat. Damit wäre der Bescheid vom 24.11.2015 bereits im Zeitpunkt
seiner Bekanntgabe rechtswidrig gewesen. Zutreffende Ermächtigungsgrundlage wäre dann nur § 45 SGB X. Wählt ein Leistungsträger aber als Ermächtigungsgrundlage fälschlich § 48 SGB X anstelle von § 45 SGB X, ist dieser Mangel in der Regel nicht mehr heilbar (BSG, Urteil vom 25. Mai 2018 , Az B 13 R 33/15 R = SozR 4-2600 § 89 Nr 4; BSG, Urteil vom 7. April 2016 , Az B 5 R 26/15 R = SozR 4-2600 § 89 Nr 3, beide mwN).
Der Kläger ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht, auch nicht zum Teil oder in Raten, in der
Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, da er über kein einzusetzendes Einkommen verfügt, §
115 Abs
1 ZPO.
Dabei ist die folgende Berechnung maßgebend:
Einkünfte: Rente
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680,68 EUR
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sonstige Einnahmen
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250,00 EUR
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Nettoeinkommen
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930,69 EUR
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Erwerbtätigenfreibetrag
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0,00 EUR
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Freibeträge n. § 115 I ZPO Beteiligter
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491,00 EUR
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Unterkunft u. Heizung Unterkunft, Heizung, Nebenkosten
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802,55 EUR
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Besondere Belastungen:
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1. Abzahlungsverpflichtung
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163,70 EUR
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2. Abzahlungsverpflichtung
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281,67 EUR = 445,37 EUR
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Verbleibendes Einkommen (abgerundet)
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808,00 EUR
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PKH-Rate:
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0,00 EUR
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Der Kläger verfügt auch nicht über einzusetzendes Vermögen, §
115 Abs
3 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
73 a Abs
1 Satz 1
SGG,
127 Abs
4 ZPO.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, §
177 SGG.