Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren über die Kostenübernahme für eine mehrtägige Schulfahrt.
Die am 00.00.2001 geborene Klägerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie ist Schülerin der J Schule in I. Die J Schule ist eine staatlich genehmigte Ersatzschule in freier Trägerschaft iSd
§ 100 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW und gehört zu den allgemeinbildenden Schulen. Die J Schule veranstaltet Fahrten, die als "Unterricht am anderen Ort"
bezeichnet werden. In der Jahrgangsstufe 7 findet ein Forstpraktikum statt, in der Jahrgangsstufe 9 ein Landwirtschaftspraktikum,
in der Jahrgangsklasse 10 eine Feldmessfahrt und in der Jahrgangsklasse 12 eine Kunstbetrachtungsfahrt. Nach Beschreibung
der Schule sind diese Fahrten "gelebte Arbeitsprozesse, in denen Unterricht im Sinne der J-pädagogik an außerschulischen Orten
stattfindet". Die Fahrten finden jeweils in der Organisationshoheit der Schule im Klassen- bzw. Kursverband statt. In Nordrhein-Westfalen
endeten im Jahr 2018 die Sommerferien am 28. August. Die Herbstferien begannen am 15. Oktober.
Im Juni 2018 beantragte die Klägerin, gestützt auf eine Bescheinigung der J Schule, Leistungen für ihre Teilnahme an der Kunstbetrachtungsfahrt
nach Griechenland vom 31.08.2018 bis zum 22.09.2018 iHv 1.000 EUR (ohne Taschengeld). Die Schule teilte mit, die Fahrt werde
nicht durch die Schule, den Förderverein, Spenden oder Dritte bezuschusst. Die Veranstaltung sei von der Schulleitung im Rahmen
der von der Schulkonferenz festgelegten Bedingungen genehmigt worden und entspreche den gültigen Richtlinien für Schulfahrten.
Mit Bescheid vom 23.08.2018 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten für diese Fahrt ab. Es handele sich nicht um eine
mehrtägige Klassenfahrt nach den schulrechtlichen Bestimmungen iSd § 28 Abs. 2 SGB II. Nach den in Nordrhein-Westfalen maßgeblichen Richtlinien für Schulfahrten (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung
vom 19.03.1997 - Wanderrichtlinie) betrage die Höchstdauer einer Schulfahrt zwei Wochen, bei Überschreiten müsse der darüber
hinausgehende Teil der Schulfahrt in den Ferien stattfinden. Diese Voraussetzungen erfülle die Fahrt nach Griechenland nicht.
Die Klägerin nahm an der Kunstbetrachtungsfahrt teil und bestritt die Kosten hierfür aus ihrem Sparbuchvermögen.
Die Klägerin legte am 13.09.2018 Widerspruch ein. Bei der Kunstbetrachtungsfahrt handele es sich um eine Klassenfahrt. Bei
Fahrten von Schulen in freier Trägerschaft sei die Dauer nicht maßgeblich. Die für Schulen in freier Trägerschaft maßgebenden
schulrechtlichen Bestimmungen seien eingehalten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Fahrt entspräche nicht den schulrechtlichen
Bestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen. Unterrichte an einem anderen Ort mit einer Dauer von drei Wochen außerhalb der
Schulferien seien keine Klassenfahrten im Sinne der Wanderrichtlinie.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.11.2018 Klage bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Die Kunstbetrachtungsfahrt sei
eine Klassenfahrt iSd schulrechtlichen Bestimmungen. Die Überschreitung der zweiwöchigen Dauer während der Schulzeit sei von
dem Gestaltungsfreiraum der Ersatzschulen umfasst. Diese finde nur dort ihre Grenzen, wo es um den Einhalt der für die Ersatzschulen
oder allgemein geltenden Rechtsnormen gehe. Soweit der Landesgesetzgeber für Ersatzschulen eine Ausnahme von der Geltung schulischer
Vorschriften zulässt, müsse dies auch für das SGB II gelten. Andernfalls komme es zu einer Ausgrenzung von bedürftigen Kindern, was durch das Bildungs- und Teilhabepaket verhindert
werden solle. Eine Begrenzung der Förderhöhe sei nach dem SGB II nicht vorgesehen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2018 zu verurteilen,
ihr Leistungen für die Klassenfahrt iHv 1.000 EUR zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 09.10.2019 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.08.2018 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2018 verurteilt, der Klägerin Leistungen für die Klassenfahrt iHv 1.000 EUR zu gewähren.
Die Fahrt nach Griechenland entspreche angesichts einer Dauer von drei Wochen außerhalb der Schulferien zwar nicht der Wanderrichtlinie.
Jedoch sei dies bei Schulen in freier Trägerschaft nicht maßgeblich.
Gegen das ihm am 04.11.2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 14.11.2019 Berufung eingelegt. Bei der Kunstbetrachtungsfahrt
handele es sich nicht um eine Klassenfahrt im herkömmlichen Sinne, wie sie im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen des
Landes Nordrhein-Westfalen vorgesehen sei. Der Unterricht werde nicht unterbrochen, sondern an einem anderen Ort fortgesetzt.
Gegen die Einordnung als Klassenfahrt spreche zudem, dass nach der Wanderrichtlinie bei Klassenfahrten mit einer Dauer von
mehr als zwei Wochen der darüber hinausgehende Teil in die Schulferien gelegt werden müsse. Die Kunstbetrachtungsfahrt dauere
aber drei Wochen und liege vollständig außerhalb der Schulferien. Für eine Fahrt, die nach den schulrechtlichen Bestimmungen
nicht zulässig ist, scheide eine Finanzierung nach § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II aus. Ersatzschulen dürften im Verhältnis zu Regelschulen nicht privilegiert werden.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2019 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Bei der Kunstbetrachtungsfahrt handele es sich um eine mehrtägige Fahrt, die in den Lehrplan eingebunden sowie verpflichtend
sei und die die Klasse als Gesamtverband durchführe, weshalb es sich um eine Klassenfahrt handele. Diese bewege sich im schulrechtlichen
Rahmen.
Auf Nachfrage durch den Senat hat die Schulleiterin der J Schule D K mit Schreiben vom 13.01.2020 ausgeführt, eine Genehmigung
der Fahrten durch die Schulaufsichtsbehörde sei nicht möglich, da die J Schule als Schule in freier Trägerschaft Klassenfahrten
im Rahmen ihrer Eigenverantwortung entwickele. Die Wanderrichtlinie sei für Ersatzschulen nur anwendbar, soweit deren Gleichwertigkeit
mit den öffentlichen Schulen davon abhängt. Dies betreffe nicht die zeitliche Planung und inhaltliche Organisation von Klassenfahrten,
sondern nur Inhalte, die Aufsichtspflicht, Gefahrvermeidung und Unfallverhütung. Die Bezirksregierung Arnsberg hat auf Nachfrage
des Senats unter dem 31.01.2020 mitgeteilt, die besonderen Klassenfahrten der J Schule würden mit Ausnahme der Kosten begleitender
Lehrer nicht im Rahmen der Ersatzschulfinanzierung refinanziert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte
sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten
verurteilt, die Kosten für die Kunstbetrachtungsfahrt der Klägerin vom 31.08.2018 bis 22.09.2018 iHv 1.000 EUR zu übernehmen.
Der Ablehnungsbescheid ist rechtswidrig iSd §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Übernahme der beantragten Kosten.
Die Klägerin war während der Durchführung der Kunstbetrachtungsfahrt erwerbsfähige Leistungsberechtigte iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Leistungsausschlussgründe lagen nicht vor. Sie hatte damit gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB II Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe unter den Voraussetzungen des § 28 SGB II. Bei den Bildungs- und Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 2 SGB II handelt es sich um Individualansprüche des jeweiligen Schülers, die einen isolierten Streitgegenstand darstellen (vgl. BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 36/07 R; LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 20.11.2019 - L 2 AS 154/19; Beschluss des Senats vom 28.09.2011 - L 7 AS 1308/11 B).
Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II werden bei Schülerinnen und Schülern die tatsächlichen Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen
Bestimmungen als Bedarfe für Bildung und Teilhabe anerkannt. Die Klägerin war Schülerin, da sie das 25. Lebensjahr noch nicht
vollendet hatte, eine allgemeinbildende Schule besuchte und keine Ausbildungsvergütung erhielt (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Den nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der bis zum 31.07.2019 gF erforderlichen gesonderten Leistungsantrag hat die Klägerin gestellt.
Bei der Kunstbetrachtungsfahrt handelte es sich um eine Klassenfahrt iSd § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Der Begriff der Klassenfahrt ist gesetzlich nicht definiert. Allgemein wird unter Zugrundelegung des Wortlauts und der gesetzlichen
Intention als erforderlich angesehen, dass es um Fahrten geht, die in der Organisationshoheit der Schule und im Klassen- bzw.
Kursverband durchgeführt werden (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 20.11.2019 - L 2 AS 154/19). Dies ist bei der Kunstbetrachtungsfahrt unstreitig der Fall. Weitere Vorgaben für den Begriff der Klassenfahrt macht das
SGB II nicht. Dass die Kunstbetrachtungsfahrt integraler Bestandteil des Unterrichts der Klassen 12 ist, steht der Annahme einer
Klassenfahrt nicht entgegen. Auch nach Ziffer 1 der Wanderrichtlinie ist für Klassenfahrten vorgesehen, dass Gegenstand von
Schulfahrten Veranstaltungen zu einzelnen Unterrichtsbereichen - z.B. religiöse Freizeiten, Seminare zur Sucht- und Drogenvorbeugung,
Schulorchesterfreizeiten, Veranstaltungen zur Berufsorientierung, Schullandheimaufenthalte mit sportlichem Schwerpunkt - sein
können.
Die Kunstbetrachtungsfahrt hält sich als Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen iSd § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II.
Zwar erfüllt die Kunstbetrachtungsfahrt nicht die Anforderungen, die die Wanderrichtlinie an Schulfahrten stellt, denn gem.
Ziffer 2.3 der Wanderrichtlinie muss bei einer Dauer der Schulfahrt von mehr als zwei Wochen der darüber hinausgehende Teil
der Schulfahrt in die Ferien gelegt werden, was vorliegend nicht der Fall war. Dies ist jedoch unschädlich, denn die Wanderrichtlinie
ist für Ersatzschulen nicht verbindlich. Bei Schulen in freier Trägerschaft steht die Schulgestaltung in Nordrhein-Westfalen
unter Beachtung des Bildungsauftrags und der weiteren grundlegenden Aufgaben von Ersatzschulen der jeweiligen Schule eigenverantwortlich
zu. Für Ersatzschulen gelten gemäß § 100 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 SchulG NRW die übrigen Vorschriften des Schulgesetzes nur, soweit deren Gleichwertigkeit mit den öffentlichen Schulen es erfordert
bzw. wenn und soweit dies ausdrücklich bestimmt ist. Angesichts der weitgehenden Gestaltungsfreiheit der Ersatzschulen sind
inhaltliche Vorgaben zur zeitlichen Planung und Organisation einer Klassenfahrt nach den schulrechtlichen Bestimmungen in
Nordrhein-Westfalen unzulässig. Die Gestaltungsfreiheit der Ersatzschulen findet nur dort ihre Grenze, wo es um die Einhaltung
der für Ersatzschulen oder allgemein geltenden Rechtsnormen geht (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung
vom 29.09.2007 - Schulaufsicht über Ersatzschulen - Abl. NRW 11/2007 S. 646). Die J Schule hat mit der Ausgestaltung der Kunstbetrachtungsfahrt
ihre Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.
Neben dem Wortlaut von § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II sprechen auch der Sinn und Zweck der Bestimmung für die Bejahung eines Anspruchs der Klägerin. Die Vorschrift soll die gleichberechtigte
Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler an den genannten Veranstaltungen ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation
ihrer Eltern sicherstellen und Ausgrenzung verhindern. Weil das Fernbleiben von schulischen Gemeinschaftsveranstaltungen Kinder
und Jugendliche in ihrer Entwicklung besonders nachhaltig negativ prägen kann, dient die Vorschrift in besonderem Maße der
Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft (BT-Drs. 17/3404 S. 104; in diesem Sinne auch Luik in Eicher/Luik,
SGB II, 4. Aufl., § 28 Rn. 20). Die vom Beklagten vertretene Auffassung würde demgegenüber dazu führen, dass hilfebedürftige Schüler an den Klassenfahrten
der J Schule nicht teilnehmen könnten. Denn ein Ausgleich über die SchfkVO NRW oder einen Anspruch auf Schülerbeförderungskosten
nach § 28 Abs. 4 SGB II findet für die Gesamtkosten einer Klassenfahrt nicht statt.
Findet die Fahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen statt und sieht das Schulrecht - wie hier - keine Kostenobergrenze
vor, so hat der Leistungsträger die tatsächlichen Kosten ohne Beschränkung auf einen Höchstbetrag zu übernehmen (vgl. BSG Urteile vom 22.11.2011 - B 4 AS 204/10 R und vom 13.11.2008 - B 14 AS 36/07 R; Luik, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 28 Rn. 20).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Revisionszulassungsgründe iSv 160 Abs. 2
SGG liegen nicht vor.