Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Anforderungen an die Begutachtung vestibulärer Störungen und eines Chronic-Fatique-Syndroms
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. wegen Erwerbsminderung streitig.
Der 1967 geborene Kläger erlernte von 1984 bis 1986 den Beruf des Facharbeiters für Qualitätskontrolle (Zeugnis über die Berufsausbildung
vom 15. Juli 1986) und war bis 1988 in diesem Beruf tätig. Vom 27. September bis 31. Dezember 1993 war er als Hilfsarbeiter
(Lackierer und Grundierer) bei der Tischlerei P. N. in B. tätig. Nach eigenen Angaben erlitt er dort am 22. Oktober 1993 bei
der Besprühung von Fensterrahmen mit einer Grundierung eine Vergiftung. Vom 23. bis 25. Oktober 1993 befand er sich in stationärer
Behandlung im Kreiskrankenhaus "Chr. W. H.". Die Diagnose im Arztbrief vom 1. Februar 1994 lautete: Verdacht auf Gastritis
nach Ammoniakinhalation. Danach war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog bis Oktober 2001 Sozialversicherungsleistungen und
nach eigenen Angaben von August 1994 bis 2007 eine Verletztenrente von der Holz-Berufsgenossenschaft (Holz-BG) bei einer Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. Vom 18. Juni 2002 bis zum 12. Juni 2004 bezog er Leistungen der Bundesagentur für
Arbeit. Ab dem 1. August 2008 war er zeitweise geringfügig beschäftigt.
Auf seinen Rentenantrag vom Juli 1996 zog die Beklagte u.a. den Rehabilitationsentlassungsbericht der B.-Klinik St. vom 22.
November 1996 bei (Diagnosen: neurotische Entwicklung bei Zustand nach Carbamatintoxikation 1993, psychosexueller Entwicklungsrückstand;
Leistungsbild: mittelschwere Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck vollschichtig) und lehnte mit Bescheid vom 13. Januar 1997
die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid
vom 22. August 1997).
Auf die Klageerhebung (Az.: S-4/J-968/97) hat das Sozialgericht Nordhausen diverse ärztliche Befundberichte und medizinische
Unterlagen beigezogen, u.a. einen Befundbericht des praktischen Arztes F. vom 1. März 1998, und - nachdem der Kläger die Untersuchung
bei zwei anderen Sachverständigen abgelehnt hatte - ein Gutachten bei Prof. Dr. F.-B. beauftragt. Dieser hat ohne Rücksprache
mit dem SG ein neuropsychologisches Gutachten des Dr. H. vom 20. Mai 2001 in Auftrag gegeben und dem SG übermittelt. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. F.-B. vom 15. August 2001 leidet der Kläger an hirnorganischen Funktionsstörungen
im Sinne einer toxischen Enzephalopathie nach Inhalation der Mischung von Lösungsmitteln und Carbamat. Er könne nur noch leichte
körperliche Arbeiten ein bis zwei Stunden pro Tag verrichten.
Den Antrag des Prof. Dr. F.-B. auf Genehmigung des Gutachtens des Dr. H. hat das Sozialgericht Nordhausen am 17. September
2001 und den Antrag auf Entschädigung mit Beschluss vom 5. März 2002 (Az.: S 4 SF 1305/01) abgelehnt. Die Beschwerde hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 3. März 2003 (Az.: L 6 B 25/02 SF) zurückgewiesen.
Ausweislich des im Auftrag der Holz-BG erstellten und vom Sozialgericht Nordhausen beigezogenen Gutachtens der Prof. Dr. E.
vom 27. April 2001 sind sowohl die zentralnervöse Symptomatik mit Schwindel und Sehstörungen als auch die körperliche Leistungsminderung
mit Muskelschmerzen und "Muskelzittern" des Klägers auf eine Carbamatexposition zurückzuführen. Er sei nicht mehr in der Lage,
einer geregelten Erwerbsarbeit nachzugehen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 100 v. H.
Mit Beschluss vom 18. Januar 2002 hat das Sozialgericht Nordhausen den Rechtsstreit an das Sozialgericht Gotha verwiesen.
Eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung durch Sachverständigen Dr. O. hat der Kläger abgelehnt. Mit Urteil vom 2. Juli
2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren (Az.: L 6 RJ 701/02) hat der Kläger vorgetragen, durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. F.-B. vom 15. August 2001 sei erwiesen, dass
sein Leistungsvermögen durch eine unfallbedingte toxische Enzephalopathie und frontale Hirnatrophie auf ein bis zwei Stunden
leichter Arbeit gemindert sei. Eingereicht hat er u.a. ein Privatgutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.
F. vom 12. September 2002, wonach er an Spätschäden des Unfallereignisses aus 1993 wie einem deutlich extrapyramidalen Syndrom
und einer Hirnleistungsminderung mit dem Symptomenkomplex Koordinationsstörung, Tremor und Schwindelgefühl leidet, und den
Arztbrief des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. M.-K. vom 21. Oktober 2002. Nach diesem ist das vorgebrachte Beschwerdebild
glaubhaft dargestellt; die neurootologischen Defizite lägen vor. Der Kläger hat zudem u.a. ein Gutachten nach Aktenlage der
Dr. U. vom Landesarbeitsamt vom 4. Dezember 2002 (Leistungsfähigkeit drei bis unter sechs Stunden täglich) und einen Bericht
des Prof. Dr. K. vom 15. August 2003 (Diagnose: multisensorische neurootologische Funktionsstörung, Gleichgewichtfunktionsstörung
vom Typ der labilen Hirnstammhemmung, Hirnstammtaumeligkeit, zentrale Reaktionshemmung des optokinetischen Systems, pontomedulläre
Hörbahnstörung) vorgelegt.
Der Senat hat ein neurologisches Gutachten des Prof. Dr. W. vom 20. Januar 2003 (Diagnosen: Zustand nach akuter Carbamatintoxikation
mit anticholinergem Syndrom 1993 ohne zentralnervöse Schädigung, Somatisierungsstörung) und ergänzende Stellungnahmen vom
21. März und 22. April 2003, 20. Mai und 1. November 2005 sowie 15. Mai 2006 eingeholt. Danach ist der Kläger in der Lage,
regelmäßig vollschichtig (acht Stunden an fünf Tagen in der Woche) zu arbeiten und dabei mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten.
Aus neurologischer Sicht bestehe keine besondere Einschränkung. Er benötige keine betriebsunüblichen Pausen und sei in der
Lage, in zumutbarer Zeit ununterbrochen mehr als 500 Meter zurückzulegen.
Der nach §
109 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) beauftragte praktische Arzt F. hat in seinem Sachverständigengutachten vom 27. Oktober 2004 ausgeführt, dass der Kläger
an einem hirnorganischen Syndrom (Enzephalopathie mit Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Antriebsschwäche
und allgemeiner Schwäche) sowie einem chronischen Müdigkeitssyndrom mit Adynamie, Muskelzittern und Muskelschmerzen leide.
Er könne nur bis zu zwei Stunden täglich leichte Arbeiten ausführen, müsse wegen erhöhter Chemikalienempfindlichkeit öffentliche
Verkehrsmittel weitgehend meiden und könne maximal 300 Meter zu Fuß zurücklegen.
Nach dem von der Holz-BG in Auftrag gegebenen Rentengutachten - Nachprüfung MdE - der Prof. Dr. E. vom 26. Mai 2004 liegen
als Unfallfolgen allgemeine Leistungsschwäche, Schwindel, Koordinationsstörungen und gelegentlich Doppelbilder vor. Es sei
weiterhin von einer MdE von 100 v.H. auszugehen. Nach dem Befundbericht des Dr. M.-K. vom 11. Mai 2006 gehören zu den neurootologischen
Beschwerden des Klägers nach wie vor Gleichgewichtsstörungen, die sich als Schwankschwindel äußerten, mit Fallneigung nach
allen Seiten.
Der Senat hat den Beteiligten eine Abschrift des in einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/02) eingeholten berufskundlichen Gutachtens der Sachverständigen J. vom 6. Juni 2004 zur Kenntnisnahme übermittelt.
Mit Urteil vom 29. Mai 2006 hat der Senat die Berufung zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat das
Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 27. November 2007 (Az.: B 5a/5 R 406/06 B) das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Senat sei dem in der
Sitzung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines neurootologischen Gutachtens zur Abklärung der Schwindelzustände und Gleichgewichtsstörungen
ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Bereits in seinem Schriftsatz vom 15. Mai 2006 habe der Kläger unter Hinweis auf
Dr. M.-K. beantragt, bei der Universität W., Abteilung Neurootologie, ein entsprechendes Gutachten einzuholen. Das neurootologische
Gutachten könnte zur endgültigen Klärung des Krankheitsbildes beitragen und so zusammen mit den bereits eingeholten Gutachten
eine besser geeignete Grundlage für eine zuverlässige Einschätzung des Leistungsvermögens abgeben.
Der Kläger trägt vor, das Gutachten des Dr. Sch. vom 14. November 2012 bestätige in vollem Umfang seinen Klage- und Berufungsvortrag.
Dessen nach der sogenannten "Würzburger Schule" erarbeitete Untersuchungsmethode insbesondere des Gleichgewichtsorgans sei
keine Mindermeinung, sondern werde allgemein in Deutschland und in der Welt anerkannt und tagtäglich praktiziert, z.B. die
Aufzeichnung der kalorischen Kalt- und Warmprüfung der peripheren Labyrinthe nach dem Schmetterlingsschema des Prof. Dr. C.,
die Corpocraniographie (CCG) und die rotatorischen Vestibularisprüfungen. Das HNO-Gutachten des Prof. Dr. H. entspreche nicht
den Anforderungen im Beschluss des BSG vom 27. November 2007, denn es sei überhaupt kein neurootologisches Gutachten. Der Sachverständige widerspreche sich, wenn
er einerseits angebe, es sei bei gutachterlichen Fragestellungen besser, die Augenbewegungen objektiv aufzuzeichnen, andererseits
aber diese Untersuchungsmethode bei den Vorgutachtern kritisiere. Er habe die kalorische Vestibularisprüfung nicht lege artis
durchgeführt. Wenn bei der Warmspülung eine Seite deutlich schwächer als die Gegenseite reagiere, müsse zwingend noch eine
bilaterale Kaltreizung durchgeführt werden. Hierdurch könne eine zentrale Gleichgewichtsstörung nachgewiesen werden. Dessen
Behauptung, das Hauptsymptom einer vestibulären Störung sei immer ein Spontannystagmus, bzw. wenn ein solcher fehle dies immer
ein Zeichen für eine zentrale Kompensierung der Störung, treffe insbesondere für zentrale Störungen nicht zu. Auch könne man
im CCG dynamische Verläufe in den aufgezeichneten Bewegungsmustern bewerten, denn wenn ein Verdacht auf Simulation bestehe,
lasse der Untersucher den Test mehrfach wiederholen; ein Proband könne niemals die Bewegungsmuster identisch resimulieren.
Sein Schwindel sei unmittelbar nach der Holzschutzmittelvergiftung am 23. Oktober 1993 aufgetreten, wie sich aus dem Entlassungsbericht
des Kreiskrankenhauses B. L. vom 1. Februar 1994 ergebe. Der Sachverständige Dr. K. habe ihm mündlich ausdrücklich ein schwerwiegendes
Krankheitsbild bestätigt und in seiner "Bescheinigung des Gutachters" vom 21. Oktober die Erforderlichkeit einer Begleitperson
und eine zentrale Gleichgewichtsstörung bescheinigt. Dies stehe eindeutig im Widerspruch zu den Feststellungen in seinem schriftlichen
Gutachten. Es sei im Übrigen unhaltbar, weil er - wie auch Prof. Dr. H. - die notwendigen neurootologischen Untersuchungen
wie z.B. eine Elektronystamographie (ENG) zum Nachweis einer zentralen Gleichgewichtsstörung nicht selbst vorgenommen habe.
Die Untersuchung mit der Frenzelbrille sei im Vergleich zu der Untersuchung durch die ENG sehr viel ungenauer und gerade in
komplizierten Fällen vollkommen unzureichend. Selbst wenn man dem Gutachten des Dr. K. folge, wonach er lediglich unter einer
psychisch bedingten Gleichgewichtsstörung leide, seien die Folgen für seine Erwerbsfähigkeit letztlich identisch. Dessen Behauptung,
das Krankheitsbild des Chronic-Fatique-Syndroms (CFS) finde sich nicht in der ICD-10-Klassifikation, sei falsch, denn dort
befinde sich die Kennziffer G93.3. Sie sei nach dem
Fünften Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) rechtlich verbindlich. Diese Diagnose werde auch von anerkannten Fachärzten erhoben, wie sich aus einem Gutachten des Dr.
H. vom 30. Juli 2014 aus einem Verfahren vor dem Sozialgericht Mainz (Az.: S 13 R 148/13) ergebe. Schließlich sei ihm aufgrund der festgestellten Leistungseinschränkungen eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
bzw. eine Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte keinesfalls zumutbar.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 2. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Januar
1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1997 zu verurteilen, ihm ab dem 1. August 1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise Rente wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise ab dem 1. Januar 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise
wegen teilweiser Erwerbsminderung,
hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren,
hilfsweise ein neurootologisches und neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten nach §
106 SGG einzuholen,
hilfsweise ein berufskundliches Gutachten einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist dem Gutachten des Dr. Sch. nicht zu folgen, weil es keine Testergebnisse enthält, die eine erwerbsmindernde
Konzentrationsschwäche beweisen könnten. Es werde eine Hirnstammschädigung angenommen, die Störungen der Augenbewegungen verursache.
Diese Störungen der Augenbewegungen (pathologischer Nystagmus) seien durch sensible Tests diagnostiziert worden, die jedoch
in ihrem Ergebnis für den Kläger eine klinische Bedeutung vermissen ließen. Es sei bekannt, dass sich abnorme Augenbewegungen
auch bei gesunden Probanden provozieren ließen. Es sei nicht erwiesen, dass die bei dem Kläger festgestellten Augenbewegungen
zu einer derartigen Ermüdung führen könnten, dass eine leichte körperliche Tätigkeit z.B. als Produktionshelfer nicht mehr
über sechs Stunden arbeitstäglich durchführbar wäre. Das durchgeführte CCG zeige eine Schwankbereitschaft und eine Drehneigung
des Klägers nach rechts. Diese Merkmale könnten in der Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens ihren Niederschlag
dahingehend finden, dass Arbeiten auf Leitern und Gerüsten nicht mehr möglich sind. Ein Grad der Schwindelerscheinungen sei
nicht angegeben. Der Kläger sei als wegefähig eingeschätzt worden und es sei eine Kfz-Tauglichkeit attestiert worden, die
nicht gewährleistet wäre, wenn den angegebenen Schwindelerscheinungen ein hohes Gefährdungspotenzial innewohnten. Ernsthafte
therapeutische Bemühungen fehlten. Dem Gutachten von Dr. K., das sich auf eine umfassende dreitägige neurologische, psychiatrische,
psychosomatische, testpsychologische und neurophysiologische Untersuchung stütze, werde zugestimmt.
Der Kläger hat im Verlauf des Verfahrens u.a. folgende Unterlagen eingereicht: von Dr. Sch. einen "Neurootologischen Befund"
vom 15. Juni 2011 (erhoben am 1. Juni 2011 (Diagnose: zentrale Gleichgewichtsfunktionsstörung)), einen "Vorläufigen neurootologischen
Befundbericht" vom 7. August 2013 und Stellungnahmen vom 24. März und 11. August 2014 zur ergänzenden Stellungnahme des Prof.
Dr. H. vom 24. März 2014, von Prof. Dr. K. einen Befundbericht vom 23. Januar 2014 (letzte Vorstellung 8. September 2010),
von Dr. M.-K. eine Stellungnahme vom 2. März 2015 zum Gutachten des Dr. K., von Prof. Dr. H. eine Bescheinigung vom 12. Juli
2013 ("wegen Gleichgewichtsstörungen mit Begleitperson").
Der Senat hat u.a. Befundberichte des Dr. M.-K. vom 30. Juni 2010 (Diagnose: multisensorische Integrationsstörung mit objektivierbarer
Störung im Bereich der gleichgewichtsbearbeitenden Strukturen - Hirnstamm nach chemotoxischer Vergiftung), der Allgemeinärztin
Dr. St. vom 28. Juli 2010 (Diagnosen: persistierender Schwindel, persistierende neurovegetative Beschwerden nach Holzschutzmittelvergiftung
im Jahre 1993, Leistungsminderung) und des Prof. Dr. K. vom 8. September 2010 (multisensorische neurootologische Funktionsstörung,
zentrale Gleichgewichtsfunktionsstörung, Hirnstammtaumeligkeit, Striatotemporales Dysaequilibrium, zentrale Reaktionsenthemmung
des optokinetischen Systems, corticale Hörbahnstörungen, Befunde vereinbar mit einer toxischen Encephalopathie) beigezogen
und mit Beweisanordnung vom 10. Juni 2008 Prof. Dr. H. nach §
106 SGG mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Kläger hat diese Begutachtung abgelehnt und in der mündlichen
Verhandlung am 14. Dezember 2010 beantragt, Dr. Sch. nach §
109 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen.
Nachdem dieser das Gutachten trotz zweimaliger Verhängung von Ordnungsgeld nicht erstellt hatte, hat der Senat ihn von dem
Auftrag entbunden und auf Antrag des Klägers den HNO-Arzt Dr. Sch. nach §
109 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nach seinem "Neurootologischen Gutachten" vom 14. November 2012 erlitt der
Kläger am 22. Oktober 1993 eine Holzschutzmittelvergiftung, die sich heute noch als zentrale Gleichgewichtsstörung und Koordinationsstörung
der Augenbewegungen, die im Hirnstamm gesteuert werden, ausdrücke. Es ergebe sich eine schnelle Ermüdbarkeit mit Übelkeit
sowie eine Konzentrationsstörung. Ebenso bestehe eine Fehlsteuerung des vestibulospinalen Systems, das heiße der Steuerung
von Hirnstamm bzw. vom Großhirn in die Extremitäten, was durch die CCG gezeigt werde. Der Kläger sei in der Lage, höchstens
leichte Arbeiten drei bis vier Stunden unter Beachtung zusätzlicher Einschränkungen täglich auszuüben.
Der Senat hat weitere Befundberichte des Dr. M. K. und der Dr. St. beigezogen und ein "Hals-, Nasen- Ohrenärztliches Gutachten"
des Prof. Dr. H. vom 21. August 2013 sowie eine ergänzende Stellungnahme vom 24. März 2014 eingeholt. Danach liegen bei dem
Kläger auf diesem Fachgebiet eine periphervestibuläre Unterfunktion des linken horizontalen Bogenganges (Neuropathia vestibularis
links) sowie eine geringfügige bilaterale Vestibulopathie der hochfrequenzsensiblen vestibulären Haarzellen vor. Quantitative
oder qualitative Einschränkungen im Sinne eines leistungsmindernden Dauereinflusses folgten hieraus nicht. Den Antrag des
Klägers, Prof. Dr. H. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, hat der Senat mit Beschluss vom 11. Februar 2014 zurückgewiesen.
Er hat dann ein "Nervenärztliches Gutachten" des Dr. K. vom 4. Februar 2015 sowie ergänzende Stellungnahmen vom 29. April,
11. und 29. Juni 2015 eingeholt. Danach liegen bei dem Kläger auf psychiatrischem Fachgebiet eine sogenannte Neurasthenie
(ICD-10 F48.0) auf dem Boden einer akzentuierten Persönlichkeitsstruktur mit asthenischen, abhängigen und misstrauischen Anteilen
und eine dissoziative Störung in Form der Konversionsstörung (ICD-10 F44.8) vor. Auf neurologischem Fachgebiet zeige sich
eine leichte distale sensible Polyneuropathie an der unteren Extremität (ICD-10 G62.88) sowie eine Schädigung des Nervus cutaneus
femoris lateralis beidseits links mehr als rechts (ICD-10 G58.8). Der Kläger könne noch körperlich leichte und mittelschwere
Arbeiten mindestens sechs Stunden unter Berücksichtigung von Einschränkungen täglich ausüben und vollschichtig eine Tätigkeit
als Produktionshelfer und als Pförtner an der Nebenpforte verrichten. Die Gesuche des Klägers, Dr. K. wegen Besorgnis der
Befangenheit abzulehnen, hat der Senat mit Beschlüssen vom 1. Oktober 2014 und 29. Juni 2015 abgelehnt.
In der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2015 hat der Senat Dr. Sch. als Sachverständigen vernommen. Diesbezüglich wird auf
die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Der Senat hat den Beteiligten Auskünfte des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) vom 20. Dezember
2007, 31. März 2008, 15. April 2011 und 29. August 2013 zur Tätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte zur Kenntnisnahme
übersandt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess-, der beigezogenen Gerichtsakten des Sozialgerichts Nordhausen
(Az.: S 1 U 449/97) und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet, weil der Kläger noch in der Lage ist, vollschichtig (= acht Stunden täglich an fünf
Wochentagen) beruflich tätig zu sein.
Ein Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach den §§
43, 44 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) in der Fassung bis 31. Dezember 2001 (a.F.), die nach §
300 Abs.
2 SGB VI aufgrund des Rentenantrages im Jahr 1996 weiter gelten, scheidet damit aus, denn die Leistungsfähigkeit des Klägers ist nicht
in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach §
43 Abs.
1 SGB VI a.F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen erfüllen. Der Kläger ist nicht berufs- und damit auch nicht erwerbsunfähig im Sinne von § 44
SGB VI a.F., denn Erwerbsunfähigkeit setzt wesentlich stärkere Einschränkungen des Leistungsvermögens voraus als die Berufsunfähigkeit.
Nach §
43 Abs.
2 Satz 1
SGB VI a.F. sind Versicherte berufsunfähig, wenn ihre Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte
derjenigen von körperlich geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen
und Fähigkeiten gesunken ist. Nach Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten
zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer
und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Tätigkeit
zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei
ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Demnach liegt Berufsunfähigkeit nicht schon dann vor, wenn der
Versicherte "seinen Beruf" nicht mehr ausüben kann, sondern erst dann, wenn eine Verweisung auf eine zumutbare andere Tätigkeit
nicht mehr möglich ist.
Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wird grundsätzlich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes festgestellt. Aus
diesem Grund hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die so genannten Mehrstufenschemata entwickelt. Die Stufen sind nach ihrer Leistungsqualität, diese gemessen nach Dauer
und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung, nicht nach Entlohnung oder Prestige geordnet (vgl. BSGE 78, 207, 218; BSG vom 24. März 1998 - Az.: B 4 RA 44/96 R). Im Bereich der Arbeiterrentenversicherung werden die Gruppen charakterisiert durch den Leitberuf des Facharbeiters mit
Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf
mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit
von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 49). Die Einordnung eines Berufs in das Berufsschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der förmlichen Berufsausbildung,
sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt dem aus der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnden Wert der
Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Es kommt somit auf das Gesamtbild an, wie es durch die in §
240 Abs.
2 Satz 2
SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen
Berufstätigkeit) umschrieben wird. Fachlich-qualitativ gleichwertig sind demnach alle Vergleichsberufe, die nach dem "Schema"
in die gleiche oder in die nächst niedrigere Stufe einzuordnen sind.
Die letzte vom 27. September bis 31. Dezember 1993 versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit des Klägers ist die eines Lackierers
und Grundierers der Tischlerei P. N. in B. Es handelt sich um eine ungelernte Tätigkeit, denn der Kläger absolvierte keine
entsprechende Ausbildung als Lackierer und konnte im Tätigkeitszeitraum vom 27. September 1993 bis zum Unfallereignis am 22.
Oktober 1993 - danach war er über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus arbeitsunfähig erkrankt - keine für den Berufsschutz
qualifizierende Kenntnisse erwerben. Den erlernten Beruf hatte er bereits 1991 aufgegeben. Die danach bis April 1993 ausgeübte
Tätigkeit als Baustoffverkäufer hatte er wegen Konkurses des Arbeitgebers aufgeben müssen.
Ob der Kläger angesichts der vorliegenden Sachverständigengutachten seinen bisherigen Beruf als Hilfsarbeiter noch ausüben
kann, lässt der Senat offen. Er verweist ihn auf die ihm sozial und medizinisch zumutbare Tätigkeiten als Produktionshelfer
und als Pförtner an der Nebenpforte. Als Ungelernter muss ihm zwar keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden, denn
es ist davon auszugehen, dass genügend seinen Einschränkungen adäquate Stellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden
sind (vgl. GS des BSG in BSGE 80, 24). Der Senat benennt vorsorglich die genannten Verweisungstätigkeiten und lässt dahin gestellt, ob eine schwere spezifische
Leistungseinschränkung oder Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt. Der Kläger kann diese Tätigkeiten
nach dem Ergebnis der Gutachten des Prof. Dr. W., Prof. Dr. H. und Dr. K., denen der Senat folgt, ausüben.
Bei den Produktionshelfertätigkeiten handelt es sich nach dem berufskundlichen Gutachten der Sachverständigen Janke vom 6.
Juni 2004 um einfache wiederkehrende Tätigkeiten, die in vielen Branchen und bei unterschiedlichsten Produkten anzutreffen
sind, zum Teil auch bei Firmen, die sich auf derartige Arbeiten im Kundenauftrag spezialisiert haben und die nach kurzer Einweisung
ausgeübt werden können. In nennenswerter Zahl sind sie z.B. in der Metall-, Elektro- oder Kunststoffindustrie sowie im Spielwaren-
und Hobbybereich vorhanden. Sie belasten nur leicht; wirbelsäulen- oder gelenkbelastende Körperhaltungen kommen nicht vor.
Das Arbeitstempo wird nicht durch Maschinen und Anlagen vorgegeben; der Lohn wird nicht nach Akkordsätzen errechnet. Als Einzelaufgaben
werden Waren beklebt, eingehüllt, gezählt, sortiert; es werden Abziehbilder, Warenzeichen oder Etiketten angebracht. Eingepackt
wird in Papp-, Holzschachteln oder sonstige Behältnisse. Als Beispiel nennt die Sachverständige leichte Verpackungsarbeiten
in der Dentalbranche. Dabei werden die im Unternehmen hergestellten Produkte in der Endverpackung so verpackt, wie sie an
den Endverbraucher ausgeliefert werden. Z.B. werden kleine Dosen in Faltschachteln gepackt, Spritzen werden in Tiefziehteile
gelegt und kommen dann zusammen mit einer Gebrauchsanweisung oder Mischblöcken in die Faltschachtel. Die Tätigkeit ist körperlich
leicht und das Gewicht der zu verpackenden Teile liegt unter fünf Kilogramm. Sie kann im Wechsel von Gehen und Stehen erledigt
werden; es kann auch gesessen werden.
Die Tätigkeit eines Pförtners/einer Pförtnerin an der Nebenpforte besteht nach den Auskünften des BDWS darin, in der Pförtnerloge
des Auftraggebers auf ein Klingelzeichen hin bzw. auf individuelle Anforderung vor Ort eine Tür, Schranke, Pforte zu öffnen
oder Zugang zu einem Gebäudeteil zu gewährleisten. Die Tätigkeit erlaubt ein Arbeiten überwiegend im Sitzen bei hohem Anteil
an Arbeitsbereitschaft. Ein beliebiger Haltungswechsel sowie ein Hin- und Hergehen in der Pförtnerloge bzw. je nach Örtlichkeit
auch davor ist möglich. Der Pförtner/die Pförtnerin, muss durchschnittlichen Anforderungen an Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit,
Verantwortungsbewusstsein und Übersicht gewachsen sein und über ein normales Hör- und Sehvermögen verfügen. Die Tätigkeiten
werden je nach Anforderungsprofil des Auftraggebers im Regelfall in zwei Tagesschichten, im Ausnahmefall und vor dem Hintergrund
des zu schützenden Objektes auch im Nachtschichtdienst, ausgeübt. Besondere Anforderungen an Kommunikationsfähigkeit, Ausdrucksvermögen
und Umgang mit Besuchern bzw. Publikum werden nicht gestellt. Es stehen ca. 800 bis 850 Arbeitsplätze bundesweit zur Verfügung.
Ausweislich des neurologischen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. W. vom 20. Januar 2003 sowie seiner ergänzender Stellungnahmen
war und ist der Kläger auch angesichts eines Zustandes nach akuter Carbamatintoxikation mit anticholinergem Syndrom 1993 ohne
zentralnervöse Schädigung und einer Somatisierungsstörung in der Lage, vollschichtig an acht Stunden täglich an fünf Tagen
in der Woche mittelschwere Arbeiten zu verrichten, auch die im beigezogenen Sachverständigengutachten der Berufskundlerin
J. vom 6. Juni 2004 beschriebenen Produktionshelfertätigkeiten (Stellungnahme vom 15. Mai 2006). Deutliche Einschränkungen
der Konzentrations- und Merkfähigkeit waren nicht erkennbar. Die am 22. Oktober 1993 aufgetretene Symptomatik entspreche der
eines anticholinergen Syndroms als mögliche Folge einer Carbamatintoxikation. Die Intoxikation sei aber nur akut und einmalig
gewesen. Dass sie Auswirkungen auf die rentenrechtliche Leistungsfähigkeit des Klägers hat, sei nicht erweislich. Nach den
Darlegungen des Sachverständigen werden in der Literatur keine chronischen Störungen oder Schädigungen des Nervensystems durch
Carbamate beschrieben. Die durch eine MRT-Untersuchung des Kopfes dokumentierte frontale Atrophie und eine nicht sehr hochgradige
Perfusionsminderung rechts in der prämotorischen/präzentralen und postzentralen Rinde (bis parietal reichend) interpretiert
er eher im Rahmen einer anlagebedingten Asymmetrie bzw. im Sinne einer frühkindlichen Hirnschädigung. Demgegenüber führt eine
toxische Schädigung des zentralen Nervensystems eher zu einer - hier nicht vorliegenden - generalisierten Schädigung des zentralen
Nervensystems und nicht zu einer lokalisierten Asymmetrie. Auch hat sich durch die angefertigte elektrophysiologische Untersuchung
keine diffuse organische Läsion des zentralen Nervensystems objektivieren lassen. Das bei der Untersuchung demonstrierte unsichere
Gangbild und deutlich dysmetrische Zeigeversuche mit sehr großer demonstrativer Komponente weisen auf eine Aggravation hin.
Das Treppensteigen ist ihm in einer kurzen Zeit und ohne besondere körperliche Anstrengung gelungen. Im Rahmen des psychischen
Befundung hat sich kein Anhalt für eine hirnorganisch bedingte Wesensänderung oder für eine endogene Psychose ergeben. Der
Kläger hat sich selbst als psychisch stabil beschrieben. Deutliche Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit oder der Merkfähigkeit
hat der Sachverständige nach entsprechenden Tests nicht feststellen können. Die Ursache der Symptomatik sieht der Sachverständige
hauptsächlich in der Tatsache, dass der Kläger durch seine Eltern maximal umsorgt werde und dadurch eine deutliche Unterstützung
und sekundäre Verstärkung erfährt, sowie in dem Umstand, dass er aufgrund der von ihm beklagten Symptomatik eine Rente der
gesetzlichen Unfallversicherung bezieht.
Soweit der Kläger gegen das Gutachten des Prof. Dr. W. eingewendet hat, er sei nicht von Dr. A. und Dr. F. untersucht worden,
sondern nur von Dr. A., ist dies unbeachtlich, denn damit ist weder der Umfang der erlaubten Mitarbeit (§
407a Abs.
2 Satz 2 der
Zivilprozessordnung (
ZPO)) zweifelhaft noch die Tatsache, dass der ernannte Sachverständige den Kläger selbst untersucht hat. Prof. Dr. W. hat angegeben,
den Kläger im Rahmen seiner Vorstellung nochmals befragt und untersucht sowie das Sachverständigengutachten maßgeblich verfasst
zu haben. Damit sind keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Verhalten ersichtlich. Nur zur Vollständigkeit wird darauf hingewiesen,
dass weder die Durchführung der neurologischen Untersuchung noch die schriftliche Abfassung des Gutachtens zu den unverzichtbaren
Kernaufgaben gehört, die der Sachverständige selbst zu erledigen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 30. Januar 2006 - Az.: B 2 U 358/05 B, nach juris).
Das von dem Sachverständigen F. am 27. Oktober 2004 nach §
109 SGG erstellte Gutachten rechtfertigt keine andere Beurteilung. Ohne Bedeutung für die Qualität und Schlüssigkeit seines Gutachtens
sind seine Tätigkeiten in der Landesärztekammer H. Hingegen ist es bereits problematisch, dass das Gutachten auf Untersuchungen
beruht, die über ein Jahr zurückliegen. Prof. Dr. W. weist zu Recht darauf hin, dass das Gutachten unter schwerwiegenden methodischen
Mängeln leidet. Es fehlen eine aktuelle Anamnese, aktuelle körperliche und neurologische Untersuchungen und eine daraus folgende
neuropsychologische Einschätzung der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie objektivierbare standardisierte neuropsychologische
Tests. Die Resultate der durchgeführten Selbsteinschätzungstests des Klägers sind für die Bestimmung der rentenrechtlichen
Leistungsfähigkeit des Klägers vor dem Hintergrund, dass ansonsten keine objektivierbaren Untersuchungsergebnisse außer MRT-
und SPECT-Befunden aus dem Jahr 1997 vorliegen, nicht aussagekräftig und hätten grundsätzlich konkret hinterfragt werden müssen
(vgl. Widder "Beurteilung der Beschwerdenvalidität" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S.
64, 86ff.), was hier aber nicht geschehen ist. Die zum Beleg angeführte Veröffentlichung der Prof. Dr. E. ("Lösemittel gehen
auf die Nerven - aber eine Berufskrankheit wird selten anerkannt" in Arbeit & Ökologie Briefe 2004, 8/9, S. 37 bis 41) in
Bezug auf die Voraussetzungen einer Berufskrankheit (BK) Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel
oder deren Gemische; Bundesarbeitsblatt (BArbBl. 1977-12, S. 31)) ist nicht relevant. Die dort behandelten Folgen einer Dauerexposition
mit Lösemitteln von über fünf Jahren, z.B. in Gestalt einer Polyneuropathie, sind hier angesichts der vorgetragenen einmaligen
Carbamat-Exposition und der zum damaligen Zeitpunkt durch objektive Befunde ausgeschlossenen Polyneuropathie nicht einschlägig.
Die beim Kläger bestehenden Symptome sind tatsächlich nach dem Gutachten des Dr. K. aus dem Jahr 2015 nicht Ausdruck einer
toxischen Enzephalopathie, sondern der Neurasthenie. Die berechtigten Einwände des Sachverständigen Prof. Dr. W. gelten auch
für die Feststellungen des Sachverständigen F. im Befundbericht vom 1. März 1998. Dass und aus welchen Gründen die "Erwerbsfähigkeit"
des Klägers auf weniger als die Hälfte derjenigen gesunken sein soll, die eine ähnliche Vorbildung, Ausbildung und ein ähnliches
Berufsbild haben, ist nicht ersichtlich.
Der Senat folgt angesichts der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. nicht den Schlussfolgerungen des Prof. Dr.
F.-B. im Sachverständigengutachten vom 15. August 2001, wonach der Kläger nur noch ein bis zwei Stunden leichte Arbeiten unter
Einschränkungen verrichten kann. Prof. Dr. F.-B., dessen Fachgebiet nach eigenen Angaben die Präventivmedizin im beruflichen
Umfeld und speziell Krankheitsursachenforschung mit epidemiologischen Methoden ist, hat bereits nicht nachvollziehbar dargelegt,
auf welchen durch ihn oder durch Hilfskräfte durchführten Untersuchungen die Leistungsbeurteilung beruht. Nicht ausreichend
ist die Auswertung des dem Kläger vorab übersandten Fragebogens "Schnellinventur für Umweltfaktoren und erhöhte Sensitivität"
und des MRTs vom 20. Mai 1997. Letzteres Ergebnis war durch eine MRT-Untersuchung vom 18. September 2000 (Dr. R.) gerade nicht
bestätigt worden. Soweit Prof. Dr. F.-B. eine Beurteilung aufgrund einer gemeinsamen Untersuchung mit Dr. H. und nach Aktenlage
vorgenommen und keine Hinweise für eine anlagebedingte Hirnschädigung gesehen hat, sondern "mit großer Wahrscheinlichkeit"
aus den vorliegenden Kernspintomografie-Befunden eine durch Inhalation von Lösemitteln und Carbamat ausgelöste Hirnatrophie
(Frontalhirn) ableitet, überzeugt dies nicht. Der Senat verweist auf die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens des Prof.
Dr. W. Zudem bezieht sich Prof. Dr. F.-B. im Ergebnis auch auf die Ergebnisse des neuropsychologischen Gutachtens von Dr.
H., folgt ihnen allerdings hinsichtlich der Einschätzung des Leistungsvermögens nicht. Das Sozialgericht Nordhausen hat dessen
nachträgliche Genehmigung verweigert. Es dürfte damit nicht verwertbar sein (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
118 Rdnr. 11g m.w.N.) und stützt im Übrigen die Rechtsposition des Klägers nicht. Es ist unbeachtlich, dass Prof. Dr. W. in seinem
Sachverständigengutachten bzw. in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 22. April 2003, 4. Januar sowie 1. November 2005 Ergebnisse
des Gutachtens des Dr. H. zitiert, denn er leitet seine Leistungseinschätzung nicht von dessen Resultaten ab, sondern illustriert
lediglich die von ihm festgestellten ausgeprägten Aggravationstendenzen des Klägers. Darüber hinaus hat er keine Veranlassung
für eingehende neuropsychiatrische Untersuchungen gesehen.
Hinsichtlich des von der Holz-Berufsgenossenschaft eingeholten Rentengutachtens der Prof. Dr. E. vom 21. April 2001 teilt
der Senat die von Prof. Dr. W. und der Beklagten geäußerten Bedenken. Nach ihrer Ansicht können bei bestimmten Organosphophaten
eine verzögerte neurotoxische Wirkung auftreten. Obwohl sie zugesteht, keine Kenntnisse darüber zu haben, "inwieweit auch
eine Carbamat-Vergiftung solche chronischen neurotoxischen Schäden setzen kann", stellt sie beide Wirkmechanismen ohne weiteren
Beleg in einen Zusammenhang und hält es für "wahrscheinlich", dass das von ihr festgestellte "Krankheitsbild" des Klägers
(zentralnervöse Symptomatik mit Schwindel und Sehstörungen, körperliche Leistungsminderung mit Muskelschmerzen und Muskelzittern)
auf die einmalige Exposition mit Carbamat zurückzuführen ist. Carbamate würden im Übrigen u.a. wegen der reversiblen Hemmung
der Acetylcholinesterase und schneller zurückgehender Vergiftungssymptome als weniger gefährlich wie organische Phosphorsäureester
gelten. Dass die von ihr benannten Symptome chronisch geblieben seien, führt sie auf die nach ihrer Auffassung hohe Dosis
des Carbamats zurück, ohne hierzu jedoch genaue Feststellungen getroffen zu haben. Zudem befand sich der Kläger unmittelbar
nach dem Unfallereignis 1993 in zweitätiger stationärer Behandlung im Kreiskrankenhaus B. L. bei unauffälligem klinischem
Status (Arztbrief vom 1. Dezember 1994), wo eine gravierende akute Intoxikation aber nicht festgestellt werden konnte. Soweit
die Gutachterin dem Kläger eine MdE von 100 v. H. bescheinigt, ist diese Einschätzung (zumindest) bzgl. der relevanten Leistungsfähigkeit
im anhängigen Verfahren nicht relevant. Prof. Dr. W. weist zu Recht auf die methodischen Unzulänglichkeiten im Gutachten der
Prof. Dr. E. hin. Es enthält keine Befunde aus körperlicher und neurologischer Untersuchung und auch keine weiterführenden
objektivierenden Untersuchungen zur Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Klägers; trotzdem wird ein Zusammenhang zwischen
der Carbamatintoxikation und den vom Kläger geschilderten chronischen Symptomen hergestellt. Hinsichtlich der von ihr in den
Zusammenhang mit der Carbamat-Vergiftung gestellten leichten Lebererkrankung mit Steatose (diskrete Leberschädigung) folgt
der Senat den Feststellungen des Prof. Dr. W. Demnach hat diese Erkrankung keine Auswirkung auf die (rentenrechtliche) Leistungsfähigkeit
des Klägers, zumal ein Oberbauchsonographiebefund des Dr. B. vom 15. September 1995 keine auffälligen Leberbefunde (Echogenität,
Größe und Oberfläche) ergab. Hinweise auf ein Fortschreiten dieser Erkrankung, z.B. verursacht durch eine Fettleberhepatitis
mit Fibrose oder ein Übergang zur Zirrhose, bestehen nicht.
Die Annahmen im Privatgutachten des Dr. F. vom 12. September 2002, das als qualifizierter Beteiligtenvortrag zu würdigen ist
(vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
128 Rdnr. 7g m.w.N.), der Kläger leide an einem deutlichen extrapyramidalen Syndrom und einer Hirnleistungsminderung, hervorgerufen
durch die "Mischintoxikation" 1993, werden durch das Gutachten des Prof. Dr. W. widerlegt. Im dortigen neurologischen Untersuchungsbefund
haben sich keine Hinweise auf ein extrapyramidales System, insbesondere nicht auf einen Tremor, gefunden. Die durchgeführten
elektrophysiologischen Untersuchungen (VEP, AEP und EEG) zeigen keine zum Sachverständigengutachten differierenden Befunde und Dr. F. hat auch keine (begründete) Einschätzung der
rentenrechtlichen Leistungsfähigkeit des Klägers angegeben.
Die im Befundbericht des Dr. M.-K. vom 21. Februar 2002 diagnostizierte Hirnstammbeteiligung einer zentralen Gleichgewichtsstörung
hat bereits der Sachverständige Prof. Dr. W. (nachfolgend auch Prof. Dr. H. und Dr. K.) aufgrund der körperlichen und neurologischen
Untersuchungen sowie der Elektrophysiologie insbesondere der akustisch evozierten Potenziale nicht verifizieren können. Er
hat keinen Nystagmus in Ruhe oder unter Provokation und auch keine Schädigung der weiteren funktionellen Systeme (Motorik,
Sensibilität, Sehen und EEG) feststellen können, sodass sich aufgrund des Befundberichts keine Veränderungen in der Leistungseinschätzung ergeben. Die
von Dr. K. unter dem 15. August 2003 gestellten Diagnosen multisensorische neurootologische Funktionsstörung, zentrale Gleichgewichtsfunktionsstörung
vom Typ der labilen Hirnstammenthemmung, Hirnstammtaumeligkeit, zentrale Reaktionshemmung des optokinetischen Systems, pontomedulläre
Hörbahnstörung belegen nur, dass keine periphär vestibuläre Läsion vorliegt, sondern die Ursache auf eine Hirnstammstörung
zurückzuführen ist. Sie hat der Sachverständige Prof. Dr. W. bei der eingehenden Untersuchung des Klägers aber gerade nicht
feststellen können. Seiner Stellungnahme vom 20. Mai 2005 zufolge dürfen die von Dr. K. angewandten Untersuchungsmethoden
(Aequilibriometrie und evozierte Hirnpotentiale) als funktionelle Untersuchungsmethoden nicht unmittelbar zu der Diagnose
einer toxischen Schädigung des Stammhirns führen. Insgesamt sei zu erwarten, dass eine toxische Schädigung des zentralen Nervensystems
vorwiegend die Großhirnrinde betreffe, weniger den Hirnstamm. Auch führen toxische Schädigungen häufig zu einer ebenfalls
nicht vorliegenden toxischen Erkrankung der peripheren Nerven im Sinne einer Polyneuropathie. Beides konnte Prof. Dr. W. zum
damaligen Zeitpunkt ausschließen. Diese Leistungseinschätzung entspricht im Ergebnis dem Rehabilitationsentlassungsbericht
der B.-Klinik St. vom 22. November 1996. Dort wird weiterhin Arbeitsfähigkeit angenommen.
Für die Leistungseinschätzung nicht verwertbar ist das Gutachten der Dr. U. vom 4. Dezember 2002, denn es wurde allein nach
Aktenlage ohne eigene Untersuchung gefertigt.
Auch die durchgeführten neurootologischen Begutachtungen begründen kein aufgehobenes oder relevant eingeschränktes Leistungsvermögen.
Zur Vollständigkeit weist der Senat darauf hin, dass er entgegen der ursprünglich vom Kläger vertretenen Ansicht nicht verpflichtet
war, ein neurootologisches Sachverständigengutachten bei Dr. Sch. nach §
106 SGG einzuholen. Nach §
103 SGG ist das Gericht verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (Satz 1), dabei ist es an das Vorbringen und die
Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (Satz 2). Es bestimmt im Rahmen seines Ermessens die Ermittlungen und Maßnahmen,
die nach seiner materiellen-rechtlichen Auffassung zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind, damit auch die Auswahl
des Sachverständigen (vgl. BSG, Beschluss vom 3. Oktober 1989 - Az.: 1 BA 55/88). §
404 Abs.
4 ZPO findet im sozialgerichtlichen Verfahren keine Anwendung (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens,
6. Auflage 2011, III Rdnr. 61), denn der Amtsermittlungsgrundsatz verbietet es, dem Gericht durch Vereinbarung der Beteiligten
einen Sachverständigen aufzuzwingen; eine Ausnahme hiervon macht lediglich §
109 SGG. Eine entsprechende Verpflichtung ergab sich auch nicht aus dem Beschluss des BSG vom 27. November 2007. Der Kläger hatte in der Sitzung am 29. Mai 2006 (Az. L 6 RJ 701/02) laut Niederschrift die Einholung eines neurootologischen Gutachtens beantragt; Dr. Sch. wird dort nicht aufgeführt. Eine
Begutachtung durch ihn wird im Beschluss des BSG vom 27. November 2007 nicht aufgegeben. Im Übrigen hat Dr. Sch. nach seiner Beauftragung nach §
109 SGG kein Gutachten erstellt; die Beweisanordnung ist auf Antrag des Klägers aufgehoben worden.
Die Neurootologie ist eine Subdisziplin der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, nicht aber ein selbstständiges medizinisches
Fachgebiet (vgl. z.B. Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 24. April 2004 - 9. Gebiet Hals-Nasen-Ohrenheilkunde;
Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Thüringen vom 29. März 2005 - 8. Gebiet Hals-Nasen-Ohrenheilkunde -; Verwaltungsgericht
Gießen, Urteil vom 25. Juli 2011 - Az.: 21 K 408/10.GI.B, nach juris). Es handelt sich um einen Begriff für Lehre, Forschung und klinische Betätigung im Bereich des akustischen
und vestibulären Systems (vgl. W. Stoll "Das neurootologische Gutachten: Konsensusbericht und Fazit" in Das neurootologische
Gutachten, 4. Hennig-Symposium, Münster 2002 (Hrs. W. Stoll)). Eine Facharztbezeichnung "Neurootologe" gibt es unzweifelhaft
nicht. Der HNO-Arzt Prof. Dr. H. hat unter dem 1. September 2008 mitgeteilt, er beschäftige sich seit 35 Jahren schwerpunktmäßig
mit dem Gebiet der Neurootologie und sei seit rund 30 Jahren als Gutachter speziell mit neurootologischen Problemen betraut.
In diesem Bereich ist er auch wissenschaftlich tätig (vgl. u.a. Hamann, Pinsker "Pathophysiologische Grundlagen vestibulärer
Schwindelerscheinungen" in Das neurootologische Gutachten, 4. Hennig-Symposium, Münster 2002 (Hrs. W. Stoll)). Dr. Sch. war
als HNO-Arzt ebenfalls auf dem Gebiet der Neurootologie tätig.
Nach dem Gutachten des Dr. Sch. vom 14. November 2012 besteht bei dem Kläger eine im Hirnstamm liegende Gleichgewichtsfunktionsstörung
mit schneller Ermüdbarkeit und einer Konzentrationsstörung. Hiervon ist der Senat unter Berücksichtigung des Gutachtens des
Prof. Dr. H., bzw. der Gutachten des Prof. Dr. W. und des Dr. K. nicht im Sinne des Vollbeweises - d.h. mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit - überzeugt. Auf die von ihm angenommene Verursachung durch eine Holzschutzmittelvergiftung
kommt es nicht an, denn letztlich ist nicht die Ursache der geklagten Beschwerden für die rentenrechtliche Leistungsfähigkeit
entscheidend, sondern die sich hieraus ergebenden Funktionseinschränkungen. Nach Dr. Sch. werden beim CCG ein Romberg-Stehversuch,
ein Unterbergerscher-Tretversuch aufgezeichnet. Hierbei habe sich ein deutliches Schwanken nach vorne und nach hinten, sowie
eine Körperdrehung um 90° nach rechts mit einer deutlich erhöhten Lateralschwankungsbreite gezeigt. Bei der videonystagmatischen
Untersuchung finde sich in Hänge- und Rechtslage ein feinschlägiger linksgerichteter Nystagmus, bei der optokinetischen Untersuchung
eine deutliche pathologische Augenbewegung im Pendel nach rechts und links, beim Saccadentest eine starke Variationsbreite,
was die Reaktion in Rechts- und Linksbewegungen betrifft. Bei der Kalorisation der Labyrinthe habe sich ein feinschlägiger
unregelmäßiger Nystagmus mit einer Enthemmung nach Kaltreizung links gefunden. Die originalen Nystagmusstreifen von Dr. M.-K.
(zum Befundbericht vom 11. Mai 2006) und von Prof. Dr. K. (zum Befundbericht vom 15. August 2003) zeigten genau die Veränderung,
die er bei 200 Holzschutzmittelgeschädigten festgestellt habe in der Form, dass die beidseitigen Augenbewegungen nicht synchronisiert
sind. Aufgrund dieser Erfahrung seien für ihn die Beschwerden des Klägers objektiv und glaubhaft. Aus den von ihm zu Grunde
gelegten Befunden schließt der Sachverständige auf eine Hirnstammstörung, die Störungen der Augenbewegungen verursache. Hieraus
ergebe sich eine schnelle Ermüdbarkeit sowie Konzentrationsstörungen. In der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2015 hat der
Sachverständige ergänzend bestätigt, dass er die mehrkanaligen Untersuchungen beider Augen nicht selbst vorgenommen, sondern
nur die Unterlagen der Dres. Sch., M.-K. und Prof. Dr. K. ausgewertet hat.
Die von Dr. Sch. zu Grunde gelegten Messergebnisse werden durch das Gutachten des Prof. Dr. H. nicht bestätigt. Messergebnisse,
z.B. der CCG, sind allein weder für die Diagnosestellung noch für die Bewertung des Restleistungsvermögens des Klägers ausreichend.
Bereits Prof. Dr. W. hatte in seinem Gutachten ausgeführt, dass die durch Elektronystagnografie (ENG) oder CCG erhobenen Befunde
per se keine Rückschlüsse auf die rentenrechtliche Leistungsfähigkeit des Klägers erlauben. Zudem fehlt es an einer nachvollziehbaren
Begründung, warum dem Kläger auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zumutbar sind. Die erforderliche
Konsistenzprüfung (vgl. Widder "Beurteilung der Beschwerdenvalidität" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2.
Auflage 2011, S. 64, 86ff.) der geklagten Beschwerden des Klägers hat Dr. Sch. erkennbar nicht vorgenommen, denn er führt
lediglich aus, für ihn seien die Beschwerden aufgrund seiner früheren Erfahrungen objektiv und glaubhaft. Diese Behauptung
ist damit nicht schlüssig.
Nach dem Gutachten des Prof. Dr. H. vom 21. August 2013 ergeben sich aus den auf HNO-Fachgebiet vorliegenden Störungen keine
funktionellen Einschränkungen. Der Kläger kann noch schwere Arbeiten ohne zusätzliche Einschränkungen ausführen und auch als
Produktionshelfer arbeiten. Dies ist nachvollziehbar. Ein Anhalt für eine Schallleitungsschwerhörigkeit fand sich nicht. Die
Untersuchung des vestibulären Systems ergaben keine Anzeichen einer zentralvestibulären oder zentralokulomotorischen Störung.
Hierzu führt der Sachverständige aus, dass Grundlage der neurootologischen Diagnostik zunächst eine ausführliche Anamnese
ist, was auch der herrschenden Ansicht der Literatur entspricht (vgl. Strupp et al, Leitlinie "Schwindel - Diagnose", AWMF-Register
Nr. 030/017, 2012: Die apparative Diagnostik ist meist nachrangig; W. Stoll, "Das neurootologische Gutachten: Konsensusbericht
und Fazit" in Das neurootologische Gutachten, 4. Hennig Symposium, 2002, 146, 150 (Hrs. W. Stoll)). Die Schilderung der subjektiven
Beschwerden lässt Rückschlüsse auf den Ort der Erkrankung, physiologische Vorgänge und den Schweregrad zu. Da das Gleichgewichtssystem
ein System zur Erkennung von Kopfbewegungen darstellt, ist es zunächst wichtig herauszufinden, ob die bei einer Störung zu
erwartenden Scheinbewegungen von Patienten geschildert werden oder nicht. Einen systematischen Schwindel, also Schwindel mit
Scheinbewegungen, hat der Kläger nicht angegeben. Gleichgewichtsstörungen sind eher Ausdruck einer gestörten spinalmotorischen
Funktion, an der das vestibuläre System (Gleichgewichtssystem im engeren Sinne) entscheidend, aber nicht allein beteiligt
ist. Ein weiteres wichtiges Indiz sind die zeitlichen Vorgänge. In der weitaus größten Mehrzahl der Fälle von Erkrankungen
im Orientierungs-Gleichgewichtssystem kommt es zu einer Besserung, da die Funktionen im Gehirn mehrfach abgesichert sind.
Subjektiv sind die Beschwerden des Klägers nicht gebessert worden, wobei er anfänglich einen unsystematischen Schwindel nicht
beklagt hat. Insoweit fehlt es im strengeren Sinne am engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis im Oktober 1993
und dem Auftreten des Schwindels. Daneben kann die Aufzeichnung von Augenbewegungen einen objektiven Zugang zum vestibulären
System geben (vgl. auch Strupp et al, Leitlinie "Schwindel - Diagnose", AWMF-Register Nr. 030/017, 2012). Die Augenposition
und Augenbewegungen werden bei Kopfbewegungen durch das vestibuläre System geregelt. Damit können die reflektorisch gesteuerten
Augenbewegungen objektiv analysiert werden und zwar durch Beobachtung des Untersuchers oder Aufzeichnung der Augenbewegungen
mit Elektronystagmographie oder Videookulographie. Hauptsymptom einer vestibulären Störung (peripher-vestibulär oder zentral-vestibulär)
ist das Vorliegen eines pathologischen Spontannystagmus. Er zeigt an, dass ein zentrales Ungleichgewicht in der Blickmotorik
vorliegt. Das Nichtvorhandensein eines Spontannystagmus schließt eine Störung nicht aus; sie ist dann aber zentral kompensiert.
Einen pathologischen Spontannystagmus hat Prof. Dr. H. bei dem Kläger nicht nachweisen können. Er hat eine thermische Reizung
durchgeführt, die dann zu einer spezifischen Erregung oder zu einer spezifischen Reflexantwort führt, sowie die Vibrationsreizung
und den Videokopfimpulstest. Zur Analyse der zentralvestibulären, zentralokulomotorischen Phänomene werden Reizungen benutzt,
die das gesamte System aktivieren. So werden bei der Drehprüfung beide Sensoren (Vestibularapparate) gereizt, gemessen wird
der gemeinsame Ausgang nach einer zentralen Verarbeitung. Diese Reaktionen können im Normalzustand oder bei erfolgreicher
Kompensation seitengleich ausfallen. Wird eine Seitendifferenz bei Rechts- und Linksdrehung gefunden, deutet dies auf ein
zentrales Ungleichgewicht hin. Bei der Prüfung des Körpergleichgewichts wird versucht, Körpergleichgewichtsreaktionen objektiv
aufzuzeichnen. Dabei werden - mit Ausnahme des EMG - nicht reflektorische Leistungen gemessen, sondern Stand- und Ganganalysen
durchgeführt, die aggraviert oder simuliert werden können. Die CCG ist keine dynamische Aufzeichnung von Extremitäten- und
Kopfpunkten, eine Beurteilung der Dynamik ist damit nicht möglich. Es können zwar Amplituden in der Körperschwankungen beurteilt
werden, in manchen Fällen auch die Verläufe, weitergehende Schlussfolgerungen bezüglich der Dynamik sind aber nicht möglich.
Nachdem diese Muster simuliert werden können, ist die direkte Beobachtung von Körperhaltung und -bewegungen aufschlussreicher.
Beim Kläger ergab sich beim Romberg-Stehversuch eine ungerichtete Abweichung; beim Tretversuch kam es zu einer demonstrativen
Abweichung nach rechts. Bei den Zeigeversuchen (Finger-Finger-Versuch, Finger-Nase-Versuch), vor allem beim Finger-Nase-Versuch,
zeigte der Kläger nicht eine einseitige Richtungsbevorzugung, sondern traf statt des geforderten Ziels immer den inneren Augenwinkel.
Dies hat der Sachverständige nachvollziehbar als Aggravationszeichen gewertet. Die vom Kläger geklagten Beschwerden (dauerndes
Schwindelgefühl, das sich als Unsicherheit, Fallneigung, Gangunsicherheit, Gliederschmerzen sowie Kopfschmerzen mit Doppelbildern
äußert) lassen sich durch eine organische Störung im vestibulären System nicht erklären. Bei den Untersuchungen des Gleichgewichtssystems
konnte der Sachverständige Prof. Dr. H. bis auf eine Unterfunktion des linken horizontalen Bogengangs sowie eine geringfügige
beidseitige Schwäche der hochfrequenzsensiblen vestibulären Haarzellen keinen pathologischen Befund erheben. Hinweise auf
eine zentrale Störung ergaben sich ebenfalls nicht. Die rotatorische Prüfung fiel seitengleich normal aus. Übertrieben starke
Reaktionen im Sinne einer "Enthemmung" hat er nicht beobachtet. Die okulomotorischen Prüfungen wie die geführten langsamen
Blickfolgebewegungen und auch der optokinetisch ausgelöste Nystagmus waren seitengleich. Der grobklinische Sakkadentest fiel
normal aus, ein Blickrichtungsnystagmus war nicht nachzuweisen. Bei den zentralen Koordinationsprüfungen, die auf eine Kleinhirnstörung
hinweisen können, ließ sich ebenfalls kein pathologischer Befund erheben.
Soweit der Kläger beanstandet, Prof. Dr. H. habe die kalorische Vestibularisprüfung mangels Kaltspülung beider Ohren nicht
ordnungsgemäß durchgeführt, folgt der Senat dieser Ansicht nicht. Die Erklärung des Prof. Dr. H. in seiner Stellungnahme vom
24. März 2014 überzeugt. Danach ist für die Feststellung des Richtungsüberwiegens des Nystagmus eine Warm - und Kaltspülung
dann nicht notwendig, wenn statt der unphysiologischen thermischen Reizung die physiologische Reizung mittels eines Drehstuhls
untersucht wird, was hier geschehen ist. Allein die Heftigkeit der Nystagmusreaktion, die durch externe Reize zu beeinflussen
ist (z.B. durch den Wachheitsgrad), kann dagegen nicht als Maßstab für die Diagnostik vestibulärer Störungen benutzt werden.
Soweit Prof. Dr. H. in der Bescheinigung über die Notwendigkeit einer Begleitperson am 12. Juli 2013, dem Tag der gutachterlichen
Untersuchung, eine Gleichgewichtsstörung angegeben hat, entspricht dies allein den Angaben des Klägers, nicht aber den Feststellungen
des Sachverständigen, der in seinem Gutachten allerdings eine psychiatrische Abklärung der geklagten Beschwerden für notwendig
angesehen hat. Damit spricht die Bescheinigung nicht gegen das Gutachten, das allein maßgebend für die Beurteilung des Leistungsvermögens
des Klägers ist.
Das Gutachten des Prof. Dr. H. entspricht dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Dessen Ausgangsbasis sind die
Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft
der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und weitere aktuelle Veröffentlichungen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - Az.: B 2 U 9/11 R, nach juris). Die o.g. AWMF Leitlinie "Schwindel - Diagnose" fordert ausdrücklich die von Prof. Dr. H. beschriebene notwendige
sorgfältige Erhebung der Anamnese und körperliche Untersuchung und bestätigt, dass die apparative Diagnostik meist nachrangig
ist. Unterscheiden lassen sich danach u.a. periphere vestibuläre Syndrome, die vom Labyrinth und/oder dem Nervus vestibularis
ausgehen, zentrale vestibuläre Syndrome, die überwiegend durch Läsionen der vestibulären Bahnen, die von den Vestibulariskernen
im kaudalen Hirnstamm sowohl zum Zerebellum als auch zum Thalamus und vestibulären Kortex ziehen oder durch eine Schädigung
des Vestibulozerebellums entstehen, somatoforme Schwindelsyndrome, deren häufigste Form der phobische Schwankschwindel ist
und nichtvestibuläre und nichtsomatoforme Schwindelsyndrome. Liegen bei einem Probanden die dort genannten fünf klinischen
Zeichen vor, ist der Kopfimpulstest nicht pathologisch und lässt sich der Nystagmus durch visuelle Fixation (Frenzelbrille
obligat) nicht unterdrücken, liegt eine zentrale Störung im Sinne einer "Pseudoneuritis vestibularis" vor (vgl. Strupp et
al., AWMF-Leitlinie "Schwindel - Diagnose"; Differentialdiagnose). Eine Elektronystagmographie (ENG) wird nur noch selten
angewandt, die kalorische Prüfung erfolgt mittels Videookulografie, wie sie Prof. Dr. H. durchgeführt hat (vgl. Strupp et
al, Leitlinie "Schwindel - Diagnosen", unter 48.2 Neuritis vestibularis, Apparative Diagnostik, Kalorische Prüfung). Die Untersuchung
mittels CCG hat dagegen keinen Eingang in diese AWMF-Leitlinie gefunden und ist für die Diagnostik vestibulärer Störungen
damit nach dem allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht erforderlich. Dr. Sch. hat im Übrigen bei seiner Befragung
in der Senatssitzung am 30. Juni 2015 ausdrücklich eingeräumt, dass die von ihm praktizierte Untersuchung nach der "Würzburger
Schule" des Prof. Dr. C. und Dr. Sch. nur gering verbreitet ist und u.a. von Dr. M.-K. praktiziert wird. Damit handelt es
sich entgegen der Behauptung des Klägers gerade nicht um den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, sondern um eine
wissenschaftliche Mindermeinung, die für die gerichtliche Beurteilung des Einzelfalls nicht erheblich ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - Az.: B 2 U 1/05 R; Keller in "Anforderungen an die Schmerzbegutachtung aus Sicht des Sozialrichters" in Egle/Kappis/Schairer/Stadtland (Hrs.),
Begutachtung chronischer Schmerzen, 1. Auflage 2014, S. 171).
Die Einholung eines weiteren neurootologischen Gutachtens ist nicht erforderlich, weil das Gutachten des Prof. Dr. H. den
Sachverhalt auf diesem Gebiet ausreichend geklärt hat. Allein die Tatsache, dass der Kläger unter Hinweis auf das Gutachten
des Dr. Sch. eine andere Ansicht vertritt, begründet kein zusätzliches Gutachten und auch kein "Obergutachten". Letzteres
gibt es im sozialgerichtlichen Verfahren im Übrigen nicht und hat damit keinen höheren Beweiswert als andere Gutachten (vgl.
Keller in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
128 Rdnr. 7e).
Auch aus dem nervenärztlichen Gutachten des Dr. K. vom 4. Februar 2015 ergibt sich keine andere Beurteilung des Restleistungsvermögens
des Klägers. Der Senat hat seine Notwendigkeit aufgrund einer Anregung des Prof. Dr. H. in seinem Gutachten und der Möglichkeit
der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers seit der Begutachtung durch Prof. Dr. W. im Jahr 2003 angenommen.
Dr. K. hat bei seiner Untersuchung einschließlich neuro-physiologischer Diagnostik keinen Hinweis auf eine abgelaufene Gehirnschädigung
gefunden und beim Kläger eine Form der Neurasthenie diagnostiziert, bei der das Schwergewicht auf Gefühlen körperlicher Schwäche
und Erschöpfung nach nur geringer Anstrengung liegt, begleitet von muskulären und anderen Schmerzen und der Unfähigkeit sich
zu entspannen. Begleitet wird sie von Empfindungen wie Schwindelgefühl, Spannungskopfschmerz und allgemeiner Unsicherheit.
Als dissoziatives Phänomen sind die vom Kläger angegebenen Gangstörungen und das Schwindelsyndrom einzuordnen, wobei eine
deutliche bewusstseinsnahe tendenziöse Ausgestaltung des Beschwerdebildes gegeben ist. Hinweise auf eine Depression bestehen
nicht. Im Rahmen der neurologischen und neurophysiologischen Untersuchung hat sich eine leichte distale sensible Polyneuropathie
an der unteren Extremität ergeben. Eine Schädigung des Vestibularissystems hat der Sachverständige nicht festgestellt. Eine
toxische Enzephalopathie liegt nicht vor und ist auch für die Vergangenheit nicht nachgewiesen. Hierauf hat bereits Prof.
Dr. W. in seinem Gutachten hingewiesen. Die vom Kläger geäußerten Beschwerden hat der Sachverständige einer notwendigen Konsistenzprüfung
(vgl. Widder, Schiltenwolf, Egle et al., Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen,
AWMF-Register Nr. 030/102, 2012, 4.5 Konsistenzprüfung; Senatsurteil vom 24. April 2012 - Az.: L 6 R 1227/11) unterzogen. Inkonsistenzen fanden sich dahingehend, dass die Beschwerdeschilderung wechselhaft, vage, zum Teil auch etwas
unpräzise und ausweichend war. Im Beschwerdevalidierungstest (Amsterdamer-Kurzzeitgedächtnistest) wurde eine mangelnde Anstrengungsbereitschaft
deutlich. Der Sachverständige beschreibt den Antwortstil des Klägers als formal, er spreche ausführlich über die Beschwerden,
ohne dass ein tief greifender Leidensdruck spürbar ist. Dr. K. weist auf eine tendenziöse Darstellung der Beschwerden im Sinne
des Rentenbegehrens und eine Inkonsistenz zwischen Ausmaß der geschilderten Beschwerden und durchgeführter Therapie hin. So
wird keine regelmäßige nervenärztliche und vor allem psychotherapeutische Behandlung durchgeführt. Ebenso besteht eine deutliche
Inkonsistenz zwischen subjektiver Beschwerdeschilderung und objektivem psychischem Querschnittsbefund. Während der dreitägigen
Begutachtung hat der Kläger keine signifikanten Einschränkungen der psychomentalen Belastbarkeit gezeigt; auch eine objektivierbare
Erschöpfungssymptomatik hat der Sachverständige nicht festgestellt. Qualitative Funktionseinschränkungen bestehen aufgrund
der leichten Polyneuropathie dahingehend, dass die Trittfestigkeit leicht eingeschränkt ist und eine Tätigkeit auf Leitern
und Gerüsten nicht möglich ist. Aufgrund der Irritation des Nervus cutaneus femoris lateralis kann der Kläger körperlich schwere
Tätigkeiten im Stehen nicht ausüben. Die Funktionseinschränkungen aufgrund der seelischen Erkrankungen des Klägers hat der
Sachverständige unter Berücksichtigung der Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatische Erkrankungen (AWMF-
Registernummer 051/029, Teil 1, Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit) festgestellt. Eine globale Fähigkeitsstörung
hat er verneint. Der Sachverständige bestätigt eine vollschichtige (d.h. acht Stunden täglich) Einsatzfähigkeit für körperlich
leichte und mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, im Gehen sowie im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen. Qualitative
Einschränkungen bestehen - neben den bereits genannten - dahingehend, dass der Kläger nicht im Nacht- oder Wechseldienst arbeiten
oder Tätigkeiten mit Führungsverantwortung ausüben kann. Die Möglichkeit der Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit als
Produktionshelfer (Gutachten vom 4. Februar 2015) und Pförtner an der Nebenpforte (ergänzende Stellungnahme vom 11. Juni 2015)
hat Dr. K. ausdrücklich bestätigt.
Der Behauptung des Klägers, tatsächlich habe er für die Untersuchungen bei Dr. K. immer wieder viele Pausen benötigt und die
Leistungsanforderungen nicht erfüllen können, hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. Juni 2015
widersprochen. Dem Vortrag des Klägers, der Sachverständige widerspreche sich, wenn er die Möglichkeit der Ausübung einer
Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte bejahe, im Gutachten aber einen Wechseldienst ausschließe, ist Dr. K. unter dem
29. Juni 2015 entgegen getreten. Ein Widerspruch ist hier tatsächlich nicht ersichtlich. Soweit der Sachverständige in seinem
Gutachten eine Funktionseinschränkung dahingehend feststellt, dass der Kläger nicht in "Wechsel- oder Nachtschicht" arbeiten
kann, bedeutet dies, dass er auch nicht im Wechsel zwischen Nacht- und Tagesschicht arbeiten kann. Anhaltspunkte dahingehend,
dass der Kläger nicht in zwei Tagesschichten arbeiten kann, sind nicht ersichtlich.
Nachdem der Kläger behauptet hat, Dr. K. habe ihm mündlich ein "erhebliches Krankheitsbild" (chronisches Erschöpfungssyndrom,
zentrale Gleichgewichtsstörung, Polyneuropathie, Schädigung von Nerven in den Oberschenkeln) bestätigt, hat der Senat diesen
hierzu befragt. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. April 2015 hat der Sachverständige dies bestritten. Er habe es
sich in seiner über 30-jährigen Tätigkeit angewöhnt, keine Angaben zum Ausgang der Untersuchung und den Diagnosen zu machen
und habe diese Verfahrensweise auch im vorliegenden Fall so gehandhabt. Dies entspricht der gängigen Praxis von Sachverständigen
und ist für den Senat glaubhaft. Soweit Dr. K. in der undatierten und damit frühestens am 21. Oktober 2014 ausgestellten "Bescheinigung"
die Notwendigkeit einer Begleitperson bejaht und eine "zentrale Gleichgewichtsstörung" angibt, entspricht dies nach seiner
Stellungnahme vom 11. Juni 2015 der im Gutachten genannten dissoziativen Störung in Form des funktionellen Schwindels mit
funktioneller Gangstörung. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Bestätigung das Gutachten erschüttern soll.
Unerheblich ist die Behauptung des Klägers, wegen einer schwerwiegenden Chronifizierung des Krankheitsgeschehens bestehe kein
vollschichtiges Leistungsvermögen. Der Senat stimmt der Stellungnahme des Dr. K. vom 29. April 2015 zu, dass die Chronifizierung
eines Leidens nichts zum Umfang der Leistungseinschränkung und zur Qualität oder bestimmte Qualität von Leistungseinbußen
aussagt (vgl. Senatsurteil vom 27. November 2012 - Az.: L 6 R 851/09; LSG Berlin, Urteil vom 22. Juli 2004 - Az.: L 3 RJ 15/03, nach juris; Widder "Schmerzsyndrome" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 390). Unerheblich
ist der Vortrag des Klägers, die Landesärztekammer Nordrhein habe die Zusammenarbeit mit dem Versicherungsunternehmen AG aufgekündigt
und akzeptiere die auch für Dr. K. vorgenommene Zertifizierung als "medizinischer Sachverständiger (cpu) der Universität zu
K./GenRe" nicht mehr. Er hat für die inhaltliche Richtigkeit des erstellten Gutachtens offensichtlich keine Bedeutung. Zur
Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass der Sachverständige zusätzlich "Qualifizierter Gutachter der Deutschen Gesellschaft
für Neurologie und der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung (DGNB)" und "Qualifizierter Psychosomatischer
Schmerzgutachter (IGPS)" ist. Die Notwendigkeit einer Stellungnahme zu den von ihm zugrunde gelegten "Vorgaben" und Leitlinien
erschließt sich nicht. Die einschlägigen AWMF-Leitlinie (Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatische Erkrankungen,
AWMF- Registernummer 051/029) hat der Sachverständige ausdrücklich benannt und fachgerecht angewandt.
Ob die vom Kläger verwendeten Holzschutzmittel "eindeutig neurotoxisch" waren, ist unerheblich. Es kommt im vorliegenden Fall
nur auf die beim Kläger vorliegenden Leistungs- und Funktionseinschränkungen an, nicht auf Zusammenhänge und die Kausalität
mit einem Arbeitsunfall.
Soweit der Kläger beanstandet, Dr. K. habe in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juni 2015 ausgeführt, das Krankheitsbild
des Chronic-Fatigue-Syndroms (CFS) liege bei ihm nicht vor und finde sich nicht in der ICD-10-Klassifikation, hat dieser hierzu
unter dem 29. Juni 2015 Stellung genommen und ausgeführt, beim CFS handle es sich um eine rein beschreibende Diagnose. Das
beim Kläger bestehende Müdigkeitssyndrom sei Teilaspekt der von ihm diagnostizierten Neurasthenie. Diese Ansicht wird in der
medizinischen Literatur durchaus vertreten (vgl. Widder "Befindlichkeitsstörungen" in Widder/Gaidzig Begutachtung in der Neurologie,
2. Auflage 2011, S. 399f.). Danach beschreibt die zum neurologischen Fachgebiet gehörende Ziffer "G93.3 Chronisches Müdigkeitssyndrom"
definitionsgemäß "sekundäre" Müdigkeitssyndrome bei körperlich erklärbaren Störungen, was expressis verbis in den Diagnosekriterien
des "primären" CFS ausgeschlossen ist. Hausotter weist zudem darauf hin, dass eine Abgrenzung der Neurasthenie zum CFS kaum
möglich ist (vgl. Hausotter in Neurologische Begutachtung, 2. Auflage 2006, S. 155), was seine Diagnose "Chronic-Fatique-Syndrom
(CFS) bzw. Neurasthenie (F48.0)" in dem vom Kläger eingereichten Gutachtensauszug aus einem Verfahren vor dem Sozialgericht
Mainz (Az.: S 13 R 148/13) erklärt. Im Ergebnis kommt es darauf allerdings nicht an.
Bei der Begutachtung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung ist entgegen dem Vortrag des Klägers bereits kein Diagnosesystem
vorgeschrieben. §
301 Abs.
2 S. 1
SGB V gilt ausdrücklich nur für Absatz 1 dieser Vorschrift. Die Erste Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 1. März 2010 ist ebenfalls nicht anwendbar. Daran ändert auch die vom BVerwG angenommene Feststellungswirkung der Schwerbehinderung
nichts (vgl. Urteil vom 30. April 2014 - Az.: 2 C 65.11, nach juris), denn sie bezieht sich ausschließlich auf diese, nicht aber auf die Erkrankungen oder andere Vorgaben. Nach
der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 9. Mai 2006 - Az.: B 2 U 1/05 R, nach juris) ist zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge die exakte Diagnose der Krankheit nach einem anerkannten
Diagnosesystem erforderlich, denn je genauer und klarer die bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher
sei ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. In der Literatur wird vertreten, dass
es sinnvoll ist, diese Anforderung auf die anderen Rechtsgebiete zu übertragen (vgl. Keller, "Die Begutachtung von Schmerzen
aus sozialrichterlicher Sicht" in MedSach 2009, 96, 98; Stevens/Fabra/Merten, "Anleitung für die Erstellung psychiatrischer
Gutachten" in MedSach 2009, 100, 104). Hier hat Dr. K. das Diagnosesystem ICD-10 allerdings tatsächlich verwendet; streitig
ist lediglich die Einordnung der festgestellten Erkrankung unter die Nummern G93.3 oder F48.0. Nachdem es bei der Rentenbegutachtung
im Ergebnis aber nicht auf die festgestellten Diagnosen, sondern auf die Einschränkungen des Leistungsvermögens (Funktionsbegutachtung)
ankommt, ist ein Streit über Diagnosenummern nicht hilfreich. Tatsächlich hat Dr. K. das vorgetragene Müdigkeitssyndrom beurteilt,
qualitative und quantitative Einschränkungen aber verneint.
Nachdem der Sachverhalt auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet durch das Gutachten des Dr. K. überzeugend geklärt ist,
sieht der Senat für die Einholung eines weiteren Gutachtens auf diesem Gebiet keinen Anlass.
Da der Kläger vollschichtig als Produktionshelfer bzw. nach dem Gutachten des Dr. K. einschließlich ergänzender Stellungnahmen
auch als Pförtner an der Nebenpforte erwerbsfähig ist, besteht auch kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
nach §§
43,
240 SGB VI in der ab dem 1. Januar 2002 gültigen Fassung (vgl. zur Auslegung des Klageantrages und der Zulässigkeit der Klage BSG, Urteil vom 23. Mai 2006 - Az.: B 13 RJ 38/05 R, nach juris), weil dies eine Minderung der Leistungsfähigkeit auf weniger als drei bzw. weniger als sechs Stunden täglich
voraussetzt. Insoweit kann dahinstehen, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung dieser Rente - wie
von der Beklagten vorgetragen - tatsächlich nicht vorliegen. Unwesentlich ist auch, ob dem Kläger mit dem festgestellten Leistungsvermögen
eine entsprechende Tätigkeit als Produktionshelfer oder Pförtner an der Nebenpforte vermittelt werden kann. Das Risiko, einen
entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, trägt nicht die Beklagte, sondern die Arbeitslosenversicherung.
Die Einholung des beantragten berufskundlichen Gutachtens ist ebenfalls nicht erforderlich. Wie bereits ausgeführt, ist dem
Kläger nur hilfsweise eine Verweisungstätigkeit zu benennen. Die Tätigkeitsbeschreibungen zur Tätigkeit eines Produktionshelfers
und eines Pförtners an der Nebenpforte sind den Beteiligten zur Kenntnisnahme übersandt worden. Ob ein anderes Landessozialgericht
in einem "ähnlich gelagerten Parallelfall" ein berufskundliches Gutachten (zur Hausmeistertätigkeit) eingeholt hat, ist unerheblich.
Im Übrigen ist die Frage, ob der Kläger die beschriebenen Tätigkeiten mit seinen Einschränkungen tatsächlich ausüben kann,
vom medizinischen Sachverständigen zu beantworten.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.