Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens
Verjährte Kostenforderung
Grundsatz von Treu und Glauben
Kostenminderungspflicht der Verfahrensbeteiligten
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens.
Die Kläger standen im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei dem Beklagten.
Mit Änderungsbescheid vom 22. Oktober 2008 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Monat Juli 2008. Hiergegen erhoben die anwaltlich vertretenen Kläger unter dem 24. November 2008 Widerspruch, der
keinerlei Begründung enthielt. Da in dem angefochtenen Änderungsbescheid nicht die tatsächlichen Heizkosten berücksichtigt
worden waren, erließ der Beklagte unter dem 08. April 2009 einen weiteren Änderungsbescheid für Juli 2008, wobei insgesamt
für die Bedarfsgemeinschaft ein Betrag von 35,28 EUR mehr bewilligt wurde. Der Beklagte verpflichtete sich mit Bescheid vom
09. April 2009, den Klägern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfahren zu erstatten.
Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2013 beantragte der Kläger beim Beklagten auf der Grundlage der Kostenentscheidung die Kostenfestsetzung
für das Widerspruchsverfahren. Im Einzelnen wurden die folgenden Gebühren nebst Verzinsung in Ansatz gebracht:
Geschäftsgebühr, Nr. 2400 VV RVG
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240,00 EUR
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Erhöhungsgebühr 2. -3. Auftraggeber
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144,00 EUR
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Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG
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20,00 EUR
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Nettobetrag
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404,00 EUR
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19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG
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76,76 EUR
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Endsumme
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480,76 EUR
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Beigefügt war dem Schriftsatz eine auf den 31. Dezember 2009 datierende an den Kläger zu 1) gerichtete Gebührenabrechnung.
Die Kläger teilten dem Beklagten auf dessen Anfrage mit, dass sie diesbezüglich keine Zahlungen geleistet hätten und übersandten
die Kostennote vom 31. Dezember 2013 mit Anschreiben ihres Rechtsanwalts vom 28. Dezember 2013 (Bl. 917 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 28. Juli 2014 setzte der Beklagte die zu erstattenden Kosten auf 0,00 EUR fest. Die im Widerspruchsverfahren
entstandenen notwendigen Aufwendungen seien nicht erstattungsfähig. Der Anspruch scheitere daran, dass die Kläger nicht mehr
verpflichtet seien, die Kosten zu begleichen, da sie ihrem Bevollmächtigten die Einrede der Verjährung entgegen halten könnten.
Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07. Oktober 2014 als unbegründet zurückgewiesen.
In dem daraufhin von den Klägern angestrengten Klageverfahren hat der Kläger zu 1) vor dem Sozialgericht zu Protokoll erklärt,
dass er und seine Familie von dem Bevollmächtigten in verschiedenen Verfahren vertreten worden seien. Er habe nichts bezahlen
müssen und nach seiner Erinnerung auch keine Rechnung erhalten. Der Bevollmächtige der Kläger erklärte zu Protokoll, das er,
wenn Kosten zu erstatten seien, auf die Behörde zugehe und von der Familie nichts fordere. Mit Urteil vom 16. Januar 2017
hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Beklagte sei nicht verpflichtet, Rechtsanwaltskosten zu erstatten, die der
Leistungsempfänger wegen Verjährung nicht mehr zahlen müsste. Der Bevollmächtigte habe den Klägern versichert, dass diese
keine Kosten zu tragen hätten. Diese Vorgehensweise führe dazu, dass der Beklagte immer und der Mandant nie zur Gebührenforderung
herangezogen würde.
Dagegen wenden sich die Kläger mit der vom Sozialgericht zugelassenen Berufung.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 16. Januar 2017 und den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 07. Oktober 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, sie von dem Vergütungsanspruch
ihres Bevollmächtigten in Höhe von 480,76 EUR freizustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für rechtmäßig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen. Diese
lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft. An die Zulassungsentscheidung des Sozialgerichts ist das Landessozialgericht
gebunden (§
144 Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Den Klägern steht der geltend gemachte
Freistellungsanspruch gegen den Beklagten nicht zu.
Streitgegenstand ist der Anspruch der Kläger auf Freistellung von den Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von insgesamt
480,76 EUR sowie neben dem Urteil des Sozialgerichts der Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2014, mit dem er die zu erstattenden
Kosten auf 0,00 EUR festgesetzt hat, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Oktober 2014.
Die Kläger verfolgen ihr Anliegen zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4
SGG), gerichtet auf die Freistellung von dem Vergütungsanspruch ihres Bevollmächtigten (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 - B 14 AS 60/13 R - Rdnr. 14). Die Kläger sind bereits dadurch beschwert, dass die zu erstattenden Kosten auf 0,00 EUR statt auf die begehrten
480,76 EUR festgesetzt worden sind.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch hinsichtlich der Aufwendungen im Vorverfahren ist § 63 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen
hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen
Aufwendungen zu erstatten.
1. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass die Kostenfestsetzung erst mit am 30. Dezember 2013 eingegangenem Schriftsatz vom
28. Dezember 2013 - und damit über viereinhalb Jahre nach dem Kostenübernahmebescheid vom 9. April 2009 - bei dem Beklagten
beantragt wurde. Der Beklagte hat zwar in der Berufungsverhandlung die Einrede der Verjährung erhoben. Nach Ansicht des Senats
gilt jedoch für die Verjährung des Kostenerstattungsanspruchs aus § 63 SGB X eine vierjährige Verjährungsfrist, und diese ist vorliegend gewahrt.
Für den vorliegenden Befreiungsanspruch, bei dem es sich nicht um eine Sozialleistung im Sinne des §
11 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) handelt, fehlt es an einer expliziten gesetzlichen Regelung der Verjährung. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden,
dass ein solcher Anspruch der Verjährung überhaupt nicht unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 01. August 1991, B 6 RKa 9/89). Denn das Rechtsinstitut der Verjährung dient - auch im öffentlichen Recht - der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden,
indem es Ansprüche, die geraume Zeit nicht geltend gemacht werden, dem Streit entzieht (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2013, B 3 KR 27/12 R). Das Fehlen einer unmittelbar anzuwendenden gesetzlichen Regelung hat insbesondere nicht zur Folge, dass der geltend gemachte
Anspruch einer 30-jährigen Verjährungsfrist unterliegen würde. Im Fall fehlender spezialgesetzlicher Regelungen ist die Frage
der Verjährung vielmehr unter Heranziehung der für ähnliche Ansprüche geltenden Verjährungsvorschriften bzw. allgemeiner Verjährungsgrundsätze
zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 1995, B 6 RKa 17/94; BVerwG, Urteile vom 15. Mai 2008, 5 C 25/07 und 11. Dezember 2008, 3 C 37/07). Dieses Anliegen besteht im Privatrecht wie im öffentlichen Recht gleichermaßen (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Mai 1984,
3 C 86/82 und vom 4. Oktober 1994, 1 C 41/92). Das gilt selbst dann, wenn Gläubiger und / oder Schuldner juristische Personen des öffentlichen Rechts sind. Nach welchen
Regeln sich die Verjährung richtet, ist mangels einschlägiger öffentlich-rechtlicher Spezialregelungen im Wege der Analogie
zu den als sachnächste in Betracht kommenden Verjährungsregelungen zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. April 1986
- 8 A 1/83 und vom 4. Oktober 1994 a.a.O.).
So kann auf die Vorschrift des § 52 SGB X, die für durch unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt festgestellte Ansprüche eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers
eine Verjährungsfrist von 30 Jahren bestimmt, einen solchen bestandskräftigen Verwaltungsakt mithin verjährungsrechtlich einem
rechtskräftigen Urteil gleichstellt (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 13 R 13/12 R), nicht zurückgegriffen werden. Diesbezüglich mangelt es an der erforderlichen Vergleichbarkeit. § 52 SGB X regelt insoweit die Verjährung von Ansprüchen öffentlich-rechtlicher Rechtsträger gegen Bürger, bspw. bei Rückforderungen
von Leistungen oder im Fall der Beitragsansprüche. Vorliegend ist streitig hingegen der Anspruch der Kläger auf Erstattung
ihrer Aufwendungen gegen die Behörde aufgrund eines erfolgreichen Vorverfahrens.
Gleichermaßen findet auch die 30-jährige Verjährungsfrist nach §
197 Abs.
1 Nr.
3 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) im Verhältnis Kläger zu Beklagtem keine Anwendung. Denn diese Vorschrift umfasst nur den prozessualen Kostenerstattungsanspruch
aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Kostengrundentscheidung, nicht aber die Kostenfestsetzung der Behörde gegenüber
dem Widerspruchsführer entsprechend § 63 SGB X. Wesentlich bei der Annahme der verlängerten Verjährungsfrist nach §
197 BGB ist, dass die rechtskräftige Feststellung von einer unabhängigen Stelle getroffen worden ist, mag ihre Prüfung auch nur auf
den Angaben des Anspruchstellers selbst beruhen, wie beim Versäumnisurteil und beim Vollstreckungsbescheid, die aber ja nur
dann erlassen werden dürfen, wenn der Gegner eine ihm gebotene Gelegenheit zur Äußerung nicht wahrgenommen hat (vgl. Grothe
in MüKoBGB, 7. Aufl. 2015, § 197, Rn. 15; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2004 - V ZB 61/03 (KG)). Insoweit scheidet auch eine entsprechende Anwendung aus. Die Entscheidung über den Umfang der Kostenerstattung ist
ein selbstständig anfechtbarer Verwaltungsakt. Für diesen gelten die allgemeinen sozialrechtlichen Regelungen ebenso wie bspw.
für Sozialleistung gewährende Verwaltungsakte. So bleibt er gem. § 39 Abs. 2 SGB X u.a. solange wirksam, soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere
Weise erledigt ist. Dies ist bei einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung nicht möglich, sodass schon diesbezüglich
die entscheidenden Unterschiede zu Tage treten. Ein Rückgriff auf bürgerlich-rechtliche Verjährungsvorschriften ist im Übrigen
nur dann gerechtfertigt, wenn eine sachnähere Regelung im Sozialrecht oder ganz allgemein im öffentlichen Recht nicht zu finden
ist (vgl. BSG, Urteile vom 01. August 1991 a.a.O. und 10. Mai 1995 a.a.O.). Im Sozialrecht sind nach Auffassung des Senats allgemeine Verjährungsgrundsätze
vorhanden, die die analoge Anwendung der §§
194 ff.
BGB auf den hier streitigen Kostenerstattungs- bzw. Befreiungsanspruch ausschließen.
Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die in §
45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften
über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient (vgl. BSG Urteile vom 28. November 2013 a.a.O.; vom 12. Mai 2005, B 3 KR 32/04; vom 28. April 1976, B 2 RU 119/75; vom 01. August 1991 a.a.O.). Das BSG hat sich insoweit darauf gestützt, dass die vierjährige Verjährungsfrist nicht nur in §
45 SGB I für "Ansprüche auf Sozialleistungen", sondern etwa auch in den §§
25 und
27 des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch sowie in § 113 SGB X enthalten ist. Auch die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X sieht im Übrigen für nachzuzahlende Forderungen, soweit Sondervorschriften (vgl. etwa § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II und § 116a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) nichts anderes bestimmen, eine Begrenzung auf vier Jahre vor.
Der Gesetzgeber, der mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 - Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
- (BGBl. I S. 3138) das Verjährungsrecht des bürgerlichen Rechts grundlegend geändert hat, hat im Übrigen die vorgenannte
ständige Rechtsprechung des BSG nicht zum Anlass genommen, auch im Bereich des Sozialrechts eine Anpassung vorzunehmen. Vielmehr wollte er eine Änderung
der verjährungsrechtlichen Rechtslage im Sozialrecht gerade nicht herbeiführen (vgl. BSG, Urteile vom 28. November 2013 a.a.O.; vom 21. April 2015, B 1 KR 11/15 R). Die Entscheidung, ob das neue Regelungssystem auf spezialgesetzlich geregelte Materien übertragen werden kann und welche
Sonderregelungen ggf. getroffen werden müssten, sollte weiteren Gesetzgebungsvorhaben vorbehalten bleiben (vgl. Gegenäußerung
der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Bundestags-Drucksache 14/6857 S. 42 (zu
Nr. 1)). Hierzu wurde in der Folge das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des
Schuldrechts vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3214) erlassen. Auch dort hat sich der Gesetzgeber jedoch bewusst gegen eine entsprechende Anpassung des öffentlichen Rechts entschieden,
da im öffentlichen Recht grundsätzlich eigenständige Verjährungsregelungen gelten würden und auf die zivilrechtlichen Verjährungsbestimmungen
nur hilfsweise entsprechend zurückgegriffen werden könne (Bundestags-Drucksache 15/3653 S. 10).
Die Verjährungsfrist von vier Jahren stellt nach allem ein allgemeines Rechtsprinzip im Sozialrecht dar. Eine Korrektur der
allgemeinen sozialrechtlichen vierjährigen Verjährungsfrist hat der Gesetzgeber, wie oben dargestellt, nicht herbeiführen
wollen. Diese Verjährungsfrist ist aus praktischen und haushaltsrechtlichen Gründen geboten, um jahrzehntelange Auseinandersetzungen
zu vermeiden und Streitigkeiten einer beschleunigten gerichtlichen Auseinandersetzung zuführen zu können (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2013 a.a.O.).
Für den hier streitigen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen der Kläger aus dem Widerspruchsverfahren bedeutet dies, dass
auch derartige Ansprüche nach dem Vorbild des §
45 SGB I einer Verjährungsfrist von vier Jahren unterliegen.
Die allgemeine sozialrechtliche Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist
(entsprechend §
45 Abs.
1 SGB I). Der Kostenübernahmebescheid mit der entsprechenden Kostengrundentscheidung datiert vorliegend vom 9. April 2009, sodass
die Verjährungsfrist am 01. Januar 2010 zu laufen begann und mit Ablauf des Jahres 2013 endete. Der noch im Dezember 2013
beim Beklagten eingegangene Kostenfestsetzungsantrag war damit rechtzeitig.
2. Was die Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 63 SGB X angeht, war der Widerspruch der Kläger erfolgreich gewesen; den Klägern wurde ein höherer Betrag bewilligt und nachgezahlt.
Der Beklagte hat insofern entschieden, dass die Kosten des Vorverfahrens in vollem Umfang dem Grunde nach zu erstatten sind
(vgl. § 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 Satz 1 SGB X). Zu den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zählen gemäß § 63 Abs. 2 SGB X regelmäßig die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Letzteres
hat der Beklagte konkludent im Bescheid vom 9. April 2009 bestätigt, indem er mitgeteilt hat, dass die Gebühren und Auslagen
eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren auf Antrag erstattet werden, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen werden.
3. Allerdings liegen im vorliegenden Fall schon keine Aufwendungen im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Zwar war der Rechtsanwalt der Kläger in ihrem Namen tätig geworden, indem er Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.
Oktober 2008 erhoben hatte. Es ist auch nicht erforderlich, dass die Kläger für seine Tätigkeit bereits Zahlungen an ihn geleistet
haben. Denn der Anspruch nach § 63 SGB X setzt den Ausgleich eines Gebührentatbestandes gegenüber dem Rechtsanwalt nicht voraus. Unabdingbares Erfordernis für die
Anwendung der Vorschrift ist jedoch, dass der Widerspruchsführer einer Vergütungsforderung seines Bevollmächtigten tatsächlich
ausgesetzt ist (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. Mai 2009 - L 1 AL 13/08 - Rdnr. 13; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Oktober 2016 - L 31 AS 1774/16 - Rdnr. 27). Dies ist hier nicht der Fall: Denn zur Überzeugung des Senats hatte der Bevollmächtigte der Kläger mit diesen
eine Abrede dahingehend getroffen, dass diese in keinem Fall für seine anwaltliche Tätigkeit etwas an ihn zahlen müssen. Der
Bevollmächtigte der Kläger hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er, soweit eine positive Kostengrundentscheidung
durch die Behörde nicht ergangen sei, Beratungshilfe beantragt habe. Soweit diese ebenfalls nicht gewährt wurde, so "gehe
das auf seine Kappe". Diese Äußerung ist eindeutig so zu verstehen, dass er in diesem Fall keine Gebührenansprüche unmittelbar
gegenüber den Klägern geltend mache. Damit hatten die Kläger in keiner denkbaren Situation tatsächlich damit zu rechnen, selbst
mit Kosten des Widerspruchsverfahrens belastet zu werden. Dementsprechend hatten sie auch keine Aufwendungen im Sinne von
§ 63 SGB X. Eine Fälligkeitsvereinbarung, wie vom Bevollmächtigten der Kläger erstinstanzlich behauptet, kann damit nicht eingreifen.
Von einer Fälligkeitsvereinbarung ist nur auszugehen, wenn die Beteiligten vereinbart hätten, die Fälligkeit der im Übrigen
nach dem Gesetz festzusetzenden Gebühren anders zu regeln. Hier haben die Kläger mit ihrem Bevollmächtigten jedoch nach Überzeugung
des Senats vereinbart, dass Gebühren im Erfolgsfall nur von dem Beklagten zu zahlen sind, oder aber (bei der Bewilligung von
Prozesskostenhilfe) von der Staatskasse. Eine Zahlung durch die Kläger selbst war hingegen nicht vereinbart gewesen. Nicht
entstandene bzw. entstehende Kosten entziehen sich dem Wirkungsbereich einer Fälligkeitsabrede und sind nicht durch die Behörde
zu erstatten. Damit fehlt es dem geltend gemachten Anspruch bereits am Tatbestandsmerkmal "Aufwendungen" im Sinne von § 63 Abs. 1 SGB X.
4. Aber selbst wenn dem nicht so wäre, hätte die Berufung keinen Erfolg. Denn der Beklagte durfte sich zu Recht darauf berufen,
dass die Kläger ihrem Rechtsanwalt die Einrede der Verjährung der Gebührenforderung entgegen halten können.
Allerdings ist dieser Aspekt nicht beim Tatbestandsmerkmal der "Notwendigkeit" der Aufwendungen im Sinne von § 63 SGB X zu diskutieren. Denn Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sind nach § 63 Abs. 2 SGB X stets erstattungsfähig, wenn die Zuziehung notwendig war, wovon hier auszugehen ist. Die Verjährung der Gebührenforderung
des Rechtsanwalts gegenüber dem Widerspruchsführer lässt die Notwendigkeit der entstandenen Aufwendungen nach § 63 SGB X nicht nachträglich entfallen.
Dass eine verjährte Gebührenforderung des Rechtsanwalts im Rahmen der Kostenentscheidung der Behörde nach § 63 SGB X zu berücksichtigen ist, auch wenn sich der Mandant nicht darauf beruft, ergibt sich vielmehr aus den nachfolgend geschilderten
Besonderheiten des Kostenrechts im Sozialverwaltungsverfahren.
Dabei ist zunächst der Anspruch eines Bevollmächtigten auf Vergütung gegen seinen Mandanten entsprechend den Vorschriften
des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) in den Blick zu nehmen. Diese betreffen allein das Verhältnis des Bevollmächtigten zum Mandanten. Der Honoraranspruch des
Rechtsanwalts entsteht mit Entfaltung der anwaltlichen Tätigkeit und wird nach § 8 Abs. 1 RVG fällig, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist. Der Anspruch auf die Anwaltsvergütung unterliegt der
regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist nach §
195 BGB. Für den Beginn der Verjährungsfrist ist §
199 Abs.
1 BGB maßgeblich. Danach beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres,
in dem der Anspruch entstanden ist. Unter "Entstehen des Anspruchs" im Sinne von §
199 Abs.
1 Nr.
1 BGB ist bezogen auf die Anwaltsvergütung nach allgemeiner Meinung nicht der Zeitpunkt des Entstehens des Gebührenanspruchs selbst
zu verstehen, sondern der Zeitpunkt des Fälligkeitseintritts. Mithin beginnt bei der Anwaltsvergütung die dreijährige Verjährungsfrist
am Ende desjenigen Kalenderjahres, in dem der Vergütungsanspruch fällig geworden ist (Gerold/Schmidt/Madert, RVG, § 8 Rdnr. 33; Enders in Hartung/Schons/Enders, RVG, § 8 Rdnr. 40).
Dementsprechend ist der Vergütungsanspruch des Bevollmächtigten gegenüber den Klägern nach § 8 Abs. 1 RVG mit der Erledigung der Angelegenheit, also spätestens mit Erhalt des Abhilfebescheids im April 2009, fällig geworden. Die
Forderung des Bevollmächtigten der Kläger ist damit ihnen gegenüber mit Ablauf des 31. Dezember 2012 verjährt. Allerdings
haben sich die Kläger nicht darauf berufen.
Nach Ansicht des Senats darf die Behörde einem Kostenanspruch nach § 63 SGB X entgegen halten, dass der zu Grunde liegende Vergütungsanspruch des Bevollmächtigten verjährt ist. Das ergibt sich aus folgenden
Überlegungen:
Zwar ist grundsätzlich - entsprechend den Grundsätzen der prozessualen Kostenfestsetzung (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2011
- VI ZR 63/10 - Rdnr. 9 und 18) - zwischen dem Innenverhältnis des Widerspruchsführers zum für ihn tätigen Rechtsanwalt (Honoraranspruch
des Rechtsanwalts nach dem RVG) und dem Außenverhältnis des Widerspruchsführers zur Behörde (Kostenerstattungsanspruch des Widerspruchsführers nach § 63 SGB X) zu unterscheiden. Nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sind im Kostenfestsetzungsverfahren
nach §§
103 ff.
ZPO materiell-rechtliche Einwendungen (z.B. Verwirkung) und Einreden (z.B. Verjährung) gegen den prozessualen Kostenerstattungsanspruch
grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Für die Erstattung von Rechtsanwaltskosten bedeutet dies, dass Einreden gegen den
Kostenerstattungsanspruch im Rahmen des gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahrens grundsätzlich unberücksichtigt bleiben
(vgl. bspw. BGH, Beschluss vom 09. Dezember 2009 - XII ZB 79/06 -).
Bei der gerichtlichen Kostenfestsetzung handelt es sich um eine dem gerichtlichen Verfahren folgende Prozedur. In diesem auf
Praktikabilität und Effektivität angelegten Verfahren wird von nichtrichterlichem Personal lediglich über die Höhe der gemäß
der zuvor getroffenen richterlichen Kostengrundentscheidung zu erstattenden Kosten entschieden. Das gerichtliche Kostenfestsetzungsverfahren
ist auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und auf die Klärung einfacher Rechtsfragen des Kostenrechts zugeschnitten
und deshalb auch dem Rechtspfleger bzw. Urkundsbeamten übertragen. Die Klärung von zwischen den Parteien streitigen Tatsachen
und von komplizierten Rechtsfragen ist in diesem Verfahren nicht vorgesehen und mangels der dafür notwendigen verfahrensrechtlichen
Instrumente auch nicht sinnvoll möglich. Mit materiell-rechtlichen Einwendungen und Einreden kann sich der Kostenschuldner
grundsätzlich nur gegen die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss im Wege der Vollstreckungsgegenklage nach §
767 ZPO oder bei Vorlage einer entsprechende Urkunde mit einem Rechtsbehelf nach §
775 Nrn. 4, 5
ZPO wehren; nach erfolgter Erstattung kann ein Anspruch aus §§
812 ff.
BGB in Betracht kommen. Eine Ausnahme kann allenfalls zugelassen werden bei Unstreitigkeit oder Offensichtlichkeit der Einwendungen
oder Einreden (vgl. OLG Karlsruhe - RhSchObG -, Beschluss vom 12. März 1996, MDR 1996, 750; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juli 1988, MDR 1988, 972). Die Frage einer Verjährung des Kostenerstattungsanspruchs ist danach der Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren regelmäßig
entzogen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. Juli 2003 - 15 C 03.947 -).
Der Senat hält diese Grundsätze jedoch auf das Verfahren nach § 63 SGB X nicht für übertragbar, weil er grundsätzliche Unterschiede zum gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren sieht, die eine
andere Beurteilung rechtfertigen:
Anders als bei der gerichtlichen Kostenfestsetzung sind beim Festsetzungsverfahren nach § 63 SGB X Streitgegenstand Auslagen und Gebühren eines Bevollmächtigten im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens. Diese werden bei der
Behörde, mithin einem Beteiligten des Verfahrens und keinem unbeteiligten Dritten, geltend gemacht. Sofern der Erstattungsberechtigte
mit der Entscheidung zu den Kosten nicht einverstanden ist, mündet diese Angelegenheit in ein gerichtliches Verfahren. Streitgegenstand
dieses Verfahrens ist allein die Frage der Kosten des Widerspruchsverfahrens nach § 63 SGB X. Das Gericht hat zu entscheiden, ob und wenn ja, in welchem Umfang die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig
waren. Dabei hat das Gericht wie sonst auch den Rechtsstreit unter allen denkbaren tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten
zu betrachten. Es sind daher auch sämtliche Einwendungen und Einreden zu prüfen, bspw. Aufrechnung, Verjährung, Rechtsmissbräuchlichkeit
etc ... Das Gericht nimmt also eine umfassende Prüfung vor. Es ist nach seiner Funktion gerade dazu berufen, mitunter auch
schwierige tatsächliche und rechtliche Fragen zu klären, anders als es im Kostenfestsetzungsverfahren dem Rechtspfleger bzw.
Urkundsbeamten möglich ist. Es bedarf daher hier keiner gesonderten Rechtsbehelfe wie der Vollstreckungsgegenklage o. ä.,
weil über damit geltend zu machende Aspekte bereits im Rahmen des Erkenntnisverfahrens zu entscheiden ist. Dies ist der entscheidende
Unterschied zwischen dem gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren und dem Streit um die Festsetzung der notwendigen Kosten
eines Widerspruchsverfahrens. Es wäre prozessual unzweckmäßig, Einwendungen und Einreden der Beteiligten in dem die festzusetzenden
Kosten betreffenden Verfahren nicht zuzulassen und die Beteiligten zu nötigen, ggf. ein weiteres gerichtliches Verfahren,
namentlich eine Vollstreckungsgegenklage, anzustrengen. Ist der gerichtliche Prüfungsumfang bei einer Klage wegen Kostenfestsetzung
nach § 63 SGB X umfassend und beinhaltet damit auch die Frage der Verjährung, so ist kein Grund dafür ersichtlich, der Behörde eine entsprechende
Berücksichtigung zu versagen.
Es führt hier auch nicht zu einer anderen Beurteilung, dass die Kläger die Einrede der Verjährung nicht erhoben haben.
Grundsätzlich unterliegt jede Rechtsausübung dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot (ständige
Rechtsprechung des BGH, vgl. Beschluss vom 20. November 2012 - VI ZB 1/12 m.w.N.). Dies gilt im Sozialrecht ebenso wie im Zivilrecht. Ausfluss dieses Grundsatzes ist im Kostenrecht die grundsätzliche
Verpflichtung jedes Verfahrensbeteiligten, die Kosten der Prozessführung, die sie im Falle des Obsiegens vom Gegner erstattet
haben will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung der berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. BGH, Beschluss
vom 20. November 2012, VI ZB 1/12; Thüringer LSG, Beschluss vom 13. Oktober 2011, L 6 SF 1383/11 E m.w.N.; so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. Juli 2010, 15 W 18/10).
Ein Verstoß kann dazu führen, das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren und die unter Verstoß gegen
Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Kosten von einer Erstattung auszunehmen. Insoweit ist es unter Berücksichtigung
des Gebotes von Treu und Glauben zulässig, den Klägern bzgl. ihres geltend gemachten Freistellungsanspruches entgegenzuhalten,
dass sie gegenüber ihrem Bevollmächtigten die Einrede der Verjährung erheben können. Dies hält der Senat unter den gegebenen
Umständen und im Hinblick darauf, dass die zu erstattenden Kosten nach § 63 SGB X letztlich vom Steuerzahler getragen werden, weder für treuwidrig noch für nicht billigenswert. Dafür spricht auch der Rechtsgedanke
des § 63 Abs. 1 Satz 3 SGB X, wonach Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, von diesem selbst zu tragen
sind. Zwar ist diese Vorschrift nicht direkt anwendbar, weil die einmal entstandenen Aufwendungen durch die Verjährung des
Gebührenanspruchs nicht nachträglich wegfallen. Der Bestimmung ist jedoch der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass Kosten, die
durch vorwerfbares Verhalten des Betroffenen entstehen, nicht von der Behörde zu übernehmen sind. Letztlich hat es der Bevollmächtigte
eines Widerspruchsführers selbst in der Hand, den Kostenfestsetzungsantrag alsbald zu stellen und nicht erst zu einem Zeitpunkt,
zu dem der zu Grunde liegende Vergütungsanspruch gegenüber dem Mandanten bereits verjährt ist. Weder der Widerspruchsführer
noch sein Bevollmächtigter erscheinen vor diesem Hintergrund schutzbedürftig.
Aus diesen Gründen hat der Beklagte einen Befreiungsanspruch der Kläger für die Kosten des Widerspruchsverfahrens zutreffend
verneint.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, weil der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 SGG). Die behandelten Rechtsfragen erscheinen in diesem Sinne klärungsbedürftig.