Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Bezeichnung einer Abweichung
Gründe
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG sind ohne Zuziehung ehrenamtlicher
Richter als unzulässig zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). Ungeachtet des Umstands, dass den Klägern wegen der versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerden
durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war, sind die Nichtzulassungsbeschwerden unzulässig, weil die Kläger die
von ihnen zur Begründung der Beschwerden geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz und des Verfahrensmangels innerhalb
der jeweiligen Begründungsfristen nicht iS des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG schlüssig dargelegt oder bezeichnet haben.
Nach §
160 Abs
2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte
Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig.
Die mit den Beschwerdebegründungen durch die Klägerin sowie die Kläger zu 2) und 4) geltend gemachten Abweichungen von der
Rechtsprechung des BSG genügen den Anforderungen an zulässig erhobene Divergenzrügen nicht.
Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 §
160a Nr 34 S 72; Krasney in Krasney/Udsching, Hdb
SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).
Diese Voraussetzung kann den Beschwerdebegründungen nicht entnommen werden. In diesen wird entweder überhaupt kein Rechtssatz
des LSG aufgestellt, sondern nur allgemein behauptet, die Rechtsanwendung des LSG stimme mit den Rechtssätzen des Urteils
des BSG vom 15.6.2016 (B 4 AS 41/15 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 14) nicht überein, oder es wird folgender Satz des LSG wiedergegeben: "Es handelt sich insoweit um in der Sphäre des Klägers
wurzelnde Vorgänge, deren Unaufklärbarkeit zu einer Umkehr der Beweislast führt (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 30f m. w. N.)". Dieser Satz erfüllt aber nicht die Voraussetzungen für einen Rechtssatz, weil das LSG in ihm
keine allgemeinen und ggf von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Maßstäbe entwickelt, sondern ist eine Würdigung des vorliegenden Verfahrens, wie sich aus der ausdrücklichen
Bezugnahme auf die Sphäre des Klägers zu 2) ergibt.
Soweit der Kläger zu 4) auf die Urteile des BSG zur Minderjährigenhaftungsbeschränkung (BSG vom 28.11.2018 - B 4 AS 43/17 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 4 und B 14 AS 34/17 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 5) hinweist, mit denen sich das LSG bei einer in Betracht kommenden Zurückverweisung werde beschäftigen müssen, weil er am 1.3.2019
volljährig geworden sei, ist dem keine gemäß §§ 160a, 160 Abs 2
SGG zulässige Rüge zu entnehmen.
Auch im Rahmen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG beachtliche Verfahrensmängel sind den Beschwerdebegründungen nicht zu entnehmen.
Die Klägerin und die Kläger zu 2) und 4) rügen, die Entscheidung des LSG sei nicht mit Gründen versehen, weil ein mit Unterschriften
der Berufsrichter versehenes Urteil in der Gerichtsakte fehle und wegen der mittlerweile verstrichenen Zeit könnten die Unterschriften
auch nicht mehr nachgeholt werden, was als absoluter Revisionsgrund nach §
202 Satz 1
SGG iVm §
547 Nr 6
ZPO zu berücksichtigen wäre. Die Beschwerden übersehen dabei die Möglichkeit, Originalurteile außerhalb der Gerichtsakte aufzubewahren,
um Urteilsausfertigungen oder Urteilsabschriften auch dann noch erteilen zu können, wenn die Akten nach Abschluss des Verfahrens
nicht (mehr) am Gericht, das die Entscheidung getroffen hat, aufbewahrt werden. Das Fehlen der Urschrift eines Urteils in
der Gerichtsakte belegt deshalb noch nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen (vgl BSG vom 18.5.2015 - B 9 V 73/14 B - RdNr 6). Wird eine verspätete Übermittlung des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle (§
134 Abs
2 iVm §
153 Abs
1 und
3 Satz 1
SGG) geltend gemacht, bedarf es in Fällen, in denen sich die Urschrift des Urteils nicht in der Akte befindet, der Darlegung,
dass und mit welchem Ergebnis versucht worden ist, den Inhalt des amtlichen Vermerks über den Zeitpunkt der Übergabe zu erfahren
(vgl BSG vom 29.9.1994 - 4 RA 52/93 - SozR 3-1500 § 164 Nr 6; BSG vom 19.8.2019 - B 14 AS 183/18 B - RdNr 5; Krasney in Krasney/Udsching, Hdb
SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 218a). Liegen schon wegen der Zeitspanne zwischen Verkündung des Urteils und dessen Zustellung - hier weniger als zwei Wochen -
keine Anhaltspunkte für zeitliche Verzögerungen bei der Absetzung des Urteils vor und wird lediglich vorgebracht, in der Akte
befinde sich keine Urschrift mit Unterschriften, ist entsprechend vorzutragen, dass und mit welchem Ergebnis versucht worden
ist, Einsicht in die Urschrift des Urteils zu erhalten. An diesem Vortrag fehlt es hier.
Soweit die Klägerin und der Kläger zu 2) die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§
547 Nr 1
ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG) wegen ihrer Befangenheitsanträge vom 20.7.2017 und 12.3.2018 rügen, bringen sie zwar unter Wiedergabe der Rechtsprechung
des BVerfG vor, dass das Selbstentscheidungsrecht im vereinfachten Ablehnungsverfahren engen Grenzen unterliegt (vgl BVerfG vom 20.7.2007 - 1 BvR 2228/06 - RdNr 19 ff). Dieses Vorbringen genügt zur Darlegung des Verfahrensmangels der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts hier nicht.
Aus den Beschwerdebegründungen ergibt sich, dass die Kläger das erste Ablehnungsgesuch auf eine Verbindung von Verfahren,
also eine unanfechtbare prozessuale Zwischenentscheidung (§
172 Abs
2 SGG), durch das LSG gestützt haben; nach der Wiedergabe der Begründung über die Selbstentscheidung haben die Kläger "mittlerweile
jede Verfügung oder Entscheidung des Senats zum Anlass für ein Ablehnungsgesuch" genommen, ebenso hat das LSG das spätere
gegen die Richter S.1, C., L.1, L.2, G., H.1, K., H.2, M.1 und S.2 gerichtete Ablehnungsgesuch für offensichtlich ungeeignet
gehalten, weil lediglich frühere Entscheidungen als fehlerhaft beanstandet bzw ein von den Klägern gewünschtes prozessuales
Vorgehen erzwungen habe werden sollen. Angesichts der Begründung des ersten Ablehnungsgesuchs sowie der Anzahl der vom zweiten
Ablehnungsantrag erfassten Richterinnen und Richter und der Begründungen des LSG für die Selbstentscheidungen hätte es näherer
Ausführungen dazu bedurft, warum die Ablehnung von den Klägern nicht als Instrument der Verfahrens- oder Fehlerkontrolle eingesetzt
worden ist und dass die Selbstentscheidung einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt oder offensichtlich so grob
fehlerhaft bzw unhaltbar ist, dass sie als willkürlich erscheint (diese Vorgaben zu ungeeigneten Ablehnungsgesuchen zusammenfassend BVerfG vom 20.8.2020 - 1 BvR 793/19 - RdNr 19; vgl auch BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 191/15 B - RdNr 4 ff; BSG vom 23.5.2018 - B 8 SO 1/18 BH - RdNr 8).
Soweit die Klägerin und der Kläger zu 2) rügen, SG und LSG hätten Verfahrensfehler wegen ihrer Söhne - der Kläger zu 3) und 4) - begangen, ist nicht substantiiert dargetan,
inwieweit sich diese auf die von der Klägerin und dem Kläger zu 2) angegriffenen Entscheidungen über die Nichtzulassung der
Revision bezogen auf ihre eigenen Berufungsbegehren beziehen.
Hinsichtlich einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG bringen die Klägerin und der Kläger zu 2) vor, sie hätten in der mündlichen Verhandlung beim LSG sinngemäß den Antrag gestellt,
"Einsicht in die Steuer-CD zu nehmen und zwar zum Beweis der Tatsache, dass auf der 'Steuer-CD' tatsächlich Daten zu einem
'M.2, geb. 18. Oktober 1956' und eben nicht zu dem am 14. März 1960 geborenen Kläger gespeichert sind". Das LSG habe hingegen
darauf abgestellt, dass weitere bereits vorliegende Beweise ausreichten und der ermittelnde Staatsanwalt im Rahmen einer Anfrage
bei Kreditinstituten - offenkundig versehentlich - ein unrichtiges Geburtsdatum genannt habe, was die Informationen, die die
Steuerbehörden dem Datenträger entnommen hätten, nicht infrage stelle. Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des §
103 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Für die hinreichend formulierte Rüge der Verletzung von §
103 SGG ist ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG in nachvollziehbarer Weise darzulegen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden
Beweismitteln Fragen zum Sachverhalt offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende
Veranlassung bestanden hat (vgl BSG vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - RdNr 6). Dem genügen die Beschwerdebegründungen nicht, weil die Klägerin und der Kläger zu 2) ihre eigenen Beweiswürdigungen an die
Stelle derjenigen des LSG setzen, da sie - aus ihrer Sicht - den Sachverhalt für nicht ausreichend ermittelt halten, während
das LSG davon ausgegangen ist, dass es sich seine Überzeugung anhand der vorliegenden Beweise bilden kann und weitere Ermittlungen
nicht erforderlich sind. Die Rüge einer Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG ist im Rahmen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ausgeschlossen.
Soweit die Klägerin und der Kläger zu 2) die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§
117 SGG) rügen, weil das LSG trotz eines Beweisantrags zur Beschaffung der und Einsicht in den Datenträger "Steuer-CD" auf andere,
ua über diesen erlangte Kenntnisse abgestellt habe, legen die Beschwerdebegründungen nicht nachvollziehbar dar, warum das
LSG angesichts der von ihm beschriebenen Belege für die Existenz des Datenträgers und dessen klägerbezogenen Inhalts dem Beweisantrag
hätte nachgehen müssen. Im Übrigen fehlt es an Darlegungen dazu, aus welchem Grund der Beweiswert zB des Augenscheins zum
"Ausdruck eines screenshots" gegenüber der Ansicht des Datenträgers gemindert und dadurch verringert sein soll, dass der Ausdruck
nicht durch den Spruchkörper des LSG erfolgt ist.
Zu der Rüge des Klägers zu 2), das SG habe nicht und das LSG nicht in der Sache über sein Begehren hinsichtlich der gegenüber den Klägern zu 3) und 4) verfügten
Erstattungsforderungen geurteilt, ergibt sich aus seinen Ausführungen nicht, dass nur über einen Teil der von ihm - selbst
- erhobenen Ansprüche entschieden worden ist. Es ist schon nicht dargestellt, welche Anträge der Kläger zu 2) beim SG gestellt hat; worüber das LSG im Wege des "Heraufholens von Prozessresten" hätte befinden können, bleibt damit nach der Beschwerdebegründung
offen. Im Übrigen wäre darzulegen gewesen, wieso die Voraussetzungen eines der Nichtzulassungsbeschwerde vorgehenden Verfahrens
der Urteilsergänzung nach §
140 SGG nicht gegeben waren (vgl BSG vom 2.4.2014 - B 3 KR 3/14 B - SozR 4-1500 § 140 Nr 2 RdNr 8 ff).
Auch die weiteren Verfahrensrügen der Kläger zu 3) und 4) sind nicht hinreichend begründet. Sie rügen, ihre Berufungen seien
zulässig gewesen, weil sie durch das Urteil des SG beschwert gewesen seien. Insoweit ergibt sich aus ihren Ausführungen, dass das Urteil des SG nicht zu ihnen als Beteiligte ergangen ist. Inwieweit sie das beschwert und eine Beschwer noch beim LSG fortgewirkt hat,
legen sie indes nicht dar; Ausführungen des Klägers zu 4) zu einer belastenden Entscheidung des Beklagten oder Fehlern im
Verwaltungsverfahren genügen hierfür nicht. Soweit die Kläger zu 3) und 4) geltend machen, das SG habe die von der Klägerin und dem Kläger zu 2) erhobenen Klagen so auslegen müssen, dass sie auch von ihnen erhoben worden
seien, berufen sie sich zwar auf das Urteil des BSG vom 7.11.2006 (B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1). Sie meinen, ein Teil des von einer streitbefangenen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung erfassten Zeitraums liege innerhalb
der dort genannten Übergangszeit. Dabei übersehen sie, dass der im Urteil des BSG genannte Zeitpunkt nur Bedeutung für die Auslegung von bis dahin in einem Gerichtsverfahren gestellten Anträgen hat und keinen
den Gegenstand angefochtener Entscheidungen erfassenden Rückbezug zulässt. Deshalb ist ein von ihnen gerügter Verfahrensmangel
nicht schlüssig bezeichnet. Dass das SG auf eine erforderliche Einbeziehung der Kläger zu 3) und 4) hätte hinweisen müssen (§
106 Abs
1 SGG) ist nach ihren Vorbringen ebenfalls nicht schlüssig dargetan. Denn der Kläger zu 4) trägt vor, Aufhebungs- und Erstattungsbescheide
seien nicht an die Eltern als gesetzliche Vertreter adressiert gewesen. Woraus sich dann für das SG bis zum Ablauf der Klagefrist Anhaltspunkte dafür hätten ergeben sollen, dass die Erhebung einer Klage nicht nur für die
Klägerin und den Kläger zu 2) sachdienlich sein könnte, legt die Beschwerdebegründung nicht dar. Soweit der Kläger zu 4) vorbringt,
das LSG habe seine Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht gesondert verfügt und das sei ein absoluter Revisionsgrund iS von
§
202 Satz 1
SGG iVm §
547 Nr 4
ZPO, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang seines Vorbringens jedenfalls, dass die Klägerin und der Kläger zu 2) als seine gesetzlichen
Vertreter geladen worden sind und an der Verhandlung teilgenommen haben (vgl BVerwG vom 1.12.1982 - 9 C 486.82 - BVerwGE 66, 311).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.