Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage zum
Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs wegen arbeitsvertragswidrigen Verhaltens in einem kirchlichen Arbeitsverhältnis
Gründe:
I
Streitig ist, ob der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Juli 2003 bis zum 22. September
2003 wegen des Eintritts einer 12-wöchigen Sperrzeit geruht hat.
Die Klägerin war vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 2003 als Hausangestellte im klinischen Wirtschaftsdienst des St. J. -Krankenhauses,
Z., beschäftigt. Träger des Krankenhauses ist der "... e.V.", der dem Deutschen Caritas-Verband angeschlossen ist.
Die Klägerin trat zum 17. Januar 2003 aus der Kirche aus. Der ehemalige Arbeitgeber erfuhr hiervon am 23. Januar 2003 durch
Vorlage der Lohnsteuerkarte. Die Klägerin lehnte die Aufforderung des Arbeitgebers ab, den Austritt rückgängig zu machen.
Daraufhin kündigte der Arbeitgeber der Klägerin am 27. Januar 2003 mit sofortiger Wirkung. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage
beim Arbeitsgericht K. In der Güteverhandlung schlossen die Beteiligten am 11. März 2003 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis
auf Grund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung aus ausschließlich personenbedingten Gründen und in Wahrung der maßgeblichen
Kündigungsfrist mit Ablauf des 30. Juni 2003 ende.
Die Beklagte stellte auf die Arbeitslosmeldung der Klägerin mit Bescheid vom 23. Juni 2003 das Ruhen des Leistungsanspruchs
wegen des Eintritts einer Sperrzeit für die Zeit vom 1. Juli bis 22. September 2003 fest (Widerspruchsbescheid vom 8. September
2003).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Alg bereits ab dem 1. Juli 2003 zu
zahlen (Urteil vom 24. März 2005). Das SG hat angenommen, die Klägerin habe einen wichtigen Grund für ihr Verhalten gehabt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. März 2006): Die Klägerin habe sich durch ihren Austritt aus der Kirche
arbeitsvertragswidrig verhalten. Sie habe auch keinen wichtigen Grund im Sinne des Gesetzes. Selbst wenn sich die Klägerin
auf das Grundrecht des Art
4 Abs
1 Grundgesetz (
GG) berufen könne, sei die Entscheidung rechtmäßig. Die Güterabwägung führe hier zu dem Ergebnis, dass die der Klägerin im Gemeinschaftsinteresse
abzufordernde Pflicht zur Entlastung der Solidargemeinschaft schwerer wiege als ihr Interesse an einer folgenlosen Verwirklichung
ihrer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit auch im Berufsleben. Wegen der sachgerechten Belange der Versichertengemeinschaft
sei unter wenigstens zeitweiser Zurückstellung der eigenen Interessen grundsätzlich ein anderes Verhalten zumutbar. So liege
es auf der Hand, dass der Arbeitnehmer zunächst versuchen müsse, im Rahmen des Arbeitsverhältnisses eine Lösung seiner Konfliktlage
anzustreben. Dem Arbeitnehmer sei es ferner grundsätzlich zuzumuten, unter Aufrechterhaltung des bisherigen Arbeitsverhältnisses
zunächst die Suche nach einem anderen Arbeitsverhältnis zu betreiben. Die Würdigung könne jedoch auch dazu führen, dass die
Belange der Versichertengemeinschaft ohne weiteres zurückzutreten hätten. Dies wäre hier der Fall, wenn die Klägerin bei Verrichtung
ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit verpflichtet gewesen wäre, die Glaubenslehre der katholischen Kirche aktiv
zu vertreten oder sie an kirchlichen Ritualen hätte teilnehmen müssen. Ihre tägliche Arbeit habe die Klägerin auch nicht ansatzweise
dazu gezwungen, entgegen ihrer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit zu handeln.
Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Sie macht geltend, die
Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, wie bei der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
vom 4. Juli 1985 (BVerfGE 70, 138) vorzunehmenden zweistufigen Prüfung ein Kirchenaustritt bei "einfachen" Arbeitsverhältnissen sozialrechtlich zu bewerten
sei, sei bisher auch nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Februar 1987 (BSGE 61, 158 = SozR 4100 § 119 Nr 30) nicht geklärt. Nach der Entscheidung des BVerfG sei in der ersten Stufe zu prüfen, ob nach dem Selbstverständnis
der Kirche im konkreten Fall eine - arbeitsrechtlich abgesicherte - Loyalitätspflicht einerseits und eine Loyalitätspflichtverletzung
andererseits des kirchlichen Arbeitnehmers vorliege und wie schwer die Loyalitätspflichtverletzung wiege. Vor dem Hintergrund
einer arbeitsrechtlichen Prüfung des kirchlichen Selbstverständnisses sei es ausgeschlossen, dass der Kirchenaustritt eines
einfachen Arbeiters arbeitsgerichtlich eine Kündigungsrechtfertigung hätte erfahren können. Jedenfalls auf Grund der in der
zweiten Stufe zusätzlich vorzunehmenden Interessenabwägung scheide eine Kündigung aus.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache in einer den Begründungsanforderungen des
§
160a Abs
2 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) noch entsprechenden Weise dargelegt.
Die Beschwerde ist auch begründet. Der sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen anzunehmen ist,
dass der Arbeitnehmer iS des Sperrzeittatbestandes bei Arbeitsaufgabe bei einem "kirchlichen Arbeitsverhältnis" durch ein
arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder
grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ist im vorliegenden Verfahren klärungsbedürftig und klärungsfähig.
Das LSG hat diese Frage (zu Unrecht) nicht problematisiert, sondern allein auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes abgestellt.
Es hat insoweit Rechtsprechung des BSG ausgewertet, die sich aber auf die Ablehnung eines Arbeitsangebots (BSGE 51, 70, 72 = SozR 4100 § 119 Nr 13; SozR 4100 § 119 Nr 19) bzw auf die Aufgabe eines Arbeitsplatzes (BSG SozR 4100 § 119 Nr 30)
bezieht und aus diesem Grunde nicht einmal zum Merkmal des wichtigen Grundes in vollem Umfang übertragen werden kann.
Demgegenüber weist die Beschwerdebegründung zutreffend darauf hin, dass die Frage, ob der Kirchenaustritt bei einem "einfachen
Arbeitnehmer" (hier: Hausangestellte im klinischen Wirtschaftsdienst) sperrzeitrechtlich als arbeitsvertragswidriges Verhalten
zu bewerten ist, der Vertiefung bedarf (vgl zur Problematik etwa der Überblick bei Kania in Küttner, Personalbuch, 13. Aufl
2006, Kirchenarbeitsverhältnis RdNrn 7 - 9). Der Beschwerdebegründung kann insoweit nicht vorgeworfen werden, dass sie hinsichtlich
der Darstellung der vorzunehmenden (zweistufigen) Prüfung lediglich von der Entscheidung des BVerfG vom 4. Juni 1985 (BVerfGE
70, 138) mit Anmerkung von Weber (NJW 1986, 370) ausgeht und die arbeitsrechtliche Rechtsprechung nicht einbezieht. Dies erscheint schon im Hinblick darauf nicht zwingend
erforderlich, dass für die Arbeitsgerichte das Erfordernis einer Differenzierung zwischen einer verhaltens- und einer personenbedingten
Kündigung nicht besteht (vgl BSG SozR 4-4300 § 144 Nr 2) und zudem neuere Urteile des Bundesarbeitsgerichts, mit denen die
vorliegende Fragestellung ohne weiteres beantwortet werden könnte, nicht ersichtlich sind.
Die erforderliche Breitenwirkung und die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage liegen nahe, so dass die Ausführungen hierzu
ebenfalls ausreichen dürften.