Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen wegen einer weiteren geringfügigen Beschäftigung einer Rechtsanwaltsgehilfin
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen
für die Zeit vom 1.7.2014 bis zum 15.5.2015 wegen der geringfügigen Beschäftigung seiner Rechtsanwaltsgehilfin.
Diese arbeitete seit 1.7.2014 samstags im Umfang von 3 bis 5 Wochenstunden beim Kläger, daneben in einem weiteren zuvor begonnenen
geringfügigen Beschäftigungsverhältnis und ging außerdem einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung nach. Die
Beklagte forderte den Kläger auf, die Rechtsanwaltsgehilfin ab 1.5.2015 als versicherungspflichtig beschäftigt anzumelden.
Der zweite Minijob neben einer Hauptbeschäftigung werde mit dieser zusammengerechnet und sei in der Kranken-, Renten- und
Pflegeversicherung versicherungspflichtig (Bescheid vom 28.4.2015). Schließlich stellte sie das rückwirkende Bestehen von Versicherungspflicht für die Zeit vom 1.7.2014 bis zum 15.5.2015 fest,
weil der Kläger trotz schriftlicher Aufforderung den Rückantwortbogen bzw die nach § 8 Abs 2 Nr 7 der Beitragsverfahrensverordnung (BVV) geforderten Nachweise grob fahrlässig nicht eingereicht habe (Bescheid vom 6.7.2015; Widerspruchsbescheid vom 13.1.2016).
Das SG hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben. Ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers könne nicht festgestellt werden. Die
Rechtsanwaltsgehilfin sei davon ausgegangen, dass sie eine weitere Beschäftigung nicht angeben müsse, weil beide geringfügigen
Beschäftigungen zusammengerechnet unter 450 Euro geblieben seien. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass auch
bei einer ausreichenden Nachfrage und Dokumentation durch den Kläger eine Fehlbeurteilung der Sozialversicherungspflicht unterblieben
wäre (SG Urteil vom 2.10.2019). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe den Sachverhalt nicht in hinreichender Weise aufgeklärt und damit grob
fahrlässig gehandelt. Dies zeige sich in der gänzlich unzureichenden Dokumentation. Er habe entgegen § 8 Abs 2 Nr 7 BVV unterlassen, eine Erklärung des geringfügig entlohnten Beschäftigten über weitere Beschäftigungen sowie eine Bestätigung
über die Anzeigepflicht zu den Entgeltunterlagen zu nehmen. Die Beschäftigte habe auf dem Vordruck des Personalfragebogens
keine falschen, sondern gar keine Angaben gemacht. Der Kläger habe es daher grob fahrlässig versäumt, die Beschäftigte zu
den erforderlichen Angaben zu veranlassen. Diese Verletzung der Aufklärungspflicht sei auch kausal für die unzutreffende versicherungsrechtliche
Beurteilung (LSG Urteil vom 29.4.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Wird geltend gemacht, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung
erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen
kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann eine Beschwerde nur gestützt werden, wenn sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf einen
Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Der Kläger rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
106 SGG). Das LSG hätte zur Aufklärung des Sachverhalts die Mitarbeiterin insbesondere auch zu den Umständen ihres Schweigens befragen
müssen. Es könne nicht Pflicht des Arbeitgebers sein, den Sachverhalt aufzuklären. Das weitere Beschäftigungsverhältnis sei
der sozialversicherungsrechtlichen Stelle ohnehin bekannt. Außerdem würde die Beschäftigte in den beiden Beschäftigungsverhältnissen
die Grenze von 450 Euro gar nicht erreichen.
Für eine zulässige Sachaufklärungsrüge fehlt es insoweit bereits an der Bezeichnung eines entsprechenden prozessordnungsgemäßen
Beweisantrags iS von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG. Allein der Hinweis auf eine unterlassene Aufklärung des LSG genügt nicht. Außerdem hat der bereits im Berufungsverfahren
anwaltlich vertretene Kläger nicht aufgezeigt, dass er einen entsprechenden Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung
durch Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder dass das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (vgl zur Warnfunktion des aufrechterhaltenen Beweisantrags für das Gericht zB BSG Beschluss vom 5.1.2022 - B 1 KR 15/21 B - juris RdNr 5 mwN). Der Senat ist nicht verpflichtet, den Kläger vor einer Entscheidung auf Mängel oder Ergänzung der Beschwerdebegründung hinzuweisen.
Das Gesetz unterstellt vielmehr, dass ein Rechtsanwalt auch ohne Hilfe des Gerichts in der Lage ist, eine Nichtzulassungsbeschwerde
formgerecht zu begründen (vgl BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - juris RdNr 7).
2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über
den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung
durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung
ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des §
162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und
des Schrifttums auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich
ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, "welche Pflichten insbesondere §
8 SGB IV anordnet und in welchen Konstellationen §
8 SGB IV überhaupt Anwendung findet". Insbesondere stelle sich hier die Frage, "ob überhaupt Rechtsraum besteht für eine entsprechende
rückwirkende Versicherungspflicht, wenn die Minijobaddition 450,00 € nicht übersteigt, egal, bei wie vielen Arbeitgebern die
Leistungen des Arbeitnehmers erbracht werden". Der Wortlaut des §
8 SGB IV sei nicht klar und zielgerichtet formuliert. Es bedürfe einer einheitlichen Rechtsprechung.
Der Kläger hat insoweit schon keine hinreichend klaren abstrakten Rechtsfragen zur Auslegung und zum Anwendungsbereich einer
konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§
162 SGG) oder zu deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert. Die Bezeichnung einer bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit
das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).
Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit fehlen ebenfalls. Eine Beschwerdebegründung hat dazu auszuführen, inwiefern die gestellte
Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen,
den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 12). Der Kläger setzt sich aber schon nicht mit dem Wortlaut der Norm substantiiert auseinander, sondern behauptet pauschal dessen
Unklarheit.
Abgesehen davon hat der Kläger die Klärungsfähigkeit nicht dargetan. Denn er hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt,
dass die Voraussetzungen für eine ihm günstige Auslegung nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG
gegeben (§
163 SGG) wären und der Senat darauf eine Entscheidung stützen könnte. Insoweit fehlt es schon an Angaben zur festgestellten konkreten
Höhe der erzielten Entgelte - sowohl bei der Beschäftigung beim Kläger als auch in der weiteren geringfügigen Beschäftigung.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a SGG iVm §
154 Abs
2 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren ist entsprechend der Festsetzung des LSG gemäß §
197a Abs
1 Halbsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz in Höhe des Auffangstreitwerts von 5000 Euro festzusetzen.