Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Aufnahme der Klägerin
in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die 1948 geborene Klägerin ist am 1.11.1978 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen und als Vertriebene anerkannt.
Sie war bis 1987 bei gesetzlichen Krankenkassen und von 1988 bis 1995 privat krankenversichert. Vom 24.4.2008 bis zum 31.3.2013
war sie Mitglied der Beklagten. Zum 1.4.2013 wechselte sie zur H Krankenkasse (HEK).
Im September 2012 beantragte sie eine Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die Aufnahme in die
KVdR. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Aufnahme in die KVdR ab (Bescheide vom 3.9.2015 und vom 26.10.2015) und wies den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie sei seit ihrer Einreise nach Deutschland bis zur Rentenantragstellung nicht
mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums gesetzlich krankenversichert gewesen. Von der Vorversicherungszeit
seien Vertriebene nach §
5 Abs
1 Nr
12 SGB V nur befreit, wenn sie innerhalb der letzten 10 Jahre vor der Rentenantragstellung ihren Wohnsitz in das Inland verlegt hätten.
Da für die Zeit vom 11.10.1995 bis zum 23.4.2008 keine Versicherungszeit in einer gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen
sei, habe die Klägerin die notwendige Vorversicherungszeit nicht erfüllt (Widerspruchsbescheid vom 1.9.2016).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 8.3.2021). Das LSG hat ihre Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, die Klägerin habe für die Zeit ihrer Versicherung bei der Beklagten
die für eine Aufnahme in die KVdR notwendige Vorversicherungszeit nicht erfüllt. Dies gelte selbst dann, wenn nicht auf das
Datum des Zuzugs in die Bundesrepublik Deutschland, sondern auf die erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit am 1.7.1966
in ihrem Herkunftsland Polen abzustellen sei. In der dann im Jahr 1989 beginnenden zweiten Hälfte des Zeitraums bis zur Rentenantragstellung
sei die Klägerin etwa 19 Jahre lang nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen, sodass sie auch bei
dieser Berechnung die erforderlichen 9/10tel nicht erreiche. Gleiches gelte, wenn auf den weiteren Rentenantrag der Klägerin
aus dem Jahr 2013 abgestellt werde. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die maßgeblichen Vorschriften bestünden nicht (Urteil vom 13.10.2021).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung
erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen
kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 16, 16c mwN).
Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
a) Die Klägerin rügt die unterlassene Beiladung der HEK sowie der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Unabhängig
davon, ob eine Beiladung insoweit notwendig iS von §
75 Abs
2 SGG gewesen wäre, ist jedenfalls nichts dafür vorgetragen, dass die Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen
könnte. In der Beschwerdebegründung ist aber - ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG - die Möglichkeit aufzuzeigen, dass
das LSG eine für die Klägerin günstigere Entscheidung hätte treffen können (vgl zB BSG Beschluss vom 27.6.2018 - B 6 KA 54/17 B - juris RdNr 18). Grundsätzlich kann mit einer Klage nur eine Verletzung eigener subjektiver Rechte geltend gemacht werden. Es ergibt sich
aber aus den Darlegungen bereits nicht, welche Rechte der Klägerin durch eine unterbliebene Beiladung der DRV Bund oder der
HEK verletzt sein könnten. Eine Beiladung dient grundsätzlich vor allem dem Interesse des Beigeladenen (vgl hierzu B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
75 RdNr 3).
b) Soweit die Klägerin eine Verletzung der §§
110,
112 SGG rügt, weil sie nicht ordnungsgemäß zum Verhandlungstermin geladen worden sei, ist ein Verfahrensmangel nicht substantiiert
bezeichnet. Die Klägerin führt zwar aus, sie habe die Berufung unter ihrer Saarbrücker Postfachadresse erhoben. Sie zeigt
aber nicht hinreichend auf, weshalb sie Frau K nicht als Zustellungsbevollmächtigte eingesetzt haben soll, nachdem sie diese
gebeten hatte, Post in Empfang zu nehmen. Deren Adresse wurde dem Gericht mitgeteilt und unter dieser Anschrift ist - auch
nach dem Vortrag der Klägerin - erfolgreich zugestellt worden.
2. Hinsichtlich der geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §
5 Abs
1 Nr
11 und
12 SGB V wird schon nicht deutlich, welcher Zulassungsgrund insoweit gerügt wird.
Zwar wird in der Beschwerdebegründung folgende Frage aufgeworfen: "Ist es vor dem Gleichheitsgrundsatz gerechtfertigt, dass
die Zugangsvoraussetzungen für die Krankenversicherung der Rentner in §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V nur an die zweite Hälfte der Berufstätigkeit anknüpfen, oder verstößt es gegen Art.
3 Abs.
1 GG, dass Personen, die während der überwiegenden Zeit ihrer Erwerbsbiographie gesetzlich krankenversichert waren, im Verhältnis
zu Personen, die nur während der zweiten Hälfte der Erwerbstätigkeit 90 % der Zeit und damit insgesamt lediglich 45 % ihrer
Zeit der Erwerbstätigkeit gesetzlich versichert waren, dadurch benachteiligt werden, dass sie nicht in die Krankenversicherung
der Rentner aufgenommen werden können?"
Mit der Beschwerdebegründung wird aber die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht hinreichend dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage
aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung
einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf und fähig ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen,
welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des §
162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und
des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und im angestrebten Revisionsverfahren
zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall
hinausgehende Breitenwirkung zukommt (BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).
Soweit die Klägerin mit der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der Zugangsvoraussetzungen zur KVdR eine Rechtsfrage zur
Vereinbarkeit von Bundesrecht mit höherrangigem Recht aufstellt, ist deren notwendige Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend
dargetan. Wird die Beschwerde mit einem Grundrechtsverstoß begründet, hat sie unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur
und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzeigen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; ferner zB BSG Beschluss vom 8.12.2008 - B 12 R 38/07 B - juris RdNr 7 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen
Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die Beschwerdebegründung darf sich im Fall einer aufgeworfenen
verfassungsrechtlichen Frage nicht darauf beschränken, die Verfassungswidrigkeit zu behaupten und die als verletzt angesehenen
Normen des
Grundgesetzes zu benennen (BSG Beschluss vom 30.4.2015 - B 10 EG 17/14 B - juris RdNr 5 mwN).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Das Vorbringen der Klägerin erschöpft sich darin, einen Verstoß
gegen den Gleichheitssatz nach Art
3 Abs
1 GG zu behaupten und auf die Rechtsprechung des BVerfG hinzuweisen (BVerfG Beschluss vom 15.3.2000 - 1 BvL 16/96 - BVerfGE 102, 68), nach welcher der Ausschluss von Mitgliedern der GKV von der KVdR unvereinbar mit Art
3 Abs
1 GG sei, wenn sie die Vorversicherungszeit nicht auf Grund einer Pflichtversicherung erfüllen. Dieser Vortrag wird den Anforderungen
an eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes und seiner Ausprägung durch das BVerfG ersichtlich
nicht gerecht.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.