Vergütung für stationäre Krankenhausbehandlung
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte B (im Folgenden: die Versicherte) wurde aufgrund einer hochgradigen Fußheberparese
linksseitig nach Subarachnoidalblutung mit assoziierter interzerebraler Blutung und daraus resultierender halbseitiger Lähmung
in der Zeit vom 13. bis 17.2.2013 im nach §
108 SGB V zugelassenen Universitätsklinikum der Klägerin stationär behandelt und mit einem zu implantierenden ActiGait®-Neurostimulator-System
(AGS) versorgt. Die Klägerin stellte der Beklagten hierfür 22.438,99 Euro in Rechnung (DRG B17B Zusatzentgelt 7609086D <andere Neurostimulatoren und Neuroprothesen>). Die Beklagte verweigerte die Bezahlung ohne (erneute) Beauftragung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK)
unter Verweis auf eine dem stationären Aufenthalt vorangegangene Ablehnung der Kostenübernahme gegenüber der Versicherten
und das in diesem Zusammenhang erstellte MDK-Gutachten. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung von 22.438,99 Euro nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 9.8.2017). Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das LSG zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte unterliege
mit dem Einwand einer primären Fehlbelegung einem umfassenden Einwendungsausschluss, da sie das Prüfverfahren nicht ordnungsgemäß
innerhalb der gesetzlichen Fristen durchgeführt habe. Die Rechnung der Klägerin habe keine offensichtlich unrichtigen Angaben
enthalten und es hätten auch keine notwendigen Angaben nach §
301 SGB V gefehlt. Aufgrund dessen unterliege die Beklagte einem Einwendungsausschluss nach §
275 Abs
1c Satz 2
SGB V (aF) mit der Folge, dass die gerichtliche Amtsermittlungspflicht begrenzt sei und das Gericht hinsichtlich der beigezogenen
Patientenakte der Klägerin im Hinblick auf die Beurteilung der Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung einem Beweisverwertungsverbot
unterliege. Dabei komme es nicht darauf an, dass der MDK bereits zu einer vorangegangenen Zeit mit der sozialmedizinischen
Beurteilung gegenüber der Versicherten beteiligt worden sei (Urteil vom 19.1.2021).
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des
BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar
sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG <Dreierausschuss> vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das
Recht angewendet hat; dies hat der Beschwerdeführer schlüssig darzulegen (vgl zB BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 72/18 B - juris RdNr 8). Daran fehlt es hier.
a) Die Beklagte bezeichnet als Rechtssatz des LSG:
"Mit dem Einwand einer primären Fehlbelegung unterliegt die Beklagte einem umfassenden Einwendungsausschluss, da sie das erforderliche
Prüfverfahren nicht ordnungsgemäß innerhalb der gesetzlichen Frist durchgeführt hat."
Dem stellt sie folgenden Rechtssatz des BSG gegenüber (vgl BSG vom 19.4.2016 - B 1 KR 33/15 R - BSGE 121, 101 = SozR 4-2500 § 109 Nr 57, RdNr 21):
"… Der ungenutzte Ablauf der Sechs-Wochen-Frist des §
275 Abs.
1c S. 2
SGB V bewirkt schon vom rechtlichen Ansatz her keinen Einwendungsausschluss (BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1, RdNr 39 mwN). Er führt lediglich dazu, dass KK und MDK bei einzelfallbezogenen Auffälligkeitsprüfungen
nach Ablauf der Frist auf die Daten beschränkt sind, die das Krankenhaus der KK im Rahmen seiner Informationsobliegenheiten
bei der Krankenhausaufnahme und zur Abrechnung - deren vollständige Erfüllung vorausgesetzt - jeweils zur Verfügung gestellt
hat (vgl BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1, RdNr 39 mwN; BSG SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 28 mwN). Dies hindert das Krankenhaus nach Fristablauf nicht daran, dem MDK angeforderte Sozialdaten aus freien
Stücken zur Verfügung zu stellen. Es ist bloß berechtigt, entsprechende Anforderungen zu verweigern und ggf. abzuwehren. Ebenso
bleibt das Recht der KK unberührt, für eine Prüfung andere zulässige Informationsquellen zu nutzen (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 33, 35). Der ungenutzte Ablauf der Frist des §
275 Abs.
1c S. 2
SGB V hindert hingegen die KKn nicht, die Abrechnung des Krankenhauses auf dieser Grundlage wegen Auffälligkeit zu prüfen. Das
Recht der KKn, die Abrechnung sachlich und rechnerisch zu prüfen, bleibt gänzlich unberührt."
b) Bei dem bezeichneten Rechtssatz des LSG handelt es sich schon nicht um einen abstrakten Rechtssatz, sondern um das vorweggenommene
Ergebnis der rechtlichen Würdigung in Bezug auf den entschiedenen Einzelfall.
Zwar kann eine die Revisionszulassung rechtfertigende Divergenz auch darin liegen, dass das LSG von einer Entscheidung ua
des BSG abgewichen ist, indem es einen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden abstrakten Rechtssatz nur sinngemäß
und in scheinbar fallbezogene Ausführungen gekleidet entwickelt hat (vgl BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13 mwN). Hierfür genügt es aber nicht, dass sich der Rechtssatz erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis
herleiten lässt, sondern das Ergebnis muss deduktiv aus dem Rechtssatz folgen, der in der Entscheidung zweifellos enthalten
ist (vgl BSG vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45 = juris RdNr 12; BSG vom 19.12.2011 - B 12 KR 42/11 B - juris RdNr 8; BSG vom 13.11.2017 - B 10 ÜG 15/17 B - juris RdNr 7). In der Beschwerdebegründung ist deshalb darzulegen, dass sich aus den Ausführungen des Berufungsurteils unzweifelhaft der
sinngemäß zugrunde gelegte abstrakte Rechtssatz schlüssig ableiten lässt, den das LSG als solchen auch tatsächlich vertreten
wollte (vgl BSG vom 20.3.2019 - B 1 KR 7/18 B - SozR 4-1500 § 65a Nr 5 RdNr 14). Daran fehlt es vorliegend.
Die Beklagte führt selbst aus, dass das LSG im Rahmen seiner abstrakten rechtlichen Ausführungen (S 7 des Urteilsabdrucks) den - vermeintlich - divergierenden Rechtssatz des BSG (unter Verweis auf BSG vom 13.11.2012 - B 1 KR 24/11 R - BSGE 112, 141 = SozR 4-2500 § 275 Nr 8) ausdrücklich zitiert. Sie meint aber, dass das LSG diesen Rechtssatz "schlussendlich jedoch ignoriert" und von einem umfassenden
Einwendungsausschluss ausgehe, indem es allein auf "die § 301-Daten" abstelle und sämtliche Einwendungen der Beklagten unberücksichtigt
lasse, unabhängig davon, auf welchen Informationsquellen diese beruhen und auch unabhängig von der konkreten Zurverfügungstellung
der Information.
Allerdings hat der vom LSG angenommene "Einwendungsausschluss" nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (lediglich)
zur "Folge, dass die gerichtliche Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG begrenzt ist und das Gericht hinsichtlich der beigezogenen Patientenakte der Klägerin im Hinblick auf die Beurteilung der
Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung einem Beweisverwertungsverbot unterliegt". Das LSG beruft sich hierzu ua auf die
Entscheidung des BSG vom 16.5.2012 - B 3 KR 14/11 R - (BSGE 111, 58 = SozR 4-2500 §
109 Nr
24). Nach dieser Entscheidung bewirkt §
275 Abs
1c Satz 2
SGB V aF gerade keinen Einwendungsausschluss (BSG aaO RdNr 17), sondern lediglich eine in das Gerichtsverfahren fortwirkende Begrenzung der Sachverhaltsermittlung auf der dritten Stufe
der Abrechnungsprüfung. Diese hat im Gerichtsverfahren ua zur Folge, dass das Gericht von sich aus keine weiteren Behandlungsunterlagen
beiziehen und zu Unrecht beigezogene Unterlagen weder selbst verwerten noch dem MDK zur Auswertung zur Verfügung stellen darf
(BSG aaO RdNr 21 ff). Inwiefern sich der LSG-Entscheidung danach unzweifelhaft entnehmen lassen sollte, dass §
275 Abs
1c Satz 2
SGB V aF einen umfassenden Einwendungsausschluss bewirke, legt die Beklagte nicht schlüssig dar.
c) Die Beklagte legt auch nicht hinreichend dar, dass das Berufungsurteil auf der gerügten Divergenz beruht.
Eine entscheidungserhebliche Divergenz liegt nur dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung bei Zugrundelegung des Rechtssatzes,
von dem angeblich abgewichen ist, anders hätte ausfallen müssen (vgl BSG vom 19.2.2013 - B 5 RS 59/12 B - BeckRS 2013, 67604 RdNr 14; BSG vom 17.5.2021 - B 1 KR 5/20 B - juris RdNr 4 mwN). An ausreichenden Darlegungen hierzu fehlt es.
Nach der Rspr des BSG, auf die sich auch die Beklagte beruft, bleiben auch nach einem ungenutzten Ablauf der Sechs-Wochen-Frist gemäß §
275 Abs
1c Satz 2
SGB V aF Sozialdaten verwertbar, die das Krankenhaus dem MDK aus freien Stücken zur Verfügung stellt. Ebenso bleibt das Recht der
Krankenkasse unberührt, für eine Auffälligkeitsprüfung andere zulässige Informationsquellen zu nutzen (BSG vom 19.4.2016 - B 1 KR 33/15 R - BSGE 121, 101 = SozR 4-2500 § 109 Nr 57, RdNr 21).
Die Beklagte hat jedoch nicht hinreichend dargelegt, dass die Klägerin die Behandlungsunterlagen "aus freien Stücken" an sie,
den MDK oder das Sozialgericht übersandt hat oder aus welchen sonstigen Informationsquellen sich die fehlende Notwendigkeit
der stationären Behandlung vorliegend ergeben sollte. Sie hat lediglich pauschal behauptet, die Klägerin habe die Behandlungsunterlagen
im Gerichtsverfahren freiwillig vorgelegt, ohne die genaueren Umstände der Vorlage darzulegen.
Sofern die Beklagte in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, von einer fehlenden Freiwilligkeit könne nur ausgegangen
werden, wenn das Krankenhaus der Vorlage oder der weiteren Sachverhaltsermittlung ausdrücklich widerspreche, setzt sie sich
zudem nicht mit der Rspr des BSG auseinander, wonach sich aus §
275 Abs
1c Satz 2
SGB V aF ein Beweisverwertungsverbot jedenfalls für solche Beweismittel ergibt, die vom Krankenhaus nur auf besondere gerichtliche
Aufforderung zur Verfügung gestellt werden (vgl BSG vom 16.5.2012 - B 3 KR 14/11 R - BSGE 111, 58 = SozR 4-2500 § 109 Nr 24, RdNr 30).
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.