Disziplinarmaßnahme wegen Verletzung vertragszahnärztlicher Behandlungspflichten
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Unterbliebene Mitteilung eines Verhandlungstermins
Gründe:
I
Der Kläger, der als Zahnarzt für Kieferorthopädie zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen ist, wendet sich gegen
eine Disziplinarmaßnahme.
Die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) forderte ua auf Eingaben von Krankenkassen von dem Kläger in sechs Behandlungsfällen
die Behandlungsdokumentationen an. Nach Übersendung und Auswertung verhängte der Vorstand der Beklagten eine Geldbuße in Höhe
von 2500 Euro wegen Verletzung vertragszahnärztlicher Behandlungspflichten (Bescheid vom 22.7.2016). Der Kläger habe kieferorthopädische
Leistungen entgegen der geltenden Rechtslage von einer Genehmigung der Krankenkasse abhängig gemacht. Nach Widerspruch des
Klägers und mündlicher Verhandlung setzte die Beklagte durch den bei ihr gebildeten Disziplinarausschuss die Geldbuße auf
2000 Euro fest (Bescheid vom 7.4.2017).
Klage und Berufung blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des SG vom 4.9.2017, Urteil des LSG vom 24.10.2018). Zu dem Verhandlungstermin vor dem LSG ist der Kläger nicht erschienen. Das
LSG hat ausgeführt, der Senat habe in Abwesenheit des Klägers entscheiden können, da dieser auf diese Möglichkeit in der Ladung
hingewiesen worden sei. Die Ladung und die Umladung seien dem Kläger ordnungsgemäß zugestellt worden, wie sich aus den Postzustellungsurkunden
vom 31.7.2018 (ursprüngliche Ladung zum Termin am 5.9.2018), vom 14.8.2018 (Umladung zum Termin am 24.10.2018) und vom 5.9.2018
(nochmalige Übersendung der Umladung) ergebe. Die Weigerung der Fortsetzung der kieferorthopädischen Behandlungen wegen fehlender
Genehmigung durch die Krankenkassen, welche rechtlich gerade nicht vorgesehen sei, sei als sanktionswürdiger Pflichtverstoß
zu werten. In einem Verfahren des Klägers habe das BSG (Beschluss vom 20.3.2013 - B 6 KA 56/12 B - juris RdNr 8) bereits klargestellt, dass der Kläger mit zahnmedizinisch notwendigen Reparaturen nicht warten dürfe, bis
die Krankenkasse auf die Einleitung eines Prüfverfahrens verbindlich verzichtet habe.
Mit Beschluss vom 14.11.2018 hat das LSG den Antrag des Klägers vom 5.11.2018 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
Versäumens des Verhandlungstermins als unzulässig verworfen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger Verfahrensmängel geltend (Zulassungsgrund
gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
1. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor.
Der Kläger rügt mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde die Verletzung des rechtlichen Gehörs, da keine ordnungsgemäße Ladung
zu dem Verhandlungstermin am 24.10.2018 erfolgt sei. Sowohl der erste Umladungsversuch durch gerichtliche Verfügung vom 8.8.2018
(Postzustellungsurkunde vom 14.8.2018) als auch die erneute Mitteilung der Umladung durch gerichtliche Verfügung vom 3.9.2018
(Postzustellungsurkunde vom 5.9.2018) seien nicht wirksam gewesen. In der Postzustellungsurkunde vom 14.8.2018 sei angegeben,
dass man ihn in den Geschäftsräumen seiner Praxis nicht habe erreichen können und die Ladung an einen Herrn S. zugestellt
worden sei. Er beschäftige jedoch keinen Herrn S. Aus der Postzustellungsurkunde vom 5.9.2018 gehe hervor, dass der Postbedienstete
das Schreiben in einen "zur Wohnung" gehörenden Briefkasten oder ähnliche Vorrichtung eingelegt habe. Bei der Ladungsanschrift
handele es sich jedoch um die Anschrift seiner kieferorthopädischen Praxis.
a. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann. Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet es, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben,
sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern (BVerfG Beschluss vom 19.10.1977
- 2 BvR 566/76 - BVerfGE 46, 185; BSG Urteil vom 19.3.1991 - 2 RU 28/90 - SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 8, juris RdNr 12; BSG Urteil vom 22.8.2000 - B 2 U 15/00 R - SozR 3-1500 §
128 Nr 14 S 28, juris RdNr 13; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
62 RdNr 2). Grundsätzlich bedarf es keines weiteren Vortrags zum "Beruhen" der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler,
wenn ein Beschwerdeführer behauptet, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein (vgl BSG Beschluss vom 8.11.2005 - B 1 KR 76/05 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 4; BSG Beschluss vom 9.6.2004 - B 12 KR 16/02 B - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62). Wird einem Beteiligten ein vom Gericht anberaumter Verhandlungstermin nicht mitgeteilt,
reicht es wegen der besonderen Wertigkeit der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens vielmehr
aus, dass eine andere Entscheidung nicht auszuschließen ist, wenn der Betroffene Gelegenheit gehabt hätte, in der mündlichen
Verhandlung vorzutragen (BSG Urteil vom 22.9.1977 - 10 RV 79/76 - BSGE 44, 292, 295 = SozR 1500 § 124 Nr 2; BSG Beschluss vom 17.2.2010 - B 1 KR 112/09 B - juris RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 18.12.2012 - B 1 KR 90/12 B - juris RdNr 5).
b. Das LSG konnte ohne Verletzung rechtlichen Gehörs in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da der Kläger
ordnungsgemäß zum Termin unter Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens geladen worden war. Es kann dahinstehen, ob die Ladung
bereits mit Postzustellungsurkunde vom 14.8.2018 ordnungsgemäß erfolgt ist. Jedenfalls die Zustellungsurkunde vom 5.9.2018
erbringt vorliegend den vollen Beweis, dass dem Kläger die Ladung zum Termin im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in
den Briefkasten zugestellt worden ist.
aa. Die am 5.9.2018 erfolgte Zustellung der Terminladung ist entgegen der Auffassung des Klägers wirksam. Die Zustellungsurkunde
ist ordnungsgemäß erstellt worden. Sie enthält die nach §
182 Abs
2 ZPO erforderlichen Angaben über den Zustellungsvorgang und das Zustellungsdatum. Insbesondere ist der Grund angegeben, der die
Ersatzzustellung nach §
180 ZPO rechtfertigte (§
182 Abs
2 Nr
4 ZPO). Die Wirksamkeit der Zustellung wird nicht dadurch berührt, dass in der Zustellungsurkunde angegeben ist, dass das zuzustellende
Schriftstück in den "zur Wohnung" (statt "zum Geschäftsraum") gehörenden Briefkasten eingelegt worden sei. Selbst wenn es
sich bei dem Briefkasten an der Zustellungsadresse - wofür hier einiges spricht - um den geschäftlichen Praxisbriefkasten
des Klägers gehandelt hat, so wäre hierdurch weder die Zustellung unwirksam noch der Beweiswert der Zustellungsurkunde aufgehoben.
Vielmehr erbringt die Zustellungsurkunde den Beweis, dass die Einlegung in den einzigen an der Zustellungsadresse vorhandenen
Briefkasten des Klägers erfolgt ist.
Das Gesetz sieht in §
180 Satz 1
ZPO hinsichtlich der Einlegung in einen zur Wohnung oder zu einem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten keine Rangfolge oder unterschiedliche
Rechtsfolgen vor. Das Schriftstück kann danach im Wege der Ersatzzustellung in den Briefkasten einer Wohnung, eines Geschäftsraums
oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat.
Eine fehlerhafte Bezeichnung des Briefkastens würde sich im vorliegenden Fall auch nicht auf den Beweiswert der Urkunde nach
§
418 ZPO auswirken. Die Zuordnung des Briefkastens zu einem Geschäftsraum oder zu einer Wohnung gehört nicht zu den notwendigen Angaben
einer Postzustellungsurkunde gemäß §
182 Abs
2 Nr
4 ZPO (OLG Brandenburg Urteil vom 22.7.2009 - 3 U 105/08 - juris RdNr 33; VG Köln Urteil vom 13.3.2013 - 21 K 251/09 - juris RdNr 21 bis 23; Bayerischer VGH Beschluss vom 18.11.2008 - 4 ZB 08.958 - juris RdNr 14; VG des Saarlandes Beschluss vom 5.2.2016 - 3 L 11/16 - juris RdNr 7). Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen schreiben nicht vor, dass die über eine Ersatzzustellung nach
§
180 ZPO zu errichtende Urkunde Angaben darüber enthalten muss, ob es sich bei dem Briefkasten, in den das zuzustellende Schriftstück
eingelegt worden ist, um einen zur Wohnung oder um einen zum Geschäftsraum des Adressaten gehörenden Briefkasten handelt.
Weder §
182 Abs
2 ZPO, der den notwendigen Inhalt der Zustellungsurkunde bezeichnet, macht eine dahingehende Vorgabe noch §
180 ZPO, da Satz 1 den "zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten" unterschiedslos aufführt und vom Gesetz auch
keine unterschiedlichen Rechtsfolgen für die Fälle des Einlegens der Sendung in den zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden
Briefkasten vorgesehen sind. Wenn es hiernach keiner Beschreibung bedarf, in welchen Briefkasten das Schriftstück eingelegt
wurde (vgl BGH Urteil vom 10.11.2005 - III ZR 104/05 - juris RdNr 13; BFH Beschluss vom 6.10.2003 - VII B 12/03 - juris RdNr 9; s auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO, 77. Aufl 2019, §
180 RdNr 5; Marx in Prütting/Gehrlein,
ZPO, 11. Aufl 2019, §
180 RdNr 2), ist es für die Beweiskraft der Zustellungsurkunde unerheblich, wenn eine gleichwohl aufgenommene Angabe den für
die Einlegung der Sendung verwendeten Briefkasten unzutreffend als zur "Wohnung" (statt zum "Geschäftsraum") gehörend kennzeichnet.
Es muss sich nur tatsächlich um die Geschäftsräume/Wohnung des Zustelladressaten handeln. Diesen Anforderungen genügt die
Postzustellungsurkunde vom 5.9.2018. Aus ihr gehen der Zustellungsadressat, der Zustellungsort, das Zustellungsdatum, die
Voraussetzungen für die Ersatzzustellung und der Name des Zustellers hervor.
Insbesondere aber befindet sich ausweislich des Vortrags des Klägers an der Zustellungsadresse B. Straße 2, nur ein einziger
Briefkasten des Klägers als Zustellungsadressaten. Der Briefkasten war dem Kläger damit eindeutig zuzuordnen (vgl auch BT-Drucks
14/4554 S 21). Über diese Post- und Zustellungsadresse erfolgte der gesamte gerichtliche Schriftverkehr. Da mithin nur in
einen Briefkasten des Klägers ersatzweise zugestellt werden konnte, ist der Kläger auch in Anbetracht des rechtlichen Gehörs
und effektiven Rechtsschutzes nicht in dem ihm obliegenden Nachweis erschwert, die Ladung nicht erhalten zu haben (vgl BGH
Urteil vom 10.11.2005 - III ZR 104/05 - juris RdNr 14). Wenn der Zustellungsadressat - wie hier - nur über eine Vorrichtung zum Postempfang verfügt, kann er unschwer
erkennen, welche Vorrichtung der Zusteller mit der Eintragung in die Urkunde gemeint hat, und seine Rechtsverfolgung und -verteidigung
hierauf einrichten.
bb. Aus der Beschwerdebegründung des Klägers ergibt sich kein Gegenbeweis. Gefordert wird nach §
418 Abs
2 ZPO der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit
der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen ausgeschlossen wird (BSG Beschluss vom 27.1.2005 - B 7a/7 AL 194/04 B - juris RdNr 5). Dieser Gegenbeweis erfordert den Beweis eines anderen als des
beurkundeten Geschehensablaufs, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde
belegt. Nicht ausreichend ist demgegenüber die bloße Behauptung, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, weil
es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen
und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (BFH Beschluss vom 10.11.2003 - VII B 366/02 - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 27.1.2005 - B 7a/7 AL 194/04 B - juris RdNr 5). Es ist schon nicht hinreichend dargetan, dass es sich bei dem
zum Zeitpunkt der Zustellung am 5.9.2018 unstreitig vorhandenen Briefkasten nicht um einen zum Geschäftsraum/zur Wohnung des
Klägers gehörenden Briefkasten oder "eine ähnliche Vorrichtung" gehandelt hat, die der Kläger für den Empfang seiner Post
eingerichtet hat.
cc. Auch aus dem Beschwerdevorbringen des Klägers, der Briefkasten sei in der Vergangenheit wiederholt durch Vandalismus beschädigt
oder sogar abgerissen worden, ergibt sich nichts anderes. Zwar hat sich der Zusteller grundsätzlich davon zu überzeugen, dass
sich der Briefkasten in einem ordnungsgemäßen Zustand befindet (§
180 Satz 1
ZPO; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
63 RdNr 14b). Allerdings trägt der Kläger nicht vor, dass der Briefkasten gerade zum Zeitpunkt der Zustellung am 5.9.2018 zur
sicheren Aufbewahrung ungeeignet gewesen sein soll.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO).
3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 1, Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanzen. Bei Verfahren der Anfechtung von Disziplinarmaßnahmen legt der Senat zunächst
den sog Regelwert zugrunde (vgl § 52 Abs 2 GKG) und erhöht diesen Betrag im Falle einer festgesetzten Geldbuße um deren Betrag (vgl BSG Beschluss vom 1.2.2005 - B 6 KA 70/04 B - SozR 4-1935 § 33 Nr 1 RdNr 8; BSG Beschluss vom 5.6.2013 - B 6 KA 7/13 B - juris RdNr 14).