Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der Kläger bezog eine Altersrente und daneben seit dem 1.3.2006 Grundsicherungsleistungen. Als Bedarf hat der beklagte Träger
der Sozialhilfe ua Zahlungsverpflichtungen aus einem mit seiner Stieftochter geschlossenen Mietvertrag über eine von ihm bewohnte
Wohnung in einem Mehrfamilienhaus berücksichtigt. Im Ergebnis von weiteren Ermittlungen im Jahr 2013 gelangte der Beklagte
zu der Auffassung, dass der Kläger selbst Pächter des mit diesem Wohnhaus bebauten Grundstücks sei. Er sei zudem Verfügungsberechtigter
des Kontos, auf das die Mietzahlungen der übrigen Mieter eingegangen seien. Von diesem Konto seien gegen ihn gerichtete Forderungen
gezahlt worden; Hilfebedürftigkeit habe nicht vorgelegen. Der Beklagte hob die Bewilligungen für die Zeit vom 1.3.2006 bis
30.11.2014 gestützt auf § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) auf und forderte Erstattung in Höhe von 28.681,44 Euro (Bescheid vom 24.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 9.7.2015). Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) Lübeck hat die Ehefrau des Klägers und die Stieftochter als Zeuginnen vernommen. Es hat sodann die Bescheide aufgehoben,
soweit der Beklagte Erstattung von mehr als 22.723,30 Euro verlangt hat, und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 7.8.2017). Im Berufungsverfahren hat der Kläger beantragt, die Stieftochter und deren Ehemann zu dem Beweisthema "Miet- und Eigentumsverhältnisse
der Objekte S in B" als Zeugen zu vernehmen. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat die Zeugin zu einem
Termin am 24.9.2020 zum genannten Beweisthema geladen und sie aufgefordert, ihre Einkommensbescheide 2006 bis 2014 sowie die
die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung betreffenden Anlagen zu den Steuererklärungen für die Jahre 2006 bis 2014 zur
Einsichtnahme in die mündliche Verhandlung mitzubringen. Der Kläger hat den Ehemann der Stieftochter im Termin zur mündlichen
Verhandlung zudem als Zeugen präsentiert. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass
er auf eine weitere Beweisaufnahme verzichte, weil die noch anstehenden Fragen, die an die Zeugin zu richten wären, nach vorläufiger
Würdigung des Senats nicht entscheidungserheblich sein dürften. Das LSG hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des
SG geändert und die Bescheide (lediglich) aufgehoben, soweit eine Erstattung von mehr als 26.984,01 Euro verlangt wurde. Die
Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt (Urteil vom 24.9.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde und macht als Verfahrensmangel einen Verstoß
gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (vgl §
103 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) geltend, weil das LSG ohne hinreichende Begründung dem Beweisantrag nicht gefolgt sei.
II
Die Beschwerde ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Verfahrensmangel (vgl §
160 Abs
2 Nr
3 SGG) liegt nicht vor. Zwar ist das LSG einem Beweisantrag des Klägers nicht gefolgt, entgegen der klägerischen Auffassung hat
das LSG diese Vorgehensweise aber hinreichend begründet.
Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist . Ein solcher Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz, den der Kläger geltend macht, liegt aber nicht vor.
Allerdings hat der Kläger einen Beweisantrag gestellt, der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten worden
ist. Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der
Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen
wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht iS des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht weiter
verfolgt wurde (dazu etwa Bundessozialgericht <BSG> vom 1.2.2000 - B 8 KN 7/99 U B - SozR 3-1500 § 160 Nr 29 mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor; denn das LSG war dem Beweisantrag des Klägers zunächst nachgekommen, hatte die Zeugin
zu dem von ihm formulierten Beweisthema geladen und ihr zudem aufgegeben, weitere Unterlagen zur Vorlage im Termin mitzubringen.
Zudem hat es den im Sitzungssaal erschienenen Ehemann der Stieftochter darauf hingewiesen, dass seine Vernehmung in Betracht
komme, und ihn vor dem Saal Platz nehmen lassen. Entscheidet sich das LSG im Laufe der Verhandlung dennoch, auf die Vernehmungen
zu verzichten, ist - wie es auch der Kläger darlegt - für das Gericht gleichwohl erkennbar, dass der Kläger seinerseits die
gerichtliche Aufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht, auch ohne dass der Beweisantrag auf den Hinweis hin nochmals
wiederholt wird. Umstände, aus denen sich im vorliegenden Einzelfall ergeben könnte, dass der Kläger sich der Auffassung des
LSG angeschlossen hat, die Vernehmung sei entbehrlich, sind nicht erkennbar. Die Warnfunktion des Antrags war damit erfüllt.
Das LSG ist dem Beweisantrag aber ausgehend von seiner Rechtsauffassung mit hinreichender Begründung nicht gefolgt. Eine Begründung
für seine Vorgehensweise findet sich im Urteil zwar nicht. Eine ausdrückliche Befassung mit dem Beweisantrag ist jedoch nicht
erforderlich. Entscheidend ist, dass sich das Gericht aus seiner rechtlichen Sicht zur beantragten Beweiserhebung objektiv
nicht hat gedrängt fühlen müssen (stRspr seit BSG vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5). Das LSG hat im Urteil dargestellt, die Weiterverpachtung des Grundstücks an die Stieftochter sei aus Rechtsgründen unwirksam
gewesen. "Bestenfalls" habe der Kläger die de facto ihm zustehenden Mieteinnahmen der Stieftochter schenkungsweise überlassen,
sodass er - selbst wenn er die Einnahmen nicht erhalten habe - im Fall des Notbedarfs jedenfalls einen Anspruch auf Herausgabe
der Schenkung gehabt habe. Es handele sich sozialhilferechtlich um einen Fall der Mittelverwendung, der an der Einkommensqualität
der Mittel nichts ändere. Ausgehend von dieser Rechtsauffassung kommt es auf den Beweis der Tatsache, dass die Einnahmen aus
Vermietung der Zeugin zugeflossen und von ihr versteuert worden seien und der Kläger keinen Zugriff auf die Mietzahlungen
gehabt habe, aber nicht an.
Gleiches gilt soweit der Beweisantrag zum Beweis der Tatsache gestellt war, dass ein Mietvertrag zwischen Kläger und Stieftochter
abgeschlossen worden sei, der grundsicherungsrechtliche relevante Bedarfe für Unterkunft und Heizung ausgelöst habe. Aus Sicht
des LSG kam es auf den Abschluss und die Umsetzung des Mietvertrags ausdrücklich nicht an; denn das LSG ist davon ausgegangen,
dass der Kläger unabhängig von den vertraglichen Gestaltungen mit der Stieftochter unentgeltlich auf dem von ihm gepachteten
Hausgrundstück habe wohnen können, weil sich dieses Recht aus dem ursprünglichen Pachtvertrag aus dem Jahr 1973 ergebe. Nach
der Rechtsauffassung des LSG waren die Vorstellungen der Stieftochter über Rechte und Pflichten aus dem Vertrag damit unerheblich.
Entscheidend sei vielmehr allein gewesen, dass sie objektiv keine Möglichkeit gehabt hätte, Zahlungen für die Nutzung der
Wohnung zu verlangen und also keine Bedarfe für Unterkunft und Heizung entstanden seien. Den Regelbedarf habe der Kläger aber
aus Sicht des LSG durchgehend aus der Altersrente decken können.
Schließlich legt der Kläger selbst dar, das LSG habe die Zeugenaussage der Stieftochter, die sie vor dem SG abgegeben habe, als zutreffend behandelt, wonach der Wert des Grundstücks im Jahr 2017 100.000 Euro betragen habe. Soweit
er weiter ausführt, ausgehend von dieser Zeugenaussage habe das LSG den Wert von 100.000 Euro nicht auch für das Jahr 1997
(Zeitpunkt der Überlassung des gepachteten Grundstücks) zugrunde legen dürfen, behauptet er aber nicht einmal, dass die (erneute)
Zeugenvernehmung zur weiteren Sachaufklärung beigetragen hätte, sondern macht eine fehlerhafte Würdigung der Beweise geltend.
Ob die Rechtsauffassungen des LSG zum Einkommensbegriff und zur Bedeutung eines Schenkungsrückforderungsanspruchs im Recht
der Sozialhilfe einerseits und zum Begriff der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung andererseits zutreffend
sind, ist für den behaupteten Verfahrensmangel unerheblich; weitere Zulassungsgründe macht der Kläger nicht geltend. Die Frage
nach der Richtigkeit der Entscheidung kann allein die Revision aber nicht eröffnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.