Gewährung von Beschädigtenrente nach dem OEG
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) iVm den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) mit der Begründung, in der Nacht vom 18. auf den 19. April 2014 Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein mit einer dadurch
bedingten psychisch erheblichen Schädigung. Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch verneint (Urteil vom 22.6.2020). Die Klägerin sei nicht Opfer eines tätlichen Angriffs iS des §
1 Abs
1 Satz 1
OEG geworden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Divergenz geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung vom 30.7.2020 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form,
weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch
nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher,
um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog
Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 31.1.2018 - B 9 V 63/17 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - juris RdNr 4). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin trägt vor: Vor dem Hintergrund der Bestrebungen des BSG zu einer eigenständigen, dh vom Strafrecht unabhängigen, Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs in §
1 Abs
1 Satz 1
OEG sei unter Berücksichtigung der Zwecke des Opferentschädigungsrechts zu klären, ob auch bereits bei rein "physisch" (gemeint
wohl: psychisch) vermitteltem Zwang das Vorliegen eines tätlichen Angriffs im Sinne des §
1 Abs
1 Satz 1
OEG angenommen werden kann.
Die Klägerin hat jedoch schon die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung nicht hinreichend dargetan. Allein
die Behauptung, die aufgeworfene Fragestellung sei bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt, reicht nicht. Die Klägerin
unterzieht sich nicht der notwendigen Mühe, sich mit der Rechtsprechung des BSG zum Begriff des "tätlichen Angriffs" iS des §
1 Abs
1 Satz 1
OEG und hier insbesondere mit den vom LSG in seinem angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Entscheidungen des BSG vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18) und vom 16.12.2014 (B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21) auseinanderzusetzen und versäumt es demzufolge auch auf dieser Grundlage zu prüfen, ob sich aus dieser bereits ergangenen
höchstrichterlichen Rechtsprechung schon ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellung ergeben.
Ist diese aber der Fall, gilt eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 22.3.2018 - B 9 SB 78/17 B - juris RdNr 12 mwN).
2. Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die in zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der
Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.
Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz
in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch
steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen
Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 13.12.2017 - B 5 R 256/17 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 13 R 140/17 B - juris RdNr 12 f). Auch diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin trägt vor, das LSG habe den Begriff des rechtwidrigen tätlichen Angriffs "fehlerhaft ausgelegt" und sich nicht
hinreichend am Einzelfall orientiert. Es weiche insofern von der Rechtsprechung des BSG ab.
Mit diesem und ihrem weiteren Vorbringen hat die Klägerin keine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG bezeichnet. Sie benennt weder einen abstrakten Rechtssatz aus einer Entscheidung des BSG, noch stellt sie einem solchen höchstrichterlichen Rechtssatz einen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem
angefochtenen Urteil gegenüber. Sie trägt vielmehr nur vor, dass nach ihrer Auffassung das Berufungsgericht den Begriff des
rechtswidrigen tätlichen Angriffs "fehlerhaft ausgelegt" habe. Ihr Vorbringen geht daher über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus. Zudem setzt die Bezeichnung einer Abweichung iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG die Darlegung voraus, dass das Berufungsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in dem angefochtenen Urteil in Frage
stellt. Dies ist aber selbst dann nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den
entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (st Rspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 9.5.2017 - B 13 R 240/16 B - juris RdNr 20 mwN).
3. Schließlich war der Senat nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin entsprechend seiner Bitte in der
Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, falls "weitere Ausführungen als nötig erachtet" würden, vorab auf die Unzulänglichkeit
des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse
einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß §
73 Abs
4 SGG. §
106 Abs
1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde
ordnungsgemäß zu begründen (st Rspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 11 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.