Kostenerstattung zwischen örtlichen Sozialhilfeträgern bei/nach Umverteilung von Kontingentflüchtlinge
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten nach § 107 BSHG auf Erstattung von Sozialhilfekosten in Anspruch, die sie vom 1. Juni 1996 bis zum 31. Mai 1998 für die Eheleute L. aufgewendet
hat.
Die Hilfeempfänger waren als Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen UdSSR in das Bundesgebiet aufgenommen und zunächst dem
Land Schleswig-Holstein zugewiesen worden. Dort leistete ihnen der Beklagte bis zum 31. Mai 1996 Sozialhilfe durch Hilfe zum
Lebensunterhalt. Seine Aufwendungen rechnete der Beklagte mit dem Land als überörtlichen Träger der Sozialhilfe ab. Am 1.
Juni 1996 verzogen die Eheleute L. im Rahmen der Familienzusammenführung in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin. Diese
veranlasste, dass die Hilfeempfänger durch das Bundesverwaltungsamt vom Land Schleswig-Holstein auf die Kontingentflüchtlingsquote
der Klägerin umgeschrieben wurden.
Nach Weigerung des Beklagten, die der Klägerin entstandenen Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten, hat diese den Beklagten
auf Zahlung von 41 673,07 DM (entspricht 21 307,10 EURO) verklagt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung
abgewiesen, die Kosten für Kontingentflüchtlinge würden jedenfalls nicht vom örtlichen Sozialhilfeträger aufgewandt, sondern
diesem erstattet; der § 107 BSHG innewohnende Gedanke des Lastenausgleichs zwischen Sozialhilfeträgern komme bei einer Quotenumverteilung von einem Bundesland
in das andere nicht zum Tragen. Die Nichtanwendbarkeit des § 107 BSHG folge auch aus dem so genannten Interessenwahrungsgrundsatz, wonach der kostenerstattungsberechtigte Sozialhilfeträger die
aufgewandten Sozialhilfekosten zunächst von der Stelle anfordern müsse, die letztlich die Kosten trage; dies sei bei Kontingentflüchtlingen
aber nicht der örtliche Sozialhilfeträger.
Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen den Beklagten nach § 107 BSHG zur vollen Kostenerstattung verpflichtet: Anders als § 108 BSHG nach dessen Absatz 6 stehe § 107 BSHG nicht unter einem Vorbehalt anderweitiger bundesrechtlicher Regelungen oder Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern; die
Vorschrift kenne daher keinen Anwendungsausschluss für bestimmte Personengruppen. Eine entsprechende Anwendung von § 108 Abs. 6 BSHG auf § 107 Abs. 1 BSHG komme in Ansehung von dessen klarem Wortlaut nicht in Betracht. Unbilligkeiten, die bei der Anrechnung von umziehenden Kontingentflüchtlingen
auf die Quote entstünden, könnten nur durch den Gesetzgeber korrigiert werden. Eine andere Frage sei es auch, ob der Beklagte
in Höhe seiner Kostenerstattungspflicht einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe
habe, der auch bisher Kostenerstattung gewährt habe.
Mit der Revision macht der Beklagte u.a. geltend, hier sei § 108 Abs. 6 BSHG analog auf § 107 BSHG anzuwenden mit der Folge, dass eine Kostenerstattungspflicht nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sei. Eine Kostenerstattung
nach einer Umverteilung von Kontingentflüchtlingen würde Sinn und Zweck des § 107 BSHG widersprechen. Nach § 107 Abs. 1 BSHG käme es sonst zu einer Doppelbelastung des abgebenden Landes, da es zusätzlich zur Aufnahme eines neuen Kontingentflüchtlings
weiterhin die Sozialhilfekosten für den abgegebenen Kontingentflüchtling tragen müsste.
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat den Beklagten im Einklang mit dem Bundesrecht nach § 107 Abs. 1 BSHG zur Kostenerstattung verurteilt.
Der gesetzliche Tatbestand dieser Vorschrift ist hier ihrem Wortlaut nach erfüllt. Dies zieht auch der Beklagte nicht in Zweifel.
Zu Recht hat das Berufungsgericht § 107 BSHG nicht vor dem Hintergrund des § 108 Abs. 6 BSHG einschränkend dahin gehend ausgelegt, dass ein Umzug von Kontingentflüchtlingen von der Vorschrift nicht erfasst werde.
Dem Oberverwaltungsgericht ist darin zu folgen, dass für eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 6 BSHG hier kein Raum ist. Der Beklagte entnimmt dieser Vorschrift den Grundgedanken, dass eine Kostenerstattungspflicht unter Sozialhilfeträgern
ausscheide, wenn eine "willkürliche, unkontrollierbare Belastung irgendeines Sozialhilfeträgers" ausgeschlossen sei; dies
sei bei einer Umverteilung von Kontingentflüchtlingen nach Quoten gegeben, da auf diese Weise eine Zuordnung zu einem bestimmten
Sozialhilfeträger erfolge. Diesen Grundgedanken will der Beklagte auch auf einen Umzug von Kontingentflüchtlingen innerhalb
des Bundesgebietes erstreckt wissen. Das ist aber nicht gerechtfertigt.
Der vom Beklagten für geboten gehaltenen entsprechenden Anwendung des § 108 Abs. 6 BSHG mit dem Ziel, Kontingentflüchtlinge aus dem persönlichen Geltungsbereich des § 107 BSHG herauszunehmen, stehen der grundlegende Unterschied zwischen dem Regelungsgegenstand und der gesetzlichen Zielsetzung beider
Vorschriften sowie die Tatsache entgegen, dass der Gesetzgeber zwar in § 108 Abs. 6 BSHG, aber gerade nicht in § 107 BSHG eine auch für Kontingentflüchtlinge geltende Ausnahmeregelung getroffen hat.
§ 108 BSHG regelt eine Kostenerstattung bei Übertritt aus dem Ausland und nimmt diese in Absatz 6 für Personen aus, deren Unterbringung
nach dem Übertritt bundesrechtlich oder durch Vereinbarung zwischen Bund und Ländern geregelt ist. Infolgedessen werden für
den Personenkreis des § 108 Abs. 6 BSHG die "§§ 103 ff. wirksam" (so Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl., Stand: März 2000, § 108 Rn. 26) und ist also auch die Anwendung von § 107 BSHG auf Kontingentflüchtlinge aus der Sicht des § 108 Abs. 6 BSHG nicht ausgeschlossen. Wäre hingegen beabsichtigt gewesen, für diesen Personenkreis nicht nur in der Situation nach ihrem
Übertritt aus dem Ausland, sondern auch für den - für den Gesetzgeber vorhersehbaren - Fall einer Umverteilung innerhalb des
Bundesgebietes eine Kostenerstattung abweichend von den §§ 103 ff. BSHG zu regeln, wäre zu erwarten, dass der Gesetzgeber dies ähnlich wie in § 108 Abs. 6 BSHG zum Ausdruck gebracht hätte. Aus dem Fehlen einer solchen Regelung ergibt sich in Anbetracht des unterschiedlichen Weges,
den der Gesetzgeber bei der Kostenerstattungsregelung des § 107 BSHG im Vergleich zu § 108 BSHG beschritten hat, und der unterschiedlichen Zielsetzung, die der in § 107 BSHG angeordnete "Lastenausgleich" im Vergleich zu einer zwischen zwei Bundesländern vereinbarten Umverteilung von Kontingentflüchtlingen
verfolgt, dass eine solche Umverteilung die Erstattungsregelung des § 107 BSHG nicht verdrängen soll.
§ 107 BSHG bewirkt einen Lastenausgleich im Wege "horizontaler" Kostenerstattung unter örtlichen Trägern der Sozialhilfe. Dem wird der
Sinn beigemessen, zur Vermeidung einer Kostenüberlastung von Ballungsräumen die Sozialhilfeträger des tatsächlichen Aufenthaltsortes
auf Kosten der Wegzugsorte zu schützen (vgl. z.B. Mergler/ Zink, a.a.O, § 107 Rn. 7; Schoch in: LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 107 Rn. 6). Demgegenüber geht es § 108 BSHG darum, die Belastung des Sozialhilfeträgers, in dessen örtlichem Zuständigkeitsbereich der Eingereiste Aufenthalt nimmt,
nicht von dem frei gewählten Aufenthalt abhängig zu machen, sondern sie gerecht zu verteilen (siehe Urteil des Senats vom
20. Februar 1992 - BVerwG 5 C 22.88 - Buchholz 436.0 § 108 BSHG Nr. 1). Zu diesem Zweck sieht § 108 Abs. 1 BSHG durch Kostenerstattung seitens eines von einer Schiedsstelle zu bestimmenden überörtlichen Trägers der Sozialhilfe einen
"vertikalen" Lastenausgleich vor, dessen es nach § 108 Abs. 6 BSHG nicht bedarf, wenn eine bundesrechtliche oder durch Vereinbarung zwischen Bund und Ländern getroffene Verteilungsregelung
besteht, die - wenn auch im Zusammenwirken mit weiteren Regelungen - die willkürliche, unkontrollierbare Belastung irgendeines
Sozialhilfeträgers ausschließt und es gerade mit Rücksicht auf die Kostentragung ermöglicht, den Hilfesuchenden einem bestimmten
Sozialhilfeträger zuzuordnen (Urteil des Senats vom 20. Februar 1992, a.a.O.). Ist eine solche Zuordnung erst einmal erfolgt,
bedarf es ihrer aber nicht erneut, wenn der Betreffende von dem Bundesland, in dem er nach dem Übertritt in das Bundesgebiet
Aufenthalt genommen hat, in ein anderes Bundesland umverteilt wird. Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob die zwischen
den beteiligten Bundesländern vereinbarte Umverteilung allein mit Rücksicht auf die Mitwirkung des Bundesverwaltungsamtes,
das einen entsprechenden Quotenausgleich vornimmt, einer Vereinbarung "zwischen Bund und Ländern" im Sinne des § 108 Abs. 6 BSHG gleichgestellt und deshalb überhaupt dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift - sei es auch nur in entsprechender
Anwendung - zugeordnet werden kann, ist eine Zuordnung zu einem bestimmten Sozialhilfeträger im Zeitpunkt der Umverteilung
bereits erfolgt und eine unkontrollierbare Belastung eines Sozialhilfeträgers damit ausgeschlossen. Dagegen bleibt für die
Ziele des § 107 BSHG in solchen Fällen Raum.
Dem lässt sich nicht die vom Beklagten für seinen Rechtsstandpunkt geltend gemachte "Doppelbelastung" entgegenhalten, die
eintrete, wenn er einer Erstattungspflicht aus § 107 BSHG ausgesetzt sei, zugleich aber nach einem Quotenausgleich aufgrund des Verteilungsschlüssels für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen
aufgenommene ausländische Flüchtlinge dem Land Schleswig-Holstein ein neuer Kontingentflüchtling zugewiesen werde könne. Abgesehen
davon, dass eine solche "Doppelbelastung" voraussetzte, dass das Land Schleswig-Holstein aufgrund seiner landesinternen Kostentragungsregelungen
nicht auch für Erstattungsleistungen aufkommen muss, die ein örtlicher Sozialhilfeträger auf der Grundlage des § 107 BSHG erbringt, oder dass ein neuer Kontingentflüchtling aufgrund des landesinternen Verteilungsschlüssels ausgerechnet dem örtlichen
Sozialhilfeträger am Wegzugsort des verzogenen Kontingentflüchtlings zugeteilt wird, gibt es keinen zwingenden Grund dafür,
solche "unbillig" erscheinenden Konsequenzen einer unzulänglichen Abstimmung zwischen dem System der §§ 103 ff. BSHG und den Regelungen des Kontingentflüchtlingsrechts ohne Anhalt im Gesetz gerade im Bereich des Erstattungsrechts des Bundessozialhilfegesetzes
auszugleichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs.
2 VwGO. Aufgrund von §
194 Abs.
5 in Verbindung mit §
188 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) vom 20. Dezember 2001
(BGBl I S. 3987) ist das nach dem 1. Januar 2002 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig gewordene Revisionsverfahren nicht
gerichtskostenfrei.
B e s c h l u s s
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 21 307,10 EURO festgesetzt (§ 13 Abs. 2, § 14 GKG).