Statthaftigkeit einer Zurückverweisung an das Sozialgericht im sozialgerichtlichen Verfahren bei einem wesentlichen Verfahrensmangel;
Entscheidung mittels Gerichtsbescheid durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der seitens der Beklagten für die Zeit vom 1. November 2006 bis 31. Juli 2008 bewilligten
Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die Kläger beziehen seit 1. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II und bewohnen eine 177 qm große Mietwohnung in der F-Str.
11 in 79346 E ... Für diese Wohnung hatten sie in der Zeit vom 1. November 2006 bis 31. Juli 2008 einen monatlichen Kaltmietzins
in Höhe von 894,76 EUR zu entrichten. Mit Bescheid vom 2. Oktober 2006 bewilligte die Beklagte den Klägern zu 1., 2., 4. und
5. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. November 2006 bis 30. April 2007 in Höhe von monatlich
601,88 EUR. Hierbei legte die Beklagte als Kaltmiete 411,60 EUR zuzüglich (kalter) Nebenkosten in Höhe von 40,00 EUR zugrunde.
Sie ging dabei von einem als angemessen erachteten Kaltmietzins in Höhe von 4,90 EUR/qm aus. Mit Bescheid vom 22. März 2007
änderte die Beklagte die Bewilligungsentscheidung ab; für den Monat März 2007 betrug die Höhe der Leistungen nun 593,08 EUR,
für April 2007 452,20 EUR. Mit weiterem Bescheid vom 22. März 2007 bewilligte die Beklagte den Klägern zu 1., 2., 4. und 5.
für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2007 Leistungen in Höhe von 444,37 EUR monatlich. Gegen beide Bescheide erhoben die Kläger
am 20. April 2007 Widerspruch. Den Bewilligungszeitraum vom 1. November 2006 bis 30. April 2007 betreffend wies die Beklagte
den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2007 zurück. Die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2007 war Gegenstand des
Widerspruchsbescheids vom 5. Mai 2008.
Für die Zeit vom 1. bis 15. August 2007 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juli 2007 214,17 EUR. Nachdem der Kläger
zu 1. ab 16. August 2007 Altersrente bezog, bewilligte die Beklagte den Klägern zu 2., 4. und 5. für die Zeit vom 16. bis
31. August 2007 Leistungen in Höhe von 321,21 EUR; für den Zeitraum 1. September 2007 bis 31. Januar 2008 betrug die Leistungshöhe
545,04 EUR monatlich. Den gegen diese Bescheide erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. November
2007 zurück. Mit Bescheid vom 23. Januar 2008 bewilligte die Beklagte den Klägern zu 2., 4. und 5. Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts für den Zeitraum 1. Februar bis 31. Mai 2008 in Höhe von 312,98 EUR und für die Zeit vom 1. Juni bis
31. Juli 2008 Leistungen in Höhe von 390,84 EUR monatlich, wobei - weiterhin unverändert - ein für angemessen erachteter Mietzins
von 4,90 EUR/qm zugrunde gelegt wurde. Gegen diesen Beschied erhoben die Kläger am 26. Februar 2008 Widerspruch, den die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2008 zurückwies.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2007 haben die Kläger am 9. August 2007 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG; S 14 AS 4370/07) erhoben; gegen den Widerspruchsbescheid vom 20. November 2007 hat sich die am 20. Dezember 2007 beim SG erhobene Klage (S 14 AS 6584/07) gerichtet. Eine weitere Klage, deren Gegenstand der Widerspruchsbescheid vom 11. April 2008 gewesen ist, haben die Kläger
am 13. Mai 2008 beim SG erhoben (S 14 AS 2390/08). Letztlich haben die Kläger am 9. Juni 2008 den Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2008 mit der sozialgerichtlichen Klage angefochten
(S 14 AS 2874/08). Mit Beschluss vom 6. Februar 2009 hat das SG die vier Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 14 AS 4370/07 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. In der nichtöffentlichen Sitzung des SG am 18. September 2009 ist der Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert worden. Die Niederschrift enthält folgenden Passus:
"Die Beteiligten beantragen übereinstimmend, die Entscheidung durch Gerichtsbescheid bzw. ohne mündliche Verhandlung". In
der Folge hat die Beklagte ein "Konzept zur Feststellung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, Stand 01.10.2009"
vorgelegt. Die Kammervorsitzende hat mit Schreiben an die Beklagte vom 30. April 2010 darauf hingewiesen, ein den Anforderungen
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) genügendes "schlüssiges Konzept" zur Ermittlung des Kaltmietzinses liege
nicht vor. Es werde deshalb eine vergleichsweise Erledigung der Klageverfahren unter Heranziehung der um einen zehnprozentigen
Zuschlag erhöhten Tabellenwerte nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) angeregt. Die daraufhin (schriftlich) geführten Vergleichsverhandlungen führten nicht zu einer Einigung. Mit Gerichtsbescheid
vom 10. September 2010 hat das SG die Beklagte verurteilt, den Klägern zu 1., 2., 4. und 5. unter Abänderung des Bescheids vom 22. März 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2007, des Bescheids vom 22. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
5. Mai 2008 und des Bescheids vom 24. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2007 weitere Leistungen
in Höhe von 937,80 EUR sowie den Klägern zu 2., 4. und 5. unter Abänderung des Bescheids vom 24. Juli 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2007 und des Bescheids vom 23. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 11. April 2008 weitere Leistungen in Höhe von 852,15 EUR zu zahlen. Im Übrigen hat das SG die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angemessenen Kosten der Unterkunft seien unter Heranziehung
der Tabellenwerte nach § 12 WoGG zu ermitteln, nachdem die Beklagte kein im Sinne der Rechtsprechung des BSG schlüssiges Konzept habe vorlegen können. Die
Kammer verstehe die Tabellenwerte nach dem WoGG allerdings als Kappungsgrenze zum Vergleich der Kaltmiete ohne Nebenkosten. Nach den Ausführungen des BSG scheine zwar ein
Vergleich mit der Miete einschließlich Nebenkosten erforderlich und so habe auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg
(LSG) mit Urteil vom 22. Juni 2010 (L 13 AS 4212/08) entschieden; dies führe aber nur zu einer Miete, die unwesentlich höher wäre, als unter Zugrundelegung des unschlüssigen
Konzepts der Beklagten. Daneben seien auch Fallkonstellationen denkbar, in denen die nach dem WoGG ermittelte Miete, als Bruttokaltmiete verstanden, sogar noch unter dem vom Grundsicherungsträger auf der Grundlage eines
ungenügenden Konzepts ermittelten Betrags liege. Deshalb sei im Ergebnis die Nettokaltmiete (ohne Nebenkosten) zugrundezulegen.
Dies entspreche nicht nur dem Willen des Gesetzgebers sondern führe auch zu einer Verwaltungsvereinfachung.
Gegen den ihr am 16. September 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 13. Oktober 2010 schriftlich beim LSG
Berufung eingelegt. Sie vertrete in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG und des LSG die Auffassung, dass die Wohngeldtabelle
von der Gesamtmiete ohne Heiz- und Warmwasseraufbereitungskosten ausgehe. Soweit das SG hiervon abgewichen sei, halte sie die mit der Berufung angegriffene Entscheidung für falsch. Für den Zeitraum vom 1. November
2006 bis 15. August 2007 ergebe sich allein durch die zusätzliche Übernahme der (kalten) Nebenkosten eine Nachzahlung in Höhe
von 380,00 EUR; den Zeitraum 16. August 2007 bis 31. Juli 2008 betreffend betrage diese 345,00 EUR.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10. September 2010 aufzuheben soweit das SG sie verurteilt hat, den Klägern für die Zeit vom 1. November 2006 bis 15. August 2007 weitere Leistungen über 557,80 EUR
hinaus und für die Zeit vom 16. August 2007 bis 31. Juli 2008 weitere Leistungen über 507,15 EUR hinaus zu gewähren, und die
Klagen insoweit abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
Herrn H. H., zu laden über das Landratsamt E., B-Str. 2-4, 79312 E., als Zeugen zu laden und folgende Fragen zu stellen:
1. Hat der Landkreis E ... Daten erhoben oder liegen dem Landkreis E. Daten vor, die Auskünfte über den Wohnungsmarkt im Landkreis
E. umfassen?
2. Verfügt der Landkreis E ... über ein Konzept zur Bezifferung der Angemessenheitsgrenze gemäß § 22 Abs. 1 SGB II/29 SGB
XII oder wird an einem solchen Konzept gearbeitet?
3. Gegebenenfalls: Legen sie das Konzept vor oder teilen sie den Stand der Ermittlungen mit oder legen sie die konzeptionellen
Erwägungen dar.
4. Oder beziffert der Landkreis E ... die Angemessenheitsgrenze nunmehr, da er anerkannt hat, das das bisherige Konzept den
Anforderungen, die das Bundessozialgericht an ein solches Konzept formuliert hat, nicht entspricht, anhand der Werte aus §
12 bzw. § 8 des Wohngeldgesetzes?
Die Kläger halten die Berufung der Beklagten für unbegründet.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG (S 14 AS 4370/07, S 14 AS 2390/08 und S 14 AS 2874/08) und die Berufungsakten des Senats (L 13 AS 4814/10) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist gemäß §§
143,
144 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft; die Berufung betrifft wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (vgl. §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG). Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§
151 Abs.
1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist im Sinne der Aufhebung des angegriffenen Urteils und der Zurückverweisung der Streitsache
an das SG auch begründet.
Gemäß §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG kann das LSG durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung (hier: der Gerichtsbescheid)
auf ihm beruhen kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, § 159 Rdnr. 3a). Hier liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, denn das SG hat durch die Kammervorsitzende als Einzelrichter mittels Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§
12 Abs.
1 Satz 2, 2. Alt.
SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen des §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG nicht vorlagen. Dadurch hat nicht der gesetzliche Richter im Sinne des Art.
101 Abs.
1 Satz 2 des Grundgesetzes (
GG) entschieden, nämlich die Kammer in voller Besetzung (§
12 Abs.
1 Satz 1 in Verbindung mit §
125 SGG). Die vom Gesetz bestimmte Mitwirkung ehrenamtlicher Richter ist ein tragender Grundsatz des sozialgerichtlichen Verfahrens,
der in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2006 - B 4 RA 59/04 R - SozR 4-1500 § 105 Nr. 1 m.w.N.). Auf diesem Mangel kann die Entscheidung auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen,
dass das SG in voller Besetzung eine andere Entscheidung getroffen hätte. Der Gerichtsbescheid des SG ist deshalb wegen fehlender Kompetenz aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses
Gericht zurückzuverweisen.
Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 entscheidet das SG grundsätzlich in Kammerbesetzung durch den Kammervorsitzenden und zwei ehrenamtliche Richter. §
12 Abs.
1 Satz 2, 2. Alt.
SGG gibt dem Kammervorsitzenden die Kompetenz, (ausnahmsweise) als Einzelrichter ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch
Gerichtsbescheid zu entscheiden. Voraussetzung für diese Verfahrensweise ist aber das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen
des §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG. Danach darf die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen und der Sachverhalt
muss geklärt sein. Darüber hinaus sind die Beteiligten vorher zu hören (§
105 Abs.
1 Satz 2
SGG). Hier ergibt sich aus den Gründen der angegriffenen Entscheidung, dass die Sache besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art
aufweist, mithin die Voraussetzungen des §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG nicht gegeben sind. Besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art im Sinne dieser Bestimmung weist eine Streitsache
regelmäßig dann auf, wenn die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung gegeben wären. Dies gilt nicht nur dann, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG; vgl. dazu BSG aaO. zum Fall der Zulassung der Sprungrevision im Gerichtsbescheid; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, §
105 Rdnr. 6 m.w.N.; Eschner in Jansen,
SGG, §
105 Rdnr. 5), sondern - nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur - auch in Fällen der Divergenz (§
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG), wenn das SG also von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
abweichen will (so Thüringer LSG, Urteil vom 31. März 2003 - L 6 KR 1/03 - veröffentlicht in Juris = Breith 2003, 710 [für den auch hier vorliegenden Fall einer Abweichung von einer Entscheidung des LSG und BSG]; Leitherer aaO.; Roller in
Lüdke,
SGG, §
105 Rdnr. 2; Kummer in Peters-Sautter-Wolff,
SGG, §
105 Rdnr. 23 [für den Fall der Abweichung von einer Entscheidung des BSG oder des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
des Bundes]; Hauck in Hennig,
SGG, §
105 Rdnr. 31; für die Parallelvorschrift im Verwaltungsprozess, §
84 der
Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]: Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO, §
84 Rdnr. 15; Aulehner in Sodan/Ziekow,
VwGO, §
84 Rdnr. 23; Kopp/Schenke,
VwGO, §
84 Rdnr. 8; Geiger in Eyermann,
VwGO, §
84 Rdnr. 7; Meyer-Ladewig, NJW 1978, 857, 858; für Fälle der Revisionszulassung wegen Divergenz durch den Berichterstatter nach §
155 Abs.
3 und
4 SGG ebenso BSG, Urteil vom 8. November 2007 - B 9/9a SB 3/06 R - veröffentlicht in Juris = SozR 4-1500 § 155 Nr. 2; abweichend für den Fall der nachträglichen Zulassung der Sprungrevision, wenn das SG augenscheinlich [im Gerichtsbescheid] gemeint habe, dem BSG sei ein grundlegender, rechtlich unschwer erkennbarer Fehler
unterlaufen: BSG, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 RJ 44/05 R - SozR 4-2600 § 96a Nr. 12).
Eine Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt
(vgl. hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, §
160 Rdnr. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Einen Rechtssatz in diesem Sinn hat das
SG im Gerichtsbescheid vom 10. September 2010 insoweit aufgestellt, als es unter ausdrücklichem Hinweis auf die (aus seiner
Sicht) entgegenstehende Rechtsprechung des BSG (vgl. dazu Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R - veröffentlicht in Juris = BSGE 104, 192) und des erkennenden Senats (Urteil vom 22. Juni 2010 - L 13 AS 4212/08 - veröffentlicht in Juris) entschieden hat, die Tabellenwerte nach dem WoGG beinhalteten nur die Kaltmiete für die Gebrauchsüberlassung der Wohnung ohne Nebenkosten. Der erkennende Senat hatte demgegenüber
entschieden, der nach dem WoGG ermittelte Betrag beinhalte auch die "kalten Nebenkosten". Hiervon ist das SG abgewichen, weshalb - bei Vorliegen der Voraussetzungen des §
144 Abs.
1 SGG - die Berufung gemäß §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG zuzulassen wäre. Ist - aus Sicht der Kammervorsitzenden - ein solcher Fall der Divergenz zu bejahen, weist die Rechtssache
unabhängig davon, ob die Berufung der Zulassung bedarf, regelmäßig besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art auf, die eine
Entscheidung durch den Einzelrichter ausschließen. Ob dieser Grundsatz ausnahmslos gilt oder auch Fallgestaltungen denkbar
sind, in denen die Streitsache trotz Vorliegens der Voraussetzungen des §
144 Abs.
2 SGG keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweist (so für den Fall der grundsätzlichen Bedeutung z. B. Kühl in Breitkreuz/Fichte,
SGG, §
105 Rdnr. 3; für Fälle der Divergenz vgl. BSG Urteil vom 21. August 2008 - B 13 RJ 44/05 R - SozR 4-2600 § 96a Nr. 12 [s. o.]), braucht der Senat nicht zu entscheiden; denn ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedenfalls
nicht vor. Die Abweichung betrifft im vorliegenden Fall die Anwendung der Tabellenwerte nach dem WoGG als Obergrenze der bei Fehlen eines im Sinne der Rechtsprechung des BSG schlüssigen Konzepts vom Grundsicherungsträger zu
übernehmenden tatsächlichen Wohnkosten. Der vom SG in Abweichung zur Rechtsprechung des erkennenden Senats aufgestellte abstrakte Rechtssatz betrifft damit bereits eine per
se schwierige Materie (vgl. dazu nur Schnitzler, "Von der Wohngeldtabelle zur Schlüssigkeitsprüfung - und zurück", SGb 2009,
509). Zudem hätte die Umsetzung der vom SG als richtig angesehenen Berechnungsmethode in der Praxis Bedeutung für eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle.
Letztlich kann auch offen bleiben, ob der Rechtssache darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung im Sinne des §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG beizumessen ist. Lässt man hierfür genügen, dass der Einzelrichter einer zu entscheidenden Rechtsfrage - subjektiv - grundsätzliche
Bedeutung beimisst (so BSG, Urteil vom 18. Mai 2010 - B 7 AL 43/08 R - veröffentlicht in Juris m.w.N.), wäre auch aus diesem Grund eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid wegen Nichtvorliegens
der Voraussetzungen des §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG verwehrt. Jedenfalls aus Sicht der Kammervorsitzenden musste sich die von ihr aufgeworfene (und beantwortete) Rechtsfrage
bereits deshalb als grundsätzlich bedeutsam darstellen, weil eingehend zu begründen war, aus welchen Gründen die entgegenstehende
obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung für unzutreffend gehalten wird.
Im Übrigen hat das SG den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör (vgl. §
62 SGG) dadurch verletzt, dass es durch Gerichtsbescheid entschieden hat, ohne die Beteiligten zuvor in einer den Anforderungen
des §
105 Abs.
1 Satz 2
SGG entsprechenden Weise zu hören. Auch insoweit liegt ein Mangel des Verfahrens im Sinne des §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG vor. Erforderlich ist ein konkreter fallbezogener Hinweis, mit dem die Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden,
mitgeteilt wird. Wegen des Verbots von Überraschungsentscheidungen muss das Gericht dabei auch auf solche Tatsachen und Rechtsfragen
hinweisen, die bisher im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nicht erörtert worden sind (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, §
105 Rdnr. 10 m.w.N.). Eine solche Anhörungsmitteilung ist hier weder nach dem Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung am
18. September 2009 noch nach den übrigen Gerichtsakten erfolgt und durch die Erklärung der Beteiligten in der nichtöffentlichen
Sitzung am 18. September 2009, sie beantragten übereinstimmend "die Entscheidung durch Gerichtsbescheid bzw. ohne mündliche
Verhandlung", auch nicht entbehrlich geworden. Eine derartige "Generalermächtigung" für das Gericht, die Verfahrensweise -
ohne weiteren Hinweis - selbst auszuwählen und nach eigener Entscheidung entweder als Einzelrichter (durch Gerichtsbescheid)
oder in Kammerbesetzung (durch Urteil) zu entscheiden, sieht das Gesetz nicht vor und würde im Übrigen den Anspruch der Beteiligten
auf rechtliches Gehör in unzulässiger Weise verkürzen. Darüber hinaus hätte, selbst wenn man die von den Beteiligten am 18.
September 2009 abgegebene Erklärung für ausreichend erachten wollte, der weitere Verlauf des Verfahrens einen (erneuten) Hinweis
auf die (fortbestehende) Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, erforderlich gemacht. Grundsätzlich
ist eine Anhörungsmitteilung zwar nur einmal erforderlich; eine nochmalige Mitteilung ist aber ausnahmsweise notwendig, wenn
sich die Prozesslage wesentlich geändert hat (Leitherer aaO. Rdnr. 11). Eine solche Änderung der Prozesslage ist hier jedenfalls
mit der Vorlage des Konzepts zur Feststellung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, Stand 01.10.2009, durch
die Beklagte und den in der Folge ergangenen rechtlichen Hinweis der Kammervorsitzenden vom 30. April 2010 eingetreten.
Damit verstößt die Vorgehensweise des SG im Ergebnis auch gegen §
105 Abs.
1 Satz 2
SGG; der angegriffene Gerichtsbescheid vom 10. September 2010 erweist sich auch unter diesem Gesichtspunkt als verfahrensfehlerhaft.
Die dargelegten Verfahrensfehler, auf denen die Entscheidung des SG beruhen kann, erfüllen den Tatbestand des §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG; der Senat hat damit in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens darüber zu entscheiden, ob die angegriffene Entscheidung aufgehoben
und die Sache an das SG zurückverwiesen werden soll (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R - SozR 4-3520 § 2 Nr. 2 = BSGE 101,
49; Urteil vom 30. August 2001 - B 4 RA 87/00 R - SozR 3-5050 § 22b Nr. 1 = BSGE 88, 774).
Auch wenn die Zurückverweisung nur ausnahmsweise stattfinden soll (vgl. dazu u. a. BSG, Beschlüsse vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 91/08 B und vom 16. Dezember 2003 - B 13 RJ 194/03 B - beide veröffentlicht in Juris), macht der Senat hier von dem ihm in §
159 SGG eröffneten Ermessen im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das SG Gebrauch. Maßgeblich war für den Senat insoweit, dass das SG nicht nur durch die unterbliebene Anhörungsmitteilung den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt, sondern
auch nicht durch den gesetzlichen Richter entschieden hat. In einem solchen Fall reduziert sich das dem Senat eingeräumte
Ermessen zwar nicht dahingehend, dass das Berufungsgericht nicht mehr selbst in der Sache entscheiden dürfte (BSG, SozR 4-3520
§ 2 Nr. 2 = BSGE 101, 49; SozR 3-5050 § 22b Nr. 1 = BSGE 88, 774; umstritten ist diese Frage wegen §
161 Abs.
4 VwGO nur für das Revisionsverfahren, vgl. dazu BSG, Urteil vom 16. März 2006 - B 4 RA 59/04 R - SozR 4-1500 § 105 Nr. 1; Beschlüsse vom 27. März 2007 - B 13 RJ 44/05 R - und vom 26. Juni 2007 - B 4 R 11/07 S - beide veröffentlicht in Juris; Urteil vom 21. August 2008 - B 13 RJ 44/05 R - SozR 4-2600 § 96a Nr. 12). Jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung überwiegt das Interesse, den gesetzlichen Richter
auch in der ersten Instanz zu gewährleisten gegenüber dem Interesse an einer Beschleunigung der Verfahrenserledigung. Im Streit
stehen nämlich nur (vom SG zugesprochene) Leistungen für die Vergangenheit. Bei dieser Sachlage führt die infolge einer Aufhebung und Zurückverweisung
zwingend eintretende Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens weder für die Kläger zu einer Gefährdung ihrer sozialen Rechte
im Hinblick auf die notwendige Sicherung ihres Lebensunterhalts noch werden hierdurch die Realisierungsmöglichkeiten etwaiger
Rückforderungsansprüche der Beklagten in relevanter Weise erschwert. Dementsprechend ist hier der Aufhebung der mit der Berufung
angegriffenen Entscheidung und deren Zurückverweisung an das SG der Vorzug einzuräumen um auf diese Weise die Gewährleistung des durch Art.
101 Abs.
1 Satz 2
GG garantierten gesetzlichen Richters auch für das erstinstanzliche Verfahren sicherzustellen.
Bei dieser Sachlage war dem von den Klägern in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag nicht mehr nachzugehen.
Dieser wäre im Übrigen auch unzulässig, denn er benennt bereits keine Tatsachen, die durch die Beweiserhebung ermittelt werden
sollen. Soweit durch die beantragte Zeugenvernehmung bewiesen werden sollte, die von der Beklagten herangezogenen Berechnungsgrundlagen
erfüllten nicht die vom BSG aufgestellten Anforderungen an ein "schlüssiges Konzept", könnte dies als wahr unterstellt werden,
nachdem das SG bereits eine entsprechende Feststellung getroffen und die Beklagte verurteilt hat, Kosten der Unterkunft unter Zugrundelegung
der Tabellenwerte des WoGG zu gewähren. Insoweit ist der Gerichtsbescheid vom 10. September 2010 - die Kläger haben keine Berufung eingelegt - auch
nicht mit der Berufung angefochten worden.
Die Kostenentscheidung bleibt der (erneuten) Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.