Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung eines Beitragszuschusses zur Krankenversicherung für die Zeit vom
01.07.2008 bis 31.12.2018 in Höhe von insgesamt 4.897,56 €.
Der 1941 geborene Kläger war technischer Leiter. Er beantragte am 08.03.2004 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (BfA)
Altersrente und zugleich einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung. In dem Antragsformular machte der Kläger auch Angaben
über die Einkünfte seiner Ehefrau und die Höhe seines und ihres privaten Krankenversicherungsbeitrags (119,68 € und 205,60
€) und verpflichtete sich, unter anderem "die Rentenberechtigung eines Familienangehörigen, dessen Beitragsanteile bei der
Berechnung des Zuschusses zur Krankenversicherung berücksichtigt werden" mitzuteilen. Mit Bescheid vom 08.06.2004 bewilligte
die BfA dem Kläger Altersrente wegen Altersteilzeit bzw. Arbeitslosigkeit sowie einen Zuschuss zur Krankenversicherung ab
01.07.2004 in Höhe von 137,79 €. Zur Berechnung war angegeben, der Zuschuss werde in Höhe von 7,15% der monatlichen Rente
gewährt. Der Bescheid enthielt unter "Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" den Hinweis auf die Verpflichtung des Klägers,
jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses mitzuteilen. Dies gelte auch für Änderungen in den Verhältnissen von Familienangehörigen,
deren Beitrag bei der Berechnung des Beitragszuschusses berücksichtigt worden sei. Unter "Hinweise" war weiter ausgeführt:
"Wir bitten um Mitteilung, wenn vom Familienangehörigen Einkommen über 340 € bzw. eine eigene Rente bezogen wird. Der Beitragszuschuss
zur Krankenversicherung wird derzeit aus Ihrem Beitrag und dem des Familienangehörigen berechnet."
In der Folgezeit änderte die BfA bzw. die Beklagte die Höhe des gewährten Zuschusses in den Rentenanpassungsbescheiden zum
01.07. des jeweiligen Jahres, im hier maßgeblichen Zeitraum erstmals mit Rentenanpassungsbescheid zum 01.07.2008 auf 137,12
€. Mit weiterem Bescheid vom 09.12.2008 passte die Beklagte die Höhe des Zuschusses für die Zeit ab dem 01.01.2009 an den
einheitlichen allgemeinen Beitragssatz an und bewilligte unter Aufhebung des bisherigen Bescheids über die Höhe des Zuschusses
nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) einen monatlichen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 143,00 €. Frühere Hinweise zu Mitteilungspflichten
gälten nach wie vor. Mit Bescheid vom 17.12.2010 verfuhr die Beklagte für die Zeit ab dem 01.01.2011 entsprechend und setzte
den monatlichen Zuschuss auf 146,44 € fest. In den Rentenanpassungsmitteilungen zum Juli 2009 und 2010 erhielt der Kläger
darüber hinaus folgenden Hinweis: "Der Zuschuss zu einer privaten Krankenversicherung wird auf die Hälfte der Aufwendungen
begrenzt." Hinsichtlich der jeweiligen Höhe des gezahlten Zuschusses wird auf Bl. 50 Rückseite der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Bereits ab dem 01.07.2008 bezog die Ehefrau des Klägers eine eigene Altersrente mit einem eigenen Beitragszuschuss.
Der Kläger wandte sich nach der Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2018 an die Beklagte und bat um Prüfung, da sich der
Zuschuss zu seiner Krankenversicherung trotz höherer Beiträge seit 2016 nicht mehr erhöht habe, und ggfs. um eine Nachzahlung.
Mit Bescheid vom 19.11.2018 berechnete die Beklagte nach Anhörung des Klägers die Altersrente ab dem 01.07.2004 neu, setzte
den monatlichen Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag ab dem 01.01.2019 auf 160,86 € fest und forderte eine Erstattung
in Höhe von 4.897,56 €. Der Kläger habe Anspruch auf einen Beitragszuschuss. Der Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses
vom 08.06.2004 werde "ab dem 01.07.2008 nach § 48 SGB X aufgehoben". Die genannte Überzahlung für die Zeit bis 31.12.2018 sei zu erstatten. Da die Beiträge zur privaten Krankenversicherung
der Ehefrau nicht mehr zu berücksichtigen seien, sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten. Die Voraussetzungen
des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X seien gegeben. Aufgrund der Informationen in dem Bescheid und im Merkblatt für die Krankenversicherung der Rentner habe der
Kläger die Verringerung des Beitragszuschusses gekannt bzw. hätte sie erkennen müssen.
Am 05.12.2018 legte der Kläger Widerspruch gegen die Aufhebung und Erstattung ein. Zur Begründung gab er an, er habe auf die
Richtigkeit der Zahlungen vertraut.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.03.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie legte zur Begründung dar, dass die Voraussetzungen
für die Aufhebung des Bescheides nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X erfüllt seien. Die Aufhebung sei jedoch nicht uneingeschränkt vorzunehmen. Liege ein Ausnahmefall vor ("atypischer Fall"),
sei eine Ermessenentscheidung darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang von der gebundenen Aufhebungsmöglichkeit abgesehen
werden könne. Ein derartiger Fall könne dann gegeben sein, wenn besondere Umstände vorlägen, die die Aufhebung des Bescheides
für die Vergangenheit als unbillig erscheinen lasse sowie ein Mitverschulden der Beklagten vorliege. Weder im Anhörungs- noch
im Widerspruchsverfahren seien Umstände nachgewiesen worden, die dazu geeignet gewesen wären, von der Bescheidaufhebung und
der Rückforderung ganz oder teilweise abzusehen. Die Verletzung der Mitteilungspflichten und der Empfang der zu Unrecht gezahlten
Zuschüsse sei so gewichtig, dass eine Reduzierung der Forderung bzw. der Verzicht hierauf nicht in Betracht komme.
Am 25.04.2019 hat der Kläger zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei weiterhin der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung
der Bewilligung nicht gegeben seien. Der Zuschussantrag sei im Wesentlichen von seiner Krankenversicherung auszufüllen gewesen.
Auch sei der Zuschuss in dem Bescheid nicht näher erläutert worden. Es sei nicht erkennbar gewesen, dass er auch für seine
Ehefrau gewährt worden sei. Auch sei kein Hinweis auf eine Pflicht zur Mitteilung von Änderungen erfolgt. Sein Beitrag zur
Krankenversicherung sei damals wegen eines Anspruches auf Krankentagegeld höher gewesen, als ihn seine Krankenversicherung
in dem Antrag angegeben habe.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Mit Urteil vom 07.10.2020 hat das SG den angefochtenen Bescheid vom 19.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2019 aufgehoben, soweit darin
die Bewilligung des Zuschusses zur Krankenversicherung für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.12.2018 aufgehoben und eine Erstattung
gefordert wird. Zur Begründung hat es ausgeführt, die im angefochtenen Bescheid verfügte rückwirkende Aufhebung und die entsprechende
Erstattungsforderung seien rechtswidrig. Die Voraussetzungen des Zuschusses seien zwar ab dem 01.07.2008 der Höhe nach nicht
mehr gegeben gewesen. Denn der monatliche Zuschuss sei nach § 106 Abs. 3 Satz 5 (bzw. ab 01.01.2009: Satz 2) Sozialgesetzbuch
Sechstes Buch (
SGB VI) auf die Hälfte der tatsächlichen Aufwendungen für die Krankenversicherung begrenzt. Im Rahmen des §
106 Abs.
3 SGB VI seien dabei auch Beiträge für die Versicherung von Ehegatten zu berücksichtigen, wenn diese bei einer Mitgliedschaft des
Zuschussberechtigten in der gesetzlichen Krankenversicherung nach §§
10,
3 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) beitragsfrei familienversichert wären. Dies sei bezogen auf die über den Kläger versicherte Ehefrau unstreitig der Fall
gewesen. Dabei habe es sich aber weiterhin nur um einen Anspruch des Klägers (und nicht seiner Ehefrau) auf Beitragszuschuss
gehandelt. Mit der eigenen Rentenberechtigung (und Zuschussberechtigung) der Ehefrau ab dem 01.07.2008 seien die Voraussetzungen
für den Anspruch lediglich der Höhe nach nicht mehr gegeben gewesen. Hierüber und über die in dem Bescheid vorgenommene korrekte
Berechnung des Zuschusses ab dem 01.07.2008 bestehe auch kein Streit. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder Nr. 4 SGB X seien hier jedoch nicht erfüllt. Dem Kläger könne nach Auffassung der erkennenden Kammer weder Kenntnis noch eine grobe fahrlässige
Unkenntnis der Mitteilungspflicht bzw. der Rechtswidrigkeit vorgeworfen werden. Hierfür sei entscheidend, dass sich dem Bescheid
vom 08.06.2004 nicht entnehmen ließe, dass dort bei der Berechnung des Zuschusses über den eigenen Krankenversicherungsbeitrag
des Klägers hinaus auch der auf seine Ehefrau entfallende Beitrag berücksichtigt worden sei. Die Höhe des Zuschusses sei lediglich
mit einem Prozentsatz aus der Rente begründet worden. Soweit die Beklagte einwende, dass der Zuschuss bereits höher gewesen
sei als der alleine für den Kläger zu zahlende Krankensicherungsbeitrag, könne dies daran nichts zu ändern. Denn zum einen
enthalte die Begründung des Bescheides insoweit keinen Hinweis oder Bezug auf die tatsächlichen Beiträge. Zum anderen habe
der Kläger hier eingewandt, dass die von ihm zu zahlenden Beiträge infolge eines mitversicherten Anspruches auf Krankentagegeld
höher gewesen seien, als sie von dem Krankenversicherungsunternehmen angegeben worden seien. Das Gericht berücksichtige im
Hinblick auf den gebotenen subjektiven Bezugspunkt der groben Fahrlässigkeit auch, dass sich der Kläger selbst im Jahr 2018
an die Beklagte gewandt habe, da sich der Zuschuss ab Juli 2016 nicht mehr verändert hatte. Dies spreche entscheidend gegen
die von der Beklagten behauptete Kenntnis des Klägers und zeige ebenso wie der Umstand, dass der Kläger der Beklagten die
zwischenzeitlichen Erhöhungen seiner eigenen Beiträge zur Krankenversicherung von 119,68 € auf zuletzt 321,71 € nicht mitgeteilt
habe, dass dem Kläger nach seinem Einsichtsvermögen die Berechnung des Zuschusses gerade nicht bewusst gewesen sei. Vor diesem
Hintergrund trete das Argument zurück, dass in dem Antrag auf den Zuschuss, der teilweise zwar auch von dem Krankenversicherungsunternehmen,
jedoch für den Kläger ausgefüllt worden war, auch Angaben zu dem auf die Ehefrau des Klägers entfallenden Beitrag gemacht
worden seien. Im Übrigen enthalte auch die Begründung des Bescheides und des Widerspruchsbescheides neben der behaupteten
Kenntnis des Klägers nicht einmal den Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit. Dass der Kläger seine Mitteilungspflicht und auch
die eingetretene wesentliche Veränderung der Verhältnisse hätte erkennen können, begründe lediglich eine einfache Fahrlässigkeit.
Ob diese vorgelegen habe, könne hier dahingestellt bleiben. Daneben gehe die in dem Bescheid verfügte Aufhebung des ursprünglichen
Bescheides vom 08.06.2004 ins Leere, soweit diese einen von der Beklagten gezahlten höheren Beitragszuschuss zur Krankenversicherung
als 137,79 € monatlich ab dem 01.07.2008 betreffe. Dies würde nicht zur Rechtswidrigkeit der Aufhebung, sondern zur Rechtswidrigkeit
der Erstattung von Beitragszuschüssen für die Zeit ab 01.07.2008 führen, wenn dem nicht zurückgenommene Bewilligungsbescheide
entgegen stünden. Da hier aber auch nach Auffassung der Beklagten keine späteren Verwaltungsakte bezüglich der geänderten
Höhe des Beitragszuschusses ergangen seien, ließe sich die Erstattung insoweit - da es sich dabei um Leistungen ohne Verwaltungsakt
handelte - nur auf § 50 Abs. 2 SGB X stützen. Dessen Voraussetzungen seien aber hier bereits deshalb nicht gegeben, weil es an einer für die entsprechende Anwendung
von § 45 SGB X mindestens erforderlichen groben Fahrlässigkeit des Klägers wie auch an der auch dann erforderlichen Ausübung von Ermessen
fehle.
Gegen das ihr am 29.10.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.11.2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg
eingelegt. Sie macht geltend, an der bisherigen Auffassung, dass der Bescheid vom 08.06.2004 nach § 48 SGB X zu korrigieren sei, werde nicht länger festgehalten. Vorliegend sei vielmehr der Bescheid über die Rentenanpassung zum 01.07.2008
sowie die nachfolgenden Bescheide nach § 45 SGB X zu korrigieren. Der für die Höhe des zu zahlenden monatlichen Zuschusses ab dem 01.07.2008 maßgebliche (erste) Bescheid sei
der Bescheid über die Rentenanpassung zum 01.07.2008 gewesen. Mit diesem Bescheid habe die Beklagte nicht nur über den Grad
der Anpassung der Rente entschieden, sondern auch die Höhe des Zuschusses zur Krankenversicherung ab dem 01.07.2008 neu bestimmt
(§ 31 SGB X). Dass die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 19.11.2018 diesen Bescheid und die nachfolgenden Bescheide nicht
mit ihrem Datum genannt habe, führe nicht dazu, dass die Korrekturentscheidung "ins Leere" gehe. Die Beklagte habe sowohl
in der Anhörung vom 17.10.2018 als auch im Bescheid vom 19.11.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.03.2019
ihren unmissverständlichen Willen bekundet, dass die bisherigen Verwaltungsakte, die die Höhe des Zuschusses zur Krankenversicherung
ab dem 01.07.2008 regelten, keine Wirkung mehr entfalten sollten. Der Kläger habe auch nicht vorgetragen, dies nicht so verstanden
zu haben. Dass die Beklagte die Bescheidkorrektur bislang auf § 48 SGB X gestützt habe, sei ebenfalls unbeachtlich und führe nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids. Mit der Anwendung des § 45 SGB X werde keine Umdeutung im Sinne des § 43 SGB X vorgenommen. Es handele sich lediglich um einen Austausch der Begründung der Bescheidrücknahme (Begründungswechsel). Dem
Begründungswechsel stehe auch nicht die Tatsache entgegen, dass die Rücknahme nach § 45 SGB X die Ausübung von Ermessen gebiete. Denn im auf § 48 SGB X gestützten Bescheid vom 19.11.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.03.2019 sei Ermessen ausgeübt worden.
Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X lägen vor. Der Kläger habe wissen müssen, dass er sowohl Beitragsänderungen als auch Änderungen in den Verhältnissen von
Familienangehörigen, deren Beitrag bei der Berechnung des Beitragszuschusses berücksichtigt worden sei, mitzuteilen habe.
Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Kläger, der als technischer Leiter tätig gewesen sei, aufgrund intellektueller
Einschränkungen die Mitteilungspflichten nicht habe erfassen können. Soweit der Kläger vortrage, er hätte nicht erkennen können,
ob bei der Zuschussberechnung auch die Beitragsaufwendungen seiner Ehefrau berücksichtigt worden seien, so verpflichte es
den Kläger, sich an die Beklagte zu wenden und um Aufklärung zu bitten. Dem Kläger habe es bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt
ins Auge springen müssen, dass der Zuschuss höher gewesen sei als die Hälfte seiner Beitragsaufwendungen. Auf Vertrauen könne
sich der Kläger nicht berufen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 07.10.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Den Bescheid der Beklagten vom 19.11.2018 habe er dahingehend verstehen müssen,
dass nur der Rentenbescheid vom 08.06.2004 hinsichtlich der Bewilligung des gesamten Zuschusses zur Krankenversicherung vollständig
aufgehoben werde und ein Teilbetrag des im Zeitraum vom 01.07.2008 bis 31.12.2018 geleisteten Zuschusses als Erstattungsbetrag
nach § 50 Abs. 1 SGB X geltend gemacht werde. Die Aufhebungsentscheidung erfasse nicht vollständig alle seit dem Rentenbescheid vom 08.06.2004 erlassenen
Änderungsbescheide. Zudem habe die Beklagte offensichtlich kein Ermessen ausgeübt. Auch aus diesem Grund scheitere im vorliegenden
Fall die Anwendbarkeit des § 45 SGB X. Zudem könne ihm kein Sorgfaltsverstoß zum Vorwurf gemacht werden. Um überhaupt erkennen zu können, dass und in welchem Umfang
Beitragsanteile seiner Ehefrau bei der Berechnung des Zuschusses berücksichtigt worden seien, hätten diese von der Beklagten
ausgewiesen werden müssen.
Die Berichterstatterin hat die Beteiligten im Erörterungstermin am 13.08.2021 zu der beabsichtigten Entscheidung nach §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) angehört und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Schriftsätzen vom 13.09.2021 und 01.11.2021 hat
die Beklagte ausgeführt, dass sie bei ihrer Rechtauffassung bleibe. Mit Schriftsatz vom 20.09.2021 hat auch der Kläger an
seiner bisherigen Rechtsauffassung festgehalten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte die Berufung der Beklagten nach Anhörung der Beteiligten gemäß §
153 Abs.
4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurden nicht vorgebracht und sind dem Senat auch anderweitig
nicht ersichtlich.
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.3.2019,
mit dem die Bewilligung des Zuschusses zur Krankenversicherung für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.12.2018 aufgehoben und die
Erstattung der Zuschusszahlungen in Höhe von insgesamt 4.897,56 € gefordert wird.
Das SG hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben, da der Bescheid vom 19.11.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids
vom 28.03.2019 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
Dem Kläger stand im streitgegenständlichen Zeitraum zwar der bewilligte Zuschuss zur Krankenversicherung nicht in vollständiger
Höhe zu, weil die seiner Ehefrau gewährte Rente und der ihr bewilligte Zuschuss unberücksichtigt blieb. Ihm wurden 4.897,56
€ zu viel ausgezahlt. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden
Ausführungen des SG und sieht von einer weiteren Begründung ab (§
153 Abs.
2 SGG).
Die Beklagte kann den zu viel gezahlten Betrag auf Grundlage der angefochtenen Bescheide vom Kläger jedoch nicht zurückfordern.
Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid nur den Bescheid vom 08.06.2004 (teilweise) aufgehoben. Bei der Auslegung
von Verfügungssätzen im Sinne des § 31 SGB X ist vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten auszugehen, wobei alle Zusammenhänge zu berücksichtigen sind, die
die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§
133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat; maßgebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung bzw. das objektivierte
Empfängerverständnis (BSG, Urteile vom 16.03.2021 - B 2 U 7/19 R - und - B 2 U 17/19 R -, Urteil vom 26.11.2019 - B 2 U 29/17 R -; Urteil vom 20.08.2019 - B 2 U 35/17 R -; alle in juris). Danach ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des Bescheides vom 19.11.2018, dass von der Aufhebungsverfügung
ausschließlich der Bescheid vom 08.06.2004 betroffen ist, weil die Beklagte nur diesen im Verfügungssatz in Bezug nimmt. Anders
als im Fall, welcher der Entscheidung des BSG vom 25.10.2017 (B 14 AS 9/17 R) zugrunde lag, ergibt sich vorliegend aus der Auslegung des Aufhebungsverwaltungsaktes nach dem objektiven Empfängerhorizont
nicht, dass anstatt des Bescheids vom 08.06.2004 die einschlägigen, die Höhe des Zuschusses neu regelnden Bescheide ab dem
01.07.2008 gemeint sind. Anders als im Fall des BSG war nicht zumindest ein Änderungsbescheid (dort der letzte) benannt. Zudem enthält vorliegend auch der Widerspruchsbescheid
vom 28.03.2019 keine Aufführung der betroffenen Bescheide (anders im vom BSG entschiedenen Fall, juris-Rn. 30). Auch ergibt sich vorliegend anders als im BSG-Urteil vom 21.06.2000 (B 4 RA 66/99 R) keine konkludente Abänderung "früherer" Bewilligungsbescheide. Dies wird auch daran deutlich, dass die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidung
auf § 48 SGB X gestützt hat. Sie ging mithin davon aus, dass der aufzuhebende Bescheid ursprünglich rechtmäßig war. Dies trifft auf die
Bescheide ab dem 01.07.2008 aber gerade nicht zu, so dass aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts nicht davon ausgegangen
werden konnte, die Beklagte erkläre (zumindest konkludent) die Aufhebung auch der von Anfang an rechtswidrigen Bescheide.
Auch das von der Beklagten angeführte Urteil des BSG vom 10.07.2012 (B 13 R 81/11 R) ist nicht einschlägig; denn anders als hier, hat dort die Beklagte zumindest in der Anlage des Bescheides verfügt, dass
"frühere Bewilligungen" abgeändert würden.
Die Aufhebung des Bescheids vom 08.06.2004 hinsichtlich der Höhe des Zuschusses zur Krankenversicherung geht indes ins Leere,
weil die Verfügung über die Zuschusshöhe durch die folgenden Änderungsbescheide ersetzt wurde.
Damit ist auch die Erstattungsverfügung rechtswidrig, weil die Beklagte es versäumt hat, die der Bewilligung des Zuschusses
für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.12.2018 zugrundeliegenden Bescheide (teilweise) aufzuheben. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 SGB X liegen deshalb nicht vor.
Aber selbst für den Fall, dass in der Verfügung des angefochtenen Bescheids die konkludente Aufhebung der Anpassungsbescheide
ab dem 01.07.2008 und der Bescheide vom 09.12.2008 und 17.12.2010 zu erblicken wäre, wäre diese Aufhebungsverfügung rechtswidrig
und die Voraussetzungen der Erstattungsverfügung damit nicht erfüllt. Die konkludente Aufhebungsverfügung könnte weder auf
§ 48 Abs. 1 SGB X noch auf § 45 Abs. 1 SGB X - auch nicht im Wege der Umdeutung nach § 43 Abs. 1 SGB X - gestützt werden.
Entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheids ist nicht § 48 Abs. 1 SGB X einschlägig, weil die den streitgegenständlichen Zeitraum betreffenden Bescheide vom 01.07.2008 und später hinsichtlich der
Höhe des Krankenversicherungszuschusses von Anfang an rechtswidrig waren. Eine Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen
Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist nach Bekanntgabe der Bescheide nicht eingetreten. Denn die Ehefrau des Klägers bezog ebenfalls ab dem 01.07.2008 eine
Rente und einen Krankenversicherungszuschuss, so dass ihre Krankenversicherungsbeiträge bei der Berechnung des dem Kläger
bewilligten Zuschusses ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu berücksichtigen waren. Die an den Kläger für die Zeit ab dem 01.07.2008
ergangenen Bescheide zur Höhe des Zuschusses waren mithin von Anfang an rechtswidrig.
Die angefochtene Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs. 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Eine Aufrechterhaltung wäre hier nur im Wege der Umdeutung nach § 43 SGB X möglich. Denn die Beklagte hat im Bescheid vom 19.11.2018 ausdrücklich verfügt, dass der Bescheid vom 08.06.2004 "nach §
48 SGB X" aufgehoben wird. Die Heranziehung von § 45 SGB X würde deshalb eine Änderung des Entscheidungssatzes der Beklagte erfordern. Eine bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage oder
ein bloßes Nachschieben von Gründen scheidet deshalb aus (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2016 - B 5 R 26/15 R -, in juris, Rn. 33).
Nach § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet
ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn
die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt
umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen
ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs. 2 Satz 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der
fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs. 2 Satz 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene
Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs. 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden (Abs. 4).
Eine Umdeutung scheitert vorliegend daran, dass die Beklagte kein Ermessen ausgeübt hat. § 43 Abs. 3 SGB X verbietet die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung. Die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts
"mit Wirkung für die Vergangenheit" ergeht gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X grundsätzlich ("soll") als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden
Verwaltungsakts nach § 45 Abs. 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch <SGB I>) der Behörde steht. Dabei steht nicht nur die Aufhebung für die Zukunft, sondern
auch die Aufhebung für die Vergangenheit im Ermessen der Behörde. § 45 Abs. 4 SGB X begrenzt darüber hinaus die Möglichkeit, in denen ein von Anfang an rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückgenommen werden kann, auf die Fälle des Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2. Im Fall des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergeht nur in atypischen Fällen eine Ermessensentscheidung. Vorliegend hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid das Vorliegen
eines atypischen Falls verneint, weil "besondere Umstände", die einen atypischen Fall rechtfertigen könnten, vom Kläger nicht
nachgewiesen worden seien. Die Beklagte ging deshalb nicht vom Vorliegen eines atypischen Falls und dementsprechend nicht
von einer Ermessenentscheidung aus. Soweit sie im Ausgangsbescheid ausführt, die "Gründe, die der Aufhebung des bisherigen
Bescheides entgegenstehen könnten, berücksichtigt" zu haben, genügen diese pauschalen Ausführungen nicht den Anforderungen
an eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (vgl. BSG, Urteil vom 25.05.2018 - B 13 R 33/15 R -, in juris). Soweit sie im Widerspruchsbescheid vom 28.03.2019 abschließend ausführt, "in der Gesamtschau" der nach Aktenlage
bekannten Umstände sei die Rückforderung "in vollem Umfang gerechtfertigt", weil die Verletzung der Mitteilungspflichten und
die Höhe der zu Unrecht empfangenen Zuschüsse "so gewichtig" seien, dass eine Reduzierung oder ein Verzicht nicht in Betracht
kämen, lässt sie damit zwar eine Abwägung erkennen. Sie bezieht sich aber ausschließlich auf die Erstattungsverfügung und
deren Durchsetzung; sie bewegt sich damit vordergründig auf der Ebene der Forderungsdurchsetzung (§ 76 Abs. 2 Sozialgesetzbuch
Viertes Buch <SGB IV>). Zudem könnte diese Abwägung keine Ermessenentscheidung nach § 45 Abs. 1 SGB X ersetzen. Denn zum einen kommt es im Rahmen von § 45 SGB X nicht auf die Verletzung von Mitteilungspflichten an. Und zum anderen ist der zeitliche Anknüpfungspunkt ein anderer. Anders
als im Rahmen von § 48 SGB X kommt es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsaktes an. Da die Beklagte aber bei den angefochtenen Entscheidungen
die maßgeblich aufzuhebenden Bescheide überhaupt nicht im Blick hatte, konnte sie auch eine etwaige Ermessensabwägung nicht
auf die Erlasszeitpunkte dieser Bescheide beziehen. Die Rechtsfrage, ob eine Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X überhaupt in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 1 SGB X umgedeutet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2016 - B 5 R 26/15 R -, in juris, Rn. 38 mit Literaturzitaten), kann deshalb dahingestellt bleiben.
Dass die Entscheidung nach § 45 Abs. 1 SGB X vorliegend ausnahmsweise als gebundene Entscheidung hätte ergehen können, weil sich das Ermessen auf Null reduziert hätte,
ist nicht der Fall. Die Ermessensschrumpfung auf Null stellt einen seltenen Ausnahmefall dar (BSG, Urteil vom 11.04.2002 - B 3 P 8/01 R -, juris). Selbst das Vorliegen von "Bösgläubigkeit" des Leistungsempfängers rechtfertigt - sofern nicht die Qualität betrügerischen
Handelns erreicht wird - im Sozialversicherungsrecht nicht die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null (BSG, Urteil vom 09.09.1998 - B 13 RJ 41/97 R -, in juris). Eine Ermessensreduzierung auf Null kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn ermessensrelevante Gesichtspunkte
weder vom Kläger geltend gemacht noch sonst wie ersichtlich sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es lassen sich durchaus
Umstände feststellen, welche der Beklagten bei einer Ermessensausübung zulässigerweise hätten Veranlassung geben können (nicht
müssen), die Aufhebung der Bescheide zugunsten des Klägers ganz oder teilweise (zeitlich, summen- oder quotenmäßig) zu beschränken.
Wie auch das SG ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger keine Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bescheide hinsichtlich der Höhe
des ihm bewilligten Zuschusses zur Krankenversicherung hatte. Hierfür spricht insbesondere, dass sich der Kläger im Jahr 2018
selbst an die Beklagte gewandt hatte, weil er der Meinung war, ihm werde ein zu geringer Zuschuss gewährt, weil sich dieser
ab Juli 2016 nicht mehr verändert habe. Von einem betrügerischen Verhalten des Klägers kann keine Rede sein. Zudem ergibt
sich aus den Bescheiden der Beklagten nicht, wie sich die Höhe des Zuschusses errechnet. Erst mit dem vorliegend angefochtenen
Bescheid wird die Zusammensetzung erläutert. Ohne Offenlegung des Rechenweges konnte der Kläger die Fehlerhaftigkeit der Höhe
des Zuschusses nicht ohne Weiteres erkennen, zumal sich der Anspruch auf einen Zuschuss zu seiner Krankenversicherung im Laufe
der Zeit tatsächlich erhöht hatte. Auf die Meldung des Klägers hin bewilligte ihm die Beklagte einen nahezu unveränderten
Zuschuss (160,86 € anstatt zuvor 162,64 €), obwohl der Anteil für die Ehefrau des Klägers entfallen war. Vor diesem Hintergrund
ist nicht nachvollziehbar, wie der Kläger die Fehlerhaftigkeit der Zuschusshöhe im streitigen Zeitraum hätte erkennen können.
Insofern schließt sich der Senat der Auffassung des SG an, dass dem Kläger keine grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Höhe des ihm bewilligten Zuschusses zur Last
gelegt werden kann, so dass es neben der notwendigen Ermessensentscheidung auch an einem für die rückwirkende Aufhebung erforderlichen
Tatbestand des Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 2 fehlt (§ 45 Abs. 4 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Nr. 1 und 2
SGG).