Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Übernahme von Schulden aus einem Mietverhältnis
Keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes bei aufrechenbaren Darlehensrückzahlungsansprüchen des Hilfebedürftigen gegen
den Vermieter
Gründe
1. Gegenstand des am 4. Oktober 2019 von dem Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (S 9 SO 3953/19 ER) ist sein Begehren auf eine (vorläufige) Gewährung
von Sozialhilfeleistungen in Form der Übernahme von Schulden aus dem Mietverhältnis mit der H. Consulting GmbH in Höhe von
8.187,78 € nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII), nachdem der Antragsgegner durch Bescheid vom 27. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. November 2019
laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 1. Februar 2017 in Form eines Darlehens (einschließlich
der kopfteiligen Aufwendungen für Abfall, Wasser/Abwasser, Grundsteuer, Gebäudeversicherung und Heizung) gewährt und durch
Bescheid vom 1. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. November 2019 die Übernahme rückständiger Nebenkosten
abgelehnt hatte. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Oktober 2019 das einstweilige Rechtsschutzbegehren abgelehnt. Dagegen wendet
sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in §
86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs.
1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung
haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des §
86b Abs.
1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG). Nach §
86b Abs.
3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.
Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gem. §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen
werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs,
während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive
Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind
glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen
Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).
3. Die Anordnungsvoraussetzungen für das einstweilige Rechtsschutzgesuch sind auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben. Der
Antragsteller hat jedenfalls keinen Anordnungsgrund, nämlich die besondere Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens,
glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr
laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche
oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung
der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen,
den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Danach besteht ein Anordnungsgrund
z.B. dann nicht, wenn der Antragsteller jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen
kann (vgl. Senatsbeschluss vom 6. März 2017 - L 7 SO 420/17 ER-B - juris Rdnr. 8 m.w.N.; Bundesverfassungsgericht <BVerfG>,
Beschluss vom 21. September 2016 - 1 BvR 1825/16 - juris Rdnr. 4) und sich den Ausführungen des Antragstellers keine gewichtigen Anhaltspunkte entnehmen lassen, dass die
finanziellen Kapazitäten vollständig ausgeschöpft sind (BVerfG, Beschluss vom 12. September 2016 - 1 BvR 1630/16 - juris Rdnr. 12). Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren
das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im
Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Vorliegend hat der Antragsteller nicht dargetan,
geschweige denn glaubhaft gemacht, dass er den geltend gemachten Bedarf nicht aus eigenen finanziellen Mitteln, insbesondere
aus seinem Vermögen, decken kann. Dabei ist zunächst zu beachten, dass nach summarischer Prüfung der laufende Bedarf des Antragstellers
durch Leistungen des Antragsgegners (Bescheid vom 27. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. November
2019) gedeckt sein dürfte. Insbesondere gewährt der Antragsgegner nach Wechsel des Anbieters von Haushalts- und Heizstrom
auch Leistungen für Heizung in Höhe des kopfteiligen Anteils an den ab 1. Dezember 2019 zu entrichtenden Abschlagzahlungen.
Weiterhin ist die Unterkunft des Antragstellers, eine 5-Zimmer-Wohnung im T.weg .. in ...... L., nicht gefährdet. Diese Wohnung
hat der Antragsteller für die Zeit ab 1. Mai 2013 gemeinsam mit seiner Ehefrau von der H. Consulting GmbH für eine monatliche
Kaltmiete in Höhe von 930,00 € zuzüglich Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 185,00 € und Nebenkostenvorauszahlung in Höhe
von 165,00 € gemietet. Darauf hat weder der Antragsteller noch seine Ehefrau seit Beginn des Mietverhältnisses Zahlungen auf
die Mietforderung einschließlich Heiz- und Nebenkosten geleistet (vgl. z.B. Zahlungsaufstellung der H. Consulting GmbH vom
23. August 2019). Erst seit der Erbringung von Grundsicherungsleistungen an den Antragsteller sowie von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - an dessen Ehefrau
sind für die Zeit ab Februar 2017 (Teil-)Zahlungen an die H. Consulting GmbH geflossen, wobei die Beteiligten über die Höhe
der zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung streiten. Unabhängig davon, ob der Antragsteller und seine Ehefrau
aufgrund des Mietvertrages vom 14. Mai 2013 in der Fassung vom 17. April 2016 Zahlungen für ihre Unterkunft tatsächlich geleistet
haben oder einer wirksamen, nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sind (vgl. nur Nguyen jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014 <Stand 28. Februar 2018>, § 35 Rdnrn. 32 ff.), ist zu beachten, dass der Antragsteller nach seinem Vorbringen über erhebliche Vermögenswerte verfügt, mit
denen er die Forderungen der Vermieterin erfüllen kann. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Der Antragsteller ist Mitgesellschafter (50 %) und - neben dem weiteren Gesellschafter-Geschäftsführer - alleinvertretungsberechtigter
Geschäftsführer der Vermieterin H. Consulting GmbH, die u.a. Eigentümerin der von dem Antragsteller und seiner Ehefrau gemieteten
Wohnung ist. Nach den Angaben des Antragstellers und der H. Consulting GmbH (vgl. z.B. Schreiben vom 28. Februar 2017) hat
der Antragsteller der GmbH Gesellschafterdarlehen in Höhe von insgesamt 414.522,16 € (Stand 28. Februar 2017) gewährt, die
aus laufenden Überschüssen der Gesellschaft oder aus dem Verkauf der Immobilien der GmbH zu tilgen sind. Nachdem - soweit
ersichtlich - die H. Consulting GmbH schon seit einigen Jahren wirtschaftlich inaktiv ist und keine Überschüsse erwirtschaftet,
hat der Antragsteller nach seinen Angaben mit der GmbH eine "Verrechnung" der mietvertraglich vereinbarten monatlichen Kaltmiete
in Höhe von 930,00 € mit seinen Darlehensrückzahlungsansprüchen vereinbart (vgl. Schreiben vom 9. Juli 2017). Nach seinem
eigenen Vorbringen verfügt der Antragsteller damit in Gestalt der Rückzahlungsansprüche aus den Gesellschafterdarlehen (vgl.
§
488 Abs.
1 Satz 2 und Abs.
3 Satz 3
Bürgerliches Gesetzbuch <BGB> sowie § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbH-Gesetz) über Vermögen i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII. Vermögen sind dabei alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst werden auch Forderungen
bzw. Ansprüche gegen Dritte, soweit sie nicht normativ dem Einkommen zuzurechnen sind. Das Vermögen umfasst die Summe aller
aktiven Vermögenswerte (z.B. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 4 AS 28/09 R - juris Rdnr. 22). Alle aktiven Vermögenswerte müssen grundsätzlich zur Sicherung des Lebensunterhaltes eingesetzt werden.
Deshalb erfordert die Bedürftigkeitsprüfung im SGB XII keine Saldierung aller Aktiva und Passiva. Vielmehr sind alle Vermögensbestandteile einzeln zu betrachten. Zu berücksichtigen
ist nur das tatsächlich vorhandene Vermögen (Senatsurteil vom 4. August 2016 - L 7 SO 1394/16 - juris Rdnr. 32; Senatsurteil
vom 25. September 2019 - L 7 SO 4766/17 - juris Rdnr. 48). Die Darlehensrückzahlungsansprüche des Antragstellers, die die
maßgebliche Freibetragsgrenze weit übersteigen, sind nach summarischer Prüfung auch verwertbar. Unabhängig von der Frage,
ob es dem Antragsteller tatsächlich und rechtlich möglich ist, die Darlehensrückzahlungsansprüche in voller Höhe gegenüber
der H. Consulting GmbH zeitnah zu realisieren, dürfte es ihm jedenfalls tatsächlich und rechtlich möglich sein, gegenüber
Mietzinsforderungen einschließlich Neben- und Heizkostenforderungen der H. Consulting GmbH aufzurechnen (§§
387,
388 Satz 1
BGB) mit der Folge, dass die Mietzinsforderungen der H. Consulting GmbH erlöschen (§
389 BGB). Der vom Antragsteller vorgelegte "Wohnungs-Mietvertrag" vom 17. April 2016 enthält keinerlei vertraglichen Ausschluss einer
Aufrechnung gegen Forderungen des Vermieters (vgl. §
556b Abs.
2 BGB). Eine Aufrechnung durch den Antragsteller hätte zur Folge, dass die mit Schreiben vom 2. Oktober 2019 durch die H. GmbH
erklärte fristlose Kündigung des Mietvertrages wegen Zahlungsverzugs nach §
543 Abs.
2 Nr.
3 BGB gem. §
569 Abs.
3 Nr.
2 Satz 1
BGB unwirksam werden würde. Denn die Aufrechnung mit Gegenforderungen des Mieters ist eine Art der Erfüllung und führt zur "Befriedigung"
i.S.d. §
569 Abs.
3 Nr.
2 Satz 1
BGB (z.B. Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 569 Rdnr. 43). Erforderlich ist lediglich, dass die Aufrechnung
innerhalb der Schonfrist erklärt wird. Diese hat mangels Rechtshängigkeit einer Räumungsklage noch gar nicht begonnen. Mithin
hat es der Antragsteller selbst in der Hand, die Mietzinsforderungen der H. Consulting GmbH durch Erklärung einer Aufrechnung
mit seinen Darlehensrückforderungsansprüchen zu befriedigen und der ausgesprochenen Kündigung die Grundlage zu entziehen.
Dass dem Antragsteller die Erklärung der Aufrechnung unzumutbar ist, ist für den Senat nicht ersichtlich, zumal der Bestand
des Mietverhältnisses mit dem Antragsteller und seiner Ehefrau als Mieter im Falle eines Wechsels des Vermieters/Eigentümers
nicht gefährdet ist (vgl. §
566 BGB).
Nach summarischer Prüfung stehen auch gesellschaftsrechtliche Regelungen einer Aufrechnung des Antragstellers gegenüber der
H. Consulting GmbH bezüglich deren Mietzinsforderungen nicht entgegen. Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbH-Gesetz, wonach das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft an die Gesellschafter nicht ausgezahlt
werden darf, findet nach § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbH-Gesetz auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens keine Anwendung. Denn die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens ist generell
geeignet, die GmbH von einer Verbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter zu entlasten, sodass der Auszahlungsvorgang bilanziell
ergebnisneutral bleibt (vgl. z.B. Ekkenga in MüKo-GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 30 Rdnr. 257; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 22. Aufl. 2019, § 30 Rdnr. 47).
Unter diesen Umständen droht dem Antragsteller kein Verlust seiner Wohnung. Ihm ist es zumutbar, eine Entscheidung in der
Hauptsache abzuwarten.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
5. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).