Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage im sozialgerichtlichen Verfahren
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens L 11 AS 763/14.
Der 1958 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg
II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Hinblick auf 17 landwirtschaftliche Grundstücke in R-Stadt und S-Stadt erfolgte die Leistungsbewilligung für die Zeit
vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 darlehensweise unter Berücksichtigung der jeweiligen Regelleistung und der Kosten der Unterkunft
und Heizung (allein für die Zeit vom 01.01.2009 bis 30.06.2009) iHv 24,74 EUR monatlich (Bescheid vom 18.12.2009 idG des Widerspruchsbescheides
vom 12.02.2009, Bescheid vom 04.06.2009 idF des Änderungsbescheides vom 17.07.2009 idG des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2009,
Bescheid vom 07.12.2009 idG des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2010 und Bescheid vom 14.06.2010 idG des Widerspruchsbescheides
vom 19.01.2011). Die dagegen erhobenen Klagen hat das Sozialgericht Würzburg (SG) mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2011 abgewiesen (S 9 AS 195/09). Sowohl das dagegen gerichtete Berufungsverfahren (Urteil des Senats vom 02.02.2012 - L 11 AS 162/11) beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) als auch die anschließende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (BSG, Beschluss vom 10.05.2012 - B 4 AS 64/12 B) beim Bundessozialgericht waren ohne Erfolg. Mit Bescheiden vom 15.05.2009, 05.06.2009, 17.03.2010 und 14.06.2010 wurden
für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 auch Darlehen für die freiwilligen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung
gewährt.
Der Kläger forderte den Beklagten mit Schreiben vom 05.04.2011 u.a. auf, ihm für die Jahre 2009 und 2010 jeweils monatlich
60 EUR für Heizkosten, insgesamt 1.440 EUR zu zahlen. Nach dem Verkauf einiger Grundstücke stellte der Beklagte mit "Zahlungsaufforderung"
vom 05.07.2012 die Darlehenssumme aus der Leistungsbewilligung vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 iHv 11.870,04 EUR gegenüber dem
Kläger fällig und verfügte mit Bescheid vom 23.07.2012 eine monatliche Aufrechnung der Forderung mit dem laufenden Alg II
im Umfang von 37,40 EUR ab dem 01.08.2012. Mit Schreiben vom 07.08.2012 erhob der Kläger bei der Bundesagentur für Arbeit
- Regionaldirektion Bayern - Forderungsmanagement in Bogen (BA) Widerspruch "gegen diesen Bescheid" und beantragte die Niederschlagung
der gesamten Darlehensforderung. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2012 zurück. Die dagegen
vom Kläger erhobene Klage, mit der zudem die Niederschlagung bzw. den Erlass der Darlehensforderung, die "Übernahme der ganzen
Versicherungspflichten des Job Centers/ ARGE für Buchungen zur Krankenversicherung 2008/2010 sowie die Rentenversicherungszeiten
2008/2010", die Zahlung von "Landratskosten" in Höhe von 1.440 EUR für den Zeitraum 2008/2010 sowie die Zahlung von 219 EUR
bezüglich einer Kostenrechnung des Landgerichts S-Stadt beantragt worden ist, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2013 (S 18 AS 665/12) abgewiesen.
Dagegen hat der Kläger Berufung beim LSG eingelegt (L 11 AS 152/14). Der Senat hat mit Beschluss vom 11.02.2015 das Begehren des Klägers im Hinblick auf die Anfechtung des Bescheides vom 23.07.2012
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2012 abgetrennt und die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 18.03.2015
aufgehoben (L 11 AS 104/15). Im Übrigen hat der Senat mit weiterem Urteil vom 18.03.2015 (L 11 AS 152/14) - antragsgemäß - den Gerichtsbescheid des SG vom 20.12.2013 in Bezug auf die Niederschlagung bzw. den Erlass der Darlehensforderung, die Übernahme von Beiträgen für die
Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010, die Zahlung von weiteren Kosten der Unterkunft
und Heizung in Höhe von 1.440 EUR für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 und die Zahlung von 219 EUR bezüglich einer Kostenrechnung
des Landgerichts S-Stadt aufgehoben und den Rechtsstreit insoweit zur erneuten Entscheidung an das SG zurückverwiesen. Nach Mitteilung des SG ist das Verfahren dort unter dem Az S 18 AS 184/15 ZVW anhängig.
Am 20.01.2014 wandte sich der Kläger u.a. im Hinblick auf seine für die Jahre 2009 und 2010 an die AOK Bayern gezahlten Beiträge
zur Kranken- und Pflegeversicherung, einer "Verbuchung der Versicherungspflicht" zur Rentenversicherung und der Zahlung von
"Landkreiskostenzuschüssen" iHv 60 EUR pro Monat für die Jahre 2009 und 2010 an den Beklagten. Mit Widerspruchsbescheid vom
21.01.2014 verwarf der Beklagte den Widerspruch wegen Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist als unzulässig. Eine dagegen gerichtete
Klage hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 17.09.2014 abgewiesen (S 15 AS 35/14). Die Berufung hiergegen hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2015 (L 11 AS 763/14) zurückgewiesen. Die Klage sei wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit unzulässig, da das Klageverfahren keine über das
Verfahren S 18 AS 665/12 (Berufungsverfahren L 11 AS 152/14) hinausgehende Bedeutung habe.
Der Kläger hat beim LSG die Wiederaufnahme des Verfahrens L 11 AS 763/14 beantragt. Erst jetzt lägen die kompletten Urkunden vollständig vor und seien zuvor vom Senat nicht berücksichtigt worden.
Die Urkunden seien beim SG am 20.07.2015 eingegangen. Die Sache sei an das SG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Verfahren L 11 AS 763/14 wieder aufzunehmen und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18.03.2015 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Würzburg vom 17.09.2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Würzburg
zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Wiederaufnahmeklage gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18.03.2015 - L 11 AS 763/14 - als unzulässig zu verwerfen bzw. im Falle der Zulässigkeit die Klage als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe für eine Wiederaufnahme seien nicht schlüssig dargelegt. Die vom Kläger benannten Urkunden seien für das Verfahren
ohne Einfluss.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens L 11 AS 763/14 ist nicht statthaft und damit als unzulässig zu verwerfen. Der Senat konnte durch Beschluss entscheiden, weil die Wiederaufnahmeklage
nicht statthaft ist (§
158 Sätze 1 und 2
Sozialgerichtsgesetz -
SGG- analog; zur Möglichkeit auch über nicht statthafte Wiederaufnahmeklagen durch Beschluss und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen
Richtern zu entscheiden: BSG, Beschluss vom 10.07.2012 - B 13 R 53/12 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 6 Rn 11; Beschluss vom 18.09.2014 - B 14 AS 85/14 B - [...]; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
179 Rn 9). Das Gericht hat den Kläger auch darauf hingewiesen, dass eine derartige Entscheidung durch Beschluss möglich ist.
Einwendungen hiergegen hat er nicht vorgebracht. Eine mündliche Verhandlung hat im Rahmen des Verfahrens L 11 AS 763/14 bereits stattgefunden.
Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann entsprechend den Vorschriften des
Vierten Buches der
Zivilprozessordnung (
ZPO) wieder aufgenommen werden, §
179 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Die Wiederaufnahme eines durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenen gerichtlichen Verfahrens erfolgt durch
Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage, §
578 Abs
1 ZPO. Die Anfechtungsgründe für eine Nichtigkeitsklage (§
579 ZPO) bzw. Restitutionsklage (§
580 ZPO) sind abschließend aufgeführt, wobei es sich im Wesentlichen um schwerste Verfahrensmängel (Nichtigkeitsklage) handeln bzw.
eine Entscheidung im Streit stehen muss, die auf einer unrichtigen, insbesondere einer verfälschten Grundlage beruht (Restitutionsklage).
Letztere kommt dabei u.a. auch in Betracht, wenn eine Partei ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes
Urteil oder eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung
herbeigeführt haben würde (§
580 Abs
1 Nr
7 ZPO). Die Wiederaufnahme ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen,
die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen
hat (§
179 Abs
2 SGG). Zuletzt ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch zulässig, wenn mehrere Versicherungsträger denselben Anspruch endgültig
anerkannt haben oder wegen desselben Anspruchs rechtskräftig zur Leistung verurteilt worden sind bzw. wenn ein oder mehrere
Versicherungsträger denselben Anspruch endgültig abgelehnt haben oder wegen desselben Anspruchs rechtskräftig von der Leistungspflicht
befreit worden sind, weil ein anderer Versicherungsträger leistungspflichtig sei, der seine Leistung bereits endgültig abgelehnt
hat oder von ihr rechtskräftig befreit worden ist (§
180 Abs
1 SGG).
In diesem Zusammenhang gehört zur Statthaftigkeit eines Wiederaufnahmeantrages zumindest die schlüssige Behauptung, ein Wiederaufnahmegrund
liege vor (vgl Greger in Zöller,
ZPO, 31. Auflage, §
589 Rn 2), wohingegen erst die weitergehende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund tatsächlich vorliegt, eine Frage der Begründetheit
ist.
Die vorliegende Wiederaufnahmeklage ist unzulässig, da ein Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig behauptet worden ist. Der Senat
hat die Berufung im Verfahren L 11 AS 763/14 mit Urteil vom 18.03.2015 zurückgewiesen, da die Klage wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit unzulässig ist, und darauf
verwiesen, dass das Klageverfahren keine über das Verfahren S 18 AS 665/12 (Berufungsverfahren L 11 AS 152/14) hinausgehende Bedeutung hat. An diesem Ergebnis kann auch eine (angeblich) neue und bislang nicht berücksichtigte Urkunde
nichts ändern. Anderes wird insofern vom Kläger auch nicht vorgetragen. Unabhängig vom Inhalt der von ihm benannten Urkunden
kann damit im Berufungsverfahren L 11 AS 152/14 keine günstigere Entscheidung herbeigeführt werden. Es verbleibt in jedem Fall bei der Unzulässigkeit der Klage wegen der
entgegenstehenden Rechtshängigkeit des früheren Verfahrens S 18 AS 665/12.
Die Wiederaufnahmeklage war demnach als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des Klägers.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.