Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung für den Zeitraum vom 01.01.1998 bis 31.12.1999.
Die Klägerin betreibt einen Abfallentsorgungsbetrieb, der im streitgegenständlichen Zeitraum aus zwei rechtlich selbständigen
Betrieben, der A. Städtereinigung GmbH und der A. Abfallwirtschaft GmbH bestand. Die Betriebe fusionierten später zur Klägerin.
In steuerrechtlichen Angelegenheiten wird die Klägerin seit vielen Jahren von der Steuerkanzlei XYZ in R. vertreten.
Am 01.03.2000 fand für den Prüfzeitraum vom 01.12.1995 bis 31.12.1999 eine Betriebsprüfung nach §
28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) statt. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid der Beklagten vom 21.03.2000 wurde für den genannten Prüfzeitraum ein Nachforderungsbetrag
in Höhe von 5.591,71 DM erhoben.
Am 11.07.2001 erließ das Finanzamt ... einen Lohnsteuernachforderungsbescheid gegen die Klägerin in dem festgestellt wurde,
dass die Verpflegungsmehraufwendungen für die Müllwerker der A. die auf dem Werksgelände der Fa ... bei Integration in dem
dortigen Schichtbetrieb tätig waren, der Lohnsteuerpflicht unterlägen. Die Verpflegungsmehraufwendungen für die Fahrer und
Schütter der A. Städtereinigung GmbH blieben hingegen unbeanstandet. Diese Beträge hatte die Klägerin in den zurückliegenden
ca. 15 Jahren in beiden Betrieben nicht bei der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer berücksichtigt,
was bis dahin von der Finanzverwaltung auch nicht beanstandet worden war. In Folge der Bekanntgabe des Lohnsteuernachforderungsbescheides
berücksichtigte die Klägerin die Verpflegungsmehraufwendungen für die ab diesem Zeitpunkt fälligen Sozialversicherungsbeiträge.
Gleichzeitig wurde durch den Steuerberater der Klägerin gegen den Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 11.07.2001 Einspruch
eingelegt, über den mit Einspruchsentscheidung vom 12.05.2004 abschließend entschieden wurde.
Am 08.04.2004 unternahm die Beklagte erneut eine Prüfung nach §
28 p
SGB IV im Betrieb der Klägerin, diesmal für den Prüfzeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2003. Die Beklagte erließ aufgrund des Ergebnisses
der Prüfung den Bescheid vom 17.06.2004 ausdrücklich für den "Prüfzeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2003" und erhob darin
von der Klägerin zudem eine Nachforderung für beitragspflichtige Verpflegungsaufwendungen für den Zeitraum vom 01.01.1998
bis 31.05.2001 in Höhe von 27.373,89 Euro. In diesem Nachforderungsbetrag waren Säumniszuschläge in Höhe von 6.343,68 Euro
seit 15.09.2001 enthalten.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit Schriftsatz vom 22.07.2004 mit der Begründung, dass für den Zeitraum vom 01.12.1995
bis 31.12.1999 bereits eine Betriebsprüfung nach §
28 p
SGB IV durch die Beklagte stattgefunden habe und im Bescheid vom 17.06.2004 trotzdem Beiträge für die Zeit vom 01.01.1998 bis 31.05.2001
verlangt wurden, somit auf jeden Fall für einen sich überschneidenden Zeitraum vom 01.01.1998 bis 31.12.1999. Außerdem erhob
die Klägerin die Einrede der Verjährung durch entgegenstehenden bestandskräftigen Bescheid der Beklagten vom 21.03.2000 sowie
die Einrede der Verwirkung. Die Beklagte ging davon aus, dass der Widerspruch zu spät eingelegt worden sei, legte aber gleichzeitig
den verspäteten Widerspruch als Antrag auf Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aus. Mit Bescheid vom 28.02.2005 nahm die Beklagte den Bescheid vom 17.06.2004 nicht zurück, da nach ihrer Auffassung die
Überprüfung im Rahmen des § 44 SGB X ergeben hatte, dass weder das Recht unrichtig angewandt worden sei noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden
sei. Der Lohnsteuernachforderungsbescheid des Finanzamtes ... vom 11.07.2001 habe erst anlässlich der am 08.04.2004 erfolgten
Betriebsprüfung sozialversicherungsrechtlich ausgewertet werden können. Wegen der nicht zeitnahen beitragsrechtlichen Auswertung
des Lohnsteuerprüfberichts seien zudem zusätzlich Säumniszuschläge ab September 2001 in Höhe von 6.343,68 Euro zu erheben
gewesen.
Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und verwies auf den Vertrauensschutz der Klägerin, insbesondere mit der Begründung,
dass für ein und denselben Prüfzeitraum aufgrund vorliegenden Bescheides vom 21.03.2000 nicht später noch einmal Beiträge
verlangt werden könnten. Die Klägerin könne sich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns für bereits geprüfte Zeiträume
verlassen. Diesem Widerspruch half die Beklagte nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 30.12.2006).
Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben zum Sozialgericht Landshut mit der Begründung, dass die Beitragsforderung für die
Jahr 1998 und 1999 verjährt seien und die lange Verjährung von 30 Jahre nicht anzuwenden sei, da eine vorsätzliche Beitragshinterziehung
der Klägerin nicht vorgelegen habe.
Das Sozialgericht Landshut hat die Klage abgewiesen mit Gerichtsbescheid vom 21.08.2008. Es ist in seiner Begründung den Ausführungen
der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 30.12.2005 gefolgt.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt zum Bayer. Landessozialgericht. Sie hat die Berufung im Wesentlichen damit begründet,
dass im Betrieb der Klägerin zwei Betriebsprüfungen durchgeführt worden seien, eine für den Zeitraum vom 01.12.1995 bis 31.12.1999
und eine für den Zeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2003. Rückwirkend habe die Beklagte mit Bescheid vom 17.06.2004 bzw. Überprüfungsbescheid
vom 28.02.2005 Sozialversicherungsbeiträge verlangt auch für den Zeitraum vom 01.01.1998 bis 31.05.2001. Der Klägerin sei
kein Vorsatz hinsichtlich des Nichtabführens von Beiträgen vor Bekanntgabe des Überprüfungsergebnisses durch das Finanzamt
... mit Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 11.07.2001 anzulasten. Mit dem Bescheid vom 21.03.2000 habe die Beklagte einen
Vertrauenstatbestand geschaffen, dass dieser Zeitraum vom 01.12.1995 bis 31.12.1999 endgültig hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen
Beitragserhebungen abgeklärt worden sei. Außerdem sei es für die Klägerin nicht nachvollziehbar, ab September 2001 mit Säumniszuschlägen
belastet zu werden.
Am 11.11.2010 hat vor dem Bayerischen Landessozialgericht ein Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin stattgefunden. Dabei ist
der langjährige Steuerberater der Klägerin, Herr ..., als Zeuge vernommen worden.
Der Zeuge hat u.a. erklärt, dass die Klägerin ursprünglich aus zwei Betrieben bestanden habe: die A. Abfallwirtschaft GmbH
und die A. Städtereinigung GmbH. In beiden Betrieben seien seinerzeit Fahrer und Schütter beschäftigt gewesen. Hinsichtlich
der Verpflegungsmehraufwendungen seien diese Mitarbeiter von der Finanzverwaltung in all den vorangegangenen Steuerzeiträumen
gleich behandelt worden. Erstmals mit dem Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 11.07.2001 sei eine Unterscheidung vorgenommen
worden zwischen den Mitarbeitern, die auf dem Gelände der Firma ... eingesetzt worden sind und denen, die außerhalb des Betriebsgeländes
tätig gewesen sind. Wegen der gleichgearteten Tätigkeit sei dies nicht nachvollziehbar gewesen. Die steuerrechtliche Zuordnung
von Beschäftigten, die vorwiegend auf einem großen Betriebsgelände eingesetzt werden, sei seinerzeit in der Literatur und
Rechtsprechung diskutiert worden. Deshalb habe man gegen den Lohnsteuernachforderungsbescheid Einspruch eingelegt, der letztlich
zurückgewiesen wurde mit Einspruchsentscheidung vom 12.05.2004.
Im Nachgang zu dem Erörterungstermin hat die Beklagte mit Schreiben vom 03.12.2010 ein Teilanerkenntnis abgegeben. Sie hat
darin auf die Säumniszuschläge in Höhe von 6.343,68 Euro infolge der erst im Mai 2004 eingetretenen Bindungswirkung des Lohnsteuernachforderungsbescheides
vom 11.7.2001 verzichtet. Im Übrigen hat sie jedoch an ihrer Rechtsauffassung festgehalten.
In der mündlichen Verhandlung vom 18.1.2011 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Teilanerkenntnis angenommen unter
Verwahrung gegen die Kostenlast.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt zuletzt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 21.08.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.02.2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 30.12.2005 sowie den Ausgangsbescheid vom 17.06.2004 insoweit aufzuheben, als dort Beiträge
für die Zeit 1998 und 1999 wegen zu Unrecht beitragsfrei gewährter Verpflegungsaufwendungen nachgefordert werden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass das Sozialgericht den Sachverhalt zutreffend ermittelt und gewürdigt habe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Akte des Bayerischen Landessozialgerichts, die Akte des Sozialgerichts
Landshut sowie auf die Akte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenstand ist der zuletzt vollumfänglich angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30.12.2005 mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, den Bescheid vom 17.06.2004 zu Gunsten der Kägerin wegen der Verbeitragung
von Verpflegungsmehraufwendungen aufzuheben nach den zuletzt gestellten Antrag hinsichtlich der Zeit bis 31.12.1999. Diese
Entscheidung war rechts- widrig, da die Beklagte infolge Bestandskraft sowie Verjährung nicht berechtigt war, für die Zeit
bis 31.12.1999 Beiträge nachzufordern. Insoweit verletzt die Entscheidung der Beklagten die Rechte der Klägerin, so dass diese
insoweit ebenso aufgehoben wird wie der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X.
Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender
Verwaltungsakt) und der rechtswidrig ist, nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter Einschränkungen ganz oder teilweise
mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand
des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig
ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition
getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der
Begünstigte nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig
oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit
liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Nach §
28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) prüfen die Träger der Rentenversicherung - hier die Beklagte - bei den Arbeitgebern - hier die Klägerin -, ob diese ihre
Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag
stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§
28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre.
Gemäß §
28 e Abs.
1 S. 1
SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Dieser errechnet sich aus dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt
nach §
14 Abs.
1 S. 1
SGB IV. Danach sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Ein- nahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch
auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus
der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Steuer- frei Aufwandsentschädigungen und die in § 3 Nr. 26
und 26 a des Einkommensteuer- gesetzes genannten steuerfreien Einnahmen gelten nicht als Arbeitsentgelt.
Gemäß §
17 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB IV in der hier anzuwendenden bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung ist die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung
u.a. zur Vereinfachung des Beitragseinzugs zu bestimmen, dass einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse
oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise
nicht als Arbeitsentgelte gelten. Nach §
17 Abs.
1 S. 2
SGB IV ist eine möglichst weit- gehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Von dieser Ermächtigung
wurde durch Erlass der Arbeitsentgeltverordnung (ArEV) Gebrauch gemacht (vgl. Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung, 68. ErgLfg, §
17 SGB IV Rdnr. 4).
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Verpflegungsmehraufwendungen, die die Klägerin den im ...-Werk in ...-
... als regelmäßige Arbeitsstätte tätigen Müllwerkern gewährt hatte, weder steuer- noch beitragsfrei waren, sondern zum beitragspflichtigen
Arbeitsentgelt zählten. Denn die betroffenen Beschäftigten übten weder eine Einsatzwechseltätigkeit noch eine Fahrtätigkeit
aus, noch befanden sie sich auf Dienstreisen. Dieser Einordnung der Beklagten und der Finanzbehörden ist die Klägerin auch
ab Juni 2001 gefolgt, sie widersetzt sich zu Recht nicht länger der grundsätzlichen Steuer- und Beitragspflicht für diese
Arbeitnehmerleistungen. Demzufolge hat sie seit Juni 2001 die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge auch abgeführt.
Die Beitragspflicht ab 01.01.2000 ist nch dem zuletzt gestellten Antrag der Klägerin auch nicht mehr strittig.
Die Beklagte war allerdings nicht berechtigt, mit Bescheid vom 17.06.2004 die entsprechenden Nachforderungen geltend zu machen
für die Zeit bis 31.12.1999.
Mit Bescheid vom 21.03.2000 hatte die Beklagte für den Prüfzeitraum bis 31.12.1999 einen Beitragsbescheid auf der Rechtsgrundlage
des §
28 p
SGB IV erlassen, der eine Regelung hinsichtlich der in diesem Zeitraum bestehenden Beitragspflichten beinhaltet hatte. Dieser Bescheid
ist bestandskräftig. Er war allerdings von Anfang an rechtswidrig, weil er die Beitragsnachzahlungspflicht hinsichtlich der
Verpflegungsmehraufwendungen, die die Klägerin den im ...-Werk in ...- ... tätigen Müllwerkern gewährt hatte, nicht beinhaltet
hatte. Insoweit lag ein die Klägerin begünstigender Verwaltungsakt vor.
An diesen Bescheid ist die Beklagte zwar nicht unabänderlich gebunden, denn sie kann ihn zurücknehmen. Eine Vorschrift wie
§
173 Abs.
2 Abgabenordnung, die eine Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur dann ermöglicht,
wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, besteht im Sozialrecht nicht. Allerdings
fehlt es vorliegend an der Beachtung der Voraussetzungen des § 45 SGB X.
Die Beklagte erließ am 17.06.2004 für den Prüfzeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2003 einen Beitragsbescheid. Sie verlangte
dem Widerspruchsbescheid in der Anlage des Bescheids Nachforderungen für beitragspflichtige Mehraufwendungen aus dem Zeitraum
vom 01.01.1998 bis 31.5.2001.
Hinsichtlich des Zeitraums vom 01.01.1998 bis zum 31.12.1999 hob sie damit inzident ihren Bescheid vom 21.03.2000 teilweise
auf und machte Beitragsnachforderungen geltend aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen Lohnsteuernachforderungsbescheides
des Finanzamtes ... vom 11.07.2001. Sie überschritt damit den Prüfzeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2003.
§ 45 SGB X setzt voraus, dass der Bescheid, der aufgehoben wird, auch bezeichnet wird. Weiter ist erforderlich, dass die Beklagte auch
ihr Ermessen ausübt ("darf") und eine Anhörung nach § 24 SGB X insbesondere zu den inneren Tatbeständen durchführt (BSG Urteil vom 9.11.2010, B 4 AS 37/09 R - BeckRS 2011, 65131). Hierzu ist festzustellen, dass diese tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind; entsprechende
Nachholungen hat die Beklagte auch im Verwaltungsverfahren noch in beiden gerichtlichen Instanzen vorgenommen.
Vorliegend sind zudem keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Klägerin den Bescheid vom 21.03.2000 durch arglistige Täuschung,
Drohung oder Bestechung erwirkt hätte oder dass dieser auf Angaben beruht hätte, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig
in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hätte. Damit wäre die Beklagte nur zur Rücknahme berechtigt
gewesen, wenn die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte;
grobe Fahrlässigkeit läge dann vor, wenn die Klägerin die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hätte.
Hierzu fehlt es an jeglichem Anhalt. Auch in den Akten fehlen diesbezüglich die erforderliche Feststellungen und Erhebungen.
Vielmehr ist der Bescheid vom 17.06.2004 selbst ausdrücklich auf den Prüfzeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2003 bezogen, der
er- weiterte Prüfzeitraum findet sich lediglich in der Anlage des Bescheides, in den Berechnungsblättern. Dafür, dass die
Beklagte die Ausübung am Ermessen irgendwann für erforderlich gehalten hätte, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Ein rechtswirksame
Aufhebung des Bescheides vom 21.03.2000 ist damit nicht erfolgt.
Darüber hinaus wäre die Beklagte hierzu auch nicht berechtigt gewesen, da im vorliegen- den Fall nicht von einer groben Fahrlässigkeit
der Klägerin ausgegangen werden kann. Es sind auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür festzustellen, dass die Klägerin
die ihr obliegende Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hätte. Vielmehr blieb die beitragsrechtliche Behandlung der
Verpflegungsmehraufwendungen bis zum Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 11.07.2001 sowohl durch die Finanzverwaltung als
auch die Beklagte viele Jahre unbeanstandet. Die Finanzverwaltung benötigte schließlich drei Jahre, um über den Einspruch
gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid zu entscheiden.
Selbst wenn die Beklagte den Bescheid vom 21.03.2000 wirksam hätte zurücknehmen können, hätte sie keine Beiträge für den Zeitraum
vom 01.01.1998 bis 31.12.1999 nachfordern können, da zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 17.06.2004 alle Beitragforderungen
vor dem 01.01.2000 gemäß §
25 Abs.
1 SGB IV verjährt waren. Ansprüche auf Beiträge verjähren nach §
25 Abs.
1 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vor- enthaltene
Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.
Die Voraussetzungen für eine vorsätzliche Beitragsvorenthaltung, entwickelt vom Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 30.3.2000
(B 12 KR 14/99R - NZS 2000 S. 515) sind aber hier nicht erfüllt. Ein bedingter Vorsatz könnte danach allenfalls angenommen werden wenn:
- die Löhne/Gehälter von fachkundigem Personal (Steuerberater) abgerechnet wurden,
- es sich auch um ein typisches Arbeitsentgelt bzw. eine weit verbreitete Nebenleistung zum Arbeitsentgelt handelt, wobei
die Besonderheiten einer Region oder einer bestimmten Branche zu beachten sind und zwischen steuer- und beitragsrechtlicher
Behandlung eine bekannte oder ohne weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ab Bekanntgabe des Lohnsteuernachforderungsbescheides die reklamierten Verpflegungsmehraufwendungen
bei der Beitragsberechnung berücksichtigt. Die Abrechnungen erfolgten durch einen Steuerberater. Bei dem Verpflegungsmehraufwand
handelt es sich um branchenübliche Verpflegungsmehraufwendungen (vgl. Kreikebohm,
SGB IV, 1. Aufl. 2008, §
25 Rdnr. 5).
Nach der glaubwürdigen Aussage des Zeugen H. waren die Verpflegungsmehraufwendungsleistungen der Beschäftigen der Klägerin
viele Jahre lang steuerrechtlich wie auch sozialversicherungsrechtlich gleich behandelt worden, weil als maßgeblich für die
Annahme einer auswärtigen Tätigkeit die Betriebsstätte der Klägerin und nicht die Betriebsstätte der ... AG angesehen würde.
Dies änderte sich bezüglich der Beschäftigten auf dem Gelände der Fa ... erstmals im Lohnsteuernachforderungsbescheid vom
11.07.2001.
Für eine 30-jährige Verjährung fehlen die Tatbestandsvoraussetzungen. Vorsatz bzw. bedingter Vorsatz wegen der rechtlich unzutreffenden
Wartung der Betriebsstätte kann der Klägerin nicht unterstellt werden, weil gegen den Lohnsteuernachforderungsbescheid durch
die Klägerin Einspruch eingelegt worden war, über den durch die Firmenverwaltung selbst letztlich erst im Jahr 2004, aber
erst nach jahrelanger Prüfung, entschieden worden ist. Somit könnte erst ab 2004 bedingter Vorsatz unterstellt werden. Dann
aber wären die bis 31.12.1999 entstandenen Beiträge bereits verjährt.
Die Kosten des Rechtsstreits sind entsprechend dem Obsiegen bzw. Unterliegen nach §
197 a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
155 Abs.
1 VwGO zu zwei Dritteln der Beklagten aufzugeben, da hinsichtlich des Zeitraums mehr als die Hälfte der Beitragsnachforderung zu
Unrecht erhoben wurde. Die Säumniszuschläge wurden ebenfalls zu Unrecht erhoben.
Die Höhe des Streitwerts folgt aus §
197a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG sind nicht ersichtlich.