Versäumung der Klagefrist im sozialgerichtlichen Verfahren; Bekanntgabe des Verwaltungsaktes; Eintritt der Zugangsfiktion
nach automatischem Vermerk im PC
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung und Verpflichtung zur Erstattung von Leistungen nach dem SGB II
(Arbeitslosengeld II sowie Leistung für Unterkunft und Heizung) für den Zeitraum vom 18.04.2005 bis 31.03.2006 in Höhe von
noch 4.867,10 Euro streitig.
Die 1955 geborene Klägerin bezog vom 18.04.2005 bis 31.03.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB
II. Durch den automatisierten Datenabgleich nach § 52 SGB II wurde am 30.06.2006 festgestellt, dass die Klägerin laufende
Rentenzahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung erhielt. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) teilte der Beklagten
mit, dass die Klägerin rückwirkend ab dem 01.01.2005 befristet bis 31.12.2007 Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit erhielt.
Mit Bescheid vom 21.03.2007 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II auf und forderte von
der Klägerin insgesamt 6.093,70 Euro zurück. Der Beklagten sei von ihr nicht mitgeteilt worden, dass rückwirkend ab dem 01.01.2005
Rente bewilligt worden sei. Bei rechtzeitiger Mitteilung hätte die Beklagte einen Erstattungsanspruch gegen die DRV geltend
gemacht und die von der Beklagten gewährten Leistungen wären von der DRV an die Beklagte erstattet worden. Die Klägerin hätte
Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung ihres Anspruchs geführt habe
(§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X).
Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.01.2008 als teilweise unbegründet zurückgewiesen.
Zu erstatten sei noch ein Betrag von 4.867,10 Euro, der sich aus den an die Klägerin geleisteten Zahlungen der Beklagten abzüglich
einer Erstattung der RV aus der Rentennachzahlung vom 04.10.2006 in Höhe von 1.226,61 Euro ergäbe. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X sei für die Aufhebung auf den Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse abzustellen. Dieser läge mit der Rentenbewilligung
ab dem 01.01.2005 vor. Die Klägerin habe damit ab dem 18.04.2005 bis 31.03.2006 für den gleichen Zeitraum Rentenleistungen
sowie Leistungen der Beklagten erhalten. Bei der Aufhebung und Rückforderung handele es sich insoweit um eine gebundene Verwaltungsentscheidung,
so dass für Ermessenserwägungen kein Raum bestünde (§
40 Abs.
1 Nr.
1 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
3 SGB III). Mit Schreiben vom 06.03.2008 (bei der Beklagten am 07.03.2008 eingegangen) bat die Klägerin die Beklagte um Wiedereinsetzung
und nochmalige Überprüfung ihrer Entscheidung. Ihr seien Leistungen trotz entsprechender Anträge nicht bewilligt worden. Zurückzuzahlen
hätte sie aus den schon vorgetragenen Gründen nichts. Dieses Schreiben wurde nach entsprechendem Hinweis der Beklagten, wie
von der Klägerin am 03.04. sowie 04.05.2008 gewünscht, als Klage gewertet und an das Sozialgericht München weitergeleitet.
Im Verfahren vor dem Sozialgericht München (SG) trug die Beklagte vor, die Klage sei schon verfristet und im Übrigen auch unbegründet. Durch das Renteneinkommen, das nach
§ 11 SGB II anzurechnen sei, entfiele die Hilfsbedürftigkeit, so dass die bisherigen Leistungen aufzuheben und die Leistungen
zurückzufordern seien. Im Übrigen werde auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Die Klägerin äußerte sich auch nach Aufforderung des Sozialgerichts zur Frage der Verfristung nicht und trug als Wiedereinsetzungsgründe
nur eine unfallbedingte Erkrankung sowie Bettlägerigkeit vor. Sie verwies darauf, dass sie der Beklagten immer Bescheid gegeben
habe.
Die Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 17.03.2009 abgewiesen. Die Klagefrist sei versäumt und Wiedereinsetzungsgründe nicht
glaubhaft gemacht worden. Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin annähme, der Bescheid vom 31.01.2009 sei erst am 01.02.2009
zur Post gegeben worden, gelte der Widerspruchsbescheid gemäß § 37 Abs. 2 SGB X als am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, also am 04.02.2009 bekannt gegeben. Die Frist für die Einlegung der Klage hätte
damit am 05.02.2008 begonnen und sei am 04.03.2008 abgelaufen. Der erst am 07.03.2008 bei der Beklagten eingegangene - als
Klage zu wertende - Schriftsatz sei damit nach Ablauf der Klagefrist eingegangen. Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe,
sie sei unfallbedingt krank und bettlägerig, genügten nicht für eine Wiedereinsetzung.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Die Begründung für die Rückforderung bestünde
zu Unrecht, da die Beklagte immer über die Höhe der Renteneinkünfte Bescheid gewusst habe. Auf die Frage der Verfristung der
Klage ging die Klägerin nicht ein. Mit Fax vom 13.01.2010 reichte die Klägerin diverse Unterlagen ein. Die Erwerbsunfähigkeitsrente
reiche nicht zum Leben, die ARGE sei immer über den Rentenantrag informiert gewesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23.03.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 21.03.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31.01.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23.03.2008 zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist in ihrer Berufungserwiderung auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid. Auf Nachfrage des Gerichts führte
die zuständige Sachbearbeiterin der Beklagten mit Schreiben vom 14.12.2009 aus, dass sie den Widerspruchsbescheid am Tage
der Fertigstellung selbst mit dem Datum 31.01.2008 versehen und ihn am selben Tag zur Post gegeben habe.
Die in der Berufungseinlegung von der Klägerin zunächst angeführte Betreuerin hat mit Schreiben vom 16.12.2009 mitgeteilt,
dass die Betreuung mit Beschluss des Amtsgerichts T. vom 07.07.2009 aufgehoben wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen sowie der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §
143 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthafte und gemäß §
151 Abs.
1 und
2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23.03.2008,
mit dem die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2008 abgewiesen
wurde, ist nicht zu beanstanden, denn die Klage war verfristet.
Nach §
87 Abs.
1 Satz 1
SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erhaben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so
beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, §
87 Abs.
1 SGG. Über diese Frist ist die Klägerin im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 31.01.2008 ausdrücklich und zutreffend belehrt
worden.
Eine förmliche Zustellung des Widerspruchsbescheides ist nach §
85 Abs.
3 Satz 1
SGG nicht erforderlich.
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt
gegeben. Ein Vermerk "zur Post gegeben am ..." befindet sich zwar nicht in der Akte der Beklagten, die zuständige Sachbearbeiterin
der Beklagten hat im Schreiben vom 14.12.2008 aber unter Vorlage eines automatischen Vermerks im Computerprogramm glaubhaft
versichert, dass sie selbst den Widerspruchsbescheid am 31.01.2008 zur Post gegeben hat. Damit tritt die Zugangsfiktion des
§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein und der Widerspruchsbescheid gilt am 03.02.2008 als zugegangen. Dabei ist es unerheblich, dass der 03.02.2008 auf einen
Sonntag fiel, denn bei der Bestimmung des dritten Tages ist nicht entscheidend, ob dieser Tag ein Sonntag, gesetzlicher Feiertag
oder Sonnabend ist. § 26 Abs. 3 Satz 1, nach dem die Frist mit dem Ablauf des nächsten Werktages endet, wenn das Ende der
Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, greift nicht unmittelbar ein, weil die Vorschrift
nur den Ablauf der Frist regelt.
Die Frist für die Einlegung der Klage begann somit am 04.02.2008 und endete mit Ablauf des 03.03.2008, einem Montag. Der als
Klage zu wertende Schriftsatz der Klägerin ist aber erst am 07.03.2008 (Eingangsstempel der Beklagten) eingegangen und damit
nach Ablauf der Klagefrist. Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt einen späteren Zugang des Widerspruchsbescheides behauptet.
Das SG hat auch zu Recht keine Gründe angenommen, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §
67 Abs.
1 SGG rechtfertigen würden. Nach §
67 Abs.
1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche
Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist nach §
67 Abs.
2 SGG binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrages sollen glaubhaft
gemacht werden.
Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind vorliegend nicht gegeben gewesen. Der
bloße Vortrag der Klägerin, sie sei unfallbedingt krank und bettlägerig, ist nicht ausreichend, um eine unverschuldete Versäumung
der Klagefrist glaubhaft zu machen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung schließt Krankheit ein Verschulden aber nur dann
aus, wenn der Betroffene so schwer erkrankt ist, dass er nicht selbst handeln und auch nicht einen anderen beauftragen kann
(vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Kommentar zum
SGG, Rz. 7c zu §
67 m.w.N.). Die Rechtsprechung ist hier streng. Das Vorliegen einer solchen schweren Erkrankung, die sie willens- und handlungsunfähig
macht, hat die Klägerin nicht glaubhaft vorgetragen. Auch in dem mit Schreiben vom 13.01.2010 per Telefax eingereichten Schriftsatz
macht sie lediglich Ausführungen zur materiellen Rechtslage, jedoch keine Ausführungen zur Frage der Wiedereinsetzung. Das
SG hat damit vollkommen zu Recht die Wiedereinsetzung nicht gewährt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe gemäß §
160 Abs.
2 SGG nicht gegeben waren.