Beschwerde gegen die Verhängung von Ordnungsgeld wegen Nichtbefolgung einer Anordnung des persönlichen Erscheinens
Nachträglich vorgebrachte Entschuldigung oder Glaubhaftmachung einer Verhinderung
Gründe
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Verhängung von Ordnungsgeld wegen Nichtbefolgung einer Anordnung des persönlichen Erscheinens.
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Kläger in einem beim Sozialgericht (SG) München unter dem Az. S 24 SB 538/17 geführten Rechtsstreit betreffend die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem
Neunten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX).
Zur Begründung seiner Klage berief sich der 1942 geborene Kläger auf Herzrhythmusstörungen, die zu Atemnot, Schwindel und
Gleichgewichtsstörungen führten. Nach einem Befund des Klinikums B. vom 29.11.2017 wurde insbesondere die Diagnose eines langanhaltend
persistierenden Vorhofflimmerns (Erstdiagnose 2014) mit Zustand nach zweimaliger Elektrokardioversion im Jahr 2014 und raschem
Rezidiv gestellt.
Mit Ladung vom 05.04.2018 bestimmte das SG Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 17.05.2018 um 11.00 Uhr. Das persönliche Erscheinen des Bf. wurde angeordnet. Die
Ladung wurde dem Bf. persönlich mit Postzustellungsurkunde am 07.04.2018 zugestellt. Das Schreiben an den Bf. enthielt eine
Belehrung darüber, dass gegen ihn ein Ordnungsgeld von bis zu 1.000 EUR festgesetzt werden könne, wenn er ohne genügende Entschuldigung
nicht erscheinen würde.
Am Tag der mündlichen Verhandlung am 17.05.2018 hat der Kläger laut Aktenvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle telefonisch
mitgeteilt, dass er nicht zur Verhandlung erscheinen könne, da er sich gesundheitlich nicht in der Lage sehe. Seitens der
Geschäftsstelle sei ihm gesagt worden, dass er ein Attest schicken solle.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.05.2018 von 11.10 Uhr bis 11.15 Uhr ist für den Bf. niemand erschienen. Das SG hat mit einem noch im Termin verkündeten Beschluss gegen den Bf. wegen unentschuldigten Ausbleibens ein Ordnungsgeld von
150 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, eine telefonische Mitteilung am Tage der mündlichen Verhandlung,
dass er nicht zur Verhandlung erscheinen könne, ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung reiche für eine Entschuldigung
nicht aus. Die Sitzungsniederschrift, in die der Beschluss aufgenommen wurde, ist dem Bf. laut Postzustellungsurkunde am 19.05.2018
zugestellt worden.
Am 18.05.2018 ist beim SG das Attest des Dr. P., Kardiologe vom Klinikum S., vom 17.05.2018 eingegangen, in dem bestätigt wurde, dass der Kläger wegen
einer akuten gesundheitlichen Störung vom 17.05.2018 bis einschließlich 18.05.2018 seinen amtlichen Verpflichtungen nicht
nachkommen könne.
Der Bf. hat gegen den Beschluss am 23.05.2018 Beschwerde eingelegt und wie folgt begründet:Er habe am Tag der mündlichen Verhandlung
am Morgen in der Dusche einen Schwächeanfall mit erheblichen Gleichgewichtsstörungen erlitten. Zwar habe er aufgrund seines
Vorhofflimmerns schon immer wieder unter ähnlichen Störungen gelitten, jedoch noch nie zuvor in einem solchen Ausmaß. Er habe
deshalb um 9:00 Uhr den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle angerufen und ihn ausführlich über seine Beschwerden unterrichtet.
Der Urkundsbeamte habe ihm mitgeteilt, dass er ein Attest benötige. Er sei an dem Tag nicht in der Lage gewesen, seinen Arzt
persönlich aufzusuchen, da seine Frau nicht zuhause gewesen sei, er habe jedoch umgehend seinen Kardiologen Dr. P. angerufen,
der seine Beschwerden aufgrund des Vorhofflimmerns für glaubhaft gehalten habe und deshalb am selben Tage noch das Attest
ausgestellt habe. Der Kläger hat weiter erklärt, dass er aufgrund des Vorfalls vom 17.05.2018 auch eine neurologische Untersuchung
eingeleitet habe, die eine vorher nicht bekannte Polyneuropathie an den Beinen ergeben habe, die seine Gleichgewichtsstörungen
verschlimmert habe. Hierzu hat er einen Befundbericht des B.-Krankenhaus F. vom 12.07.2018 vorgelegt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) und begründet, weil die Verhängung von Ordnungsgeld gegen den Bf. durch Beschluss vom 17.05.2018 nicht rechtmäßig war.
Gemäß §
111 Abs.
1 Satz 1
SGG kann der Vorsitzende das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung anordnen. Bleibt der Beteiligte
im Termin aus, so kann gemäß §
202 SGG. i. V. m. §
141 Abs.
3 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) gegen ihn Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen, also nach den §§
380 f.
ZPO, festgesetzt werden. Der Bf. ist im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.05.2018 nicht erschienen.
Die Festsetzung eines Ordnungsmittels unterbleibt gemäß §
381 Abs.
1 Satz 1
ZPO, wenn das Ausbleiben rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Erfolgt die Entschuldigung nach Satz 1 nicht rechtzeitig, so
unterbleibt die Festsetzung eines Ordnungsmittels nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Zeugen - hier in entsprechender
Anwendung gemäß §
141 Abs.
3 Satz 1
ZPO den Beteiligten - an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft (§
381 Abs.
1 Satz 2
ZPO). Erfolgt die genügende Entschuldigung oder die Glaubhaftmachung nachträglich, so werden die getroffenen Anordnungen unter
den Voraussetzungen des Satzes 2 aufgehoben (§
381 Abs.
1 Satz 3
ZPO).
Im vorliegenden Fall ist der Beschluss des SG aufzuheben, weil der Bf. sein Ausbleiben unverzüglich angekündigt und nachträglich genügend entschuldigt hat: Er rief um
9.00 Uhr in der Geschäftsstelle an und schilderte den unmittelbar vorausgegangenen Schwächeanfall mit massiven Gleichgewichtsstörungen.
Auf den Hinweis der Geschäftsstelle, dass er ein Attest benötige, rief er seinen Kardiologen Dr. P. an, der aufgrund der Krankheitsgeschichte
die Beschwerden für glaubhaft hielt und ihm ein Attest ausstellte, das der Bf. am Folgetag an das Gericht faxte.
Der Senat hält die Aussage des Bf. für glaubhaft, dass er zwar zuvor bereits unter Gleichgewichtsstörungen gelitten habe,
dass ihn die Attacke am Verhandlungstag jedoch in einer bislang unbekannten Stärke getroffen habe, mit der er vorher nicht
habe rechnen können. Bei künftigen Ladungen unter Anordnung des persönlichen Erscheinens wird der Kläger aber entsprechende
Attacken von vornherein einzukalkulieren und bei der Wahl der Verkehrsmittel und der für die Anfahrt benötigten Zeit zu berücksichtigen
haben. Sollte auch dadurch unter normalen Bedingungen nicht zu erwarten sein, dass der Kläger an der Sitzung teilnehmen kann,
hat dies der Kläger rechtzeitig vor dem Termin unter Beifügung ärztlicher Atteste dem Gericht mitzuteilen und um Aufhebung
der Anordnung des persönlichen Erscheinens zu ersuchen.
Ferner wird das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass es gemäß §
202 SGG i. V. m. §
141 Abs.
3 Satz 1
ZPO i. V. m. §
381 Abs.
1 Satz 3
ZPO berechtigt und nach Ansicht des Senats auch verpflichtet ist, bei nachträglich vorgebrachter Entschuldigung oder Glaubhaftmachung
über die Aufhebung des Ordnungsmittels durch Beschluss zu entscheiden (Kühl, in Breitkreuz/ Fichte,
SGG, 2. A. 2014, §
111 Rdnr. 3). Dem steht die Abschaffung des Abhilferechts bei Beschwerden nach § 174
SGG a. F., der zum 01.04.2008 aufgehoben worden ist, nicht entgegen. Die Möglichkeit, nachträglich Entschuldigungsgründe vorzubringen
und eine Entscheidung darüber zu verlangen, ist in §
381 Abs.
1 Satz 3
ZPO spezialgesetzlich geregelt. Sie besteht bei Ordnungsmittelbeschlüssen der ersten Instanz selbstständig und unabhängig neben
der Möglichkeit, Beschwerde einzulegen. Damit wird dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art.
103 GG) insbesondere in den Fällen Rechnung getragen, in denen die Festsetzung des Ordnungsmittels unmittelbar in dem versäumten
Termin erfolgt.
Die Kostenentscheidung erfolgt analog §
193 SGG. Insoweit wendet der Senat §
467 Abs.
1 Strafprozessordnung (auch i. V. m. § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz) analog an, wonach die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten im Falle seines Freispruchs der Staatskasse zur Last fallen.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.