Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin im Jahre 1999 einen Arbeitsunfall erlitten hat, sowie Feststellung von Unfallfolgen.
Die 1955 geborene Klägerin hatte am 14.11.1994 einen Arbeitsunfall erlitten. Sie zog sich hierbei eine Verletzung des linken
Beins zu. Eine förmliche Feststellung erfolgte zunächst nicht. Am 27.07.1999 bat die Klägerin wegen dieses Unfalls um Auskunft
wegen einer Leistungspflicht der Beklagten. Drei Jahre danach, am 02.09.2002, machte sie Spätfolgen des Arbeitsunfalls vom
14.11.1994 sowie schädigende Einflüsse ihrer beruflichen Tätigkeit als Verkäuferin im Einzelhandel geltend. Sie legte Atteste
unter anderem über ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 17.07.2002 vor. Laut dem ärztlichen Attest
des Orthopäden Dr. N. vom 12.01.2002 leide die Klägerin an Coxa valga, Lumboischialgie bei Diskusprotrusion L 5/S 1 und Facettenarthrose.
Mit Schreiben vom 16.09.2002 machte die Klägerin eine berufsbedingte Erkrankung der Wirbelsäule geltend sowie einen Arbeitsunfall,
den sie 1999 oder 2000 erlitten habe. Sie habe nach Heben und Tragen von Kartons einen Notarzt benötigt. Dieser habe Verspannungen
diagnostiziert. Sie glaube, dass sie an diesem Tag einen Bandscheibenvorfall erlitten habe. Die Beklagte leitete daraufhin
zwei weitere Verwaltungsverfahren ein. Sie prüfte die Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit. Mit Bescheid vom 25.02.2003
lehnte sie die Feststellung einer Berufskrankheit ab.
Das weitere Verwaltungsverfahren bezog sich auf den streitgegenständlichen Unfall von 1999/2000. Die Firma E., bei der die
Klägerin gearbeitet hatte, gab an, von einem Unfall sei nichts bekannt. Es habe auch keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen.
Der behandelnde Orthopäde Dr. G. teilte am 03.07.2002/12.11.2002 mit, eine Unfallanamnese sei nicht bekannt. Es bestünden
degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule, keine Hinweise auf eine knöcherne Verletzung. Die Fachärztin für Neurologie
und Psychiatrie Dr. S. teilte mit, die Klägerin habe sich am 15.05.2002 auf Grund einer depressiven Symptomatik vorgestellt.
Über einen Unfall habe sie nichts berichtet. Der Facharzt für Orthopädie Dr. J. berichtete, die Klägerin habe sich erstmalig
am 07.12.1999 bei ihm in Behandlung begeben. Es habe ein lumbales Facettensyndrom bei aktiver Bandscheibendegeneration L 4/L
5 vorgelegen. Laut Auskunft der S.-Betriebskrankenkasse war die Klägerin im Jahre 2000 wegen eines Halswirbelsäulensyndroms
und wegen Lumbalgie arbeitsunfähig; im Jahre 2002 finden sich mehrere Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumboischialgie. Davor
war die Klägerin bei der AOK Bayern krankenversichert. Im Juli 1997 litt sie an einer Lumbago akut.
Nach Abschluss der Ermittlungen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2003 die Gewährung von Leistungen für die Folgen
des Unfalles von 1999/2000 ab. Ein Arbeitsunfall sei nicht nachgewiesen. Die eingeholten ärztlichen Unterlagen bezeichneten
die Erkrankungen der Wirbelsäule als chronisch, gingen dabei also nicht von einem Unfallereignis aus. Hiergegen legte die
Klägerin Widerspruch ein mit der Begründung, der Unfall habe sich am 23.03.1999 bei der Firma E. im Flughafen A-Stadt zugetragen.
Sie habe den dortigen Medizinischen Dienst in Anspruch genommen. Nach Einräumen eines schweren Parfümkartons habe sie Schmerzen
von der Lendenwirbelsäule ausstrahlend zum Unterbauch und zur Leiste bekommen. Erst am 07.05.1999 habe sie wegen der Rückenbeschwerden
einen Arzt aufgesucht.
Laut Bericht des Medizinischen Dienstes des Flughafens A-Stadt vom 23.03.1999 waren bei der Klägerin "für 30 Minuten plötzlich
krampfartige Schmerzen in der linken Flanke aufgetreten, jetzt besser". Auf Anfrage der Beklagten teilte der Medizinische
Dienst weiter mit, die Klägerin sei nicht auf Grund eines Schadensereignisses oder eines Arbeitsunfalls behandelt worden.
Wegen des Unfalls vom 14.11.1994 holte die Beklagte ein Gutachten bei dem Facharzt für Chirurgie Dr. G., A-Stadt, ein. Bei
der dortigen Untersuchung gab die Klägerin an, sie führe ihre Wirbelsäulenbeschwerden auf eine Mitverletzung bei dem Unfall
von 1994 zurück. Dr. G. diagnostizierte degenerativ bedingte Bandscheibenschäden an der LWS.
Mit Bescheid vom 06.08.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen legte die Klägerin Klage beim Sozialgericht München (SG) unter Vorlage eines Attests des Facharztes für Orthopädie Dr. B. vom 09.12.2003 ein, bei dem sie seit 23.08.2002 in Behandlung
sei. Dr. B. bestätigte, dass die Klägerin am 23.03.1999 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Beim schweren Heben und Tragen
seien plötzlich Schmerzen im Rücken und Unterleib aufgetreten. Eine ärztliche Versorgung sei nötig geworden. Das Ereignis
habe zu einer richtunggebenden Verschlimmerung der Bandscheibenprobleme geführt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)betrage
auf Dauer 20 v.H.
Im Beweisaufnahmetermin vom 23.04.2004 wurde die frühere Kollegin der Klägerin, A. S., als Zeugin vernommen. Diese bestätigte,
dass die Klägerin am 23.03.1999 einen schweren Karton mit einem Gewicht von 15 bis 20 kg aus dem Lager geholt habe. Sie habe
den Karton abgestellt, und dann aufgeschrien. Das SG holte kein Gutachten ein.
Mit Urteil vom 24.09.2004 wies das SG die Klage ab. Die Schmerzen der Klägerin seien nicht durch ein äußeres Ereignis aufgetreten. Dies habe die Zeugenaussage
eindeutig erbracht. Die Klägerin selbst habe in ihrem Schreiben vom 29.07.1999 an die Beklagte, ca. vier Monate nach dem Ereignis,
einen Arbeitsunfall vom 23.03.1999 in keiner Weise erwähnt. Dies sei jedenfalls ein Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin
selbst die krampfartigen Schmerzen nicht einem äußeren Ereignis zugeordnet habe. Sie habe auch keinen Arzt aufgesucht und
bei den behandelnden Ärzten in der näheren Zeit einen Unfall nicht erwähnt. Die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls sei sehr
viel später erfolgt. Für die Erfüllung des Begriffs "Unfall" fehle es an einem durch den Unfall verursachten Körperschaden.
Die Beklagte habe zu Recht die Anerkennung eines Arbeitsunfalles und die Bewilligung von Leistungen abgelehnt.
Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein. Zur Begründung legte sie einen Operationsbericht vom 06.10.2003 über eine Laseroperation
der Wirbelsäule vor sowie das ärztliche Attest des Dr. B. vom 09.12.2003, des Weiteren ein fachärztlich-phlebologisches Gutachten
vom 22.02.2005. Nach Beiziehung diverser Röntgenaufnahmen sowie Befundberichte der behandelnden Ärzte und Unterlagen der Deutschen
Rentenversicherung Bund wurde der Orthopäde Dr. G. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Dieser kam in seinem Gutachten
vom 16.01.2008 zum Ergebnis, dass die Klägerin am 23.03.1999 eine sog. Intercostalneuralgie, eine Reizung eines Nervens zwischen
den Rippenbögen erlitten habe, wie sich aus dem Notarztbericht ergebe. Es handle sich hierbei um ein grundsätzlich reversibles
Geschehen ohne strukturelle Schädigung und ohne dauerhafte Veränderungen. Zum Unfallzeitpunkt seien bei der Klägerin bereits
Vorschäden an der Lendenwirbelsäule bekannt gewesen. Die jetzigen Gesundheitsstörungen seien als chronischer Verschleißprozess
der Bandscheiben und kleinen Wirbelgelenke im Lendenwirbelsäulenbereich zu sehen.
Die Klägerin legte diverse ärztliche Atteste vor. Danach leide die Klägerin seit 1994 an lokalen Lumbalbeschwerden und an
zunehmenden muskulären Beschwerden im Schulter-/Nackenbereich mit Kopfschmerzsymptomatik.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 16.04.2008 ging Dr. G. von einem Unfallgeschehen aus. Da die Dauer des Beschwerdebildes
(Intercostalneuralgie) nicht festgehalten wurde, könne die dadurch bedingte Arbeitsunfähigkeitszeit sowie Behandlungsdauer
nicht festgelegt werden.
Die Klägerin stellt sinngemäß den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.09.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06.08.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, festzustellen, dass das Ereignis vom 23.03.1999 ein Arbeitsunfall
war und ein Bandscheibenvorfall L5/S1 und eine Bandscheibenprotusion L4/L5 Unfallfolgen sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Bei dem Ereignis vom 23.03.1999 handelt
es sich um einen Arbeitsunfall; dieser hat jedoch keine Folgen im rentenberechtigenden Maße hinterlassen.
Das Anheben des Kartons ist ein Arbeitsunfall im Sinne von §
8 Abs.1 Satz 2
SGB VII. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind auch körpereigene Bewegungen wie Heben, Schieben, Laufen usw. äußere Vorgänge
in diesem Sinne, selbst wenn sie gewohnt und üblich sind (BSG SozR Nr.1 zu § 838
RVO). Es handelt sich um einen sog. Unfall des täglichen Lebens. Dieser ist zu entschädigen, wenn im Übrigen die Voraussetzungen
für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vorliegen.
Durch das Anheben des Kartons erlitt die Klägerin eine sog. Intercostalneuralgie, d.h. eine Reizung eines Nervens zwischen
den Rippenbögen. Dies ist dem ärztlichen Befundbericht des Notarztes zu entnehmen, der die Klägerin untersucht und behandelt
hat, wie Dr. G. erläutert. Auch wenn hierdurch keine strukturelle Schädigung verursacht wurde, ist der Unfallbegriff erfüllt.
Dass als mitwirkende betriebliche Umstände nur solche in Betracht kommen, welche den Versicherten einer Gefährdung aussetzen,
die um ein Mehrfaches die in seinem privaten Lebensbereich bestehende Gefährdung übersteigen, wird von der Rechtsprechung
des BSG nicht gefordert (BSG vom 31.07.1985 - 2 RU 15/84).
Der Unfall vom 23.03.1999 ist auch nicht eine austauschbare Gelegenheitsursache. Ein unfallbedingtes physisches Trauma, welches
nur auf Grund des Zusammenwirkens mit anlagebedingten Faktoren zu einer weitergehenden Gesundheitsstörung führt, ist rechtlich
nicht wesentliche Ursache ("Gelegenheitsursache"), wenn die bestehende Krankheit oder Krankheitsanlage bereits so ausgeprägt
war, dass der durch das Unfallereignis verursachte Gesundheitsschaden wahrscheinlich zu etwa derselben Zeit und in demselben
Umfang ebenso hätte eintreten können - ohne Mitwirkung einer äußeren Einwirkung oder - nur unter Mitwirkung äußerer Einwirkungen,
die aber alltäglichen Belastungen des normalen Lebens entsprechen. Nur im Hinblick auf ihre jeweilige Beziehung zum Erfolg
reicht das Vorliegen der Wahrscheinlichkeit aus. Kann die Ursache, hier die vorbestehende Krankheitsanlage, dagegen nicht
sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen
Sinn in Betracht zu ziehen ist (Lauterbach, Unfallversicherung, § 8, Rdnr.99 m.w.N.). Die innere Ursache muss nachweisbar
sein und es muss feststehen, dass sie eine nicht hinweg zu denkende Bedingung für das konkrete Unfallereignis geworden ist.
Es ist nicht bewiesen, dass ohne die Verrichtung die Intercostalneuralgie am 23.03.1999 ebenso aufgetreten wäre. Ein entsprechender
Vorbefund ist nicht dokumentiert. Eine akute Lumbago, die im Jahre 1997 einmal zu einer zweitägigen Arbeitsunfähigkeit geführt
hatte, lag nicht vor. Eine lumbalgieforme oder gar eine lumboischialgieforme Schmerzattacke, welche auf eine akute Bandscheibenschwächung
zurückzuführen wäre, kann dem Notarztbericht nicht entnommen werden. Damit ist nicht bewiesen, dass die Intercostalneuralgie
auf den Verschleißprozess an der Lendenwirbelsäule zurückzuführen ist.
Das Unfallgeschehen hat jedoch zu keinen bleibenden Schäden, auch nicht zu einer richtungweisenden Verschlechterung des ohne
Zweifel vorbestehenden Degenerationsprozesses im Bereich der Lendenwirbelsäule geführt. Die später notwendigen therapeutischen
Maßnahmen inklusive der stattgehabten Laserdiskektomie im Segment LWK 5/SWK 1 sind nicht kausal auf das Unfallgeschehen vom
23.03.1999 zurückzuführen. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. G. vom 16.01.2008.
Der Unfallmechanismus war insbesondere nicht geeignet, eine Bandscheibenschädigung zu verursachen. Traumatische Bandscheibenschädigungen
zeigen sich niemals in Form eines Bandscheibenvorfalles oder einer Bandscheibenprotrusion, sondern immer durch traumatische
Schäden im Bereich des Anulus fibrosus im Sinne von Ausrissen aus den Wirbelkörperendplatten mit regelhaft gleichzeitigen
Frakturen der angrenzenden Wirbelkörper selbst. Nur bei massiver und forcierter Überbeugung (Hyperflexion) über die physiologische
Grenze hinaus wird eine solche Rissbildung im Faserring der Bandscheibe im dorsalen Bereich erkennbar oder kann sich dieser
Faserring von der Endplatte lösen. Diese traumatischen Veränderungen sind jedoch in einer Schnittbilddiagnostik (Kernspin-
und/oder Computertomographie) innerhalb von drei Monaten nach dem Ereignis erkennbar. Eine solche Verletzung hat bei der Klägerin
definitiv nicht stattgefunden, wie Dr. G. ausführt.
Eine Intercostalneuralgie bzw. Blockade eines Rippenwirbelgelenkes mit entsprechender Schmerzsymptomatik bedingt in der Regel
lediglich eine Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit von wenigen Tagen bzw. unter einer Woche. Eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit auf Dauer ist nicht festzustellen.
Das Gutachten des Dr. G. wird auch nicht entkräftet durch die ärztlichen Befunde und Atteste aus den Jahren 2002 bis 2008,
die von der Klägerin eingereicht wurden. Entscheidend sind die unfallnächsten Befunde. Bei der Klägerin wurde inzwischen eine
chronische Schmerzerkrankung mit biopsychosozialen Konsequenzen attestiert. Diese ist unfallunabhängig, da die Intercostalneuralgie
folgenlos ausgeheilt ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.09.2004 war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §
193 SGG. Der Senat sieht keine Veranlassung, die Revision gemäß §
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG zuzulassen.