Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Bewilligung einer Verletztenrente gemäß §
56 Abs.1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) aufgrund des Unfalles vom 25.09.1980.
Der 1938 geborene Kläger hat am 25.09.1980 einen Wegeunfall erlitten. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 09.06.1982 als Unfallfolgen
festgestellt: Weichteil- und Knochennarbe am Unterschenkel mit Knochenkalksalzminderung im körperfernen Unterschenkeldrittel
sowie geringe Herabsetzung der Belastbarkeit des Beines (links). Die vorläufig gewährte Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) von 20 v.H. ist mit Ablauf des Monats Juli 1982 entzogen worden, weil Dr. G. mit chirurgischem Gutachten vom 21.04.1982
nur noch eine MdE von 10 v.H. hat feststellen können.
Die Ehefrau des Klägers hat mit Schreiben vom 08.09.2003 gegenüber der AOK Bayern vorgetragen, die am 25.06.2003 durchgeführte
Unterschenkelamputation am unfallverletzten linken Bein bei Ulcus cruris sei letztendlich eine Spätfolge des Trümmerbruches
vom 25.09.1980. Die daraufhin von Seiten der Beklagten eingeleiteten Ermittlungen haben folgende Krankheitsgeschichte des
Klägers ergeben:
- 1975 Meniskusoperation rechts,
- 1980 Sprunggelenksbruch links (distale Thibiaschaftfraktur, Fibulafraktur),
- 1982 Schenkelhalsfraktur rechts,
- 1983 Metallentfernung nach Schenkelhalsfraktur rechts,
- 08/1992 operative Verkürzung des linken Unterschenkels (Valgisierungsosteotomie),
- 1992 anamnestisch postoperativ tiefe Beinvenenthrombose links,
- 01/1993 Arthroskopie bei Hemarthrose des linken Kniegelenkes,
- 1994 Oberarmbruch links,
- 05/1994 AC-Gelenkssprengung links Tossy III und Sitzbeinfraktur nach Sturz,
- 05/1994 Osteosynthese des linken Schultergelenks bei Gelenkssprengung,
- 06/1994 Unterschenkelvenenthrombose links (phlebographischer Nachweis),
- 05/1995 Metallentfernung linkes AC-Gelenk bei Zustand nach Osteosynthese 1994,
- 06/1996 obere gastrointestinale Blutung unter Marcumar Forrest IIa,
- 10/1996 Metallentfernung linker Unterschenkel bei Zustand nach Umstellungsosteo- tomie,
- 11/1996 tiefe Unterschenkelvenenthrombose links, am ehesten postoperativ (phlebographischer Nachweis),
- 1996 Verdacht auf Alkohol- und Diacepamabusus,
- 10/1998 Faktor-V-Leiden heterozygot,
- 07/1999 schweres degeneratives LWS-Syndrom mit rechtsseitiger Lumboischialgie,
- 08/1999 schwere Coxarthrose rechts bei Zustand nach pertrochanterer Oberschenkelfraktur,
- 11/1999 Lungenembolie beidseits bei tiefer Beinenvenenthrombose beider Unterschenkel (phlebographischer Nachweis),
- 07/2000 TEP rechte Hüfte,
- 10/2000 obere gastrointestinale Blutung unter Marcumar Forrest III,
- 10/2000 Unterschenkelvenenthrombose links (phlebographischer Nachweis),
- 10/2000 radikale Fasciektomie,
- 12/2000 Mesh-Graft-Deckung linker Unterschenkel,
- 02/2001 Jejunium-Teilresektion wegen Bridenileus,
- 07/2002 Knochenaffektion bei Zustand nach Anbringung einer internen Fixatur,
- 25.06.2003 Unterschenkelamputation linksseitig und nachfolgend viermalige Stumpfrevision bei Wundheilungsstörungen und chronischer
Osteomyelitis sowie Gamaschenulcus,
- 07/2005 Nachamputation links bei Wundheilungsstörungen.
Die Beklagte hat zur Ermittlung des vorstehend bezeichneten Krankheitsverlaufes vor allem die umfassenden Unterlagen des Kreiskrankenhauses
A-Stadt, der Universitätshautklinik T. Straße, C-Stadt und der Medizinischen Poliklinik des Klinikums I. sowie die hausärztlichen
Unterlagen der Praxis Dr. B. beigezogen.
- Hinsichtlich des Arbeitsunfalles vom 25.09.1980 sind die Unterlagen des Krankenhauses I., C-Stadt, betreffend die operative
Versorgung der Fraktur, die postoperative Heparinisierung und Dauer der Immobilisation nicht mehr verfügbar gewesen. Anamnestisch
hat der Kläger berichtet, dass es bei dem Arbeitsunfall zu einem Tümmerbruch des linken Sprunggelenks mit distaler Thibiaschaftfraktur
und Fibulafraktur gekommen sei. Es habe ein offener Bruch bestanden. Die Fraktur sei verplattet worden. Nach zehn Tagen sei
eine vorzeitige Entlassung wegen Bettenmangels erfolgt ("Klammern noch im Unterschenkel"). Nach einigen Tagen sei er gestürzt
und es hätten die Schrauben nachgezogen werden müssen. Die Nachsorge im Krankenhaus A-Stadt sei komplikationslos verlaufen.
Einen ersten Durchgangsarztbericht hat Dr. R. am 03.05.2004 erstellt. Dieser hat ein Stumpfulcus links diagnostiziert. Strittig
sei nach Angaben des Klägers, ob das Stumpfulcus Folge des Arbeitsunfalles vom 25.09.1980 sei.
Die Beklagte hat ein fachärztlich-chirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage von Prof. Dr. B. eingeholt. Dieser hat mit
Gutachten vom 13.05.2004 ausgeführt, es erscheine äußerst unwahrscheinlich, dass so viele Jahre nach dem Unfallereignis nun
eine isolierte Weichteilproblematik entstehe. Somit komme er zu dem Schluss, dass das angeschuldigte Ereignis vom 25.09.1980
nicht geeignet gewesen sei, die chronischen Hautulcerationen am linken Unterschenkel herbeizuführen, die letztendlich zur
Unterschenkelamputation geführt hätten.
Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 26.07.2004 ausgeführt, wie bisher würden wegen der Folgen des
Arbeitsunfalles eine rentenberechtigende MdE nicht vorliegen. Nach den Feststellungen des Gutachters sei das Unfallereignis
vom 25.09.1980 nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dazu geeignet gewesen, die chronischen Hautulcerationen am linken
Unterschenkel und damit auch die Unterschenkelamputation herbeizuführen.
Der Kläger hat mit Widerspruch vom 02.08.2004 hervorgehoben, dass der gesamte Krankheitsverlauf an der Bruchstelle angefangen
habe. Dr. S. hat mit Attest vom 17.01.2005 gerügt, dass in dem Gutachten des Prof. Dr. B. die bei dem Kläger bestehende chronisch-venöse
Insuffizienz nicht ausreichend gewürdigt worden sei. Nach seiner Auffassung sei ein kausaler Zusammenhang, wie bereits am
10.11.2004 attestiert, wahrscheinlich. - Prof. Dr. B. hat mit Stellungnahme vom 22.02.2005 erwidert, hypothetisch werde angenommen,
es hätte möglich sein können, dass eine Unterschenkelthrombose stattgefunden habe. Ein Beweis hierzu sei jedoch nicht geführt
worden. Jedenfalls sei aus den gesamten Behandlungsunterlagen ein solches Ereignis nicht zu ersehen und werde auch nicht als
wahrscheinlich erachtet. Dementsprechend hat die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2005 zurückgewiesen.
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht München die Akten der Beklagten sowie weitere Unterlagen des
Kreiskrankenhauses A-Stadt und des Dr. B. beigezogen. Entsprechendes gilt für die Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen des Kreiskrankenhauses
A-Stadt und des Klägers selbst. Mit Beweisanordnung vom 14.06.2005 hat das Sozialgericht München Dr. S. gemäß §
106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser ist mit angiologischem Gutachten vom 27.02.2006 zu dem Ergebnis gekommen,
die chronische Hautulceration mit nachfolgender Amputation sei mit großer Wahrscheinlichkeit im Sinne einer Allein- oder wesentlichen
Mitverursachung auf den Unfall vom 25.09.1980 zurückzuführen. Nach erfolgter Unterschenkelamputation vom 25.06.2003 sei eine
entsprechende Verletztenrente zu bewilligen.
Prof. Dr. B. hat mit Stellungnahme vom 20.04.2006 erwidert, dass eine belastungsabhängige Schwellneigung nach einer komplizierten
Unterschenkelfraktur durchaus üblich und nicht immer ungewöhnlich sei. Diese Blutumlaufstörung sei durch Anpassungsstörungen
des Hautweichteilgewebes an die veränderte Knochensituation und auch eine veränderte Belastung der Gelenke verursacht. Zwangsläufig
müsse nicht regelhaft eine asymptomatisch abgelaufene Thrombose stattgefunden haben. Den weiteren Ausführungen des angiologischen
Gutachters könne durchaus gefolgt werden, sollte damals wirklich eine asymptomatische Thrombose vorgelegen haben. Eine solche
sei aber nicht hinreichend belegt.
Dr. S. hat unter dem 12.07.2006 sinngemäß entgegnet, dass 1980 und in den Folgejahren regelmäßig kein invasives bildgebendes
Verfahren durchgeführt worden sei. Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer tiefen Beinvenenthrombose, und sei sie
auch nur im Bereich der Unterschenkelvenen, sei nach einem Trümmerbruch als extrem hoch einzustufen, zumal bei dem Kläger
in einer späteren Untersuchung eine thrombophile Diathese mit heterozygotem Faktor V-Leiden nachgewiesen worden sei. Die im
Rentengutachten des Dr. G. 1982 beschriebene Umfangsvermehrung des linken Knöchels könne Folge einer Anpassungsstörung des
Hautweichteilgewebes nach schwerem Trauma sein, könne aber ebenso auf eine in diesem Gutachten beschriebene Blutumlaufstörung
bei Vorliegen einer Venenklappeninsuffizienz nach abgelaufener tiefer Unterschenkelvenenthrombose im Rahmen des Unfallgeschehens
sein. Es entspräche seiner großen klinischen Erfahrung, dass aufgrund der hoch auflösenden Ultraschallregräte sehr häufig
asymptomatische Residuen abgelaufener Thrombosen im Rahmen von Trümmerfrakturen dargestellt werden könnten. Der in seinem
Gutachten ausführlich dargestellte Verlauf lasse sich bei der rasanten Entwicklung einer schweren chronisch-venösen Insuffizienz
mit allen daraus erdenklichen Komplikationen mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen postthrombotischen Klappenschaden im
Rahmen der schweren Traumatisierung im Gefolge des Unfallereignisses vom 25.09.1980 zurückführen.
Prof. Dr. B. hat unter dem 22.08.2006 nochmals hervorgehoben, ein Vollbeweis für eine abgelaufene tiefe Unterschenkelbeinvenenthrombose
im Rahmen des Unfallgeschehens könne nicht geführt werden und werde auch niemals mehr zu führen sein.
Das Sozialgericht München hat im Folgenden Befundberichte des Dr. S. vom 16.11.2006, des J.-Hospitals W. vom 05.12.2006 und
den Reha-Entlassungsbericht der Klinik M. (stationärer Aufenthalt vom 12.07.2005 bis 16.08.2005) beigezogen. Dr. B. ist zum
weiteren Sachverständigen auf chirurgischem und orthopädischem Fachgebiet bestellt worden. Er hat mit Gutachten vom 06.03.2007
einen Ursachenzusammenhang verneint, weil Zeichen einer chronisch-venösen Insuffizienz bis 1994 nicht vorgelegen hätten. Auch
habe Dr. S. die massiven konkurrierenden Ursachen (multiple Sturzereignisse und zwei große Operationen am linken Bein) vernachlässigt.
Um Stellungnahme gebeten haben Dr. S. unter dem 13.08.2007 und Prof. Dr. B. unter dem 04.10.2007 an ihren divergierenden Auffassungen
zur Frage des Ursachenzusammenhangs festgehalten.
Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 08.07.2008 den Bescheid vom 26.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 18.03.2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Unterschenkelamputation als Folge des Unfallereignisse vom 25.09.1980
festzustellen und dem Kläger dem Grunde nach Verletztenrente zu gewähren. In Übereinstimmung mit den angiologischen Ausführungen
des Dr. S. sei davon auszugehen, dass der Kläger eine tiefe Beinvenenthrombose erlitten habe. Nachgewiesen seien auch die
entsprechenden Brückensymptome, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das frühzeitige Vorliegen einer Thrombose nachträglich
hätten diagnostizieren lassen.
Die Beklagte hob mit Berufung vom 10.10.2008 hervor, entsprechend dem Gutachten des Prof. Dr. B. vom 13.05.2004 seien keine
Brückensymptome nachzuweisen gewesen. Außerdem hätte das Vorliegen einer Unterschenkelvenenthrombose nach den Grundsätzen
eines Vollbeweises nachgewiesen werden müssen. Ergänzend führte die Beklagte mit Schriftsatz vom 07.02.2009 aus, dass die
Ausführungen des Dr. S. zu einem möglichen Unfallzusammenhang ausschließlich auf der nicht nachgewiesenen Hypothese beruhen
würden, bei dem Kläger habe bereits im Jahr 1980 eine asymptomatische Unterschenkelvenenthrombose vorgelegen.
Von Seiten des Senats wurden die Unterlagen der Beklagten und die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen. Im Folgenden bestellte
der Senat Dr. D. gemäß §
106 Abs.3 Nr.5
SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser kam mit unfallchirurgischem Gutachten vom 23.04.2009 zu dem Ergebnis, dass nochmals
ein angiologisches Gutachten einzuholen sei, dies in Berücksichtigung des geführten angiologischen Disputs bei kritischer
Abwägung des klinischen Verlaufes ab der gutachtlichen Stellungnahme des Dr. G. 1982 und dem Fehlen von Brückensymptomen sowie
einer erstmals aktenkundigen Unterschenkelthrombose links nach stattgehabter Umstellungsosteotomie des linken Kniegelenkes
1992 und einer nicht selten damit verbundenen Thrombosierung. Isoliert den unfallchirurgischen Formenkreis betreffend könne
dem Kläger entsprechend den Ausführungen des Dr. G. nur eine MdE von 10 v.H. bescheinigt werden.
Der Senat hat den Angiologen Dr. B. C. gemäß §
106 Abs.3 Nr.5
SGG zum weiteren Sachverständigen bestellt. Dieser hat mit Gutachten vom 03.01.2010 die grundsätzliche Problematik herausgearbeitet,
die in der unterschiedlichen Sichtweise von Chirurgen und Angiologen in Fällen wie dem vorliegenden besteht. Mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit sei das Auftreten einer linksseitigen Thrombose anzunehmen. Es müsse somit eine idiopathische
Thromboseneigung realisiert durch das Trauma mit Ausbildung sekundärer Varizen festgestellt werden. Somit könne als Kausalkette
angeschuldigt werden: Trauma mit Unterschenkelfraktur im Jahr 1980, im Gefolge aufgetretene Erstthrombose zumindest im Sinne
einer richtungsweisenden Verschlimmerung, Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms, Entwicklung einer sekundären Magna-
und Parvavarikose, Entwicklung von Ulecera crura mit rezidivierenden Superinfektionen, Entstehung einer Osteomyelitis bei
rezidivierenden Ulcera crura und objektiviertem multiplen Keimbefall, Unterschenkelteilamputation und Exartikulation im Kniegelenk,
wobei sich die angegebene Kausalkette zum Teil im Sinne eines Circulus vitiosus verselbständigt und perpetuiert habe. Hinsichtlich
aufgetretener Lungenembolien, einer inzwischen eingetretenen Herzinsuffizienz sowie des eingetretenen Alkohol- und Schmerzmittelmissbrauchs
auf dem Boden einer reaktiven Depression werde eine weitere Sachverhaltsaufklärung anheim gestellt.
Gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 02.08.2010 rügte die Beklagte, dass Dr. B. C. den nach der
Rechtsprechung erforderlichen Nachweis einer unfallbedingten Unterschenkelthrombose durch reine Risikoerwägungen ersetzt habe,
ohne dass ein entsprechender Gesundheitsschaden mit Gewissheit habe nachgewiesen werden können. Außerdem habe der Kläger im
Jahr 1994 eine Schulterprellung mit Claviculagelenkssprengung erlitten. Postoperativ sei es zu einer diagnostisch gesicherten
Beinvenenthrombose gekommen. Weiterhin habe der Kläger im Bericht des Städtischen Krankenhauses C-Stadt vom 26.10.1998 über
eine etwa zwei Jahre zurückliegende Verletzung berichtet, die er sich bei der Gartenarbeit zugezogen und die zu einer gestörten
Wundheilung geführt habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2010 stellt der Bevollmächtigte der Beklagten den Antrag aus dem Schriftsatz vom 02.10.2008:
Das Urteil des Sozialgerichts München vom08.07.2008 wird aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 26.07.2004 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2005 wird abgewiesen.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt entsprechend dem Schriftsatz vom 28.11.2008,
die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß §
202 SGG in Verbindung mit §
540 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) sowie entsprechend §
136 Abs.2
SGG auf die Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich
ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll",
d.h. mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt
die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung
zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall
und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist
nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen
Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen
einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die
auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen
den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, d.h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen
Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden
(vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger infolge des Wegeunfalls
vom 25.09.1980 nicht nur den festgestellten Trümmerbruch des linken Sprunggelenkes als solchen erlitten hat, sondern mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der weiteren Folge eine linksseitige Thrombose aufgetreten ist, die letztendlich
in ihrer Konsequenz eine Amputation des linken Unterschenkels zur Folge gehabt hat. Dies ergibt sich aus dem schlüssigen Gutachten
des Angiologen Dr. B. C. vom 03.01.2010. Denn der gerichtlich bestellte Sachverständige hat in kritischer Würdigung der Aktenlage
und nach ambulanter Untersuchung des Klägers überzeugend ausgeführt: Bereits bei der Begutachtung durch Dr. G. im Jahre 1982
lagen die objektiven Befunde einer Schwellneigung des Unterschenkels ausgewiesen durch eine Umfangsdifferenz von 0,5 cm an
zwei Messpunkten, eine Schmerzhaftigkeit beim Gehen, ausgewiesen durch das beschriebene Schonhinken sowie eine rückläufige
Verstrichenheit der Bisgaard schen Kulisse vor. Insoweit muss die damalige Beinvenenthrombose nicht als asymptomatisch, sondern
als oligosymptomatisch (krankheitszeichenarm) bezeichnet werden. Es wurden lediglich, wie in den 80-er Jahren so häufig, die
Symptome nicht erkannt. Dazu passt zu der somit zu stellenden Diagnose die anamnestische Angabe einer Schwellneigung im Tagesverlauf,
die im Gegensatz zur posttraumatischen Residualschwellung über Nacht meist rückläufig ist. Ob die Pigmentveränderungen, die
Dr. G. beschrieben hat, bereits Ausdruck des postthrombotischen Syndroms waren oder, wie von ihm beurteilt, Residuen der vorbestehenden
Hämatome, kann nicht sicher beantwortet werden, insbesondere da die Angaben zum Auftreten der Hautveränderungen variieren,
die objektive Befunddokumentation der dermatologischen Behandlung im Kreiskrankenhaus A-Stadt nicht mehr auffindbar und bezüglich
der Hautveränderungen unterschiedlich und zum Teil widersprüchlich sind. Trotzdem ist Folgendes als gesichert anzusehen: Bei
einer so schweren Traumatisierung (offene Mehrfachfraktur am linken Unterschenkel) kann für das Jahr 1980 zwar angenommen
werden, dass im Klinikum I. möglicherweise schon eine primäre Antikoagulation im Sinne einer Thromboseprophylaxe erfolgte,
jedoch spricht die anamnestische Befragung des Klägers, der sich an eine Infusionsbehandlung nicht erinnern kann, gegen eine
solche Heparinprophylaxe. Zumindest kann davon ausgegangen werden, dass mit dem Entlassungszeitpunkt eine gegebenenfalls bis
dahin erfolgte Heparinprophylaxe in jedem Fall beendet wurde, da ambulant verfügbare Heparine damals noch nicht eingeführt
waren. Selbst bei viel kleineren operativen Eingriffen kommt es nach Studien im Verlauf der Tage 10 bis 40 genauso häufig
zum Auftreten postoperativer Thrombosen wie in den ersten 10 Tagen. Möglicherweise wegweisend für das Auftreten der geringsymptomatischen
Venenthrombose bei dem Kläger ist die wegen Bettenmangels erfolgte vorzeitige Entlassung aus dem Krankenhaus. Nach heutiger
Leitlinie ist die medikamentöse Prophylaxe bis zur Entfernung des fixierenden Verbandes bzw. bis zur Erreichung einer Teilbelastung
von 20 kg und einer Beweglichkeit von 20 Grad im oberen Sprunggelenk durchzuführen. Dies gilt so für Patienten ohne thrombophile
Diathese und ist bei thrombophiler Diathese eher auszudehnen Ein weiteres Indiz dafür, dass es nicht nur wahrscheinlich, sondern
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Auftreten dieser Venenthrombose im Zusammenhang mit der offenen Unterschenkelmehrfachfraktur
gekommen ist, ist die Tatsache, dass es sowohl bei der pertrochantären Oberschenkelhalsfraktur 1982 als auch bei der Sitzbeinfraktur
und bei allen in der Folge durchgeführten Operationen am linken Bein jeweils zu vollständigen Thrombosierungen mindestens
des Unterschenkels, meist aber des Unter- und Oberschenkels kam. Insbesondere die Materialentfernungen sind sicher ein viel
geringeres Trauma als das stattgehabte Erstereignis. So ist bei thrombophiler Diathese nicht plausibel, dass der Kläger zwar
Thrombosen bei den geringen Traumatisierungen erleidet, nicht aber bei der schweren Ersttraumatisierung, die zu einer von
der Beklagten anerkannten Erwerbsminderung über zwei Jahre geführt und eine belegte Arbeitsunfähigkeit von fast vier Monaten
nach sich gezogen hat.
Weiterhin hat Dr. B. C. sich mit der Problematik eingehend auseinandergesetzt, dass es keine befunddokumentierten Nachweise
für als Vorliegen von Beinvenenthrombosen in den Jahren 1992 und 1993 gibt. Doch der Kläger hat im Rahmen der Aufklärung für
die Umstellungsosteotomie im August 1992 darüber berichtet, dass er sich "derzeit" wegen Thrombosen in ärztlicher Behandlung
befände. Dies ist als weiteres Indiz dafür zu werten, dass die Beinvenenthrombosen der Jahre 1992 und 1993 seinerzeit tatsächlich
diagnostiziert worden sind. Die erste Thrombose hat zu einer bräunlichen Pigmentierung der Haut geführt, was dem CEAP-Stadium
C III der venösen Insuffizienz im Jahr 1982 entspricht, spätestens im Jahr 1996 zum Auftreten eines Ulcus cruris, somit dem
CEAP-Stadium C VI der venösen Insuffizienz, wobei die aufgetretene Latenz von 16 Jahren als durchaus typisch einzuschätzen
ist. In diesem Zusammenhang bestätigt Dr. B. C. die gutachterlichen Ausführungen des Angiologen Dr. S. mit Gutachten vom 27.02.2006,
dass es sich bei der von der Dermatologischen Klinik der L.-Universität beschriebenen V. saphena magna- und V. saphena parva-Insuffizienz
um die Folge des postthrombotischen Syndroms handelt, also um eine sekundäre Venenerweiterung, die auch als sekundäre Varikosis
bezeichnet wird und durch die Umgehungskreislauf-Funktion, die dieser Vene im Rahmen der akuten und subakuten Thrombosierung
zukam, entstand. Hierbei bildet sich regelhaft dann durch die Größenzunahme der Vene eine sekundäre Insuffizienz, also eine
Klappenschlussunfähigkeit aus, was ebenfalls im Gutachten des Dr. S. zutreffend beschrieben worden ist. Schlüssig und überzeugend
für den Senat bekräftigt Dr. B. C. im Folgenden noch einmal, dass für das damalige Traumaereignis unter Berücksichtigung des
als suboptimal zu bezeichnenden Verlaufs als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Auftreten einer linksseitigen
Thrombose anzunehmen ist.
Die gegenteiligen Zweifel der Beklagten, die sich vor allem auf die Ausführungen von Prof Dr. B. mit Gutachten vom 13.05.2004
und ergänzenden Stellungnahmen sowie auf die Stellungnahme des Dr. H. vom 02.08.2010 stützen, vermögen es nicht, die Überzeugung
des Senats vom mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Vorliegen einer unfallbedingten linksseitigen Thrombose zu
erschüttern. Denn auch der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. D. hat mit unfallchirurgischem Gutachten vom 23.04.2009
abschließend darauf hingewiesen, dass die hier vorliegende Problematik letztendlich nicht aus unfallchirurgischer oder orthopädischer
Sicht zu beurteilen ist, sondern aus angiologischer Sicht. Dementsprechend steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass
es sich bei den divergierenden ärztlichen Voten hier um einen Streit der Fachrichtungen handelt, der abschließend von den
angiologischen Gutachtern zu beurteilen ist. Insoweit haben Dr. S. mit Gutachten vom 27.02.2006 und Dr. B. C. mit Gutachten
vom 03.01.2010, wenngleich mit geringfügig abweichender Begründung, letztendlich dennoch schlüssig und überzeugend ausgeführt,
dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine unfallbedingte linksseitige Unterschenkelbeinvenenthrombose stattgefunden
hat.
Hiervon ausgehend ist die am 25.06.2003 erfolgte Unterschenkelamputation links mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf
den Unfall des Klägers vom 25.09.1980 zurückzuführen. Denn entsprechend den gutachterlichten Ausführungen des Dr. C. mit Gutachten
vom 03.01.2010 kann als Kausalkette angeschuldigt werden: Trauma mit Unterschenkelfraktur im Jahr 1980, im Gefolge aufgetretene
Erstthrombose, zumindest im Sinne einer richtungsweisenden Verschlimmerung, Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms,
Entwicklung einer sekundären Magna- und Parvavarikose, Entwicklung von Ulcera crura mit rezidivierenden Superinfektionen,
Entstehung einer Osteomyelitis bei rezidivierenden Ulcera crura und objektiviertem multiplem Keimbefall, Unterschenkelteilamputation
und Exartikulation im Kniegelenk.