Anspruch auf Ausstattung mit einem Elektrorollstuhl als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung bei mangelnder Befähigung
zur Teilnahme am Straßenverkehr
Erforderlich kann ein Hilfsmittel immer nur dann sein, wenn es überhaupt geeignet ist, den Versicherten bei der Bewältigung
seiner Grundbedürfnisse, z.B. zu weiter entfernt liegenden Zielen selbständig zu gelangen, zu unterstützen. Dies bedeutet
für einen Selbstfahrrollstuhl, dass der Versicherte selbst imstande sein muss, mit diesem Hilfsmittel bestimmungsgemäß umzugehen.
Das heißt, der Versicherte muss in der Lage sein, die Technik des Fahrens mit einem solchen Rollstuhl zu beherrschen, aber
darüber hinaus auch die Straßenverkehrsregeln insoweit einzuhalten, als sie für das Fahren mit einem führerscheinfreien Fahrzeug
gelten (hier: nicht ausreichende gesundheitliche Befähigung wegen der Folgen einer Alkoholkrankheit). [Amtlich veröffentlichte
Entscheidung]
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einem elektrischen Krankenfahrzeug.
Die 1950 geborene Klägerin ist nicht berufstätig und wohnt in der Kleinstadt A-Stadt in einem Mehrfamilienhaus. Aufgrund ihrer
vielfältigen, teilweise toxisch bedingten Gesundheitsstörungen bewegt sie sich weitgehend mit einem Handrollstuhl. Als Suchtkranke
steht sie unter Betreuung. Die Allgemeinärztin Dr. L. verordnete am 26.04.2007 die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl.
Dazu erstellte die Firma F. in B. einen Kostenvoranschlag über ca. 3.500,00 EUR für das batteriegetriebene, 6 km/h schnelle
Modell "Scooter Cityliner 410". Die Beklagte, die bei der Klägerin die ausreichende Fähigkeit für die Führung eines motorgetriebenen
Fahrzeuges im Straßenverkehr verneint, lehnte mit Bescheid vom 13.07.2007 die begehrte Rollstuhlversorgung ab. Auf den klägerischen
Widerspruch hin veranlasste die Beklagte eine medizinisch-psychologische Untersuchung der Klägerin durch den Technischen Überwachungsverein
Süd - TÜV-Süd -. Im Fahreignungsgutachten des Dipl.-Psych. und Fachpsychologen für Verkehrspsychologie G. hat dieser aufgrund
seiner Untersuchung vom 30.01.2008 festgestellt, dass die Klägerin außerstande sei, auch ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug
sicher zu führen. Es fehle an der nötigen geistigen und körperlichen Fähigkeit. Gestützt auf dieses Gutachten wies die Beklagte
den Widerspruch am 28.08.2008 zurück.
Die dagegen gerichtete Klage vom 18.09.2008 betont die ausreichende Fähigkeit zum Führen des Krankenfahrzeuges. Das TÜV-Gutachten
verkenne, dass die Klägerin ihren früheren Alkoholabusus aufgegeben habe. Dr. L. berichtete dem Sozialgericht Ende Januar
2009 die Vielzahl der klägerischen Erkrankungen u.a. auch eine äthyltoxisch bedingte Leberzirrhose mit organischer Persönlichkeitsveränderung.
Sie sei wenig belastbar und nur kurze Strecken ohne Hilfsmittel mobil, so dass über längere Strecken ein Rollstuhl benötigt
werde. Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 03.04.2009 die Klage abgewiesen und dazu ausgeführt: Der Anspruch der
Klägerin, mit Hilfsmitteln versorgt zu werden, sei darauf gerichtet, eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen
des täglichen Lebens auszugleichen, wozu auch das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraumes gehöre.
Dies stehe jedoch unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, welches hier die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Elektroscooter
verwehre. Es sei dem Gutachten des TÜV zu folgen, wonach die Klägerin nicht in der Lage sei, ein solches Fahrzeug sicher zu
führen. Im Übrigen würde ein solcher Rollstuhl auch den Umfang des zustehenden Basisausgleichs nicht überschreiten, weil hier
die Arztbesuche mittels Hausbesuchen erfolgten und die notwendige Versorgung durch eine Pflegekraft sicher gestellt werde.
Mit der nunmehr eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin weiterhin ihr Ziel auf Erlangung des Elektrorollstuhles. Sie hat
gleichzeitig beantragt, ihr unter Gewährung von Prozesskostenhilfe Rechtsanwalt K. beizuordnen. Die im Mai 2009 abgegebene
Ankündigung, eine aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kurzfristig nachzureichen, ist
nicht umgesetzt worden. Die Klägerin benutze gelegentlich einen elektrisch betriebenen Rollstuhl. Gekauft hat ihr Betreuer
aber noch keinen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 03.04.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen
und vorweg Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze bzw. den der beigezogenen
Akten Bezug genommen. Die Beklagte habe sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Den
Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat der Senat vorweg abgelehnt.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §
151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, die nicht der Zulassung nach §
144 SGG bedarf, ist zulässig, jedoch unbegründet, denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin mit dem begehrten Fahrzeug
zu versorgen.
Die dazu notwendigen Voraussetzungen, wie sie in §
27 in Verbindung mit §
33 SGB V gesetzlich geregelt sind, werden von der Klägerin nicht erfüllt. §
33 SGB V gibt vor, unter welchen Bedingungen von der Krankenkasse Hilfsmittel bereitzustellen sind, um krankheitsbedingte Behinderungen
auszugleichen. Dass es sich hier bei dem streitigen Rollstuhl um ein solches (mittelbares) Hilfsmittel handelt, ist unstreitig
und liegt auf der Hand. Richtigerweise hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass solche Hilfsmittel dazu dienen, die
Grundbedürfnisse, hier der Fortbewegung, dem behinderten Menschen zu ermöglichen. Wobei der Umfang der Versorgung, wie er
in §
33 SGB V normiert ist, durch die Vorschriften des
SGB IX nicht erweitert werden. Grundsätzlich ist dem Grundbedürfnis auf Fortbewegung schon dann genüge getan, wenn ein Selbstfahrerrollstuhl
im Nahbereich bewegt werden kann (vgl. BSG vom 22.04.2009 - B 3 KR 54/08 B, veröffentlicht in Juris). Dies ist bei der Klägerin der Fall, so dass von daher schon es zweifelhaft erscheint, ob daneben
noch ein elektrisch betriebenes Krankenfahrzeug beansprucht werden kann. Damit würde ein noch größerer Raum eröffnet bzw.
weiter entfernt liegende Ziele selbständig zu erreichen, ermöglicht (BSG v. 12.08.2009 - B 3 KR 8/08 R veröffentlich in Juris). Die Abgrenzung liegt hier aber in dem gesetzlichen Begriff, dass ein solches Hilfsmittel auch "erforderlich"
sein muss. D.h. nicht alles, was wünschenswert ist, um eine bestehende Behinderung auszugleichen, ist auch von der Krankenkasse
zu leisten. Erforderlich kann ein Hilfsmittel immer nur dann sein, wenn es überhaupt geeignet ist, den Versicherten bei der
Bewältigung seiner Grundbedürfnisse, hier also zu weiter entfernt liegenden Zielen selbständig zu gelangen, zu unterstützen.
Dies bedeutet für den erwünschten Selbstfahrrollstuhl, dass der Versicherte selbst imstande sein muss, mit diesem Hilfsmittel
bestimmungsgemäß umzugehen. Das heißt, die Klägerin müsste in der Lage sein, die Technik des Fahrens mit einem solchen Rollstuhl
zu beherrschen, aber darüber hinaus auch die Straßenverkehrsregeln insoweit einzuhalten, als sie für das Fahren mit einem
führerscheinfreien Fahrzeug gelten. Daran scheitert es aber, wie das Gutachten des TÜV deutlich gemacht hat. Der Senat sieht
auch keinen Hinderungsgrund, diesem Gutachten nicht zu folgen, steht es doch in Korrelation zu den Feststellungen über das
vorhandene Krankheitsbild der Klägerin. Dieses ergibt sich nicht aus den persönlichen Angaben der Klägerin über ihre Trinkgewohnheiten,
sondern aus den vorhandenen Krankheiten, welche durch die toxische Schädigung verschiedener Körperorgane, aber auch der inzwischen
eingetretenen Bewusstseinsveränderungen geprägt sind, so dass hier eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr, um den es der
Klägerin geht, nicht mehr gewährleistet ist. Daran ändert auch nichts der klägerische Vortrag, dass sie sich mit einem gelegentlich
zur Verfügung stehenden Rollstuhl außer Hause fortbewege.
Mangels Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl und vor dem Hintergrund
der oben zitierten Rechtsprechung des BSG muss die Berufung erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.