Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung nach dem DRG-System in der gesetzlichen Krankenversicherung; Auslegung von
Abrechnungsbestimmungen; Keine Auswirkung von Änderungen auf bereits abgeschlossene Behandlungen; Umfang der Ermittlungen
durch den MDK; Kein grundsätzlicher Vorbehalt bei Zahlungen einer Krankenkasse auf eine Vergütungsforderung eines Krankenhauses
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Vergütung von stationär erbrachten Krankenhausleistungen.
Die Klägerin ist Trägerin eines Krankenhauses, das in den Landeskrankenhausplan des Landes Brandenburg aufgenommen ist. Dieses
Krankenhaus behandelte die bei der Beklagten krankenversicherte, 1929 geborene Patientin R (im Folgenden: die Versicherte)
in der Zeit vom 16. März bis 10. Mai 2005, davon bis zum 06. April 2005 in der II. Medizinischen Klinik - Diabetologie/Endokrinologie,
Hämatologie/Onkologie, Nephrologie - und ab dem 06. April 2005 in der III. Medizinischen Klinik - Pneumologie (Onkologie,
Allergologie, Schlafmedizin, Geriatrie) -. Ausweislich des Krankenhausentlassungsberichts vom 10. Mai 2005 bestand die Hauptprozedur
in einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung (Langzeitbehandlung) - Ziffer 8-550.2 des Operationen- und Prozedurenschlüssels
(OPS) nach §
301 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V) -. Für diese Behandlung stellte die Klägerin der Beklagten via Datenträgeraustausch am 31. Mai 2005 einen Betrag von 8.800,04
Euro in Rechnung und legte hierbei die Fallpauschale (Diagnosis Related Group - DRG) B44Z sowie einen Zuschlag für 17 über
die Höchstverweildauer hinausgehende Behandlungstage zugrunde. Die Beklagte beglich diese Rechnung spätestens am 16. Juni
2005. Nachdem in der Folgezeit der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zum Ergebnis
gelangt war, dass die Mindestmerkmale der Prozedur 8-550.- nicht erfüllt seien und daher nur die DRG B70B hätte codiert werden
dürfen, bat die Beklagte die Klägerin zunächst erfolglos um eine Gutschrift bzw. eine neue Rechnung und rechnete schließlich
mit Schreiben vom 7. und 8. August 2006 den Differenzbetrag, der sich bei einer Rechnungslegung auf der Grundlage der DRG
B70B ergeben hätte, gegenüber weiteren Vergütungsforderungen der Klägerin für die Behandlung anderer Versicherten (u.a. BBBHH)
auf.
Am 23. Februar 2010 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht, welches im Laufe des Verfahrens das nach Aktenlage erstellte
Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. S vom 02. Dezember 2011 veranlasste.
Mit Urteil vom 08. Juni 2012 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß, an die Klägerin 3.242,64 Euro nebst
2 % Zinsen ab dem 23. Februar 2010 zu zahlen. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Sozialgericht aus: Der Anspruch
ergebe sich aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der noch nicht verjährt sei. Die vollstationäre Behandlung
der Versicherten sei erforderlich gewesen, wie sich insbesondere aus dem Sachverständigengutachten ergebe. Dessen Diagnosen
seien weder von der Klägerin noch von der Beklagten in Frage gestellt worden. Die medizinische Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung
habe der Gutachter grundlegend auf die klinische Instabilität bei geriatrietypischer Multimorbidität zurückgeführt. Die sozialmedizinische
Folgerung des Sachverständigen erschienen nicht in sich widersprüchlich. Das Gutachten sei nachvollziehbar und die Begutachtung
transparent. Der Sachverständige habe dargelegt, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen er zu dem von ihm gefundenen Ergebnis
gelangt sei.
Gegen dieses ihr am 11. Juli 2012 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 01. August 2012, zu deren
Begründung sie vorträgt: Ein weiterer Anspruch der Klägerin aus dem Behandlungsfall der Versicherten bestehe materiell rechtlich
nicht, sei im Übrigen verjährt bzw. wegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben ausgeschlossen. Die Klägerin
sei nahezu 3½ Jahre untätig geblieben und habe insbesondere Einwände gegen die von ihr vorgenommene Verrechnung nicht erhoben.
So habe sie eine schutzwürdige Interessenlage bei ihr - der Beklagten - geschaffen. Wäre die streitgegenständliche Forderung
nicht durch vollständige Zahlung erloschen, wäre sie zumindest verjährt. Die auch von der Klägerin zugestandene Tatsache,
dass es wegen des Gesundheitszustandes der Versicherten nicht möglich gewesen sei, das geforderte standardisierte Assessment
in den Bereichen Mobilität und Emotion zu erbringen, sei durch das von der Vorinstanz eingeholte Sachverständigengutachten
nicht erschüttert worden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 08. Juni 2012 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und bringt ergänzend vor: Nach den entsprechenden Klarstellungen zur
Prozedur 8-550.2 im OPS 2010 sei, wenn der Zustand des Patienten die Erhebung einzelner Assessmentbestandteile nicht zulasse,
dies zu dokumentieren. Insoweit komme es durchaus auf die Gründe an, warum das Assessment nicht vollständig erbracht worden
sei. Diese Erläuterung habe sich zwar im OPS 2005 noch nicht gefunden, sei aber gerade geschaffen worden, um die "fortdauernden
Fehlgutachten der Medizinischen Dienste der Krankenkassen" auszuschließen. Diese Klarstellung habe nicht zu einem neuen Inhalt
der Codierung oder zu einem neuen Maßstab geführt. Die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung sei auch bei nicht
vollständig zu erstellendem Assessment durch schwere Funktionsstörungen in der Regel nicht kontraindiziert. In der Argumentation
der MDK-Gutachter, die sich am Wortlaut der Mindestanforderungen zur Prozedur 8-550.2 orientiere, vermisse man den klinischen
Bezug zum Behandlungsfall. Aus den dokumentierten klinischen Befunden gehe eindeutig das Ausmaß der Immobilität der Versicherten
hervor. In das geriatrische Team sei ein Psychologe bewusst nicht eingebunden worden, weil die Versicherte weder mental noch
emotional und sprachlich zur Kommunikation in der Lage gewesen sei. Im Übrigen fehle es an der für die Aufrechnungserklärung
hinreichenden Bestimmung der Gegenforderung.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte,
die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Krankenhausakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hätte der Klage nicht stattgeben dürfen. Denn der geltend gemachte
Zahlungsanspruch besteht nicht, weil die Beklagte zu Recht mit einer Erstattungsforderung im Zusammenhang mit der stationären
Behandlung der Versicherten im o.g. Zeitraum aufgerechnet hat.
I. Der Klägerin stand gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 3.242,64 Euro zu, allerdings nicht aufgrund der Behandlung
der Versicherten im streitigen Zeitraum. Diese Forderung wurde von der Beklagten im Juni 2005 vorbehaltlos erfüllt, sie ist
damit erloschen (§
362 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB - analog). Allein die der Krankenkasse eingeräumte Möglichkeit, auch nach sofortiger Begleichung einer Krankenhausrechnung
Beanstandungen sachlicher und rechnerischer Art geltend zu machen und Differenzbeträge ggf. zu verrechnen (§ 18 Abs. 4 des
für das Land Brandenburg geltenden Vertrags über "Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung [§ 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB
V]" vom 8. Oktober 1996), führt nicht dazu, dass jede Zahlung einer Krankenkasse auf eine Vergütungsforderung eines Krankenhauses
auch ohne ausdrückliche Erklärung mit einem Vorbehalt versehen ist (BSG, Urteil vom 01. Juli 2014 - B 1 KR 2/13 R -, juris, m.w.N.).
Ein Zahlungsanspruch in der beantragten Höhe steht der Klägerin jedoch unstreitig aufgrund von Vergütungsforderungen für die
Behandlung der in ihrem Schreiben vom 7.August 2006 erwähnten weiteren Versicherten zu. Diese durch die Klage rechtshängig
gewordenen Forderungen der Klägerin sind aufgrund der Angaben der Beklagten in ihrem Schreiben vom 7. August 2006 hinreichend
bestimmt bzw. bestimmbar. Anhaltspunkte dafür, dass die in diesem Schreiben erwähnten Vergütungsforderungen der Klägerin schon
im Jahre 2005 fällig wurden - nur dann könnte bei Klageerhebung im Jahre 2010 die vierjährige Verjährungsfrist (§ 45 Sozialgesetzbuch/Erstes
Buch analog) verstrichen sein -, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
II. Die Hauptforderung der Klägerin ist jedoch durch Aufrechnung erloschen. Denn der Beklagten stand als Gegenforderung ein
öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch i.H.v. 3.242,64 Euro (hierzu unter 1.) zu, mit dem sie wirksam aufgerechnet hat
(hierzu unter 2.).
1. Das von der Beklagten durch die Aufrechnung geltend gemachte Rückforderungsbegehren basiert auf dem öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus,
dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose
Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Ein öffentliches Rechtsverhältnis liegt hier vor, da auch schon für die Zeit
vor der Neufassung des §
69 SGB V zum 1. Januar 2000 die Abrechnungsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus öffentlich-rechtlich geprägt waren. Im
Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gelten ähnliche Grundsätze wie im bürgerlichen Recht der ungerechtfertigten
Bereicherung (§§
812 ff
BGB), dem der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zumindest insoweit vergleichbar ist, als beide Ansprüche als Ausdruck
eines althergebrachten Rechtsgrundsatzes dem Ausgleich rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen dienen. Allerdings ist auch
im Zivilrecht nicht ausdrücklich geregelt, wann eine Bereicherung ungerechtfertigt ist. Es lässt sich deshalb keine einheitliche
Formel für das Vorliegen oder Fehlen eines die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Grundes aufstellen. Allgemein anerkannt
ist jedoch, dass Leistungen zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in Wirklichkeit nicht besteht, grundsätzlich
zurückgefordert werden können (BSGE 93, 137 m.w.N.).
Der Klägerin stand - dies ist unstreitig - ein Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten i.H.v. 5.557,40 € auf
der Grundlage der DRG B70B zu. Eine darüber hinaus gehende Forderung i.H.v. 3.242,64 € auf der Grundlage der DRG B44Z bestand
demgegenüber nicht. In Höhe dieser Überzahlung besteht der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten.
a) Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse
entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft
Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und i.S.v. §
39 Abs.
1 S 2
SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist.
aa) Die Höhe der Vergütung für die Behandlung Versicherter im Jahr 2005 bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie dem der Klägerin
nach §
109 Abs.
4 S 3
SGB V i.V.m. § 7 S. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), jeweils in der 2005 geltenden Fassung. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen
[FPV]) konkretisiert. Die Spitzenverbände der Krankenkassen (ab 1. Juli 2008: Spitzenverband Bund der Krankenkassen) und der
Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft
als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog
einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich
zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf
der Grundlage des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG.
Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand,
sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem
und dessen Anwendung. Nach § 1 Abs. 6 S. 1 FPV 2005 sind in diesem Sinne zur Einstufung des Behandlungsfalls in die jeweils
abzurechnende Fallpauschale Programme (Grouper) einzusetzen. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH (InEK
= Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus), einer gemeinsamen Einrichtung der o.g. Vertragspartner auf Bundesebene,
zertifiziert worden sind.
Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale
Bestandteile des Programms mit vereinbart sind (z.B. die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen
im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die
Fallpauschalen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom Deutschen
Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (hier in der Version 2005) sowie die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen OPS (hier in der Version 2005). Die Verbindlichkeit der in dem jeweiligen Vertragswerk angesprochenen Klassifikationssysteme
folgt allein aus dem Umstand, dass sie in die zertifizierten Grouper einbezogen sind.
Die Anwendung der Deutschen Kodierrichtlinien und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS
ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben
zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen
sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems
eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die
routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein
streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen
sowie Abwägungen belässt. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 S. 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie
die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014 - B 1 KR 25/13 R -, juris, m.w.N.).
bb) Mit der DRG B44Z (in der Fassung des als Anlage 1 zur FPV 2005 vereinbarten Fallpauschalenkatalogs 2005) wurde die geriatrische
frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen des Nervensystems bezeichnet. Dies ist lediglich bei den
unter Ziffer 8-550 des OPS zusammengefassten Prozeduren der Fall, denn allein sie betreffen die geriatrische frührehabilitative
Komplexbehandlung (BSG aaO.). Die einzelnen Schlüssel unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich Behandlungsdauer und Zahl der Therapieeinheiten
(OPS 8-550.0: Mindestens 7 Behandlungstage und 10 Therapieeinheiten; OPS 8-550.1: Mindestens 14 Behandlungstage und 20 Therapieeinheiten;
OPS 8-550.2: Mindestens 21 Behandlungstage und 30 Therapieeinheiten). Alle unter Ziffer 8-550 zusammengefassten Prozeduren
setzen nach dem einleitenden Hinweis als eines der Mindestmerkmale ein "standardisiertes geriatrisches Assessment zu Beginn
der Behandlung in mindestens 4 Bereichen (Mobilität, Selbsthilfefähigkeit, Kognition, Emotion) und vor der Entlassung in mindestens
2 Bereichen (Selbständigkeit, Mobilität)"voraus.
Bei der Versicherten wurde im Bereich Mobilität zwarein geriatrisches Assessment durchgeführt, jedoch keinstandardisiertes.
Hierzu haben die Klägervertreterinnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt, dass die standardisierten geriatrischen
Assessments Tests im Bereich Mobilität bei immobilen, bettlägerigen Patienten nicht zuließen, weil sie zumindest ein selbständiges
Sitzen des Patienten erforderten. Das Krankenhaus habe daher insoweit ein nicht-standardisiertes Verfahren angewandt. Ist
somit eines der Mindestmerkmale nicht erfüllt, ist die Prozedur 8-550.2 und somit auch die o.g. geriatrische frührehabilitative
Komplexbehandlung nicht vollständig erbracht worden (ebenso Klein/Wittrich, Forum A, Beitrag A5-2014 unter www.reha-recht.de).
Die DRG B44Z ist dann nicht abrechenbar. Aus welchen Gründen die Prozedur nicht vollständig erbracht wurde, ist grundsätzlich
unerheblich. Denn es finden sich in der Leistungslegende der DRG B44Z keinerlei Anhaltspunkte, dass bzw. unter welchen Voraussetzungen
auch Teilleistungen mit den für die DRG B44Z vereinbarten Abrechnungsfaktoren vergütet werden können. Sollte eine Teilleistung
aus objektiven Gründen nicht durchführbar sein, ist die rechtliche Folge hiervon, dass die entsprechende DRG insgesamt nicht
abrechenbar ist. Dieses Ergebnis mag im Einzelfall als unbillig erscheinen, ist aber Konsequenz der o.g. Konzeption des DRG-Systems.
Dass diese Konzeption insgesamt sachgerecht ist und das "lernende" System von den beteiligten Akteuren entsprechend umgesetzt
wird, belegt die Änderung der für die Prozeduren 8-550 beschriebenen Mindestmerkmale, die seit dem OPS 2010 um folgenden Passus
ergänzt wurden:
"Lässt der Zustand des Patienten die Erhebung einzelner Assessmentbestandteile nicht zu, ist dies zu dokumentieren. Sofern
möglich sind die fehlenden Bestandteile fremdanamnestisch zu erheben bzw. ist die Erhebung nachzuholen, wenn der Zustand des
Patienten es erlaubt."
Diese Einschränkung ist indes nur auf Sachverhalte ab dem Jahre 2010 anwendbar, während für Behandlungsfälle aus dem Jahr
2005 die damals geltende Fassung des OPS maßgeblich ist. Insofern gilt - wie auch bei gesetzlichen Änderungen -, dass neue
Regelungen grundsätzlich nicht auf bereits abgeschlossene Sachverhalte anzuwenden sind.
cc) Offen bleiben kann, ob darüber hinaus - wie vom MDK angenommen - weitere Mindestmerkmale nicht erfüllt sind.
b) Entgegen der klägerischen Auffassung ist das vom Sozialgericht veranlasste Sachverständigengutachten angesichts des vom
Senat gefundenen Ergebnisses ohne Bedeutung. Der Senat stützt seine rechtlichen Schlussfolgerungen auf Tatsachen, die zwischen
den Beteiligten nicht im Streit stehen. Die vom Gesetz einem gerichtlich beauftragten medizinischen Sachverständigen übertragene
Aufgabe, den medizinisch-wissenschaftlich nicht ausgebildeten Mitgliedern eines Spruchkörpers den erforderlichen medizinischen
Sachverstand für die Beantwortung von zwischen den Prozessbeteiligten umstrittenen Fragen zu vermitteln, kommt in diesem Falle
nicht zum Tragen.
d) Ohne Belang ist im vorliegenden Fall auch das Vorgehen des MDK. Das in der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 18. Juli 2013 - B 3 KR 22/12 R -, juris, m.w.N.) entwickelte dreistufige Prüfungsschema basiert auf den zum 1. April 2007 eingeführten Regelungen des §
275 Abs.
1c SGB V und ist auf den vorliegenden Behandlungsfall aus dem Jahre 2005 nicht anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 - B 1 KR 48/12 R -, juris). Soweit das Vorbringen der Klägerin dahin zu verstehen sein sollte, dass sie das Vorgehen des MDK als unrechtmäßig
rügt, teilt der Senat diese Einschätzung nicht. Dem MDK steht nach der gesetzlichen Konzeption ein sehr weitgehendes Prüfungsrecht
zu. Soweit er bei seiner Prüfung der Behandlungsunterlagen und/oder bei einer Krankenhausbegehung weitere, der Krankenkasse
zunächst verborgene Auffälligkeiten feststellt, die bei einem eingeschränkten Prüfauftrag über die durch ihn gezogenen Grenzen
hinausgehen, entfaltet der Prüfauftrag keine Sperrwirkung. Der MDK darf und muss dann - gegebenenfalls nach Rückfrage bei
der Krankenkasse - weitere Ermittlungen anstellen. Dies folgt zwingend aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§
12 Abs.
1 SGB V) und dem §
275 Abs.
1 Nr.
1 SGB V zu entnehmenden Zweck der Abrechnungsprüfung, auf eine ordnungsgemäße Abrechnung hinzuwirken (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - B 1 KR 14/13 R -, juris).
2. Mit ihrem Rückforderungsanspruch hat die Beklagte wirksam aufgerechnet.
a) Das SGB enthält zwar keine allgemeine Regelung der Aufrechnung. Für die Rechtsverhältnisse zwischen Leistungserbringern
und Krankenkassen ordnet §
69 Satz 3
SGB V in der im Jahre 2006 geltenden Fassung jedoch die entsprechende Anwendung der Vorschriften des
BGB, somit auch der die Aufrechnung betreffenden §§
387 ff, an, soweit sie nicht - was hier nicht der Fall ist - mit dem Regelungssystem des
SGB V unvereinbar sind. Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem ohne weitere sozialrechtliche Ermächtigungsnorm
(BSGE 75, 283) gemäß §
389 BGB die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen zum Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage bewirkt wird, ist gemäß §
387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen.
Dies ist hier der Fall. Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung der Beklagten im Juni 2006 standen sich ihre o.g. fällige
Erstattungsforderung und die o.g. aus der Behandlung weiterer Versicherter resultierenden erfüllbaren Vergütungsansprüche
der Klägerin als gleichartige Forderungen gegenüber.
b) Der Aufrechnung seitens der Beklagten steht die von ihr mit Erfüllungswirkung (§
366 BGB) vorgenommene Zahlung nicht entgegen. Denn der Krankenkasse bleiben etwaige Einwendungen gegen Grund und Höhe der geltend
gemachten Behandlungskosten trotz der Zahlung erhalten; die Rückforderung und die Möglichkeit späterer Aufrechnung gegen unbestrittene
Forderungen des Krankenhauses aus anderen Behandlungsfällen werden durch die Zahlung nicht ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 20. November 2008 - B 3 KN 4/08 KR R -, juris m.w.N.).
c) Die Beklagte hat die Aufrechnung auch wirksam gegenüber der Klägerin (§
388 BGB) erklärt.
Der klägerseitig erhobene Einwand, die Gegenforderung sei nicht hinreichend bestimmt, greift nicht durch. Dahinstehen kann,
ob die Aufrechnung "immer" gegen die erstgenannten Überweisungsbeträge auf der Liste erfolgt, was auf eine diesbezüglich Übereinkunft
der Beteiligten schließen lassen könnte. Die Aufrechnungserklärung ist jedenfalls aus einem anderen Grund hinreichend bestimmt.
Weil die Beklagte in ihrem Schreiben vom 7. August 2006 keine Bestimmung getroffen hat, gegen welche der darin genannten Forderungen
sie aufrechnet, ist gemäß §
396 Abs.
1 Satz 2
BGB die Vorschrift des §
366 Abs.
2 BGB entsprechend anzuwenden. Mangels Anhaltspunkten für die in der ersten bis vierten Alternative dieser Vorschrift genannten
Kriterien geht der Senat davon aus, dass alle genannten Forderungen gleich alt sind, sodass gegen alle verhältnismäßig (§
366 Abs.
2, letzte Alternative
BGB), d.h. anteilig aufgerechnet werden sollte. Nur in Höhe der anteiligen Aufrechnung sind die einzelnen Forderungen dann rechtshängig
geworden.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.