Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erhöhung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf mehr als 20 v. H.
Die am … 1965 geborene Klägerin war als Krankenschwester im Krankenhaus B. in H. beschäftigt und bei der Beklagten gegen Arbeitsunfälle
versichert. Am 23. Dezember 1983 erlitt die Klägerin auf ihrem Heimweg von ihrer Arbeit einen Verkehrsunfall. In der Unfallanzeige
des Schwesternheimes und Krankenhauses B. vom 4. Januar 1984 wird ausgeführt, dass die Klägerin am 23. Dezember 1983 in einer
Warteschlange vor der Ampel in ihrem PKW gewartet habe, als ein hinter ihr wartender PKW von einem weiteren PKW auf ihr Auto
geschoben worden sei. Nachdem die Unfallstelle abgesichert worden sei und die Polizei die Schadensaufnahme gemacht habe, habe
die Klägerin darauf gewartet, dass sie die Personalien des schuldigen Fahrers aufgeschrieben bekomme. Plötzlich sei wieder
ein Fahrzeug auf die Unfallstelle zugerast und die Klägerin sei zwischen zwei Fahrzeugen eingequetscht worden. Die Klägerin
gab an, dass der erste Unfall gegen 20:15 Uhr geschehen sei und der zweite gegen 21:05 Uhr. Die Klägerin wurde ins Krankenhaus
eingeliefert und wegen der infolge des zweiten Auffahrunfalls erlittenen Verletzungen ihres linken Sprunggelenks behandelt.
Im Ersten Rentengutachten vom 24. Mai 1984 wurde von dem Unfallchirurgen Dr. M. als Verletzung eine offene Sprunggelenksluxationsfraktur
links mit ausgedehntem Weichteilschaden, eine Oberschenkelrisswunde links sowie multiple Prellungen und Schürfungen an beiden
Beinen mit neurologischen Ausfällen als unmittelbare Unfallfolgen diagnostiziert. Zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens
litt die Klägerin unter einer abgeheilten offenen Sprunggelenksluxationsfraktur links mit erheblichem Weichteilschaden und
noch bestehender Schwellneigung und Sensibilitätsstörung. Weiterhin bestanden breite Vernarbungen mit Keloidbildung am linken
Sprunggelenk sowie eine eingeschränkte Beweglichkeit im linken Sprunggelenk. Die MdE durch die Unfallfolgen wurde mit 20 v.
H. geschätzt. Mit den Bescheiden der Beklagten vom 20. September 1984 und vom 19. September 1985 wurde das Unfallereignis
als Arbeitsunfall und die von Dr. M. festgestellten Verletzungen als Unfallfolgen anerkannt sowie eine Verletztenrente nach
einer MdE von 20 v. H. festgestellt.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2016 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Verschlimmerungsantrag aufgrund der Verschlechterung
ihres gesundheitlichen Zustandes.
In einem Rentengutachten zur Nachprüfung der MdE auf unfallchirurgischem/orthopädischem Fachgebiet von Dr. F. vom 6. Juli
2016 wurde eine Verminderung der gesamten Bewegungsfähigkeit durch eine Einsteifung des unteren Sprunggelenkes festgestellt,
so dass sich in der Gesamtschau mit der Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenkes eine unfallabhängige Veränderung
mit einer MdE von 30 v. H. ergebe.
Im Rahmen der Anhörung der Klägerin vom 26. Oktober 2016 führte diese im Schreiben vom 18. November 2016 aus, dass sie gehalten
gewesen sei, auf die Polizei zu warten. Schon aufgrund eines schweren Unfallschocks sei sie nicht in der Lage gewesen, den
Unfallort zu verlassen. Die Klägerin habe mit keinem der Unfallgegner ein Gespräch geführt und auch keine Daten ausgetauscht
bzw. dies beabsichtigt. Von den eingetroffenen Polizeibeamten sei sie zum Unfallhergang und nach ihren Personalien gefragt
worden. Sie sei aufgefordert worden, auf weitere Angaben seitens der Polizei zu warten. Das Warten sei aber nicht ihrer Privatsphäre
zuzuordnen gewesen und es habe kein Handeln im Eigeninteresse vorgelegen. Das Erlangen der Daten habe zudem im Interesse des
Arbeitgebers gelegen, damit dieser Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger hätte stellen können.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 23. November 2016 fest, dass die Bescheide vom 20. September 1984 und 19. September
1985 rechtswidrig gewesen seien, weil die Anerkennung eines Arbeitsunfalls hätte abgelehnt werden müssen. Es habe zum Unfallzeitpunkt
kein innerer Zusammenhang mit dem versicherten Weg bestanden, sondern vielmehr ein Regulierungsgespräch im Interesse der Klägerin
vorgelegen. Dies sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen. Da die Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides aufgrund der Regelung des § 45 Abs. 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nach Ablauf der Rücknahmefrist von mehr als zwei Jahren nicht mehr erfolgen könne, sei die Rentenleistung nach § 48 Abs. 3 SGB X „einzufrieren“. Eine Änderung zugunsten des Betroffenen wie die Änderung der Höhe der MdE dürfe nicht dazu führen, dass die
neu festzustellende Leistung über den Betrag hinausgehe, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft
ergebe. Eine Änderung sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Verschlimmerung der Unfallfolgen eingetreten und es wäre eine MdE
von 30 v. H. festzustellen gewesen.
Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 3. März
2017 mit der Begründung zurückgewiesen wurde, dass die Entscheidung vom 23. November 2016 nicht zu beanstanden sei. Es habe
kein Arbeitsunfall vorgelegen, weil Regulierungsgespräche nach einem Unfall dem Aufklärungs- und Anspruchsinteresse Rechnung
trügen und damit dem privaten Bereich zuzurechnen seien. Eine Fortsetzung des Zurücklegens des versicherten Weges werde nicht
mehr verfolgt. Zudem habe keine nur geringfügige Unterbrechung des versicherten Weges vorgelegen, weil zwischen dem Erst-
und dem Zweitunfall 50 Minuten gelegen hätten.
Die Klägerin hat am 10. April 2017 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben. Sie hat vorgetragen, dass sie aufgrund der Aufforderungen
der Polizeibeamten nach dem Erstunfall in ihrem Wagen verblieben und aufgrund eines schweren Unfallschocks nicht in der Lage
gewesen sei, den Unfallort oder das Fahrzeug zu verlassen. Zur Zeit des zweiten Unfalls sei sie im Gespräch mit den Polizeibeamten
gewesen und habe nicht sehen können, dass ein weiteres Fahrzeug einen zweiten Unfall verursachen würde. Die Polizeibeamten
hätten sich dagegen rechtzeitig aus der Gefahrenzone entfernen können. Dabei erinnere sie, dass die Polizeibeamten ihr eindringlich
und fürsorglich gesagt hätten, sie solle an der Unfallstelle warten. Nicht erinnern könne sie dagegen, ob ihr Fahrzeug nach
dem ersten oder zweiten Unfall fahrtüchtig gewesen sei.
Ergänzend hat die Klägerin vorgetragen, dass keine Gespräche mit den Unfallgegnern zum Unfallhergang stattgefunden hätten,
so dass kein Regulierungsgespräch vorgelegen habe. Ein Austausch von Personalien habe nicht stattgefunden und sei nicht beabsichtigt
gewesen. Ein Gespräch mit dem Unfallgegner sei nicht mehr erforderlich gewesen, weil die Personalien bereits von den Polizeibeamten
aufgenommen worden seien. Würde auf den Handlungszweck der Klägerin abgestellt, habe kein Warten im eigenen Interesse vorgelegen,
das der eigenwirtschaftlichen Sphäre der Klägerin zuzuordnen sei. Vielmehr habe das Warten den den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten
gedient sowie dem Interesse des Arbeitgebers, weil aufgrund des Unfallschocks der Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit zu erwarten
gewesen sei und die Daten der Unfallgegner für zukünftige Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen die Unfallgegner
relevant gewesen seien. Die Angaben in der Unfallanzeige seien nicht von der Klägerin selbst erfolgt. Sie habe keinen Polizeibeamten
gebeten, ihr die Personalien des Unfallgegners mitzuteilen. Angesichts des Unfallschocks und ihrer Aufregung habe sie hieran
nicht gedacht. Ihr sei im Folgenden von einem Polizeibeamten mitgeteilt worden, dass er ihr die Daten geben werde, sie solle
hierauf warten. Es seien dann zwei Polizeibeamten gekommen, die mit ihr zwischen den Fahrzeugen gestanden hätten, um ihr die
angekündigten Daten zu geben. In diesem Moment sei es zu dem zweiten Unfall gekommen. Die Polizeibeamten hätten das herankommende
Fahrzeug gesehen, gewarnt und sich selbst in Sicherheit gebracht.
Im Erörterungstermin des Sozialgerichts Hamburg am 20. September 2019 hat die Klägerin nochmals umfangreich vorgetragen. Sie
erinnere sich, dass der Polizeibeamte ihr eindringlich bzw. fürsorglich gesagt habe, sie solle an der Unfallstelle warten.
Sie könne sich nicht erinnern, ob ihr Fahrzeug nach dem ersten oder zweiten Unfall noch fahrtüchtig gewesen sei.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 25. Oktober 2019 ohne mündliche Verhandlung den Bescheid der Beklagten vom 23. November
2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin die
gewährte Rente auf unbestimmte Zeit wegen des Arbeitsunfalles vom 23. Dezember 1983 nach einer MdE von 30 v. H. ab dem 1.
Dezember 2015 zu zahlen. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X seien nicht erfüllt. Die Bescheide vom 20. September 1984 und vom 19. September 1985 hätten zu Recht das Unfallereignis vom
23. Dezember 1984 als Arbeitsunfall anerkannt.
Nach § 550 Abs. 1 der
Reichsversicherungsordnung (
RVO) gelte als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Versicherungsschutz bestehe, wenn die Fortbewegung
von dem Zweck bestimmt sei, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen.
Die darauf gerichtete Handlungstendenz müsse durch die objektiven Umstände bestätigt werden. Allerdings müsse auch die Verrichtung
zur Zeit des Unfallereignisses im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Diese Voraussetzung
sei erfüllt, wenn das Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der Arbeitsstätte gehöre. Das Warten
am Unfallort nach dem ersten Verkehrsunfall bis zum zweiten Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin schließlich erheblich verletzt
worden sei, habe in einem sachlichen Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit gestanden. Bei dem zweiten Verkehrsunfall
habe sich eine Wegegefahr realisiert, gegen die die Wegeunfallversicherung schützen solle. Die Klägerin habe unter dem Schutz
der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, als sie auf Anweisung der Polizeibeamten habe warten müssen, und sich etwas
später der zweite Auffahrunfall um 21:05 Uhr ereignet habe.
Der Versicherungsschutz sei durch die Unterbrechung der konkreten Wegefortsetzung von 50 Minuten zwischen dem ersten und dem
zweiten Unfall nicht entfallen. Insoweit liege keine „Unterbrechung“ – des Versicherungsschutzes – im Rechtssinne vor. Denn
der Aufenthalt in ihrem Fahrzeug, das Warten am Unfallort, sei auf Anweisung der Polizeibeamten erfolgt, so dass dies der
versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Insbesondere habe kein eigenwirtschaftliches „übliches Regulierungsgespräch“ im Sinne
der Rechtsprechung des BSG vorgelegen, wie es die Beklagte angenommen habe. Im vorliegenden Fall habe keine Handlung der Klägerin zum Zwecke der Durchführung
von Gesprächen über die weitere Vorgehensweise nach dem Unfall bzw. über die Regulierung des Schadens mit den Verursachern
stattgefunden. Es hätten weder Gespräche mit den Unfallgegnern zum Unfallhergang noch ein Austausch von Personalien oder ähnliches
stattgefunden; dies sei zudem nicht beabsichtigt gewesen. Ein Gespräch mit dem Unfallgegner sei auch nicht mehr erforderlich
gewesen, weil deren Personalien von den Polizeibeamten bereits aufgenommen gewesen seien.
Die Klägerin habe weder ihren PKW noch sich selbst fortbewegt und damit nicht den öffentlichen Verkehrsraum verlassen. Die
hoheitlichen Anweisungen der Polizei hätten es auch verhindert, dass die Klägerin den Unfallort insgesamt habe verlassen können
oder dürfen. Eine dem Privatbereich zuzuordnende eigenwirtschaftliche Handlungstendenz könne der Klägerin in dem Warten auf
weitere Anweisungen der Polizeibeamten nicht zugerechnet werden. Das Warten sei nicht durch ihren eigenen Willen als Handlungstendenz
gekennzeichnet gewesen, sondern ausschließlich auf Anweisung der Polizeibeamten geschehen. Ein solches Warten am Unfallort
auf Anweisung von Polizeibeamten könne eher mit einem „Warten auf dem Bahnsteig“ verglichen werden, so dass grundsätzlich
eine versicherte Tätigkeit vorgelegen habe und festgestellt werde. Die Klägerin habe damit einen Anspruch auf Gewährung einer
Rentenleistung nach einer MdE von 30 v. H. durch die Unfallfolgen.
Gegen das der Beklagten am 10. Dezember 2019 zugestellte Urteil hat diese am 20. Dezember 2019 Berufung eingelegt. Die Klägerin
habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr auf dem Weg nach Hause befunden, sondern den versicherten Weg unterbrochen,
um die ihren privaten Interessen zuzurechnenden Tätigkeiten durchzuführen. Aus der Verwaltungsakte sei ersichtlich, dass die
Versicherte auf die Personalien der anderen Unfallbeteiligten gewartet habe. Ein schwerer Schock sei bei der Klägerin selbst
nach dem zweiten Unfall nicht im AK H. diagnostiziert worden. Das Warten auf die Polizei sei nicht nur eine geringfügige Unterbrechung des Heimweges, da jetzt
nicht mehr die Handlungstendenz die „Fortsetzung des Weges“, sondern das „Warten auf die Polizei“ sei. Aus letzterer Handlungstendenz
werde nach Eintreffen der Polizei das „Abwickeln des Unfalls“, was in den Händen der Polizei gelegen habe. Letztlich sei die
Versicherte aufgrund ihrer Pflichten als Unfallbeteiligte am Unfallort geblieben. Diese Verpflichtung bestehe solange, bis
alle Pflichten erfüllt seien. Diese Pflichten müsse sich die Klägerin als eigenen Willen zurechnen lassen. Sie habe den Unfallort
nicht verlassen dürfen bis die Polizei, die durch die Unfallaufnahme die Pflicht der Versicherten zum Datenaustausch übernommen
habe, und damit die Regulierung des Unfalls, diese Tätigkeit abgeschlossen gehabt habe. Dass die Klägerin keinen Schock gehabt
habe, habe sich auch daran gezeigt, dass sie aus dem Fahrzeug ausgestiegen und mit der Polizei habe reden können. Es sei unglaubwürdig,
dass niemand bemerkt habe, dass die Klägerin medizinischer Hilfe bedurft habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Oktober 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beruft sich weiter darauf, dass kein Regulierungsgespräch stattgefunden habe. Sie sei aufgrund eines Schockzustands
auch ohne Aufforderung der Polizei nicht in der Lage gewesen, den Unfallort zu verlassen. Es habe sein können, dass andere
Verkehrsteilnehmer aufgrund ihres Schockzustands eigentlich einen Rettungswagen hätten rufen müssen. Sie sei wegen ihres Schocks
handlungsunfähig gewesen. Aus dem Fehlen der Dokumentation eines Schockzustands in der Klinik sei nicht zu schließen, dass
dieser nicht vorgelegen habe. Sie habe sich auch nicht darauf geeinigt, die Polizei zu rufen. Sie wisse auch nicht, wer die
Polizei gerufen habe. Da es kein Regulierungsgespräch bezüglich des ersten Unfalls gegeben habe, sei nicht ersichtlich, welches
private Interesse die Klägerin verfolgt haben sollte. Das Warten auf die Polizei habe keine auf Abwicklung des Unfalls gerichtete
Handlungstendenz der Klägerin dargestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die beigezogene Verwaltungsakte und
die Sitzungsniederschrift vom 13. Januar 2021 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§§
143,
144 des
Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§
151 SGG) Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat der zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4
SGG) zu Unrecht stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht
in ihren Rechten.
Nach § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll u. a. mit Wirkung
vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Zugunsten
der Klägerin ist eine Änderung eingetreten, weil aufgrund einer hinzugetretenen Einsteifung des unteren Sprunggelenkes ihre
MdE mit 30 v. H. statt wie bisher mit 20 v. H. zu bewerten ist. Dies ergibt sich für den Senat aus den schlüssigen Ausführungen
von Dr. F. im Rentengutachten vom 6. Juli 2016, den dort ermittelten Bewegungsausmaßen und ist im Übrigen auch zwischen den
Beteiligten unstreitig.
Nach § 48 Abs. 3 SGB X kann dennoch keine höhere Leistung unter Berücksichtigung einer höheren MdE als 20 v. H. festgestellt werden. Kann ein rechtswidriger
begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung
nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Die Bescheide
der Beklagten vom 20. September 1984 und 19. September 1985 sind rechtswidrig, können aber nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden. Nach § 45 SGB X ist ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen
des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Mit den Bescheiden vom 20. September 1984 und 19. September 1985 hat die Beklagte zu Unrecht einen Wegeunfall anerkannt, als
die Klägerin am 23. Dezember 1983 einen zweiten Verkehrsunfall erlitt und sich dabei eine Verletzung ihres linken Sprunggelenkes
zuzog. Rechtsgrundlage für die Beurteilung eines Wegeunfalls sind die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (
RVO). Der geltend gemachte Arbeitsunfall ereignete sich vor Inkrafttreten des
SGB VII am 1. Januar 1997. Nach § 550 Abs. 1
RVO galt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Die Klägerin befand sich auf dem mit ihrer
Tätigkeit zusammenhängenden Rückweg, als sich der erste Verkehrsunfall ereignete. Der zweite Verkehrsunfall ist jedoch kein
Arbeitsunfall, weil die Verrichtung der Klägerin zur Zeit des Unfallereignisses – der Aufenthalt zwischen den beiden Fahrzeugen
– nicht mehr im sachlichen Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung stand. Ein sachlicher Zusammenhang besteht, wenn die Fortbewegung
von dem Zweck bestimmt ist, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen.
Die darauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 29/06 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 25). Allerdings muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses im sachlichen Zusammenhang
mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Handeln des Versicherten zur
Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der Arbeitsstätte gehört (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 26/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 32).
Die Klägerin hatte zwar nicht den öffentlichen Verkehrsraum verlassen, aber durch das Verlassen ihres Fahrzeugs dokumentiert,
dass sie sich auf dem versicherten Weg nicht weiter fortbewegen will. Eine Unterbrechung des versicherten Weges tritt auch
schon vor dem Überschreiten der Grenze des öffentlichen Verkehrsraumes ein, sobald deutlich wird, dass das Verhalten des Versicherten
nicht mehr durch den Willen zur Fortsetzung des Weges von oder zu dem Ort der Tätigkeit, sondern durch eine andere Handlungstendenz
gekennzeichnet ist. Es steht dem Versicherten nur solange frei, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, wie
die Fortbewegung nach seiner objektivierten Handlungstendenz der Zurücklegung des versicherten Weges zu dienen bestimmt ist
(BSG, a.a.O.). Die Klägerin hat durch das Warten, das Aussteigen aus dem PKW und das Gespräch mit den Polizisten hinter ihrem
PKW dokumentiert, dass sie den Heimweg zunächst nicht in Richtung ihres Zuhauses fortsetzen will. Hinzu kommt aber auch der
Vortrag der Klägerin, dass sie aufgrund eines – auch nach außen erkennbaren – Schockzustands auch ohne Aufforderung der Polizei
überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre, den Unfallort zu verlassen. Sie hätte ihrer Auffassung nach eigentlich in ein Krankenhaus
verbracht werden müssen. Dies macht ebenso deutlich, dass sie ihre ursprüngliche Handlungstendenz, ihren Weg nach Hause zurückzulegen,
verlassen hat und eine Unterbrechung eingetreten ist. Ob ihre neue Handlungstendenz auf die Erfüllung ihrer Pflichten als
Verkehrsteilnehmerin und der Anweisungen der Polizei oder die Behandlung ihres Schockzustandes gerichtet war, ist dabei unerheblich.
Eine vollkommene Handlungsunfähigkeit kann aufgrund des Aussteigens aus dem PKW und des Gesprächs mit den Polizisten jedenfalls
nicht vorgelegen haben. Die ursprüngliche Handlungstendenz hatte nach außen erkennbar gewechselt.
Bei der Abweichung der Klägerin vom versicherten Weg handelt es sich nicht nur um eine geringfügige Unterbrechung, während
der der Versicherungsschutz fortbestehen kann. Eine Unterbrechung ist als geringfügig zu bezeichnen, wenn sie auf einer Verrichtung
beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit
in seiner Gesamtheit anzusehen ist (BSG, a.a.O.). Das ist der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen
Ziels führt, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt werden kann (BSG, a.a.O.). Die Wartezeit von einer Dreiviertelstunde, das Aussteigen aus dem PKW, um ein Gespräch mit der Polizei zu führen,
sowie die von der Klägerin selbst vermutete Behandlungsnotwendigkeit eines Schockzustandes, der die weitere Führung eines
PKW ausschließt, bedeuten eine nicht nur geringfügige Zäsur.
Die Wegeunterbrechung hat zum Verlust des Versicherungsschutzes geführt, da der versicherte Weg vom Ort der Tätigkeit zum
Zeitpunkt des Unfallgeschehens nicht mehr zurückgelegt worden ist. Nur das Zurücklegen dieses Weges, d.h. die allein von dieser
Handlungstendenz bestimmte Fortbewegung vom Ort der Tätigkeit in den Privatbereich ist eine versicherte Tätigkeit (BSG, a.a.O.). Während der mehr als geringfügigen Unterbrechung besteht der Versicherungsschutz nur dann weiter, wenn die eingeschobene
Verrichtung ihrerseits im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht (BSG, a.a.O.). Das ist vorliegend nicht erkennbar. Der Aufenthalt der Klägerin zwischen ihrem und dem dahinter abgestellten Fahrzeug
mit dem Ziel, ein Gespräch mit der Polizei zu führen, ist nicht dem Heimweg zuzurechnen. Dieses Verhalten gehört zum unversicherten
persönlichen Lebensbereich. Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, zur versicherten Tätigkeit oder zur
Privatsphäre gehört, beurteilt sich nach dem objektivierten Zweck des Handelns. Der innere Zusammenhang mit der versicherten
Tätigkeit ist gegeben, wenn die unterbrechende Verrichtung der Zurücklegung des versicherten Weges dienen soll (BSG, a.a.O.). Versicherungsschutz ist daher bei Maßnahmen zur Behebung einer während eines versicherten Weges auftretenden Störung
am benutzten Fahrzeug (BSG, Urteil vom 4. September 2007 – B 2 U 24/06 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 24) oder beim Verlassen des gewöhnlichen Weges aufgrund einer Baustelle oder eines Staus (BSG, Urteil vom 11. September 2001 – B 2 U 34/00 R, SozR 3-2700 § 8 Nr. 9) angenommen worden. Zum Unfallzeitpunkt war die Handlungstendenz der Klägerin jedoch nicht mehr auf
die Fortsetzung des versicherten Weges mit dem Ziel, ihre Wohnung zu erreichen, gerichtet. Spätestens mit dem Verlassen des
Fahrzeugs diente das Handeln der Klägerin der Gesprächsaufnahme mit der Polizei. Wegen dieser Änderung im Handlungszweck weg
von der Zurücklegung des durch die Beschäftigung veranlassten Weges hin zu einem nicht mehr der versicherten Fortbewegung
dienenden Verhalten lag eine im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung zum Unfallzeitpunkt
nicht mehr vor. Das BSG hat es ausdrücklich abgelehnt, einen inneren Zusammenhang mit dem versicherten Weg bei üblichen Regulierungsgesprächen nach
einem Verkehrsunfall sowie Maßnahmen der Spurensicherung anzunehmen (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 26/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 32). Der Unfallversicherungsschutz erstrecke sich nicht auch auf Handlungen, mit denen ein Versicherter
den durch §§ 34 der Straßenverkehrsordnung (StVO) und 142 des
Strafgesetzbuches (
StGB) auferlegten Verhaltenspflichten nachkomme. Auch eine Handlung, die durch einen auf dem Heimweg (oder auf dem Weg zur Tätigkeit)
erlittenen Verkehrsunfall bedingt sei, stehe nur dann im inneren Zusammenhang mit dem allein versicherten (späteren) Zurücklegen
des Weges, wenn sie es objektiv ermöglichen oder fördern solle. Das sei bei einem den Anforderungen der §§ 34 StVO und
142 StGB genügenden Verhalten grundsätzlich nicht der Fall. §
142 StGB ziele darauf, die Aufklärung von Verkehrsunfällen zu erleichtern und der Gefahr eines drohenden Beweisverlustes entgegenzuwirken.
Sie diene allein der Sicherung begründeter und der Abwehr unberechtigter zivilrechtlicher Ansprüche (unter Hinweis auf BT-Drucks.
7/3503, Seite 4). Auch § 34 StVO, der die Verkehrsteilnehmer über ihre Pflichten nach einem Verkehrsunfall umfassend belehre und zum Teil die mit §
142 StGB getroffenen Regelungen wiederhole, schütze das private Interesse der Unfallbeteiligten und Geschädigten an einer möglichst
umfassenden Aufklärung des Unfallhergangs und damit an der Anspruchssicherung. Daher sei auch die Erfüllung der durch §§ 34 StVO und
142 StGB geregelten Pflichten dienende und sowohl dem Aufklärungs- als auch dem Anspruchssicherungsinteresse Rechnung tragende Verhalten
wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnen. Mit ihm werde ein eigenwirtschaftlicher Zweck und nicht mehr die Fortsetzung
des Zurücklegens des versicherten Weges verfolgt. Das Warten der Klägerin bis zum Abschluss der Ermittlungen durch die Polizei
war daher ebenfalls einem eigenwirtschaftlichen Zweck zuzuordnen. Es diente auch nicht dazu, den Heimweg möglichst schnell
fortsetzen zu können, da die Klägerin hierzu schon nach ihren eigenen Angaben nicht in der Lage gewesen ist. Ebenso wenig
ist die Klägerin einer Verpflichtung aus ihrem Beschäftigungsverhältnis zum Schutze ihres Arbeitgebers nachgekommen.
Es liegt auch keine vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasste Vorbereitungshandlung vor. Dem besonders engen
sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin steht entgegen, dass der Aufenthalt
zwischen den geparkten Fahrzeugen das versicherte Zurücklegen des Heimweges nicht unmittelbar ermöglicht oder gefördert hat.
Dieser Verrichtungen hat es schon nicht bedurft, um den Weg zur Wohnung fortsetzen zu können, zumal die Klägerin nach eigenen
Angaben nicht mehr fahrfähig gewesen ist.
Die Bescheide waren daher rechtswidrig, können aber nicht mehr nach § 45 SGB X zurückgenommen werden, weil die in § 45 Abs. 3 SGB X geregelten Fristen abgelaufen sind. Nach dessen Absatz 3 kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner
Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt
des Widerrufs erlassen wurde. Beides war hier nicht der Fall.
In der Folge hat die Beklagte zu Recht die Leistungen an die Klägerin auf die bisherige MdE in Höhe von 20 v. H. begrenzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zuzulassen.