Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen einer anerkannten Berufskrankheit nach
Nr. 4103 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) - Asbeststaublungenerkrankung – Asbestose – oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura (im Folgenden: BK 4103).
Der Kläger ist 1958 in P. geboren und war dort als Elektromechaniker, Schlosser und Dachdecker bis 1988, danach in Deutschland
noch bis 1992 in der Fertigung von Bremsbelägen tätig. Im April 2018 befand sich der Kläger aufgrund einer pneumogenen Sepsis
mit Pleuraempyem und perforiertem Lungenabzess in stationärer Krankenhausbehandlung. Am 20. April 2018 wurde eine Thorakoskopie
durchgeführt, bei welcher u.a. Pleuraplaques festgestellt wurden. Hierbei handelt es sich umschriebene zellarme Verdickungen
der Pleura, welche zu ca. 70% asbestassoziiert sind. Im Juni 2018 wurde daraufhin der ärztliche Verdacht auf eine Berufskrankheit
bei der Beklagten angezeigt. Neben umfangreichen Ermittlungen zu beruflichen Belastungen nahm der Pneumologe Dr. D. beratungsärztlich
Stellung und führte aus, die bei der Thorakoskopie vorgefundenen partiell verkalkten Plaques im Bereich der Pleura thoracalis
und diaphragmatica beidseits erfüllten den BK- Tatbestand pleuraler Asbestinhalationsfolgen der BK 4103. Das zu der Untersuchung
führende Problem der pneumogenen Sepsis mit Pleuraempyem bei perforiertem Lungenabzess links sei dagegen BK-unabhängig. Es
werde die Anfertigung einer pneumologischen Funktionsdiagnostik empfohlen. Auf Veranlassung der Beklagten fertigte daraufhin
der Facharzt für Innere Medizin, Lungen-, und Bronchialheilkunde, Allergologie Dr. F. unter dem 27.November 2018 ein internistisch-pneumologisches
Fachgutachten. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit
nach Nr. 4103 erfüllt seien. Es zeige sich ein deutlicher Zwerchfellhochstand links mit Ausrundung des linken Pleurasinus
und Verziehung des linken Pleurasinus nach kranial sowie im Bereich des Mittelfeldes Pleuraverdickung sowie narbige Verziehung
pulmonal pleurarandständig. Der rechte Lungenflügel sei unauffällig, die linkseitigen pleuralen Veränderungen im Vergleich
zum Vorbefund leicht rückläufig. Lungenfunktion, Diffusionskapazität und Blutgasanalyse seien unauffällig. Hinsichtlich der
Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) gab der Gutachter an, diese sei aufgrund der erhobenen medizinischen
Befunde mit 0 vom Hundert einzuschätzen.
Mit Bescheid vom 12. März 2019 erkannte die Beklagte Asbestinhalationsfolgen an der Pleura als Berufskrankheit nach Nr. 4103
an. Unabhängig von der Berufskrankheit liege beim Kläger ein perforierter Lungenabszess mit Pleuraempyem und erfolgter Thorakotomie,
eine koronare Herzerkrankung, ein arterieller Bluthochdruck, ein Meniskusschaden im rechten Knie und eine im Jahr 2013 aufgetretene
Tumorerkrankung der Harnblase vor. Ein Anspruch auf Rente wegen der Berufskrankheit bestehe nicht.
Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2019). Auf die hiergegen erhobene Klage hin
hat das Sozialgericht Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt und sodann das Verfahren wegen einer Nachuntersuchung
durch die Beklagte zum Ruhen gebracht. Die Nachuntersuchung führte Dr. F. am 5. August 2021 durch. Im Gutachten vom 20. September
2021 ist ausgeführt, es zeige sich im Vergleich zum Vorbefund aus 2018 röntgenologisch ebenso wie im CT keine Veränderung.
Die Lungenfunktionsprüfung ergab eine leichte Atemwegsobstruktion, keine Restriktion, der Broncholysetest keine Änderung des
Atemwegswiderstandes. Des Weiteren stellte Dr. F. eine leicht erniedrigte Diffusionskapazität bei normalem Krogh-Faktor, eine
normale totale Lungenkapazität, gemessen in der Fremdgasverdünnungsmethode sowie in Ruhe normale Sauerstoffwerte in der Blutgasanalyse
fest. Eine Verschlimmerung liege nicht vor, eine MdE ebenfalls nicht.
Mit Gerichtsbescheid vom 5. Januar 2022 hat das Sozialgericht daraufhin die Klage abgewiesen. Eine rentenberechtigende Minderung
der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Folgen der BK 4103 könne nicht festgestellt werden. Nach §
56 Abs.
1 Satz 1 des
Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) hätten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert sei, Anspruch auf eine Rente. Nach §
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII richte sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen
Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Diese Voraussetzungen
seien nicht erfüllt. Beim Kläger liege keine rentenberechtigende MdE aufgrund der anerkannten BK 4103 vor. Es sei insoweit
dem schlüssigen und in sich widerspruchsfreien Sachverständigengutachten des Dr. F. zu folgen. Die gutachterlichen Ausführungen
und Schlussfolgerungen habe der Sachverständige aus den erhobenen medizinischen Befunden zutreffend abgeleitet und medizinisch
festgestellt, dass eine erhebliche Lungenfunktionseinschränkung durch die BK-Folgen nicht bestehe. Eine (weitere) gerichtliche
Begutachtung von Amts wegen sei nicht erforderlich gewesen, denn die beiden vorliegenden Gutachten seien fachlich und qualitativ
sehr hochwertig, so dass kein Anlass für eine neuerliche Begutachtung bestanden habe. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe
werde mit Blick auf §
136 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) abgesehen.
Gegen den ihm am 6. Januar 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 4. Februar 2022
Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, es das Sozialgericht habe seiner Entscheidung nicht das Gutachten des Dr. F.
zu Grunde legen dürfen. Dessen Gutachten erfüllten indes nicht die fachlichen Voraussetzungen, denn es habe keine qualitätsgesicherte
vollständige Lungenfunktionsprüfung vorgelegen, wie sie in den Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaft vorgesehen
sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 5. Januar 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides
vom 12. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2019 zu verurteilen, dem Kläger aufgrund der anerkannten
Berufskrankheit BK 4103 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 vom Hundert zu gewähren.
Der Beklagtenvertreter beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie ist der Auffassung, nach allen Befunden, insbesondere
der Lungenfunktionsprüfung, ergäben sich keinerlei Einschränkungen. Solche seien auch nicht zu erwarten, da die asbestbedingten
Veränderungen lediglich geringgradig und pleural seien, die Lunge selbst jedoch bisher frei von asbestbedingten Veränderungen
sei. Dass die Gutachten die fachlichen Voraussetzungen nicht erfüllten, sei nicht ersichtlich.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28. September 2022 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und
Unterlagen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen
Richtern an Stelle des Senats entscheiden konnte (§
153 Abs.
5 SGG), ist nach §§
143,
144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§
151 Abs.
1 SGG) eingelegt worden.
Sie ist jedoch unbegründet.Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid
nicht beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist (§
54 Abs.
2 S. 1
SGG). Zu Recht hat es die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid abgelehnt, dem Kläger wegen der anerkannten BK 4103 eine Rente
zu gewähren. Wegen der Begründung wird zunächst gemäß §
153 Abs.
2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Diese macht sich der Senat nach eigener Prüfung des
Sach- und Rechtslage zu Eigen.
Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Entscheidung.Die unsubstantiierte Auffassung des Klägers,
der von der Beklagten bestellte Sachverständige habe keine qualitätsgesicherte vollständige Lungenfunktionsprüfung durchgeführt,
entbehrt jeder Grundlage. Dr. F., bei welchem sich der Kläger darüber hinaus in kardiologisch-pneumologischer Behandlung befand
und der daher die Befunde auch im Längsschnitt bewerten konnte, hat alle notwendigen Befunde erhoben. Insbesondere hat der
Gutachter eine Bodyplethysmographie und eine Blutgasanalyse in Ruhe und unter Belastung durchgeführt und bei diesen und den
übrigen Untersuchungen die erforderlichen Parameter (insbesondere Totalkapazität, Vitalkapazität <VC>, Atemzugsvolumen, Atemwegswiderstand,
intrathorakales Gasvolumen, Einsekundenkapazität <FEV1> und relative Einsekundenkapazität <FEV1/FVC>) erhoben. Die Werte der
Lungenfunktionsprüfung und des Blutgasberichts liegen dem Gutachten bei. Der Senat hat keine Zweifel an der Qualität des Gutachtens
und legt die erhobenen Befunde und die Bewertung durch den Sachverständigen der Entscheidung zu Grunde.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, §
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII). Für die Bemessung der MdE haben sich seit langem Erfahrungswerte gebildet, die als Hilfsmittel für die Einschätzung dienen.
Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber als in sich stimmiges Beurteilungsgefüge die Grundlage
für eine gleichförmige Bewertung der MdE. MdE-Tabellen bezeichnen typisierend das Ausmaß der durch eine körperliche, geistige
oder seelische Funktionsbeeinträchtigung hervorgerufenen Leistungseinschränkungen in Bezug auf das gesamte Erwerbsleben und
ordnen körperliche oder geistige Funktionseinschränkungen einem Tabellenwert zu. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen
Richtwerte geben damit auch allgemeine Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher Beeinträchtigungen auf
die Erwerbsfähigkeit auf Grund des Umfangs der den Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten wieder und gewährleisten,
dass die Versicherten bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (Bereiter-Hahn/Mehrtens,
Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, Anhang Nr. 12). Unter Berücksichtigung dieser Erfahrungswerte hat das SG beanstandungsfrei entschieden, dass die Folgen der anerkannten BK keine MdE in rentenberechtigender Höhe von mindestens 20
v.H. bedingen. Bei klinischem Normalbefund und einer normalen Lungenfunktion, wie von Dr. F. im Gutachten und auch in der
Längsschnittbeurteilung festgestellt, ergibt sich nach den Erfahrungswerten zum Grad der MdE (siehe Bereiter-Hahn/Mehrtens,
a.a.O., Ziff. 7, und Empfehlung für die Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten - Falkensteiner Empfehlung -, Stand
Februar 2011, Seite 130) für Pneumokoniosen, wozu auch eine Asbestose gehört, keine MdE. Erst bei einer im Grenzbereich eingeschränkten
Lungenfunktion würde sich danach eine MdE von 10 v.H. ergeben, die aber, da beim Kläger keine Stützrentensituation vorliegt,
auch noch keinen Rentenanspruch begründen würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, vgl. §
160 SGG.