Zulässigkeit der Beschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Übermittlung elektronischer Dokumente ohne qualifizierte elektronische
Signatur
Gründe:
Die am 3. September 2014 eingegangene Beschwerde des Antragstellers, mit der er sinngemäß beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. August 2014 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, Leistungen der beruflichen Weiterbildung zu gewähren,
ist bereits unzulässig, da nicht innerhalb der Beschwerdefrist eine den Formerfordernissen genügende Beschwerdeschrift eingegangen
ist.
Nach §
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen. Daneben eröffnet §
65a Abs.
1 Satz 1
SGG die Möglichkeit, elektronische Dokumente an das Gericht zu übermitteln, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich
durch Rechtsverordnung der Bundesregierung oder der Landesregierungen zugelassen worden ist. Die elektronische Form stellt
keinen Unterfall bzw. keine Sonderform der Schriftform dar. Vielmehr handelt es sich um eine eigenständige Form, die der Gesetzgeber
als zusätzliche Option neben der bisherigen schriftlichen Form eingeführt hat (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4. Juni
2013 - L 6 AS 194/13 B - juris, Rn. 10; Müller, JurPC Web-Dok. 183/2013, Abs. 15; vgl. auch BSG, Urteil vom 14. März 2013 - B 13 R 19/12 R - juris, die eigenständige Form hervorhebend, aber eine entsprechende Belehrungspflicht verneinend). Nach §
65a Abs.
1 Satz 3
SGG ist für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, eine qualifizierte elektronische
Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes vorzuschreiben. In diesem Sinne ist die Beschwerdeschrift schriftlich zu unterzeichnen (Jung, in: Roos/Wahrendorf,
SGG §
65a, Rn.12), da nach allgemeiner Lehre zur Schriftform grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift gehört. Jedenfalls beim Begriff
des "schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstücks" i.S.d. §
65a Abs.
1 Satz 3
SGG spielt es keine Rolle, im welchem Fall vom Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift eine Ausnahme gemacht werden muss
(vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00).
Das Land Hessen hat mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften
vom 26. 10. 2007 (ElRVerkV HE, GVBl. S. 699), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 4. Dezember 2014 (GVBl.
S. 274), von der Ermächtigung Gebrauch gemacht. Nach § 2 Satz 1 ElRVerkV HE muss die Einreichung elektronischer Dokumente
in einer aus der Anlage 2 zu dieser Verordnung ersichtlichen Form erfolgen. In Anlage 2 zu § 2 wird zur erforderlichen Signatur
ausgeführt:
"2. Signatur der Dokumente
Die qualifizierte elektronische Signatur - soweit erforderlich - muss dem Profil ISISMTT entsprechen und das ihr zugrunde
liegende Zertifikat muss durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, welche mit einer automatisierten Überprüfung andere
Stellen beauftragen können, prüfbar sein. Auf der Internetseite http://www.justiz.hessen.de sind beispielhaft Zertifizierungsdiensteanbieter
bekannt gegeben, die von den Gerichten und Staatsanwaltschaften prüfbare Zertifikate herausgeben."
Die am 3. September 2014 eingegangene Beschwerdeschrift genügte diesen Formerfordernissen nicht. Zwar ist sie im Elektronischen
Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingegangen, war aber nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen.
Vielmehr war sie mit überhaupt keiner elektronischen Signatur versehen.
Das nicht signierte Dokument des Antragstellers ist auch nicht aus anderen Rechtsgründen als formwirksam anzusehen.
Es ist bereits zweifelhaft, ob bei einem über das EGVP eingegangenen elektronischen Dokument überhaupt auf die allgemeinen
Schriftformvoraussetzungen zurückgegriffen werden kann, wenn die Form des §
65a SGG nicht gewahrt wird (dagegen i. Erg. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Juli 2014 - L 29 AS 1052/14 NZB - juris Rn. 34). Die elektronische Form ist nämlich, wie bereits oben erwähnt, ein aliud zur Schriftform. Weiterhin spricht
der Wortlaut des §
65a Abs.
1 Satz 3
SGG dafür, dass ein elektronisches Dokument nur dann einem unterschriebenen Dokument gleich steht, wenn es qualifiziert elektronisch
signiert ist, und nicht, wenn schriftformwahrende Voraussetzungen analog angewendet werden können. Damit hängt bereits die
Gleichstellung mit der Schriftform von der Formwahrung ab, was einer Anwendung von schriftformbezogenen Grundsätzen bei fehlender
Formwahrung entgegenstehen dürfte. Auch der Gesetzeszweck des §
65a SGG, klare Anforderungen zur Sicherung der klassischen Urkundenfunktion auch bei einem nicht verkörperten Dokument zu regeln
(vgl. Jung, in: Roos/Wahrendorf,
SGG §
65a, Rn.13 ff.) und die besonderen Risiken der digitalen Form hinsichtlich Veränderbarkeit und Urheberfeststellung zu minimieren
(vgl. Müller ASR 2013, 252, 252), verlangt eine abschließende Regelung. Jedenfalls auf die Rechtsprechung zum per E-Mail übersandten und ausgedruckten
PDF-Scan (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2008 - X ZB 9/08) kann nicht mehr zurückgegriffen werden, da es sich auch bei einer einfachen E-Mail mit PDF-Dokument um ein elektronisches
Dokument handelt und nunmehr - anders als noch unter der vom BGH zu beachtenden Rechtslage - wegen des Inkrafttretens der
Verordnungen zum elektronischen Rechtsverkehr eben §
130a ZPO und hier §
65a SGG Anwendung finden. Diese gesetzgeberische Entscheidung der strengeren elektronischen Form verdrängt die frühere richterrechtliche
Formerleichterung.
Auch eine Analogie zu den Anforderungen an ein Computerfax scheidet im Ergebnis aus. Zwar wurde bei der Erstellung des Dokuments
im vorliegenden Fall einem Computerfax entfernt vergleichbar gearbeitet: Die ersten sechs Seiten sind eine ohne Medienbruch
erstellte PDF-Datei, die siebte Seite ist ein PDF-Scan eines Ausdrucks mit einer Unterschrift, die im Computer zu einer PDF-Datei
zusammengefügt wurden. Indes unterschied sich der Übertragungsweg eines Telefaxes im Jahr 2000 im Normalfall noch erheblich
von dem einer E-Mail bzw. eines im EGVP-Postfach eingehenden elektronischen Dokuments. So stellte der Gemeinsame Senat der
obersten Gerichtshöfe des Bundes maßgeblich darauf ab, dass gesichert sei, dass am Empfangsort unmittelbar eine körperliche
Urkunde erstellt werde (Beschluss vom 5. April 2000 - GmS-OGB 1/98 - juris Rn. 16 = BGHZ 144, 160 = SozR 3-1750 § 130 Nr. 1). Der Ausdruck eines unsignierten elektronischen Dokuments bedarf hingegen noch einer Willensbetätigung
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gerichts. Zudem erfolgt die Faxübersendung auf klassischem Wege auf einer normalen
Telefonverbindung, ohne dass der Empfänger eine Datei erhält. Aus dem letztgenannten Grunde ist das Computerfax auch kein
elektronisches Dokument. Diese Unterschiede verbieten bereits eine Analogie, ohne dass hier abschließend geklärt werden müsste,
ob §
65a SGG überhaupt Raum dafür lässt.
Bei alledem verkennt der Senat nicht, dass die Rechtslage derzeit durch sehr unterschiedliche Formerfordernisse bei unterschiedlichen
elektronischen Kommunikationswegen geprägt ist; dies beruht indes auf richterrechtlichen Formerleichterungen, denen Prämissen
hinsichtlich der technischen Notwendigkeit der Formerleichterung zugrundelagen (siehe etwa die Vergleiche zu Telegramm und
Fernschreiben in GmS-OGB 1/98 aaO.), die mit den Datensicherheitsbedürfnissen der digitalen Welt nicht mehr viel zu tun haben.
Insoweit bleibt aber der Gesetzgeber aufgefordert, die Formerfordernisse zu harmonisieren.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2002 2 BvR 2168/00) sind im vorliegenden Fall keine Schriftformerleichterungen anzuerkennen, da der Antragsteller sehenden Auges - trotz Hinweises
in der Rechtsmittelbelehrung und in vorangegangenen Verfahren - den elektronischen Weg ohne Signatur gewählt hat.
Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses ist fehlerfrei, so dass die Beschwerde formgerecht binnen Monatsfrist
zu erheben gewesen wäre.
Dem Antragsteller war auch nicht die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§
67 Abs.
1 SGG) zu gewähren, da er nicht ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Einlegung der Beschwerde einzuhalten. Er wurde in
der Rechtsmittelbelehrung über die elektronische Form und das Signaturerfordernis belehrt. Im Verfahren L 6 524/14 NZB wurde
der Antragsteller u.a. mit Verfügung vom 8. Juli 2014 ausführlich über die entsprechenden Formerfordernisse belehrt.
Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Beschwerde auch in der Sache erfolglos geblieben wäre, da auch die Hinweise
im Schriftsatz vom 4. Dezember 2014 auf die Qualifikationsanerkennung keine Ermessensreduzierung auf Null bei der Entscheidung
über die Weiterbildung am Maßstab des § 16 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) begründen.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.