Gründe
I.
Streitig ist die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsteller die Kosten seiner Unterkunft nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ungekürzt zu zahlen.
Der 1950 geborene Antragsteller bezieht von dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB
II. Seit dem 01.03.2008 gewährte der Antragsgegner nach voriger Kostensenkungsaufforderung dem Antragsteller Kosten für Bedarfe
der Unterkunft nicht mehr in tatsächlicher, sondern lediglich in der von ihm für angemessen erachteten Höhe. Die Kürzungen
sind bzw. waren Gegenstand einer Vielzahl von Eil- sowie Klageverfahren.
Mit Bescheid vom 26.07.2011 bewilligte der Antragsgegner Leistungen für den Zeitraum vom 01.08.2011 bis 31.01.2012 in Höhe
von monatlich 854,95 Euro (Regelleistung 364,00 Euro, Bedarfe für Unterkunft und Heizung 490,95 Euro).
Der Antragsteller hat am 10.11.2011 (erneut) beim Sozialgericht (SG) Münster Eilantrag auf Übernahme der vollen Mietkosten (595,83 Euro seit 01.01.2011) gestellt und sich im Wesentlichen darauf
berufen, dass er menschenunwürdig lebe, psychisch leide und mit ganz wenig Geld auskommen müsse. Unter Abzug der laufenden
Zahlungen für Strom, für den vom Antragsgegner nicht übernommenen Mietanteil, für Alters- und Gesundheitsvorsorge, für Kfz-Versicherung
und Kfz-Steuern bleibe ihm von der Regelleistung des Antragsgegners monatlich lediglich ein Betrag von 40,24 Euro.
Das SG hat den Eilantrag mit Beschluss vom 22.11.2011 abgelehnt. Es bestehe kein Anordnungsanspruch, denn die vom Antragsgegner
gezahlten Bedarfe für Unterkunft und Heizung seien nach dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Erkenntnisstand
tatsächlich angemessen, ein Umzug auch nicht aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar. Dies habe das Gericht für den Leistungszeitraum
Februar bis Juli 2011 im Urteil vom 19.09.2011 (S 10 AS 296/11) entschieden. Auf dieses Urteil werde Bezug genommen. Da im vorliegenden streitigen Leistungszeitraum dieselben Leistungen
bewilligt worden seien, gehe das Gericht auch für diesen Zeitraum von einer Angemessenheit der bewilligten Bedarfe für Unterkunft
und Heizung aus. Auch einen Anordnungsgrund habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher bestehe nur dann,
wenn konkrete Wohnungslosigkeit drohe. Dies sei nicht der Fall, da der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht habe, dass er
zeitnah ernsthaft mit einer Kündigung durch seine Vermieterin oder mit einer Räumungsklage zu rechnen habe.
Gegen den ihm am 23.11.2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 25.11.2011 Beschwerde eingelegt. Das SG wisse nichts über seinen Gesundheitszustand. Es habe die Krankenunterlagen seiner behandelnden Ärzte nicht angefordert, weil
diese zu seinen Gunsten sprächen und dadurch ein Grund gegeben wäre, seinem Antrag auf einstweilige Verfügung stattzugeben.
Der zuständige Richter habe schon immer seine Beweise und Fakten, die zu seinen Gunsten sprächen, ignoriert. Der größte Beweis
seien die über 200 unbeantworteten Fragen. Ergänzend hat der Antragsteller in der Beschwerdeschrift 20 Fragen gestellt, um
deren Beantwortung er bei Ablehnung seines Eilantrags bitte.
Der Antragsteller beantragt schriftlich sinngemäß,
den Beschluss des SG Münster vom 22.11.2011 zu ändern und den Antragsgegner zu verurteilen, ihm vorläufig die vollen Mietkosten
zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er sieht den angefochtenen Beschluss als zutreffend an.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und insbesondere des Vorbringens des Antragstellers im Einzelnen
wird auf den Inhalt der Prozessakten und der vom Antragsgegner übersandten Verwaltungsakten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand
der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Der Antragsteller hat wie vom Sozialgericht zutreffend entschieden, keinen Anspruch auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners,
die gesamten Kosten der Unterkunft vorläufig zu übernehmen.
Nach §
86b Abs.
2 S. 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Das von Antragstellerseite geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die Dringlichkeit,
die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft
zu machen (§
86b Abs.
2 S. 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO)). Glaubhaftmachung bedeutet, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines geltend gemachten Umstands als überwiegend wahrscheinlich
dargelegt werden (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B Rn 5 in SozR 3-3900 § 15 Nr. 4). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten
in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen,
die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss
vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 Rn 24 f. in Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die
Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse
Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Folgenabwägung, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers
umfassend einstellt, erfolgen (BVerfG, a.a.O.; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. 2008, §
86b Rn 29, 29a). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller
bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten
droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn,
dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995, 1 BvR 1087/91 Rn. 28 in BVerfGE 93, 1 ff.).
Hiervon ausgehend sind vorliegend die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der begehrten
vollen Kosten der Unterkunft (weiterhin) nicht erfüllt. Dabei kann dahinstehen, ob - wie vom SG angenommen - bereits ein Anordnungsanspruch fehlt. Jedenfalls hat der Antragsteller (wie in den vorigen von ihm betriebenen
Eilverfahren) einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. In einem auf die Gewährung laufender Leistungen für Unterkunft
und Heizung gerichteten Verfahren ist ein Anordnungsgrund regelmäßig erst dann gegeben, wenn konkrete Wohnungslosigkeit droht
(ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 25.11.2011 - L 12 AS 1831/11 B E; ebenso z.B. LSG NRW, Beschluss vom 02.05.2011 - L 6 AS 2215/10 B; Beschluss vom 27.11.2008 - L 9 B 183/08 AS ER). Dies ist grundsätzlich nicht bereits dann der Fall, wenn eine Kündigung des Vermieters wegen Mietverzugs ernsthaft
erwartet werden muss oder bereits vorliegt oder der Vermieter eine Räumungsklage angedroht hat. Allein diese Umstände begründen
zwar die Vermutung, dass womöglich in näherer oder weiterer Zukunft Wohnungslosigkeit drohen könnte; sie führen hingegen in
der Regel nicht dazu, dass der Leistungsberechtigte bereits mit konkreter, d.h. tatsächlich und ernsthaft (kurz) bevorstehender
Wohnungslosigkeit rechnen muss. Solch konkrete Wohnungslosigkeit droht regelmäßig dann, wenn der Vermieter Räumungsklage erhoben
hat (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats vgl. z.B. Beschluss vom 21.12.2011 - L 12 AS 1469/11 B ER m.w.N.; weitergehend LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25.11.2010 - L 5 AS 2025/10 B ER: erst bei Räumungsandrohung), weil der Mieter einer Wohnung nach den gesetzlichen Bestimmungen des Zivilprozessrechts
(zwangsweise) erst dann aus der Wohnung gewiesen werden kann, wenn der Vermieter einen vollstreckbaren Räumungstitel gegen
ihn erworben hat (§
704 Zivilprozessordnung). Bei (bloßer) Kündigung oder Klageandrohung ist in der Regel noch nicht ausreichend klar, ob der Vermieter tatsächlich zu
einer Räumung als letztem Mittel der Wahl greifen würde oder ob Kündigung bzw. Klageandrohung nicht vielmehr (zunächst) dem
Zweck dienen, den Mieter mit höchstem Nachdruck zur Erfüllung seiner Mietpflichten zu bewegen. Die Erhebung einer Räumungsklage
hingegen indiziert - insbesondere auch im Hinblick auf den hierfür regelmäßig vom Vermieter zunächst zu entrichtenden Kostenvorschuss
- dessen ernsthafte Absicht, den Mieter wegen der Mietschulden tatsächlich auch zwangsweise aus der Wohnung zu entfernen bzw.
entfernen zu lassen. Erhebt der Vermieter des Leistungsberechtigten gegen diesen - zu Recht - eine Klage auf Räumung des Wohnraums
nach §
543 Abs.
1, Abs.
2 S. 1 Nr.
3,
569 Abs.
3 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB), so kann der Räumungstitel vom Leistungsberechtigten nicht mehr verhindert werden, wenn es diesem nicht gelingt, die Rückstände
gem. §
569 Abs.
3 Nr.
2 BGB entweder selbst auszugleichen oder eine Verpflichtung des Leistungsträgers zum Ausgleich zu erlangen. Anders als noch vor
Klageerhebung ist nach Rechtshängigkeit der Klage kein weiteres aktives Handeln des Vermieters mehr erforderlich, um einen
Räumungstitel und damit die Berechtigung zu erlangen, Wohnungslosigkeit des Mieters unmittelbar herbeizuführen (vgl. auch
LSG NRW Beschluss vom 16.09.2010 - L 6 AS 949/10 B ER). Entsprechend droht ab diesem Zeitpunkt ernsthaft und konkret zeitnah absehbar für den Leistungsberechtigten der Verlust
des Mietobjekts, wenn nicht eine Befriedigung des Vermieters innerhalb von 2 Monaten ab Rechtshängigkeit der Räumungsklage
(§
569 Abs.
3 Nr.
2 BGB) erfolgt. Diese drohende Konsequenz spiegelt auch die Vorschrift des §
22 Abs. 9 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII vom 24.03.2011
wider, die aus diesem Grund eine Mitteilungspflicht der Amtsgerichte an die Leistungsträger über entsprechende Klageeingänge
normiert. Weigert sich der Leistungsträger, die Befriedigung des Vermieters vorzunehmen, so würde ohne Eilentscheidung des
Gerichts über die Frage der Eintrittspflicht eine Räumung möglich und damit Nachteile für den Leistungsberechtigten eintreten,
die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behoben werden könnten. Bis zu einer solchen Räumungsklage ist es dem Leistungsberechtigten
aus den o.g. Gründen hingegen zumutbar, zunächst ein Hauptsacheverfahren zu betreiben. Eine besondere Eilbedürftigkeit vor
Rechtshängigkeit einer Räumungsklage ergibt sich auch nicht daraus, dass der Leistungsberechtigte die Kosten des gegen ihn
angestrengten zivilgerichtlichen Räumungsverfahrens nach dem Veranlassungsprinzip auch dann zu tragen hat, wenn der Leistungsträger
im sozialgerichtlichen Eilverfahren zur vorläufigen Befriedigung des Vermieters verpflichtet wird. Bei diesen Kosten handelt
es sich nicht um Nachteile, die sich im Hauptsacheverfahren nicht wieder gutmachen ließen. Hat der Leistungsträger die Zahlung
der ausstehenden Mieten rechtswidrig verweigert, so ist er im Hauptsacheverfahren auf Antrag des Leistungsberechtigten zur
Zahlung dieser Mieten und darüber hinaus zur Übernahme der dem Leistungsberechtigten durch die Leistungsverweigerung entstandenen
weiteren Kosten, d.h. konkret der Kosten des zivilgerichtlichen Räumungsverfahrens zu verurteilen. Dies entspricht der im
Sozialversicherungsrecht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens geltenden Pflicht zur Erstattung der Kosten, die im
Fall rechtswidriger Leistungsablehnung angefallen sind (vgl. Löns/Herold-Tews/Boerner, SGB II, 3. Aufl. 2011, § 22 Rn 128
unter Verweis auf BSG Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 58/09 R Rn 21 - BSGE 106, 190).
Da der Antragsteller im vorliegenden Fall eine Räumungsklage seines Vermieters nicht einmal behauptet hat, kann diese - und
damit ein Anordnungsgrund - nicht als glaubhaft angesehen werden.
Soweit der Antragsteller in der Beschwerdeschrift die Auffassung vertritt, es müsse zu seinem Gesundheitszustand ermittelt
werden, handelt es sich um einen Umstand, der lediglich bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs Relevanz entfaltet. Fehlt
es aber - wie hier - bereits an einem Anordnungsgrund, ist die Prüfung des Anordnungsanspruchs entbehrlich.
Der Vortrag des Antragstellers, er müsse nach Abzug seiner monatlichen Aufwendungen menschenunwürdig von 40,25 Euro im Monat
leben, kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat ein Eilverfahren nicht
bereits dann Erfolg, wenn die persönliche finanzielle Situation des Leistungsberechtigten untragbar erscheint. Dem Antragsteller
werden neben Bedarfen für Unterkunft und Heizung vom Antragsgegner im streitigen Leistungszeitraum monatlich 364,00 Euro als
gesetzlich normierter Regelsatz zur Verfügung gestellt. Welche Ausgaben der Antragsteller hiervon tätigt, obliegt allein seinem
eigenen Verantwortungsbereich. Insbesondere liegt es in seiner Entscheidungsfreiheit, ob er in einer Wohnung, die er zunächst
mit mehreren Personen geteilt hat, nach deren Auszug über Jahre wohnen bleibt, wenn diese Wohnung für eine Person nach Auffassung
des Antragsgegners und auch des Sozialgerichts die Angemessenheitsgrenzen des § 22 SGB II ganz erheblich überschreitet, ebenso,
ob er ein Kfz hält und ob und in welchem Umfang er Altersvorsorge und Gesundheitsvorsorge (Fitnessstudio) betreibt.
Soweit der Antragsteller wiederholt rügt, dass von ihm gestellte Fragen nicht beantwortet würden, ist dies für die Beurteilung
der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit ohne Relevanz. Gegenstand des vom Antragsteller angestrengten Eilverfahrens ist lediglich
die Frage der vorläufigen Gewährung der tatsächlich an den Vermieter geleisteten Bedarfe für Unterkunft und Heizung in voller
Höhe. Der Wunsch des Klägers nach Beantwortung der Vielzahl der von ihm aufgeworfenen Fragen hat hierauf keinen Einfluss.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es auch bei Ablehnung eines Antrags nicht Aufgabe der Gerichte ist, auf Fragen von
Antragstellern bzw. Klägern allgemeine oder rechtliche Auskünfte zu erteilen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Entscheidung
auf die Begründung dazu, welche Umstände des konkreten Einzelfalls dazu führen, dass das Gericht den Antrag bzw. das Rechtsmittel
in rechtlicher Hinsicht als unzulässig bzw. unbegründet ansieht.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).