Gründe
I.
Streitig ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Rechtmäßigkeit einer Entziehungsentscheidung des Antragsgegners und
die Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis 30.11.2021.
Der am 00.00.1989 geborene Antragsteller erhält laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 12.11.2020 für die Zeit vom 01.12.2020 bis 30.11.2021 Arbeitslosengeld
II in Höhe von 777,00 Euro. Dabei entfielen 345,00 Euro auf die anerkannten Unterkunftskosten für die Wohnung des Antragstellers
in der G-Straße 31 und 432,00 Euro auf die sonstige Hilfe zum Lebensunterhalt (Regelleistungen). Mit Änderungsbescheid vom
21.12.2020 wurde die Regelleistung zum 01.01.2021 neu festgesetzt auf 446,00 Euro. Den zwei Einladungen des Antragsgegners
zu Telefonterminen am 10.02.2021 und 19.02.2021, um über die berufliche Situation zu sprechen, leistete der Antragsteller
keine Folge. Aus Unterlagen, die dem Antragsgegner im Februar und März 2021 zugingen, ergab sich, dass der Versorgungsvertrag
des Antragstellers mit der X AG über Gas für die Wohnung in der G-Straße 31 bereits am 06.12.2020 gekündigt worden war und
die Jahresverbrauchsabrechnungen für Gas und Strom im Jahr 2020 nur einen sehr geringen Verbrauch auswiesen. Bei Hausbesuchen
in der G-Straße 31 in anderer Angelegenheit stellte der Antragsgegner fest, dass die Rollläden der Wohnung des Antragsstellers
stets unverändert waren, Klingelversuche waren erfolglos und der Vermieter gab an, der Antragsteller sei oft über längere
Zeit nicht anwesend.
Daraufhin forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 20.05.2021 auf, folgende Unterlagen zur Feststellung,
inwieweit ein Leistungsanspruch weiterhin besteht, einzureichen, und zwar bis zum 09.06.2021: Heiz- und Betriebskostenabrechnungen
2018, 2019 und 2020, letzte Stromabrechnung, lückenlose Kontoauszüge vom 01.01.2019 bis heute (tageaktuell), Anlagen EK und
VM vollständig ausgefüllt und unterschrieben, schriftliche Erklärung zum regelmäßigen Aufenthaltsort, den Aufenthaltszeiten
in der eigenen Wohnung oder in anderen Haushalten, schriftliche Erklärung zu den ausgeübten Erwerbstätigkeiten seit 2017 mit
dazugehörigen Arbeitsverträgen und Lohnnachweisen. Er wies in dem Schreiben unter Bezugnahme auf §§
60,
66,
67 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) darauf hin, dass, sollte der Antragsteller bis zu dem genannten Termin nicht reagieren oder die Unterlagen nicht einreichen,
die Geldleistungen ganz versagt oder entzogen werden können, bis die Mitwirkung nachgeholt würde. Dies bedeute, dass der Antragsteller
keine Leistungen erhalte. Das Schreiben warf ein Mitarbeiter des Antragsgegners am 21.05.2021 um 7.40 Uhr in den bereits gefüllten
Briefkasten ein, da die Tür nicht geöffnet wurde. Mit weiterem Schreiben vom 17.06.2021 erinnerte der Antragsgegner an das
Einreichen der Unterlagen unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 20.05.2021 und wies erneut auf die Entziehung der Leistungen
hin.
Da der Antragsteller nicht reagierte, entzog der Antragsgegner mit Bescheid vom 25.06.2021 gestützt auf §
66 SGB I das Arbeitslosengeld II ab 01.07.2021 bis 30.11.2021. Da der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen
sei, habe er die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Eine abschließende Prüfung könne daher nicht erfolgen. Die
Entscheidung sei in Ausübung des eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung des Interesses der Gemeinschaft der Steuerzahler,
dass Leistungen nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit erbracht würden, ergangen.
Der Antragsteller legte durch seinen Prozessbevollmächtigten am 07.07.2021 Widerspruch ein. Es fehle an jeglicher ermessensleitender
Begründung der Anforderung der umfangreichen Unterlagen und der Versagung der Leistungen. Der Bescheid beschränke sich auf
eine Leerformel ohne Bezug zum Sachverhalt. Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2021
als unbegründet zurück. Mehrfach hätten Mitarbeiter des Jobcenters versucht, den Antragsteller in seiner Wohnung in der G-Straße
31 anzutreffen. Zu keinem Zeitpunkt sei er anwesend gewesen, die Rollläden seien stets auf dieselbe Weise heruntergelassen
gewesen. Die zuletzt eingereichten Jahresverbrauchsabrechnungen belegten einen sehr geringen Gas- und Stromverbrauch in 2020.
Dies alles vermittle den Eindruck, dass der Antragsteller in der Wohnung nicht lebe; es könne auch nicht ausgeschlossen werden,
dass der Antragsteller eine Erwerbstätigkeit ausübe. Kontoauszüge seien seit längerem nicht eingereicht, eine Erklärung zum
Aufenthaltsort nicht abgegeben worden. Anhaltspunkte zur Begründung einer nur teilweisen Versagung seien nicht erkennbar gewesen.
Bei Nachholung der Mitwirkung und Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen seien die Sozialleistungen nach §
67 SGB I ganz oder teilweise nachträglich zu erbringen.
Am 03.08.2021 hat der Antragsteller - unvertreten - einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Eilantrag) gestellt.
Seit dem 01.07.2021 bekomme er keine Leistungen mehr. Er stehe kurz davor, seine Wohnung zu verlieren. Er habe auch eine kleine
Tochter und benötige die Leistungen. Er erhob zudem, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 19.08.2021 Klage bei
dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf, die dort unter dem Az. S 24 AS 2230/21 geführt wird.
Am 20.09.2021 hat ein Besichtigungstermin von Antragsteller und Antragsgegner in der Wohnung G-Straße 31 stattgefunden, bei
dem der Antragsteller mitgeteilt hat, er dürfe sich sechs Wochen im Jahr woanders aufhalten und sei dann eben bei seiner Freundin
in F gewesen, die nicht vom Jobcenter lebe, sondern über eigenes Einkommen verfüge. Nach Kündigung der Wohnung zum 30.09.2021
hat der Antragsteller die Wohnung geräumt. Am 12.10.2021 hat ein Erörterungstermin bei dem SG Düsseldorf mit Beweisaufnahme
durch Vernehmung des Vermieters des Antragstellers stattgefunden, in dem der Antragsteller die Kontoauszüge im Original seit
2019 bis tagesaktuell vorgelegt hat. Er habe nach Auszug aus seiner Wohnung wechselnde Schlafbereiche. Mal übernachte er bei
seiner Freundin, mal bei der Mutter seiner Tochter oder bei Freunden. Zu erreichen sei er über die Adresse der Diakonie Wuppertal.
Mit Beschluss vom 13.10.2021 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage vom 19.08.2021 angeordnet, soweit mit den angefochtenen Bescheiden Regelbedarfsleistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 20 SGB II entzogen worden sind, und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Nach Auffassung des Gerichts sei die Wohnung in der G-Straße in
den vergangenen Monaten nicht bewohnt worden, so dass die Entziehung der Leistungen für Unterkunft (und Heizung) rechtmäßig
sein dürfte. Unter Berücksichtigung der durchgeführten Ermittlungen sei jedoch nicht davon auszugehen, dass auch die Entziehung
der Regelbedarfsleistungen rechtmäßig gewesen sei. Die stichprobenartig überprüften Kontoauszüge ergäben kein die Hilfebedürftigkeit
ausschließendes Einkommen und die Annahme einer zwischen dem Antragsteller und seiner Freundin bestehenden Bedarfsgemeinschaft,
die zu einer Berücksichtigung des Einkommens dieser Freundin bei einer SGB II-Bedarfsberechnung führen würde, seien bisher lediglich eine Vermutung.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 19.10.2021 erhobene Beschwerde des Antragsgegners. Der Antragsteller habe nicht
belegt, wovon er seit Juli 2021 lebe. Er habe zwar angegeben, sich Geld von Freunden geliehen zu haben. Konkrete Angaben seien
jedoch nicht gemacht und auch keine Nachweise vorgelegt worden, so dass eine Glaubhaftmachung nicht erfolgt sei. Es sei vielmehr
davon auszugehen, dass er seit längerem zusammen mit seiner Partnerin lebe, die eigenes Einkommen habe.
II.
Die nach §
172 Abs.
1 Satz 1
SGG nur vom Antragsgegner eingelegte Beschwerde ist zulässig, im Ergebnis aber unbegründet. Im Beschwerdeverfahren ist alleine
noch die Erbringung der Regelbedarfsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 01.07.2021 bis 30.11.2021 streitig.
1. Statthafter Rechtsbehelf hinsichtlich des Entziehungsbescheides im einstweiligen Rechtsschutz war zunächst §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), da der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung zukommt. In Verfahren nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG entscheidet das Gericht über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen
sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens
verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung
kommt der Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Dabei ist aber auch die Wertung
des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug
den Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis
kommt nur in Betracht, wenn dafür überwiegende Interessen des Antragstellers sprechen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen oder wenn besondere private Interessen überwiegen
(vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum
SGG, 13. Auflage 2020, §
86b Rn. 12c mwN).
Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des Senats nicht erfüllt. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entziehungsentscheidung
bestehen nach der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht.
Die Entscheidung, dem Antragsteller auch die Regelbedarfsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu entziehen, ist nach
§
66 Abs.
1 Satz 1 und Abs.
3 SGB I gerechtfertigt.
Der Antragsteller ist in den Schreiben vom 20.05.2021 und 17.06.2021 schriftlich, unmissverständlich und konkret darauf hingewiesen
worden, dass ihm die Leistung im Sinne von §
66 SGB I entzogen werde, wenn er nicht reagiere oder die angeforderten Unterlagen nicht beibringe (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.1988 - 7 RAr 70/87 -, juris Rn. 19). Dazu ist ihm auch eine angemessene Frist gesetzt worden.
Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
66 Abs.
1 SGB I sind erfüllt.
Der Antragsteller ist Leistungsempfänger; ihm sind zuletzt für den Bewilligungszeitraum vom 01.12.2020 bis 30.11.2021 Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewilligt worden.
Er ist seiner Mitwirkungspflicht nach §
60 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB I nicht nachgekommen. Nach dieser Vorschrift hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die
für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte
durch Dritte zuzustimmen. Durch Besuche im Wohnhaus des Antragstellers hat der Antragsteller über Wochen unveränderte Rollläden
und einen vollen Briefkasten festgestellt, der Antragsteller hat bei keinem Klingelversuch die Tür geöffnet und der Gasanschluss
war abgemeldet. Zu den Telefonterminen für Gespräche über seine berufliche Zukunft hat er sich nicht gemeldet. Gespräche mit
dem Vermieter deuteten auf längere Abwesenheiten hin. Vor diesem Hintergrund bestand für den Antragsgegner zum einen der Verdacht,
dass der Antragsteller gar nicht in der Wohnung lebte, für die er Kosten der Unterkunft bezog. Zum anderen ließ die Abwesenheit
- auch morgens um 7.40h - eine Erwerbstätigkeit möglich erscheinen oder einen neuen Lebensmittelpunkt, ggf. in einer Bedarfsgemeinschaft.
Eine Klärung war dem Antragsgegner nur durch die Vorlage der erbetenen Unterlagen zur Wohn- bzw. Aufenthalts- und Einkommenssituation
möglich, da seine eigenen Ermittlungsmöglichkeiten erschöpft waren und der Antragsteller sich nicht meldete.
Die geforderten Unterlagen waren für die Leistungsgewährung hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und der Regelbedarfsleistungen
auch erheblich, weil deren Voraussetzungen nicht (mehr) nachgewiesen waren.
Der Antragsteller ist seiner Mitwirkungspflicht auch "nicht nachgekommen", da er auf die Schreiben des Antragsgegners nicht
reagiert und die Unterlagen nicht vorgelegt hat. Dadurch ist die Sachverhaltsaufklärung erheblich erschwert, nämlich unmöglich
gemacht worden, da keine Kontaktaufnahme und keine Klärung der Ungereimtheiten im Hinblick auf die Wohnung und Aufenthalt
und damit auch der Hilfebedürftigkeit möglich ist.
Anhaltspunkte dafür, dass die Anforderung die Grenzen der Mitwirkung, wie sie in §
65 Abs.
1 SGB I gezogen werden, überschritten hat, ergeben sich nicht.
Es liegt auch kein Verstoß des Antragsgegners gegen seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Ermessensbetätigung vor. Nach §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I "kann" der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise entziehen.
Das Gesetz räumt den Verwaltungsträgern einen Entscheidungsspielraum ein, den die Gerichte zu achten haben. Gemäß §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG dürfen sie nur prüfen, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer
dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht haben, mit anderen Worten, ob sie die ihr durch das
Verwaltungsverfahrensrecht (§
39 Abs.
1 Satz 1
SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet haben, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. BSG, Urteil vom 22.02.1995 - 4 RA 44/94 -, juris Rn. 32).
Es liegt hier kein sog. Ermessensfehler, weder in Form des Ermessensnichtgebrauchs, noch in Form der Ermessensüberschreitung
oder des Ermessensmissbrauchs (Abwägungsdefizit; siehe zu den Ermessenfehlern im Einzelnen BSG, aaO) vor. Zwar waren die Ermessenwägungen im Bescheid vom 25.06.2021 formelhaft und ohne Bezug zum konkreten Sachverhalt.
Der Antragsgegner hat diesen Begründungsmangel aber im Widerspruchsbescheid vom 10.08.2021 geheilt (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch SGB X), indem er seine Erwägungen bezogen auf den konkreten Fall unter Hinweis auf die fehlenden weiteren Ermittlungsmöglichkeiten
des Antragsgegners und die fehlenden Anhaltspunkte für eine nur teilweise Entziehung dargelegt hat.
Vor diesem Hintergrund sind die Erfolgsaussichten der erhobenen Anfechtungsklage gering und unter Beachtung der Wertung des
§ 39 Nr. 1 SGB II keine das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegenden privaten Interessen des Antragstellers erkennbar.
2. Im Erörterungstermin am 12.10.2021 hat der Antragsteller aber die vom Antragsgegner geforderten Kontoauszüge ab 2019 bis
tagesaktuell im Original vorgelegt und der Antragsgegner hat die entsprechenden Kopien im Nachgang zum Verbleib erhalten.
Im Hinblick auf die Frage der Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung für die hier allein streitige Regelbedarfsleistung für
Juli bis November 2021 hat der Antragsteller damit die im Schreiben vom 20.05.2021 geforderte Mitwirkungshandlung "Vorlage
lückenloser Kontoauszüge vom 01.01.2019 bis tagesaktuell" nachgeholt. Mit der Nachholung der Mitwirkungshandlung wird die
nach §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I rechtmäßig nur wegen fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten ausgesprochenen Entziehung rechtswidrig. Es entsteht
gemäß §
67 SGB I i.V.m. §
39 Abs.
1 SGB I ein Recht des Einzelnen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die nachträgliche Erbringung der entzogenen Sozialleistungen
(vgl. BSG, aaO, Rn 20). Denn nach §
67 SGB I kann der Leistungsträger Sozialleistungen, die er nach §
66 versagt oder entzogen hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen, sobald die Mitwirkung nachgeholt wird und die Leistungsvoraussetzungen
vorliegen. Eine solche Entscheidung hat der Antragsgegner ausdrücklich noch nicht getroffen; er hat aber durch die fehlende
Einigungsbereitschaft im Erörterungstermin und die erhobene Beschwerde deutlich gemacht, dass er, solange nicht auch der Aufenthalt
ab 01.07.2021 und die Frage, wovon der Antragsteller gelebt hat, geklärt sind, die Hilfebedürftigkeit in dem streitgegenständlichen
Zeitraum als nicht nachgewiesen ansieht.
Dem Anliegen des - unvertretenen - Antragstellers, im Eilverfahren Leistungen für den Zeitraum der Entziehung zu erhalten,
kann nur dadurch Rechnung getragen werden, dass sein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, der bei Antragstellung
als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der (später erhobenen) Anfechtungsklage (§
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG) zu deuten war, nunmehr - nach erfolgter Mitwirkung - als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG), mit der der Antragsgegner verpflichtet wird, ihm Regelbedarfsleistungen für die Zeit von Juli bis November 2021 zu zahlen,
ausgelegt wird (zur Geltung der Auslegungsregel des §
133 Bürgerliches Gesetzbuch für Anträge der Beteiligten und des Grundsatzes der Meistbegünstigung vgl. BSG, Beschluss vom 09.01.2019 - B 13 R 25/18 B -, juris Rn. 7; Urteil vom 29.03.2007 - B 7b AS 4/06 R -, juris Rn. 9). Denn sein Ziel wäre in der Hauptsache nur im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage zu erreichen (vgl.
LSG NRW, Beschluss vom 06.08.2008 - L 19 B 94/08 AS, juris Rn. 16).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86 Abs.
2 Satz 2
SGG sind vorliegend erfüllt, da der Antragsteller Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d.h. des materiellen Anspruchs,
für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung
aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft
zu machen - §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 ZPO. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen
entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht
nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden.
Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, juris Rn. 26).
Nach §
67 SGB I kann der Leistungsträger Sozialleistungen, die er nach §
66 versagt oder entzogen hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird und die Leistungsvoraussetzungen
vorliegen. Die Entscheidung nach §
67 SGB I ergeht dabei von Amts wegen, dh sie setzt keinen Antrag voraus (Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, §
67 Rn. 31). Hierbei hat der Leistungsträger sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und muss die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens einhalten. Der Zweck der Ermächtigung wird es dabei im Falle der Obliegenheiten nach den §§
60-
62 SGB I in aller Regel gebieten, die Leistung dem Grunde nach nachträglich zu erbringen. Denn der Zweck der Mitwirkungsobliegenheit
ist in diesen Fällen durch die Nachholung der Mitwirkungshandlung erfüllt, indem nunmehr das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen
überhaupt oder zumindest ohne erheblichen Mehraufwand festgestellt werden kann. Liegen sie vor und handelt es sich bei der
Gewährung der gewährten Leistung um eine sog. gebundene Entscheidung, so dürfte sich der Entscheidungsspielraum des Leistungsträgers
in die Richtung einer Ermessensreduzierung auf Null einschränken (KassKomm/Spellbrink
SGB I §
67 Rn. 10).
Der Antragsteller hat hier durch Vorlage der Kontoauszüge seit 2019 bis Oktober 2021 glaubhaft gemacht, dass regelmäßige Einnahmen
im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vorlagen. Dass der Antragsteller seinen Aufenthaltsort für die Zeit von Juli bis
November 2021 nicht abschließend nachgewiesen hat, spricht nicht gegen einen Anordnungsanspruch im Hinblick auf die allein
streitigen Regelbedarfsleistungen. Er hat vorgetragen, wechselnde Schlafplätze gehabt zu haben, bei seiner Freundin oder bei
Freunden, und auch von diesen Geld für den Lebensunterhalt geliehen zu haben oder bei der Tafel gegessen zu haben. Nach Räumung
seiner Wohnung hat er die Diakonie Wuppertal als Adresse, unter der er erreichbar ist, angegeben. Der Senat erachtet diese
Ausführungen im Rahmen des Eilverfahrens als ausreichend. Für die Glaubhaftmachung genügt es, dass das Gericht das Vorliegen
der behaupteten Tatsachen für überwiegend wahrscheinlich hält; bei mehreren in Betracht kommenden Möglichkeiten genügt es,
wenn eine davon relativ am Wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum
SGG, 13. Auflage 2020, §
128 Rn. 3d mwN). So liegt der Fall hier. Dass der Antragstellung ab 01.07.2021 bei laufendem Klageverfahren und Verfahren im
einstweiligen Rechtsschutz durch sein soziales Umfeld Hilfe erhalten hat, ist für den streitgegenständlichen Zeitraum wahrscheinlicher,
als dass eine die Hilfebedürftigkeit ausschließende Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft iSd § 7 Abs. 3 Nr. 3c, Abs. 3a SGB II mit seiner Freundin bestand, zu der weitere Informationen derzeit nicht vorliegen und es noch weiterer Ermittlungen bedarf.
Da auf die Regelbedarfsleistungen bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch besteht, geht der Senat hier im Rahmen des
§
67 SGB I von einer Ermessensreduzierung auf Null aus.
Angesichts des nach den Unterlagen glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs waren an das Bestehen eines Anordnungsgrundes keine
allzu hohen Anforderungen mehr zu stellen, zumal vorliegend existenzsichernde Leistungen im Streit stehen.
Mithin war die Beschwerde unter der erfolgten Abänderung des Tenors des erstinstanzlichen Beschlusses zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).