Gericht
Sozialgerichtsbarkeit (38838)
Verfassungsgerichtsbarkeit (83)
Verwaltungsgerichtsbarkeit (1210)
Gerichte der EU (6)
Ordentliche Gerichtsbarkeit (1013)
Arbeitsgerichtsbarkeit (137)
Finanzgerichtsbarkeit (87)

Datum
2022 (1459)
2021 (2495)
2020 (2120)
2019 (2531)
2018 (2333)
2017 (2639)
2016 (2936)
2015 (4224)
2014 (2921)
2013 (1392)
mehr...
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.01.2016 - 20 SO 132/13
Streit über die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere in Form des sog. ambulant betreuten Wohnens Vorliegen einer seelischen Behinderung der Hilfebedürftigen in Form einer schizoaffektiven Störung bei Drogenmissbrauch Merkmale für eine Qualifizierung einer bestimmten Betreuungsleistung als BeWO Bemühungen um die Behandlungsmotivation und -sicherung der Hilfebedürftigen als Leistungen der medizinischen Behandlung oder Rehabilitation Abgrenzung von gesetzlicher Betreuung und Eingliederungshilfe (hier Zuordnung der erbrachten Leistungen zum Bereich der gesetzlichen Betreuung) Vorrangigkeit ambulanter Behandlungsmaßnahmen und Anbindung an ein Sozialpsychiatrisches Zentrum im Hinblick auf die Aufklärung über Drogenkonsum
1. BeWo-Leistungen können auch in einer - wie hier - vom Betroffenen privat gehaltenen Wohnung erbracht werden. Die fraglichen Leistungen müssen allerdings final auf die Selbstständigkeit "beim Wohnen" und im (gewählten) Wohnumfeld ausgerichtet sein sowie eine gewisse Kontinuität aufweisen.
2. Wesentliche Bedeutung für die rechtliche Qualifizierung der tatsächlich erbrachten Leistungen kommt der Betreuungsdokumentation zu.
3. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben sind danach abzugrenzen, welches konkrete Ziel mit der fraglichen Leistung in erster Linie verfolgt wird, d.h. welcher Leistungszweck im Vordergrund steht. Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Bedürfnisse und Heilungschancen im Einzelfall zu bestimmen, wobei die Art der Erkrankung und ihr Bezug zu den eingesetzten Mitteln sowie die damit verbundenen Nah- und Fernziele eine Rolle spielen. Steht nicht die soziale Teilhabe, sondern die medizinische Rehabilitation (durch Behandlung bzw. Stabilisierung der Grunderkrankung) im Vordergrund, sind die Bemühungen um die Behandlungsmotivation und -sicherung der Hilfebedürftigen keine Leistungen zur Teilhabe i.S.v. § 55 Abs. 2 SGB XII. Vielmehr handelt es sich dann um solche der medizinischen Behandlung oder Rehabilitation.
4. Eingliederungshilfe und rechtliche Betreuung sind letztlich nach dem Schwerpunkt der tatsächlich erbrachten bzw. erforderlichen Unterstützungsleistungen abzugrenzen. Die hier erbrachten Hilfestellungen (Antragstellung auf Arbeitslosengeld II inkl. Beschaffung erforderlicher Bescheinigungen und Unterlagen, Klärung des krankenversicherungsrechtlichen Status, Beschaffung der Freizügigkeitsbescheinigung, Schulden- und Zahlungsmanagement, Unterstützung beim Antrag auf Kindergeld etc.) sind damit der rechtlichen Betreuung, nicht der Eingliederungshilfe zuzuordnen. Denn es ging dabei im Schwerpunkt um die Unterstützung bei Rechtsangelegenheiten.
5. Die (bisweilen schwierige) Abgrenzung zwischen rechtlicher Betreuung und Eingliederungshilfe kann bei einzelnen Unterstützungsmaßnahmen nur unter Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles erfolgen und hat letztlich danach zu fragen, ob der Schwerpunkt der jeweiligen Maßnahme Hilfe in rechtlichen oder in tatsächlichen Angelegenheiten erfordert.
6. Die Unterstützung zur Bewältigung innerfamiliärer Schwierigkeiten unterfällt bereits deshalb nicht den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, weil letztere eine Förderung und Stabilisierung sozialer Beziehungen bzw. von Kontakten außerhalb des Bereiches der Familie voraussetzen. Darüber hinaus kommen auch diesbezüglich ambulante psychotherapeutische Leistungen nach dem SGB V in Form einer Familientherapie vorrangig in Betracht.
Normenkette:
SGB XII § 53 Abs. 1
,
SGB XII § 54 Abs. 1 S. 1
,
SGB IX § 55 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 6-7
,
SGB XII § 19 Abs. 3
,
SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1
, ,
BGB § 1901 Abs. 1
,
SGB II § 16a Nr. 3
,
SGB XII § 67 S. 1
,
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
,
Vorinstanzen: SG Köln 16.01.2013 S 10 SO 92/12
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16.01.2013 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungstext anzeigen: