Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Übernahme der Kosten einer Brille als Eingliederungsleistung
Gründe:
I. Umstritten ist ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren, in dem die Klägerin die Übernahme der
Kosten einer Brille durch die Beklagte begehrt.
Die 1953 geborene Klägerin bezieht Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
von der Beklagten. Sie arbeitet auf 400,-- €-Basis in einem Unternehmen, das Autoschilder herstellt. In einem Gutachten vom
9.11.2007 führte eine Ärztin des Gesundheitsamtes M ua an: Die Klägerin leide an einer Altersfehlsichtigkeit, die mit einer
Brille korrigiert werden müsse. Sie müsse während ihrer beruflichen Tätigkeit, aber auch im Alltag eine Sehhilfe tragen. Ihr
sei eine augenärztliche Untersuchung empfohlen worden. Da sie keine Arbeiten an Bildschirmen verrichte, für die sie eine Brille
benötige, bestehe kein Anlass, die Kosten einer Brille zu übernehmen, zumal diese auch im Alltag dringend erforderlich sei.
Bereits zuvor hatte die Klägerin ausweislich eines Beratungsvermerks vom 9.10.2007 bei der Beklagten angefragt, ob die "Förderung
für eine neue Brille" erfolgen könne. Am 10.12.2007 beantragte sie schriftlich, die Kosten für eine Gleitsichtbrille zu übernehmen,
da diese zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit unabdingbar nötig sei; die kleingeschriebenen Versicherungsformulare und
großen Straßenverkehrsschilder zwängen sie zu einem ständigen Wechsel von einer Kurz- zu einer Weitsichtbrille, was ihr Kopfschmerzen
verursache. Die Klägerin legte die Rechnung eines Optikers vom 15.11.2007 für eine Gleitsichtbrille in Höhe von 648,-- € vor;
in dieser Rechnung ist bestätigt, dass der Optiker den Rechnungsbetrag erhalten habe.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 21.12.2007 ab, weil die Kosten der Brille keine Leistung zur
Eingliederung iSd Dritten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III) sei. Sie wies den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 3.4.2008 zurück und führte
zur Begründung an: Ein Anspruch auf Kostenübernahme für die Brille nach § 16 Abs 1 SGB II scheide aus, da die Klägerin die
Sehhilfe auch im Alltag trage und keine Arbeiten an Bildschirmen verrichte, für die sie eine spezielle Brille benötige. Ein
Anspruch nach § 16 Abs 2 SGB II sei im Ausgangsbescheid ermessensfehlerfrei abgelehnt worden.
Zur Begründung ihrer am 29.4.2008 erhobenen Klage hat die Klägerin ua vorgetragen: Seit dem 29.7.2008 verrichte sie ihre berufliche
Tätigkeit nur noch an einem PC. Ihre alte Lesebrille sei nicht mehr ausreichend. Sie zahle ihre Sehhilfe mit 30 Euro monatlich
ab. Die Beklagte hat ua eingewandt, die Klägerin hätte sich eine kostengünstigere Brille anschaffen können. Das Sozialgericht
(SG) hat durch Beschluss vom 21.10.2008 den Antrag der Klägerin auf Gewährung von PKH für das Klageverfahren abgelehnt und zur
Begründung ausgeführt: Für das Klageverfahren fehle es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht. Die Klägerin habe keinen Anspruch
auf Kostenübernahme nach § 16 Abs 2 SGB II, da sie nicht arbeitslos, sondern in das Erwerbsleben eingegliedert sei.
Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 17.11.2008 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Ein Anspruch auf
eine Eingliederungsleistung dürfe ihr nicht wegen fehlender Arbeitslosigkeit verwehrt bleiben. Vielmehr könne sich ein solcher
Anspruch auch unter dem Gesichtspunkt der Unterstützung und Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit ergeben.
II. Die nach §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige (vgl zur Zulässigkeit von Beschwerden gegen die Ablehnung der Bewilligung der PKH wegen fehlender Erfolgsaussicht
der Klage, wenn der Beschwerdewert 750,-- € unterschreitet, Beschluss des Senats vom 10.6.2008 - L 5 ER 91/08 AS) Beschwerde
ist nicht begründet. Das SG hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, der Klägerin PKH für das Klageverfahren zu gewähren, weil die Klage keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Zivilprozessordnung -
ZPO).
Die Klägerin hat bereits deshalb keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Brille als Leistung der Teilhabe am Arbeitsleben,
weil sie sich die Brille - spätestens am 15.11.2007 - selbst beschafft hat, ohne zuvor die Entscheidung der Beklagten über
ihren Leistungsantrag abzuwarten. Bei dieser Sachlage ist gemäß §
15 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) eine Kostenübernahme ausgeschlossen. Diese Vorschrift ist für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §
16 SGB II anwendbar, weil der SGB-II-Träger Rehabilitationsträger ist (vgl §
6a SGB IX) und sich aus den Vorschriften des SGB II nichts Abweichendes ergibt (vgl §
7 Satz 1
SGB IX). Eine Frist im Sinne des §
15 Abs
1 Satz 2
SGB IX hat die Klägerin der Beklagten nicht gesetzt. Bei der Brille handelt es sich auch nicht um eine unaufschiebbare Leistung
iSd §
15 Abs
1 Satz 4
SGB IX; vielmehr war der Klägerin ein Abwarten bis zur Entscheidung der Beklagten über ihren Antrag zumutbar.
Unabhängig davon kam ein Anspruch auf eine Leistung der Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Übernahme der Kosten der Brille
von vornherein nicht in Betracht. Ein Anspruch auf Eingliederungsleistungen nach §
16 Abs
1 SGB II iVm §§
97 ff.
SGB III scheidet aus. Eine normale Brille ist, anders als eine Arbeitsschutzbrille, keine Hilfe zur Teilnahme am Arbeitsleben, sondern
ein medizinisches Hilfsmittel, das in die Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung fällt. Da die Klägerin
die Brille nicht nur für den Beruf, sondern auch im täglichen Leben zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse benötigt,
liegt das Schwergewicht nicht im beruflichen Bereich (vgl Bundessozialgericht - BSG - 26.7.1994, 11 RAr 115/93, SozR 3-4100 §
56 Nr 15; Keller in Nomos-Kommentar
SGB III, 3. Auflage, §
19 Rn 23 f). Die Beschaffung einer Gleitsichtbrille anstelle von zwei Brillen - eine Brille für die Nahsicht und eine für die
Fernsicht -, erleichtert lediglich die Benutzung der Sehhilfe, begründet aber nicht deren Eigenschaft als Hilfe zur Teilhabe
am Arbeitsleben.
Nach § 16 Abs 2 Satz 1 SGB II können zwar über die in § 16 Abs 1 SGB II genannten Leistungen weitere Leistungen erbracht werden,
die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. Diese Ermessensleistung
erlaubt aber aus den bereits zu § 16 Abs 1 SGB II dargelegten Gründen nur Leistungen zur beruflichen Eingliederung, nicht
solche für Gegenstände des täglichen Gebrauchs, wie zB eine Brille (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, K § 16 Rn 333). Einen
Ermessenspielraum hat die Beklagte aus diesem Grunde nicht.
Da ein Kostenersatz für die Brille nach §
15 SGB IX ausgeschlossen ist, besteht eine Kostenpflicht der Beklagten auch nicht wegen der fehlenden Weiterleitung des Antrags der
Klägerin an den Krankenversicherungsträger unter dem Gesichtspunkt des §
14 SGB IX. Darauf, ob der Krankenversicherungsträger der Klägerin die dieser nach den Vorschriften des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs
(
SGB V) zustehenden Leistungen wegen der Brille gewährt hat, kommt es für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits nicht entscheidend
an.
Ein Anspruch auf Erstattung von Kosten des Beschwerdeverfahrens scheidet aus (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
127 Abs
4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).