Gründe
I.
Die Klägerin, eine Kassenärztliche Vereinigung, wendet sich gegen ein Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes (BVA - seit
01.01.2020: Bundesamt für Soziale Sicherheit) der Beklagten.
Unter dem 13.09.2018 versandte das BVA an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen ein Rundschreiben zu den Vergütungsverträgen
zur vertragsärztlichen Versorgung nach §
87a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V), um über die festgestellten rechtlich problematischen Vereinbarungen zu informieren; im Hinblick auf die bevorstehenden
Vertragsverhandlungen für das Jahr 2019 werde um Beachtung der Rechtshinweise gebeten. Insbesondere wurden Entscheidungen
des Bundessozialgerichts (BSG) dargestellt und Hinweise zur Umsetzung im Rahmen der Vertragsvereinbarungen erteilt.
Am 27.12.2018 hat die Klägerin beim Sächsischen Landessozialgericht (LSG) Klage erhoben mit dem Antrag, das Rundschreiben
des BVA vom 13.09.2018 aufzuheben. Sie trägt vor, der Begriff der Aufsichtsangelegenheiten in §
29 Abs.
2 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sei weit auszulegen. Die Klage sei als Aufsichtsklage in entsprechender Anwendung von §
54 Abs.
3 SGG zulässig. Das Rundschreiben stelle eine aufsichtsbehördliche Maßnahme dar, da das BVA die staatliche Aufsicht über die bundesunmittelbaren
Krankenkassen führe. Mit dem Rundschreiben werde es gegenüber bundesunmittelbaren Krankenkassen sowie gegenüber den Kassenärztlichen
Vereinigungen tätig, indem es verbindliche Anforderungen an die vertragliche Vereinbarung zur Gesamtvergütung stelle. Unabhängig
davon, ob es sich um einen Verwaltungsakt handele, greife das BVA mit dieser aufsichtsrechtlichen Maßnahme in die Rechtssphäre
des Selbstverwaltungsträgers ein. Soweit sich die bundesunmittelbaren Krankenkassen oder das Schiedsamt der Auffassung des
BVA anschlössen, verenge sich der Gestaltungsspielraum der Vertragspartner. Dies gelte selbst dann, wenn die Krankenkassen
die Rechtsauffassung des BVA für rechtswidrig hielten. Damit hätte sie - die Klägerin - keine Möglichkeiten, nachgelagert
eine gerichtliche Überprüfung der Auffassung des BVA zu erreichen.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und rügt zunächst, die Klage sei vor dem falschen Gericht erhoben worden. Das
LSG sei instanziell nicht zuständig. Im Verhältnis zwischen Klägerin und Beklagter handele es sich mangels Aufsichtsverhältnis
nicht um eine von §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG erfasste Aufsichtsangelegenheit. Die Aufsichtsklage sei nicht statthaft, weil es sich um ein informatives Rundschreiben handele,
das keinen Anordnungscharakter habe. Es handele sich auch nicht um Hinweise, Anregungen oder Empfehlungen der Rechtsaufsicht
im Rahmen der Beratung nach § 89 Abs. 1 2. Halbsatz Viertes Buch Sozialgesetzbuch, die eine konkrete Beanstandung im Einzelfall
voraussetzten. Erst recht handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt. Das Rundschreiben stelle überhaupt kein Aufsichtsmittel
dar.
II.
Gemäß §
98 Satz 1
SGG i.V.m. §
17a Abs.
3 Satz 2
Gerichtsverfassungsgesetz hat das Gericht vorab darüber zu entscheiden, ob es sachlich zuständig ist, wenn eine Partei - wie hier die Beklagte - die
Zuständigkeit rügt. Die sachliche Zuständigkeit betrifft auch die Frage, welches Gericht erstinstanzlich zuständig ist, so
dass diese Vorschriften bei Rüge der instanziellen Zuständigkeit zumindest entsprechend anzuwenden sind (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 16.03.2010 - L 7 AS 191/10 KL - juris Rn. 1 m.w.N.).
Das Landessozialgericht ist gemäß §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG erstinstanzlich zuständig.
Nach dieser Vorschrift entscheiden die Landesozialgerichte im ersten Rechtszug über Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern
der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und der Kassen(zahn)-ärztlichen
Bundesvereinigung, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird.
Eine Aufsichtsangelegenheit im Sinne des §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG liegt nicht schon dann vor, wenn sich die Klage gegen eine Maßnahme einer Aufsichtsbehörde richtet. Vielmehr muss es sich
bei der mit der Klage angefochtenen Maßnahme - wie im Rahmen des §
54 Abs.
3 SGG - um eine Maßnahme des Aufsichtsrechts handeln (vgl. BSG, Urteil vom 27.11.2014 - B 3 KR 6/13 R - juris Rn. 13). Aus diesem Grund fällt die Klage gegen die Bestimmung einer Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde nicht
unter §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG. Denn die aufsichtsbehördliche Bestimmung einer Schiedsperson ist keine Maßnahme der Staatsaufsicht, sondern Teil des Konfliktlösungsverfahrens
zur einvernehmlichen Festlegung des Vertragsinhalts (BSG, Urteil vom 27.11.2014 - B 3 KR 6/13 R - juris Rn. 14; Sächsisches LSG, Urteil vom 11.04.2012 - L 1 KA 51/11 KL - juris Rn. 20). Weil nicht entscheidend ist, wer die angegriffene Maßnahme erlassen hat, sondern was sie ihrem Charakter
nach ist, stellt die Anmaßung aufsichtsrechtlicher Kompetenzen nicht nur im Sinne des Rechtswegs (vgl. BSG, Beschluss vom 28.09.2010 - B 1 SF 1/10 R - juris Rn. 17 ff.), sondern auch im Sinne der Zuständigkeit im Übrigen (Hessisches LSG, Urteil vom 15.09.2011 - L 1 KR 89/10 KL - juris Rn. 60) eine Aufsichtsangelegenheit dar.
Die Zuständigkeit nach §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG besteht allerdings nicht für alle Aufsichtsangelegenheiten, sondern nur für Aufsichtsangelegenheiten "gegenüber" bestimmten
Trägern öffentlicher Gewalt. Dies ist im Zusammenhang mit §
29 Abs.
4 Nr.
3 SGG zu sehen, der für Klagen in Aufsichtsangelegenheiten gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss eine spezielle Zuständigkeitsregelung
trifft. Dagegen verlangt §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG - anders als etwa §
39 Abs.
2 SGG - nicht, dass eine Streitigkeit "zwischen" den in der Bestimmung aufgezählten Trägern öffentlicher Gewalt besteht (vgl. Schreiber
in: Breitkreuz/Fichte,
SGG. 2. Aufl. 2014, §
29 Rn. 10). Die Formulierung des §
29 Abs.
4 Nr.
3 SGG ("Klagen in Aufsichtsangelegenheiten") zeigt, dass das Gesetz mit "Aufsichtsangelegenheit" nicht das gerichtliche Verfahren
selbst, sondern das diesem zugrunde liegende Verwaltungshandeln (Tun oder Unterlassen) auf dem Gebiet des Aufsichtsrechts
meint. Nur von daher wird verständlich, warum das Gesetz die Aufsichtsangelegenheit als eine einseitige ("gegenüber") und
nicht als eine wechselseitige ("zwischen") Sache ansieht, obwohl auch Aufsichtsklagen kontradiktorische Verfahren sind. Mit
seiner Wortwahl bezeichnet §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG daher keineswegs die Hauptbeteiligten des gerichtlichen Verfahrens (so aber LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.05.2012
- L 11 KR 77/12 KL - juris Rn. 14; Beschluss vom 18.04.2012 - L 11 KR 124/12 KL - juris Rn. 18) und erfasst nicht nur Klagen von Verwaltungsträgern, die der Aufsicht unterliegen oder unterliegen könnten
(so aber LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.08.2011 - L 11 KR 2269/11 KL - juris Rn. 13; LSG Hamburg, Urteil vom 28.06.2012 - L 1 KR 148/11 - juris Rn. 32; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.04.2012 - L 11 KR 660/11 KL - juris Rn. 24). Schon gar keinen Anhalt gibt der Wortlaut des §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG dafür, dass sich die erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialgerichte auf Klagen der Verwaltungsträger beschränkt,
die Adressat der konkret angefochtenen Aufsichtsmaßnahme sind (so aber LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.01.2019
- L 3 KA 54/18 KL - nicht veröffentlicht, entgegen BSG, Urteil vom 17.08.2011 - B 6 KA 32/10 R - juris Rn. 14 f.). Ein so weitgehender Ausschluss von Klagen Drittbetroffener kann sich auch nicht darauf stützen, dass
nach der Rechtsprechung des BSG eine Aufsichtsangelegenheit dann betroffen ist, wenn es "unmittelbar" um eine Maßnahme der Aufsichtsbehörde aus dem Bereich
des Aufsichtsrechts geht (BSG, Urteil vom 27.11.2014 - B 3 KR 6/13 R - juris Rn. 13); denn danach muss nur der Bezug der Maßnahme zum Aufsichtsrecht "unmittelbar" sein, aber nicht ihre Wirkung
auf den jeweiligen Kläger.
Eine derart restriktive Auslegung des §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG, die - mit Blick auf die fehlende drittschützende Wirkung des Aufsichtsrechts (dazu BSG, Urteil vom 12.03.2013 - B 1 A 1/12 R - juris Rn. 17; Urteil vom 12.03.2013 - B 1 A 2/12 R - juris Rn. 20; Urteil vom 24.01.2003 - B 12 KR 19/01 R - juris Rn. 62; ebenso BSG, Urteil vom 10.05.2000 - B 6 KA 20/99 R - juris Rn. 27; siehe aber auch BSG, Urteil vom 17.08.2011 - B 6 KA 32/10 R - juris Rn. 15; Urteil vom 17.11.1999 - B 6 KA 10/99 R - juris Rn. 16) - bei Klagen Drittbetroffener die erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialgerichte verneint, ist durch
den Ausnahmecharakter dieser Vorschrift nicht geboten, und zwar auch nicht mit Blick auf das Verfasssungsrecht (so aber LSG
Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.08.2011 - L 11 KR 2269/11 KL - juris Rn. 13; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.06.2012 - L 11 KR 124/12 KL - juris Rn. 18; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.01.2019 - L 3 KA 54/18 KL - nicht veröffentlicht; Stotz in: jurisPK-
SGG, § 29 Rn. 27). Zwar verlangt Art.
101 Abs.
1 Satz 2
Grundgesetz (
GG), dass sich der für den Einzelfall zuständige Richter möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergeben muss (Bundesverfassungsgericht
[BVerfG], Beschluss vom 14.06.2007 - 2 BvR 1447/05 - juris Rn. 106; Beschluss vom 08.04.1997 - 1 PBvU 1/95 - juris Rn. 29; Beschluss vom 12.01.1983 - 2 BvR 964/82 - juris Rn. 8; Beschluss vom 09.05.1978 - 2 BvR 952/75 - juris Rn. 23; Beschluss vom 19.07.1967 - 2 BvR 489/66 - juris Rn. 13; Urteil vom 16.01.1957 - 1 BvR 134/56 - juris Rn. 27). Der Verfassungsgrundsatz des Art.
101 Abs.
1 Satz 2
GG verbietet es aber nicht, den Inhalt einer Zuständigkeitsnorm erst durch Auslegung zu ermitteln (BVerfG, Plenarbeschluss vom
08.04.1997 - 1 PBvU 1/95 - juris Rn. 31), sofern die Norm unzulässigen Einflüssen generell vorbeugen kann (BVerfG, Beschluss vom 14.06.2007 - 2 BvR 1447/05 - juris Rn. 106) und dies nicht zu einer Unsicherheit bei der Bestimmung des gesetzlichen Richters führt (BVerfG, Beschluss
vom 09.05.1978 - 2 BvR 952/75 - juris Rn. 43). Die Einbeziehung der Klagen Drittbetroffener in den Anwendungsbereich einer Zuständigkeitsvorschrift eröffnet
indessen keiner Seite Manipulationsmöglichkeiten (zu diesem Gesichtspunkt: BVerfG, Beschluss vom 19.07.1967 - 2 BvR 489/66 - juris Rn. 13; Beschluss vom 25.10.1966 - 2 BvR 291/64 - juris Rn. 33; Beschluss vom 24.03.1964 - 2 BvR 42/63 - juris Rn. 14). Eine restriktive Auslegung von §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG, die eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialgerichte nur für Klagen der jeweiligen Adressaten der konkret angefochtenen
Aufsichtsmaßnahme annimmt, kann sich daher auf Verfassungsrecht nicht stützen. Sicher handelt es sich bei §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG um eine Ausnahmevorschrift zu der grundsätzlich bestehenden erstinstanzlichen Zuständigkeit der Sozialgerichte nach §
8 SGG. Der im einfachen Recht wurzelnde Ausnahmecharakter von §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG mag auch einer erweiternden Auslegung dieser Bestimmung entgegenstehen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl., §
29 Rn. 5a); ein Gebot zu einer möglichst restriktiven Auslegung lässt sich daraus aber nicht ableiten.
Richtigerweise wird der Rechtscharakter als "Aufsichtsangelegenheit" im Sinne des §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG nicht dadurch beeinflusst, wer die Aufsichtsmaßnahme anficht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl., §
29 Rn. 5a). Dies entspricht nicht nur dem Wortlaut der Norm und widerspricht nicht ihrem Ausnahmecharakter, sondern bringt auch
ihren Zweck am besten zur Geltung. Dieser besteht darin, die Streitigkeiten in Aufsichtsangelegenheiten aufgrund ihrer weitreichenden
Bedeutung und der besonderen Komplexität der Materie sowie im Interesse einer raschen Klärung der sich darin stellenden Rechtsfragen
bei den Landessozialgerichten zu konzentrieren (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 15 f.). Mit dem Normzweck lässt sich eine unterschiedliche
instanzielle Zuständigkeit je nachdem, wer die jeweilige Aufsichtsmaßnahme anficht, indessen nicht vereinbaren. Gerade an
den hier in Rede stehenden Vergütungsvereinbarungen nach §
87a SGB V sind Körperschaften beteiligt, die unterschiedlichen Aufsichtsbehörden unterstehen. Eine unterschiedliche Bewertung je nachdem,
welche von den Vertragsparteien Klage gegen eine die Vereinbarung betreffende Aufsichtsmaßnahme erhebt, mit der Folge eines
unterschiedlichen Instanzenzuges ist jedoch abzulehnen (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 11.04.2012 - L 1 KA 51/11 KL - juris Rn. 20).
Ausgehend hiervon ist das Sächsische LSG für die von der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung gegen das Rundschreiben des
BVA vom 13.09.2018 erhobenen Klage instanziell zuständig, obwohl die Klägerin nicht der Aufsicht des BVA (bzw. ab 01.01.2020
des Bundesamtes für Soziale Sicherheit) unterliegt. Vorliegend besteht Streit über eine aus Sicht der Beteiligten weitreichende
Rechtsfrage zur Aufsicht in der Sozialversicherung: Die Klägerin behauptet, es handele sich bei dem Rundschreiben vom 13.09.2018
um eine aufsichtsrechtliche Maßnahme, die ihr gegenüber wie eine Anordnung der Aufsichtsbehörde wirke. Alle folgenden Fragen
- insbesondere die nach der Klagebefugnis der Klägerin - sind solche, die im Rahmen der Zulässigkeit und Begründetheit der
erhobenen Klage zu erörtern und zu entscheiden sind, nicht aber - wie mit dem Ausschluss Drittbetroffener aus dem Anwendungsbereich
des §
29 Abs.
2 Nr.
2 SGG - bereits im Rahmen der Zuständigkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar §
98 Satz 2, §
177 SGG.