Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Lernförderung nach dem SGB II für Legastheniker
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen der Lernförderung nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der am ... 2005 geborene Antragsteller lebt zusammen mit seiner Mutter und seinen drei Geschwistern (V., geboren am ... 2006,
K., geboren am ... 2009 und M., geboren am ... 2013) in einer Wohnung in B. K. Der Antragsteller ist als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft
mit seinen Geschwistern und seiner Mutter Leistungsempfänger nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft Leistungen von Dezember 2014 bis
Mai 2015 in Höhe von 1.289,34 EUR monatlich, hierbei entfielen auf den Antragsteller anteilig 184,42 EUR monatlich. Als Einkommen
der Mutter des Antragstellers wurde ein Einkommen aus Selbständigkeit (stille Gesellschafterin einer GbR mit 15 % Gewinnbeteiligung)
in Höhe von 246,67 EUR monatlich zugrunde gelegt.
Der Antragsteller besucht die dritte Klasse der B. schule B. K. (Grundschule). Bei ihm liegt eine angeborene Lese- und Rechtschreibstörung
nach F 81.0, ICD-10 (nach einer psychologischen Stellungnahme vom 8. Mai 2014 der Dipl. Psych. D. B. und nach dem pädagogischen
Testverfahren zur Feststellung einer Legasthenie/Dyskalkulie von Frau v. M.) vor, wobei die allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit
des Kindes gut den durchschnittlichen Erwartungen, welche an Kinder seiner Altersgruppe gestellt werden, entspricht (Stellungnahme
von Dipl Psych. B. s.o.). Er nimmt an der schulischen zusätzlichen Förderung im Fach Deutsch im Umfang von zwei Stunden wöchentlich
teil. Vom 1. Mai bis zum 31. Juli 2013 bewilligte der Burgenlandkreis nach dem
Bundeskindergeldgesetz (
BKGG) Leistungen der Lernförderung (wöchentlich 90 Minuten Einzelunterricht). Ab dem 18. November 2013 übernahm der Antragsgegner
zunächst bis Mai 2014 auf der Grundlage einer vergleichsweisen Einigung (Vergleich vom 15. November 2013 im Verfahren L 2 AS 964/13 B ER) und danach aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung (im Verfahren mit dem Aktenzeichen S 34 AS 2458/14 vor dem Sozialgericht Halle) bis einschließlich 30. November 2014 vorläufig die Kosten für eine außerschulische Lernförderung
für den Antragsteller bei der diplomierten Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin v. M. in N. (90 Minuten wöchentlich, welche
50 EUR kosten). Die Hauptsache ist unter dem Aktenzeichen L 2 AS 598/14 beim Senat anhängig.
Entsprechend den Festlegungen in dem Vergleich stellte der Antragsteller Anträge bei der für ihn zuständigen Krankenkasse
und dem zuständigen Jugendhilfeträger auf Förderung der Legastheniebehandlung. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2013 lehnte die
Krankenkasse den Antrag ab, weil eine derartige pädagogische Behandlung nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung
gehöre. Den Antrag auf Eingliederungshilfe lehnte der Burgenlandkreis mit Bescheid vom 14. Mai 2014 ab: Durch die festgestellte
Teilleistungsschwäche in Form einer Lese- Rechtschreibstörung F 81.0, ICD-10 liege noch keine seelische Behinderung vor bzw.
drohe eine solche nicht. Der Antragsteller sei sozial altersgerecht entwickelt und integriert und werde von den Mitschülern
anerkannt.
In einer Bescheinigung der Schule zur Notwendigkeit der Lernförderung vom 15. Mai 2014 (Frau K.) in der zweiten Klasse wird
ausgeführt, durch die konsequenten Fördermaßnahmen innerhalb und außerhalb der Schule machten sich erste Erfolge bemerkbar.
Tiefgründige Förderung sei beim Lesen notwendig. Es werde für den Förderzeitraum bis mindestens Schulhalbjahr 2014/2015 (3.
Klasse) eine Förderung im Fach Deutsch wöchentlich für 1 -1,5 Stunden empfohlen. Die Versetzung sei gefährdet, das Aufholen
der Lernrückstände allein durch schulische Angebote sei nicht gewährleistet. Das Erreichen der Versetzung bzw. eines ausreichenden
Leistungsniveaus sei mit Hilfe der außerschulischen Lernförderung zum Schuljahresende möglich.
Zum September 2014 (3. Schuljahr) übernahm eine neue Lehrerin (Frau L.) die Klasse des Antragstellers. Der Antragsteller erhält
einen Nachteilsausgleich als Legastheniker. Die Lehrerin berichtete in der neuerlichen Bestätigung der Schule über die Notwendigkeit
von außerschulischer Lernförderung im Fach Deutsch (2 Stunden) vom 13. Oktober 2014 über kleine Erfolge bei Diktaten (Diktat
Note 4 und Laufdiktat unter vereinfachten Bedingungen ohne Fehler). Es gelinge dem Antragsteller aber nur ungenügend, einen
Text vorzulesen und den Sinn zu erfassen (bei geübtem Text: Note 4). Es wurde bestätigt, dass in dem Fach Deutsch kein ausreichendes
Leistungsniveau vorliege und ein solches Niveau durch die außerschulische Förderung spätestens bis zum Schuljahresende möglich
sei.
Den Weiterbewilligungsantrag auf Lernförderung des Antragstellers vom 20. Oktober 2014 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid
vom 30. Oktober 2014 ab. Bei einer Legasthenietherapie handele es sich nicht um eine vorübergehende Lernförderung im Sinne
des Gesetzes. Den weitergehenden Antrag, die Fahrkosten für die Fahrten zur Logopädiepraxis in N. (0,20 EUR pro Kilometer)
zu übernehmen, lehnte der Antragsgegner gesondert mit einem weiteren Bescheid vom 30. Oktober 2014 ab.
Der Antragsteller hat am 18. November 2014 einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim SG gestellt. Diesen hat er wie folgt begründet: Trotz kleinerer Erfolge sei die Fortsetzung der Legastheniebehandlung bis zum
Ende des Schuljahres notwendig. Die Probleme seien noch nicht überwunden, insbesondere das Lesen und sinnerfassende Lesen
sei noch unzureichend. Der Umstand, dass eine Versetzungsgefährdung nicht gesehen wurde, beruhe darauf, dass das Schuljahr
gerade erst begonnen habe und eine neue Lehrerin die Klasse übernommen habe. Die Fahrten zu der Logopädin könnten von der
Mutter des Antragstellers nicht mehr mit den Fahrten zur Arbeit in Einklang gebracht werden, weshalb erstmals die Übernahme
der Fahrtkosten beantragt werden müsse.
Der Antragsgegner hat darauf verwiesen, dass hier die Kosten für eine Lerntherapie und nicht für Nachhilfeunterricht verlangt
würden. Damit handele es sich nicht um Nachhilfeunterricht, der die schulischen Angebote unmittelbar ergänze, sondern um eine
therapeutische Behandlung. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass der Antragsteller schon seit über einem Jahr an der wöchentlichen
Therapie teilnehme. Aus dem Vermerk über ein Gespräch mit der Schulsozialarbeiterin vom 25. November 2014 gehe auch hervor,
dass die häuslichen Selbsthilfemöglichkeiten nicht ausgeschöpft würden (z. T. fehle eine Kontrolle, ob Hausaufgaben zu erledigen
seien usw.). Auch ein Anspruch auf Fahrtkosten bestehe nicht, diese seien Teil der Regelleistung.
Mit Beschluss vom 26. November 2014 hat das SG den einstweiligen Rechtsschutzantrag abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es könne weder ein Anordnungsanspruch noch
ein Anordnungsgrund festgestellt werden. Die Voraussetzungen für eine außerschulische Lernförderung seien nicht (mehr) erfüllt.
Die logopädische Förderung könne zwar eine die schulischen Angebote ergänzende angemessene Lernförderung sein, es läge aber
kein Lernförderbedarf mehr vor. Nachdem die Schule nunmehr einschätze, dass die Versetzung nicht (mehr) gefährdet sei, halte
das Gericht eine zusätzliche außerschulische Lernförderung nicht mehr für erforderlich. Auch eine besondere Eilbedürftigkeit
könne nicht festgestellt werden. Es sei nicht mehr erkennbar, dass ein Abbruch der Förderung den Erhalt der bisherigen Lernerfolge
in Frage stellen würde.
Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 26. November 2014 zugestellten Beschluss hat dieser für den Antragsteller am
9. Dezember 2014 Beschwerde eingelegt. Diese begründet er wie folgt: Die Lernförderung sei unverändert erforderlich. Es sei
kein ausreichendes Leistungsniveau vorhanden. Eine Versetzungsgefährdung sei nicht allein entscheidend. Es könne zwar zum
jetzigen Zeitpunkt von Seiten der Schule keine klare Aussage zur Versetzungsgefährdung gemacht werden, weil das Schuljahr
erst begonnen habe. Die behandelnde Logopädin und die Klassenlehrerin hätten weiterhin einen Bedarf einer tiefgründigen Förderung
beim verstehenden Lesen gesehen. Auch der Nachteilsausgleich (weniger Sätze beim Diktat usw.) "schöne" das Leistungsbild,
obwohl das Problem der Legasthenie noch nicht ausgeglichen sei. Ein fehlendes ausreichendes Leistungsniveau sei jedoch bereits
ein Fördergrund. Die LRS-Förderung müsse abgeschlossen werden, damit der Antragsteller mit der Schwäche umgehen könne. Dies
beziehe sich insbesondere auf das verstehende Lesen. Der bereits eingetretene Fördererfolg würde wieder gefährdet, wenn die
Förderung nicht fortgesetzt würde. Auch Frau v. M. habe bestätigt, dass voraussichtlich bis zum Ende des dritten Schuljahres
die Förderung abgeschlossen werden könnte. Die Lernförderung sei im Monat Dezember 2014 durch die fehlende Sicherstellung
der Finanzierung unterbrochen worden und müsse nun erneut wieder aufgenommen werden. Die Fahrtkosten (ca 10 km eine Strecke)
seien nicht im Regelbedarf enthalten. Durch die Konnexität zwischen Therapien und dazugehörigen Fahrten müssten auch letztere
gesondert übernommen werden. Seit Januar 2015 fahre die Mutter des Antragstellers nicht mehr berufsbedingt nach N.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des SG vom 26. November 2014 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die, durch die
Teilnahme des Antragstellers an der außerschulischen Lernförderung bei der Logopädin Frau v. M., entstehenden monatlichen
Kosten i. H. v. 200,00 EUR für die Legastheniebehandlung für die Dauer des Bewilligungszeitraumes vorläufig zu übernehmen
und
die Fahrtkosten i. H. v. 0,20 EUR/km für die Hin- und Rückfahrten zur Therapie vorläufig zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung jedenfalls im Ergebnis für zutreffend.
Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten des Antragsgegners und auf die Gerichtsakten verwiesen. Die Akten haben
dem Senat bei der Entscheidungsfindung vorgelegen und sind von ihm berücksichtigt worden.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG Halle ist statthaft (§
172 Sozialgerichtsgesetz -
SGG), form- und fristgerecht eingelegt worden (§
173 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde ist nicht durch §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig
wäre. Hier wäre die Berufung zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 Euro übersteigt, §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG. Denn der Antragsteller begehrt u. a. die Gewährung von Leistungen für die Lernförderung in Höhe von monatlich 200 EUR für
sechs Monate (bzw. inzwischen nur noch für fünf Monate, da im Monat Dezember 2014 keine Förderung in Anspruch genommen wurde).
Die Beschwerde ist überwiegend begründet.
Der Erlass der von dem Antragsteller begehrten vorläufigen Anordnung beurteilt sich nach §
86b Abs.
2 SGG. Nach dieser Vorschrift ist das Begehren des Antragstellers als auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichteter Antrag
statthaft, weil in der Hauptsache keine reine Anfechtungsklage zu erheben war. Das Begehren des Antragstellers ist auf die
Gewährung von Leistungen gerichtet, so dass statthafte Klageart eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne
des §
54 Abs.
1 und 4
SGG ist. Das Gericht der Hauptsache kann in diesem Fall gemäß §
86b Abs.
2 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte oder eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, weil sie
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§
920,
921,
923,
926,
928 bis
932,
938,
939 und
945 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) gelten entsprechend.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit
der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines
in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden, §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 ZPO).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen des §
86b Abs.
2 SGG Ausfluss der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie nach Art
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) sind, wonach ein effektiver Rechtsschutz auch Eilverfahren erfordert, wenn ansonsten eine Verletzung der subjektiven Rechte
des Einzelnen droht, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG),
Beschluss vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 42/76 - juris, Rn. 34; Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - juris, Rn. 17). Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Möglichkeit eines effektiven einstweiligen Rechtsschutzes folgt
auch, dass neben der Prüfung des materiellen Rechts im Prüfungsmaßstab der Gerichte die betroffenen Grundrechte und das Eilbedürfnis
einer Regelung besonders zu beachten sind. Die Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz dürfen in Anfechtungs- wie auch
in Vornahmesachen aus verfassungsrechtlicher Sicht dementsprechend sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische
Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1998 - 2 BvR 378/98 - juris, Rn. 17).
Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, eine summarische rechtliche Prüfung vorzunehmen. Eine umfassendere rechtliche
Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs als Bestandteil der Abwägung im Eilverfahren kann nach der
Verfassung ausnahmsweise dann geboten sein, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens
übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. In solchen Fällen sogenannter
Vornahmesachen, also auch bei Verfahren auf Erlass einer Regelungsanordnung (§
86b Abs.
2 Satz 1 Alt. 2
SGG) sind die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten
in der Hauptsache orientieren, gehalten eine eingehende (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - juris, Rn. 7; Beschluss vom 29. Juli 2003 - 2 BvR 311/03 - juris, Rn. 12; NVwZ 2004, 95; anders formuliert dagegen - ohne nähere Begründung - Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - juris, Rn. 25: "abschließende") Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der
Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 - juris, Rn. 19). Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren dagegen untunlich, weil hierdurch
eine Entscheidung nachhaltig verzögert wird, kann bei anderenfalls drohenden schweren und unzumutbaren Nachteilen maßgeblich
aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden sein (vgl. zu §
123 Verwaltungsgerichtsordnung: BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 - juris, Rn. 16).
Vorliegend entscheidet der Senat aufgrund einer Folgenabwägung. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund
für den Anspruch auf die Lernförderung nicht jedoch für den Anspruch auf Fahrtkosten glaubhaft gemacht.
Nach § 19 Abs. 2 SGB II haben Leistungsberechtigte unter den Voraussetzungen des § 28 SGB II Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe. Nach § 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung neben dem Regelbedarf gesondert berücksichtigt,
soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen
Lernziele zu erreichen. Der Antragsteller nimmt bereits die vorhandenen schulischen Angebote wahr (zwei Stunden in der Woche).
Gleichwohl ist unverändert im Fach Deutsch ein zusätzlicher Bedarf für eine Lernförderung wegen der Teilleistungsschwäche
der Legasthenie gegeben. Nur durch eine solche Förderung kann das schulrechtlich vorgegebene Lernziel erreicht werden. Gemäß
§ 1 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 6 Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SchulG LSA) vom 22. Februar 2013 ist die Schule gehalten, den Schülern Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten mit dem Ziel zu
vermitteln, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und Begabung, eigenverantwortliches Handeln und Leistungsbereitschaft
zu fördern und die Schüler auf die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt, des öffentlichen Lebens, der Familie und Freizeit
vorzubereiten. Die Grundschule vermittelt dabei gem. § 4 Abs. 1 SchulG LSA im Unterricht Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten und entwickelt die verschiedenen Fähigkeiten in einem für alle Schülerinnen
und Schüler gemeinsamen Bildungsgang. Unabhängig von der Frage der Versetzungsgefährdung liegt bei dem Antragsteller kein
ausreichendes Leistungsniveau im Fach Deutsch vor. Auch das Erreichen eines ausreichenden Leistungsniveaus und das Erlernen
von Lesen und Schreiben stellen ein wesentliches Lernziel dar (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Februar
2012 - L 7 AS 43/12 B ER - zitiert nach juris). Der Antragsteller hat in der dritten Klasse noch erhebliche Probleme beim verstehenden Lesen
von Texten. Dies ist jedoch eine Grundfertigkeit, die in dieser Klasse vorliegen muss, weil nicht nur im Fach Deutsch sondern
z. B. auch bei Textaufgaben im Fach Mathematik hierauf aufgebaut wird. Dies hat die Klassenlehrerin in ihrer Stellungnahme
ausgeführt und nachvollziehbar deshalb die Notwendigkeit von außerschulischer Lernförderung bestätigt. Selbst wenn die Zensur
im Fach Deutsch - auch durch den Nachteilsausgleich als Legastheniker ausreichend ist - muss diese Schwäche ausgeglichen werden.
Der Abstand zu dem durchschnittlichen Leistungsniveau des Klassenverbandes würde sich sonst erhöhen.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist auch das Training für Legastheniker eine Lernförderung i. S. des § 28 Abs. 5 SGB II. Dies wird von der Rechtsprechung weitgehend anerkannt (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 26. März 2014 -
l 6 AS 31/14 B E; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28. Februar 2012 - L 7 AS 43/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Mai 2011 - L 5 AS 498/10 B ER - jeweils zitiert nach juris). Der Gesetzgeber hat in § 28 Abs. 5 SGB II keine Begrenzung der Förderdauer oder für die Art der Förderung aufgenommen. Einer solchen Begrenzung und engen Auslegung
stünde auch eine verfassungskonforme Auslegung der Norm unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
entgegen. Der Hinweis des Antragsgegners für eine solche "Legasthenietherapie" sei das SGB II nicht gedacht und dies müsse von anderen Stellen geleistete werden, geht daher auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts fehl. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u. a., Rn. 181 und 197 f. - zitiert nach juris - ausgeführt, dass bei schulpflichtigen Kindern deren Eltern Leistungen nach
dem SGB II beziehen, die Gefahr bestehe, dass ohne hinreichende staatliche Leistungen ihre Möglichkeiten eingeschränkt werden, später
ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten zu können. Ein Anspruch darauf, als hilfebedürftiges Kind nicht von Lebenschancen
ausgeschlossen zu werden, folge aus Art.
1 Abs.
1 des
Grundgesetzes (
GG) i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
1 GG. Eine Zuständigkeit der Länder für das Schul- und Bildungswesen mache die fürsorgerechtliche Berücksichtigung eines Bedarfes
nicht entbehrlich. Der Bund habe das Existenzminimum vollständig zu gewährleisten. Der Bundesgesetzgeber dürfe erst dann von
Leistungen absehen, wenn der Schüler diese von anderer Seite tatsächlich erhalte. Solange und soweit diese Leistungen den
Kindern nicht gewährt würden, müsse dies im Rahmen der Gewährleistung des Existenzminimums im Leistungssystem des SGB II erfolgen. Diese Voraussetzungen für eine Notwendigkeit einer fürsorgerechtlichen Berücksichtigung liegen auch bei dem Antragsteller
vor. Der Antragsteller ist von seinem Intellekt gut durchschnittlichen Anforderungen gewachsen, jedoch durch seine Teilleistungsschwäche
eingeschränkt, seine Begabung auszuschöpfen und benötigt deshalb ein spezielles Training wegen seiner Legasthenie. Der Antragsteller
erhält die erforderliche Förderung weder von der Krankenkasse noch vom Jugendamt bezahlt. Dadurch, dass der Antragsteller
psychisch adäquat mit seiner Teilleistungsschwäche umgeht und sozial gut integriert ist, liegt eine seelische Behinderung
oder drohende seelische Behinderung nicht vor. Seine Mutter ist als SGB II-Empfängerin nicht in der Lage, die Förderung selbst zu finanzieren.
Der spezielle Einzelunterricht bei der Logopädin ist auch die geeignete Förderung für den Antragsteller. Die Klassenlehrerin
hat in ihrer Begründung des Antrages auf außerschulische Förderung ebenso wie der Direktor der Schule im persönlichen Gespräch
mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers (nach der glaubhaften Darstellung des Prozessbevollmächtigten) ausgeführt,
dass die Schule einen speziellen Einzelunterricht für einen Legastheniker nicht leisten könne und der schulische Förderunterricht
deshalb nicht ausreiche. Da es bei einem Einzelunterricht für einen Legastheniker nicht um eine wiederholende Wissensvermittlung
geht, sondern um eine Vermittlung einer veränderten Wahrnehmung und hierfür ein individueller Trainingsplan erstellt wird,
kann dieses Training auch nicht durch einen anderen Nachhilfeunterricht oder verstärkte Bemühungen der Eltern ersetzt werden.
Gleich geeignete günstigere Möglichkeiten sind nicht ersichtlich. Die Kosten von 25 EUR für 45 Minuten bzw. 50 EUR für 90
Minuten Einzelunterricht erscheinen auch nicht unangemessen. Jedenfalls ist es dem Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
nicht möglich zu ermitteln, in welchem genauen Umfang die Lernförderung erforderlich ist und ob es wohnortnah günstigere gleich
geeignete qualifizierte Einzelförderung bei Legasthenie gibt. Diesbezüglich muss eine Folgenabwägung getroffen werden. Unter
Beachtung der aufgezeigten grundrechtlichen Belange des Antragstellers, wonach auch die außerschulische Förderung Teil der
Gewährleistung des Existenzminimums ist, geht die Folgenabwägung zugunsten des Antragstellers aus.
Ein Anordnungsgrund liegt vor. Die spezielle Lernförderung kann ihr Ziel nur erreichen, wenn sie zeitnah wieder einsetzt.
Es ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, das Hauptsacheverfahren abzuwarten.
Hingegen sind dem Antragsteller nicht vorläufig die Fahrtkosten für Fahrten nach N. zu Frau v. M. zuzusprechen. Es kann dahinstehen,
ob diese Kosten als Annex zu der Lernförderung zu gewähren sein können. Jedenfalls ist es dem Antragsteller zumutbar, diese
Kosten, nach dessen eigener Berechnung in Höhe von 16 EUR monatlich, vorübergehend selbst aufzubringen. Die Mutter des Antragstellers
verfügt über einen PKW, sie bekommt Fahrten zur Schule, zum Sportunterricht usw. ebenfalls nicht zusätzlich bezahlt. Unbeachtlich
ist insofern, ob sie ab Januar 2015 noch selbständig tätig ist. Sie kann solche Fahrten mit anderen Erledigungen verbinden.
Es handelt sich noch um Fahrten in einem üblichen Rahmen. Es ist nicht ersichtlich, dass die fehlende Übernahme der Fahrtkosten
die Inanspruchnahme der Förderung gefährden kann. Es kann insofern auch dahinstehen, ob wohnortnäher in B. K. selbst eine
gleich teure Einzelförderung zu erhalten gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt entsprechend §
193 SGG. Der Anteil des Unterliegens des Antragstellers in Bezug auf die Forderung nach der Übernahme auch der Fahrtkosten stellt
sich als geringfügig dar, weil er unter 10 % der Gesamtforderung liegt (vgl. §
92 Abs.
2 ZPO).
Die Entscheidung zur Prozesskostenhilfe beruht auf §
73a SGG i. V. m. §§
114 ff.
ZPO. Es besteht kein Anspruch des Antragstellers auf Prozesskostenhilfe, weil er insoweit nicht bedürftig ist. Denn der Antragsteller
erwirbt durch diesen Beschluss einen unanfechtbaren Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner, der die bis zum Abschluss
des Verfahrens entstandenen außergerichtlichen Kosten abdeckt.
Dieser Beschluss ist gem. §
177 SGG nicht mit einer Beschwerde anfechtbar.