Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Bewilligung einer nicht beantragten Eingliederungsleistung an einen Selbstständigen;
Zulässigkeit der Anfechtungsklage im sozialgerichtlichen Verfahren; Erfordernis der Antragstellung; Kostenübernahme für Tragfähigkeitsanalyse
1. § 16c SGB II knüpft Leistungen zur Eingliederung Selbständiger an das Vorliegen einer Tragfähigkeitsanalyse, wobei es jedenfalls bei semantischer
und systematischer Betrachtung schwierig sein dürfte, dieser selbst Leistungsqualität zuzuerkennen (vgl. § 16c Abs. 3 SGB II).
2. Dementsprechend wird auch in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der Leistungsträger die Tragfähigkeitsanalyse
im Rahmen seiner Amtsermittlung (§ 20 SGB X) einzuholen und die Kosten dafür zu tragen habe.
3. Die Anforderungen an das Hinreichen der Erfolgsaussichten dürfen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht überzogen werden.
4. Hinreichende Erfolgsaussichten sind schon dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Betroffenen zumindest
für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist.
Gründe
I.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die vom Kläger beantragte und vom Sozialgericht Kiel mit Beschluss vom 21. September
2015 abgelehnte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren S 40 AS 212/13, mit dem sich der Kläger im Wege der Anfechtungsklage gegen die Bewilligung der Kostenübernahme für eine Tragfähigkeitsanalyse
(3.600,00 EUR netto zzgl. Umsatzsteuer, zahlbar nach Rechnungslegung an die durchführende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)
im Rahmen der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit wendet.
Das Sozialgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit folgender Begründung abgelehnt: Die Rechtsverfolgung biete
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil der Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis dargetan habe. Er sei durch die Bewilligungsentscheidung
nicht beschwert. Soweit der Kläger darauf hinweise, dass er wegen der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung späteren
Rückforderungsansprüchen ausgesetzt sein könne, sei dies zur Anerkennung einer Beschwer nicht ausreichend. Für den Fall einer
späteren Rücknahme der Bewilligungsentscheidung stünde es dem Kläger frei, die gegen diese Entscheidung vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten
zu ergreifen.
Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend, dass der Beklagte sich in einem früheren Vergleich dazu verpflichtet habe, die
Kosten für eine Tragfähigkeitsanalyse zu tragen, nunmehr jedoch - davon abweichend - einen Zuschuss aus einem Fördertopf bewilligt
habe, der Mittel für Existenzneugründungen enthalte. Er sei jedoch schon mehrere Jahre selbständig tätig und habe auf solche
Leistungen folglich keinen Anspruch mehr. Er sehe sich daher der konkreten Möglichkeit einer Rückforderung der Leistung ausgesetzt.
Im Übrigen handele es sich lediglich um eine Zusage für einen Zuschuss. Er trage damit das Risiko, dass die Analyse teurer
werde als vom Beklagten veranschlagt. Im Übrigen beziehe sich der Beklagte zu Unrecht auf einen vermeintlichen Antrag auf
die gewährte Leistung, den er jedoch nie gestellt habe.
II.
Die fristgerecht erhobene (vgl. §
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]) Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und nicht gemäß §
172 Abs.
3 Nr.
2 lit. b
SGG ausgeschlossen. Die Sachleistung, durch die sich der Kläger beschwert sieht, überschreitet mit einem Wert von 4.284,00 EUR
den Betrag von 750,00 EUR, so dass die Berufung in der Hauptsache der Zulassung nicht bedürfte (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet. Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag hin Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind
hier erfüllt.
Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat der Kläger durch Beibringung
einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgewiesen. Die Rechtsverfolgung erscheint nicht
mutwillig.
Anders als das Sozialgericht sieht der Senat für die Rechtsverfolgung auch hinreichende Erfolgsaussichten. Die Anforderungen
an das Hinreichen der Erfolgsaussichten dürfen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht überzogen werden. Hinreichende Erfolgsaussichten
sind schon dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Betroffenen zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher
Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. dazu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
73a Rn. 7a m.w.N.). Diese Voraussetzung liegen vor; die Erfolgswahrscheinlichkeit ist nicht nur eine ganz entfernte.
Zunächst fehlt es dem Kläger nicht an der für die Anfechtungsklage erforderlichen Klagebefugnis; er kann behaupten, durch
den - formal begünstigenden - Verwaltungsakt beschwert zu sein (§
54 Abs.
1 Satz 2
SGG). Dafür genügt, dass der Kläger die Beseitigung einer in seine Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstrebt, von
der er behauptet, diese sei nicht rechtmäßig (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 54 Rn. 10). Der Substantiierungspflicht,
an die keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6), genügt der Kläger mit der Behauptung, die ihm aufgedrängte Bewilligungsentscheidung sei erkennbar
rechtswidrig und trage das konkrete Risiko späterer Erstattungsforderungen nach §§ 45, 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in sich. Der Hinweis des Sozialgerichts auf die Möglichkeit, gegen einen späteren Rücknahme- und Erstattungsbescheid selbst
Widerspruch und Anfechtungsklage erheben zu können, greift insoweit zu kurz, als der Kläger sich - die behauptete Rechtswidrigkeit
der Bewilligungsentscheidung unterstellt - wegen seiner dann bestehenden Kenntnis von der Rechtswidrigkeit auf schutzwürdiges
Vertrauen gerade nicht mehr berufen könnte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Wegen des Sachleistungscharakters der hier in Rede stehenden Leistung und der Pflicht, Sach- und Dienstleistungen in Geld
zu erstatten (§ 50 Abs. 1 Satz 2 SGB X), wäre es dem Kläger - anders als bei Geldleistungen - auch nicht möglich, die entgegen genommene Leistung für den Fall einer
späteren Rückforderung zurückzuhalten. Der Kläger kann schließlich auch nicht darauf verwiesen werden, die Bewilligungsentscheidung
widerspruchslos hinzunehmen und bloß auf die Entgegennahme der Leistung zu verzichten. Dieser Vorgehensweise wohnte das Restrisiko
inne, dass der Beklagte nach Bestandskraft der Bewilligungsentscheidung selbst dem Leistungserbringer den Auftrag für die
Tragfähigkeitsanalyse erteilte; diesem Risiko und dem Risiko der Bewertung der Rechtsfolgen eines solchen Vorgehens muss sich
der Kläger nicht aussetzen.
Es ist auch nicht schlechthin unwahrscheinlich, dass die Anfechtungsklage begründet ist. Dies gilt schon insoweit, als der
Kläger - ohne dass der Beklagte dem substantiiert entgegengetreten wäre (im Widerspruchsbescheid wird offen gelassen, ob ein
Antrag am 30. März 2012 gestellt worden sei; im Bescheid vom 29. November 2012 hatte sich der Beklagte noch auf den Vergleich
vom 11. Mai 2012 gestützt, der einen solchen Antrag jedenfalls nicht explizit enthält) - behauptet, die gewährte Leistung
nicht beantragt zu haben. Sollte diese Behauptung zutreffen - das Sozialgericht wird dahingehende Ermittlungen ggf. anzustellen
haben - dürfte dies, weil Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur auf Antrag erbracht werden (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch [SGB II]) und Leistungen zur Eingliederung nach wohl h.M. nicht vom Antrag auf Arbeitslosengeld II umfasst sind sondern gesondert
beantragt werden müssen (vgl. Link, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 37 Rn. 35), zur Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung führen (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X; vgl. Link, a.a.O. Rn. 22).
Ob die Gewährung einer Kostenübernahme für eine Tragfähigkeitsanalyse im Übrigen materiell-rechtlich auf die in den Bescheiden
vom 17. Oktober und 26. November 2012 zitierte Norm des § 16c SGB II gestützt werden kann, ist ebenfalls zweifelhaft. Diese Norm knüpft Leistungen zur Eingliederung Selbständiger an das Vorliegen
einer Tragfähigkeitsanalyse, wobei es jedenfalls bei semantischer und systematischer Betrachtung schwierig sein dürfte, dieser
selbst Leistungsqualität zuzuerkennen (vgl. § 16c Abs. 3 SGB II). Dementsprechend wird auch in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der Leistungsträger die Tragfähigkeitsanalyse
im Rahmen seiner Amtsermittlung (§ 20 SGB X) einzuholen und die Kosten dafür zu tragen habe (Stölting, in: Eicher, a.a.O., § 16c Rn. 15).
Die Beiordnungsentscheidung beruht auf §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
121 ZPO.
Außergerichtliche Kosten sind im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).