Zulässigkeit des Widerspruchs eines Sozialversicherungsträgers gegen einen Verwaltungsakt im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren;
Auferlegung von Verschuldenskosten
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der sozialversicherungsrechtliche Status des Klägers in dem Zeitraum vom 9. Januar 1996 bis 31.
Dezember 2006 aufgrund seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 3. streitig.
Der 1964 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 1991 bis 31. Dezember 2005 bei der Beklagten pflichtversichert. In der Zeit
vom 1. Januar bis 31. Dezember 2006 war er nicht mehr gesetzlich krankenversichert. Er arbeitete zunächst in der Einzelfirma
"A ... H. K. - V. T.", danach bei der Beigeladenen zu 3. Diese wurde am 1. November 1995 in das Handelsregister eingetragen
wurde. Das Stammkapital betrug 300.000 DM. Alleingesellschafter war der Vater des Klägers V. T ... Mit notariellem Vertrag
vom 9. Januar 1996 trat der Alleingesellschafter im Wege der vorweggenommenen Erbfolge an den Kläger und dessen Bruder C.
T. einen Geschäftsanteil von nominal 72.000 DM mit Gewinnbezugsrecht ab. Alleiniger Geschäftsführer blieb V. T ... Am 12.
April 2005 wurde im Handelsregister die Erteilung von Einzelprokura für den Kläger und C. T. eingetragen. Am 30. September
2005 beantragten der Kläger und die Beigeladene zu 3. bei der Beklagten die Überprüfung seines versicherungsrechtlichen Status
aufgrund der leitenden Stellung im Unternehmen. Die Stimmrechte seien aufgrund familiärer Rücksichtnahme gemeinschaftlich
ausgeübt worden, mithin sei das Verhältnis der Gesellschafter durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander geprägt und entspreche
nicht dem üblichen Verhältnis zwischen familienfremden Gesellschaftern. Beschlüsse seien in aller Regel gleichberechtigt und
einstimmig gefasst worden. In einer Gesellschafterversammlung im Jahr 1996 sei er mündlich zum Geschäftsführer bestellt worden;
eine Eintragung in das Handelsregister sei nicht erfolgt. Er sei im Wesentlichen verantwortlich für die EDV und den Vertrieb.
Er sei frei in der Bestimmung seiner Arbeitszeit, könne seinen Urlaub frei gestalten und erhalte eine feste Vergütung in Höhe
von 3.900 EUR monatlich. Seine Unternehmens- und Eigeninteressen seien gleichgerichtet. Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen
Beurteilung gab der Kläger u.a. an, er habe der Beigeladenen zu 3. ein Darlehen in Höhe von 102.000 EUR gewährt, es bestehe
kein Arbeitsvertrag, er arbeite wöchentlich zirka 60 bis 65 Stunden, die Vergütung werde im Falle von Arbeitsunfähigkeit für
sechs Wochen weitergewährt. Die Verbuchung der Vergütung erfolge als Lohn/Gehalt, er sei am Gewinn nicht beteiligt. Er könne
selbstständig Personal einstellen und/oder entlassen.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2005 teilte die ihm Beklagte mit, es habe sich bei seinem Beschäftigungsverhältnis nicht um
ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gehandelt. Vielmehr gehöre er seit dem 9.
Januar 1996 zum Personenkreis der Selbstständigen. Es sei beabsichtigt, ihn für die Zeit ab 9. Januar 1996 als freiwilliges
Mitglied einzustufen. Es werde ihm die Möglichkeit eingeräumt, sich nochmals bis zum 11. November 2005 zur beabsichtigten
Umstufung zu äußern. Den am 12. September 2005 bei der Beigeladenen zu 2. gestellten Antrag nach §§
7 a des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV) nahm der Kläger am 28. November 2005 zurück. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2005 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger
seit dem 9. Januar 1996 zum Personenkreis der Selbstständigen gehört.
Am 10. Mai 2006 wandte sich die Beigeladene zu 2., nachdem der Kläger dort die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen
beantragt hatte, an die Beklagte und wies darauf hin, dass nach Punkt 8 der Niederschrift der Besprechung der Spitzenorganisationen
der Sozialversicherung vom 5./6. Juli 2005 vereinbart wurde, dass sich die Krankenkassen mit dem für die Betriebsprüfung des
betreffenden Betriebes zuständigen Rentenversicherungsträger hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Beurteilung von u.a.
mitarbeitenden Gesellschaftern einer GmbH vor einer Bescheiderteilung abstimmten, wenn nach Auffassung der Krankenkasse keine
Versicherungspflicht vorliegt/vorgelegen hat und ein Anspruch auf Beitragserstattung entstehen könnte, der ganz oder teilweise
verjährt wäre. Aus ihren Unterlagen gehe nicht hervor, dass bereits eine versicherungsrechtliche Beurteilung eines Rentenversicherungsträgers
abgegeben wurde. Insoweit werde um Übersendung der entsprechenden Unterlagen gebeten. Sollte noch keine solche Beurteilung
ergangen sein, werde um Übersendung der Unterlagen gebeten, die der Beurteilung des Versicherungsverhältnisses zu Grunde lagen.
Mit Schreiben vom 12. Juni und 21. Juli 2006 erinnerte die Beigeladene zu 2. an die Erledigung und Beantwortung ihrer Anfrage.
Unter dem 22. Juni 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Beigeladene zu 2. habe ihre Entscheidung angezweifelt, woraufhin
sie nochmals Unterlagen angefordert habe. Er verfüge weder über eine Stimmrechtsmehrheit, noch über eine Sperrminorität. Entscheidungen
innerhalb der Gesellschaft könnten durch ihn nicht verhindert werden; er habe somit keinen entscheidenden Einfluss auf die
Beigeladene zu 3. Auch steuerrechtlich werde von einer nicht selbstständigen Arbeit ausgegangen, weil das Arbeitsentgelt als
Betriebsausgabe gebucht und vom Arbeitsentgelt Lohnsteuer bezahlt wurde. Es sei beabsichtigt den Bescheid vom 7. Dezember
2005 aufzuheben. Hierzu erhalte er nochmals Gelegenheit zur Äußerung.
Mit Bescheid vom 6. Juli 2006 hob die Beklagte den Bescheid vom 7. Dezember 2005 auf und teilte dies und die Erhebung des
Widerspruchs durch den Kläger mit Schreiben vom 26. Juli 2006 der Beigeladenen zu 2. mit. Im Widerspruchsverfahren übersandte
der Kläger eine Bürgschaftsurkunde vom 10. November 2005 über 38.000 EUR sowie einen Schenkungsvertrag vom 2. Januar 1996,
geschlossen zwischen ihm und V. T., wonach letzterer 200.000 DM als Teilbetrag einer Darlehensforderung an die Beigeladene
zu 3. schenkweise an ihn durch Abtretung übergab. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2006 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Arbeitnehmer unterlägen nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V), §
1 Satz 1 Nr.
1 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI), §
20 Abs.
1 Nr.
1 des
Elften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB XI) und §
25 Abs.
1 des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III) der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung sowie zur Arbeitsförderung, wenn sie gegen
Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt seien. Versicherungspflicht in der Krankenversicherung trete bei
Personen nicht ein, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteige. Angesichts seiner Anteile
am Geschäftskapital von 24 v.H. habe er keine Möglichkeit, entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der GmbH zu nehmen. Auch
sei eine besondere vertraglich vereinbarte Beschlussfassung bzw. eine Sperrminorität aus den vorgelegten Unterlagen nicht
ersichtlich. Er sei auch nicht als Geschäftsführer berufen, ihm sei lediglich Einzelprokura erteilt worden. Überdies sei die
arbeitnehmertypische Zahlung eines festen Gehaltes mit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, verbunden mit der Entrichtung von
Lohnsteuer erfolgt. Dass er aufgrund der familiären Bindungen und auch weil er der GmbH ein Darlehen gewährt und eine Bürgschaft
übernommen habe, mit sehr viel Engagement tätig sei, liege in der Natur der Sache. Die Rücknahme des Bescheides vom 7. Dezember
2005 nach Beteiligung der Beigeladenen zu 2. sei nicht zu beanstanden. Diese habe sich mit Schreiben vom 4. Mai 2006 sinngemäß
gegen den Bescheid vom 7. Dezember 2005 gewandt. Insoweit finde § 49 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) Anwendung, wonach § 45 Abs. 1 bis 4 SGB X nicht gelte, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten wurde, während des Vorverfahrens aufgehoben
werde, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen werde. Hier habe sich die Beigeladene zu 2 als Dritter sinngemäß gegen den
ihn begünstigenden Bescheid vom 7. Dezember 2005 gewandt.
Im Klageverfahren hat der Kläger u.a. vorgetragen, er trage ein nicht unerhebliches Unternehmerrisiko und übe die Tätigkeit
nicht für ein ihm fremdes, sondern für ein eigenes Unternehmen aus. Die Beigeladene zu 3. habe sich in der Gesellschafterversammlung
vom 13. Juli 1997 ausdrücklich nochmals auferlegt, Beschlüsse einstimmig zu treffen. Dies sei durchgängig auch so realisiert
worden. Er sei auf Grund der tatsächlich gewollten Gestaltung der Verhältnisse in der Familiengesellschaft im Wesentlichen
nach Zeit, Umfang und Ort seiner Tätigkeit weisungsfrei und am Gewinn und Verlust der Beigeladenen zu 3. beteiligt, habe monatlich
gleich bleibende Beträge erhalten, die als Gehaltszahlungen deklariert waren; tatsächlich habe es sich dabei um eine Vergütung
auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage gehandelt. Zwischen den Gesellschaftern habe Einvernehmen darüber bestanden, dass der
erzielte Reingewinn nach Abzug der jährlichen Bezüge im Unternehmen verbleibe. Faktisch seien er und C. T. in dem streitigen
Zeitraum als weitere Geschäftsführer anzusehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 4. September 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheids vom 7. Dezember 2005 sei § 49 SGB X. Bei dem Schreiben der Beigeladenen zu 2. vom 4. Mai 2006 handele es sich um einen Widerspruch im Sinne des § 49 SGB X. Der Bescheid vom 7. Dezember 2005 sei rechtswidrig gewesen. Die überwiegende Zahl der relevanten Indizien spreche für ein
abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Es spreche nichts dafür, dass die formale Situation - das Bestehen eines Arbeitsvertrages
- durch die tatsächlichen Verhältnisse so entscheidend überlagert wurde, dass von einer selbstständigen Tätigkeit des Klägers
auszugehen war.
Im Berufungsverfahren wiederholt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. Grund für die Regelung in § 3 des notariellen
Geschäftsanteilsabtretungsvertrages vom 9. Januar 1996 sei die Sicherung des Familienbetriebs gewesen und nicht die Stellung
des Klägers im Unternehmen zu schwächen oder zu dokumentieren, dass dieser nicht selbstständig tätig sei. Die Gewährung eines
Darlehens an die GmbH spreche ebenfalls deutlich gegen eine abhängige Beschäftigung, auch wenn ihm zuvor der Betrag von V.
T. geschenkt worden sei. Hierdurch sei vielmehr ein weiterer Schritt erfolgt, Unternehmerrisiko und Verantwortung für das
Unternehmen auf ihn zu übertragen. Das wirtschaftliche Risiko des Darlehensverlustes trage er allein. Dies gelte auch für
die übernommene Bürgschaft.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Altenburg vom 4. September 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2006 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. November 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 3. schließt sich dem Antrag des Klägers an.
Die Beigeladene zu 4. schließt sich dem Antrag der Beklagten an.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. haben keinen Antrag gestellt.
Am 20. Juli 2012 hat die Berichterstatterin mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt.
Mit Verfügung vom 22. Januar 2013 hat der Senatsvorsitzende die Beklagte aufgefordert, ihre Rechtsansicht (ebenso wie im Parallelverfahren
Az.: L 6 KR 1128/09) zu überprüfen. Eine Rücknahme des Bescheids vom 7. Dezember 2005 sei nach § 49 SGB X nicht möglich. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X lägen offensichtlich nicht vor. In der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2013 hat der Senatsvorsitzende die Beklagte darauf
hingewiesen, dass erwogen werde, ihr bei Fortführung des Rechtsstreits nach §
192 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) Kosten aufzuerlegen. Im Parallelverfahren Az.: L 6 KR 1128/09 habe die Beklagte ein Anerkenntnis angekündigt, wenn dem die Beigeladene zu 2. zustimme, was diese aber abgelehnt hat. Die
Sitzungsvertreterin hat - nach Rücksprache mit ihrer Zentrale im Parallelverfahren - auf einer Entscheidung bestanden. Sie
ist der Ansicht, § 49 SGB X greife ein. Allerdings könne sie dies nicht begründen. Sie wolle der Beigeladenen zu 2. die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde
zum BSG einräumen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. November 2006 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheids vom 7. Dezember 2005 liegen nicht
vor.
Die Beklagte kann gegenüber dem Kläger eine unanfechtbare Entscheidung nur nach Maßgabe der §§ 44 ff. SGB X zurücknehmen oder aufheben. Hieran ändert auch nicht, dass sie es in dem auf Antrag des Klägers und der Beigeladenen zu 3.
eingeleiteten Verwaltungsverfahren zur Feststellung des versicherungsrechtlichen Status des Klägers vor Erlass des Bescheides
vom 7. Dezember 2005 unterlassen hat, die in diesem Rechtsstreit Beigeladenen zu 2. nach § 12 Abs. 2 SGB X hinzuzuziehen. Streitgegenstand dieses Verfahrens ist nicht der Bescheid vom 7. Dezember 2005, sondern der Bescheid vom 6.
Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. November 2006.
Der Bescheid vom 7. Dezember 2005 ist gegenüber dem Kläger mangels Widerspruchs bzw. Klageerhebung nach §
77 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in der Sache bindend geworden. Die erforderliche Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheids ergibt sich nicht aus §
49 SGB X. Danach gelten § 45 Abs. 1 bis 4 SGB X, §§ 47 und 48 SGB X nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder
während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder
der Klage stattgegeben wird.
Die Vorschrift setzt die Regelungen, die eine Aufhebung begünstigender - rechtswidriger oder rechtmäßiger - Verwaltungsakte
nur in beschränktem Umfange zulassen, für den Fall außer Kraft, dass ein Dritter den Verwaltungsakt in zulässiger Weise anficht.
Belastet ein begünstigender Verwaltungsakt auf Grund einer Drittwirkung zugleich einen Dritten und ficht dieser den Verwaltungsakt
an, kann der Begünstigte keinen Vertrauensschutz beanspruchen, soweit er wegen des schwebenden Anfechtungsverfahrens mit der
Aufhebung des Verwaltungsaktes rechnen muss. § 49 SGB X schließt nicht die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes aus, es entfällt vielmehr nur der für begünstigende Verwaltungsakte
geltende Bestandsschutz, das heißt die Aufhebung wird in weitem Umfang möglich. Da der Verwaltungsakt zugleich belastend ist,
soll die Behörde bei der Aufhebung nur an die Beschränkungen gebunden sein, die für die Aufhebung belastender Verwaltungsakte
gelten (vgl. Schulze in: von Wulffen, SGB X, Kommentar, 7. Auflage 2010, § 49 Rdnr. 2).
Der Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2005 entsprach dem Begehren des Klägers auf Feststellung der Versicherungsfreiheit
seiner Tätigkeit seit dem 9. Januar 1996 und begünstigte ihn also. Er belastet die Sozialversicherungsträger, weil sie gegebenenfalls
Beiträge erstatten müssen (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 1962 - Az.: 3 RK 76/58, nach juris). Die Beigeladene zu 2. hat jedoch keinen Widerspruch gegen diesen Bescheid erhoben. Er ist nicht dem Schreiben
vom 4. Mai 2006 zu entnehmen. Tatsächlich fragte die Beigeladene zu 2. dort lediglich an, ob bereits eine versicherungsrechtlichen
Beurteilung eines Rentenversicherungsträgers abgegeben wurde; sollte dies noch nicht erfolgt sein, bitte sie um Übersendung
aller relevanten Unterlagen. Auch in den Erinnerungsschreiben vom 12. Juni und 21. Juli 2006 kann weder ausdrücklich noch
konkludent ein Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2005 entnommen werden. Im Übrigen wäre auch ein
Widerspruch nach §
78 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3 SGG nicht zulässig gewesen. Danach bedarf es eines Vorverfahrens u.a. dann nicht, wenn ein Versicherungsträger klagen will. Daraus
folgt nicht nur die Zulässigkeit einer Klage ohne die vorherige Durchführung eines Vorverfahrens, sondern auch die Unzulässigkeit
des Vorverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - Az.: 4 RK 3/93, nach juris). Eine Klage hat die Beigeladene zu 2. nicht erhoben. Zur Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte
bei ihrer Entscheidung auch nicht das Ermessen ausgeübt hat (vgl. Wiesner in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 49 Rdnr. 2).
Insofern greift § 49 SGB X nicht ein. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheids vom 7. Dezember 2005 nach § 45 SGB X liegen nicht vor, wobei an dieser Stelle unterstellt werden kann, dass der Bescheid von Anfang an rechtswidrig war. Allerdings
ist das sogenannte "Nachschieben von Gründen" zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang
oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder
erschwert wird. Weil die §§ 45, 49 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung oder Rücknahme eines Verwaltungsakts gerichtet sind, kommt das Auswechseln dieser
Rechtsgrundlagen grundsätzlich in Betracht und ist durch den Senat zu überprüfen (vgl. BSG, Urteile vom 21. Juni 2011 - Az.: B 4 AS 21/10 R m.w.N. und vom 29. Juni 2000 - B 11 AL 85/99 R, beide nach juris).
Die Rücknahme des Bescheids vom 7. Dezember 2005 mit Wirkung für die Vergangenheit scheitert aber bereits am Nichtvorliegen
der Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 4 SGB X. Nach § 45 Abs. 4 SGB X wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit (1) er den Verwaltungsakt durch arglistige
Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (2) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich
oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (3) er die Rechtswidrigkeit
des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte
die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Es ist nicht ersichtlich und wird von der Beklagten auch
nicht vorgetragen, dass sich der Kläger aus den in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Gründen auf Vertrauensschutz nicht berufen kann. Soweit eine Rücknahme des Bescheids vom 7. Dezember 2005 durch
den angefochtenen Bescheid für die Zukunft, das heißt für die Zeit ab Bekanntgabe des Bescheids vom 6. Juli 2006 erfolgt ist,
scheitert ein Auswechseln der Rechtsgrundlage bereits daran, dass die Beklagte bei einer Rücknahme nach § 45 Abs. 1 SGB X eine Ermessensentscheidung zu treffen hat; dies ist hier nicht erfolgt (vgl. BSG, Urteile vom 21. Juni 2011, aaO., und vom 22. Juni 1988 - Az.: 9/9a RV 3/86, nach juris).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG. Die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3. hat der Senat nur für die Berufungsinstanz
als billig erachtet.
Der Beklagten war nach §
192 Abs.
1 SGG ein Anteil an den Gerichtskosten in Höhe 500,00 Euro aufzuerlegen.
Nach §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise
die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden
die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder Verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung
bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Anzunehmen ist ein Missbrauch dann, wenn das Verfahren fortgeführt
wird, obwohl für jedermann erkennbar ist, dass dies aussichtslos ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2006 - Az.: 2 BvR 719/06, nach juris; Senatsbeschluss vom 9. Oktober 2006 - Az.: L 6 R 625/06 ER). Hier hat die Beklagte ein hohes Maß an Uneinsichtigkeit gezeigt. Aus ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung ergibt
sich, dass sie keine Argumente gegen die Rechtsansicht des Senatsvorsitzenden vorbringen kann, obwohl er ihr seine Hinweise
bereits zuvor schriftlich übersandt und in der Verhandlung nochmals erläutert hatte. Zudem hat er sie ausweislich der Niederschrift
auf die Missbräuchlichkeit der Rechtsverteidigung und die Möglichkeit der Kostenauferlegung hingewiesen. Das Bestehen auf
einer Entscheidung mit dem nicht nachvollziehbaren Argument, der Beigeladenen zu 2. solle die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde
eingeräumt werden, ist nicht im Ansatz nachvollziehbar.
Als verursachter Kostenbetrag gilt nach §
192 Abs.
1 Satz 2
SGG mindestens der Betrag nach §
184 Abs.
2 SGG für die jeweilige Instanz (hier: 225 Euro). Grundsätzlich zählen zu den Kosten des Gerichts die allgemeinen Gerichtshaltungskosten
(vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 10. Auflage 2012, § 192 Rdnr. 12 m.w.N.). Nach Auskunft des Präsidenten
des Thüringer Landessozialgerichts vom 22. April 2004 (Az.: 5600 E - 1/04) beträgt der durchschnittliche Personal- und Materialaufwand
für ein Verfahren in der zweiten Instanz ohne Berücksichtigung der im Landeshaushalt ausgewiesenen allgemeinen Vorhaltungskosten
für Miete, Heizung, Reinigung, Technik und sonstige Aufwendungen ca. 1.000,- EUR. Angesichts dieses Kostenaufwandes sowie
in Anbetracht des Mindestbetrages erscheint dem Senat ein Kostenbeitrag von 500,- EUR als angemessen. Damit bleibt der Senat
erheblich unter dem durchaus möglichen Ansatz (vgl. u.a. Senatsurteil vom 29. April 1998 - Az.: L 6 RA 441/97: mindestens zwei Richterarbeitsstunden; Goedelt, Mutwillen und Mutwillenskosten, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 1986, S. 499 f.: im Jahre 1986 2.100,00 DM bis 2.700,00 DM).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.