Begriff der allgemeinen Schulausbildung im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist nur zum Teil begründet.
Der Beklagte ist den Klägern für die Zeit ab April 2001 zur Zahlung von Kindesunterhalt gemäß §§
1601 ff.
BGB in höherem Maße verpflichtet, als dieser durch die Urkunden des Jugendamtes ... vom 10. März 1998 mit monatlich jeweils 127,82
EURO tituliert ist.
Der Beklagte kann sich auf seine durch Arbeitslosigkeit eingeschränkte Leistungsfähigkeit nicht berufen. Die Leistungsfähigkeit
des Unterhaltsschuldners ergibt sich nicht allein aus den tatsächlich erzielten Einkünften. Der Unterhaltspflichtige hat seine
Arbeitskraft - insbesondere im Rahmen des §
1603 Abs.
2 Satz 1 und
2 BGB - so gut wie möglich einzusetzen, sodass die hieraus bei gehöriger Anstrengung erzielbaren Einkünfte zugrunde zu legen sind
(BGH FamRZ 2000, 1358, 1359; 1994, 372). Kommt der Unterhaltsschuldner der ihm obliegenden Erwerbsverpflichtung und den sich daraus ergebenden
Anstrengungen für eine neue Beschäftigung nicht ausreichend nach, sind ihm die tatsächlich nach Alter, Ausbildung, Berufserfahrung
und Gesundheitszustand (BGH FamRZ, 1996, 345, 246) erzielbaren Einkünfte fiktiv zuzurechnen (Haußleiter in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen
Praxis, 5. Aufl., Rn. 389 f. zu § 1). Dies setzt jedoch voraus, dass für den Unterhaltspflichtigen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt
die Möglichkeit besteht, eine Arbeitsstelle zu finden, mithin eine realistische Vermittlungschance gegeben ist (BGH FamRZ
1996, 345; 1998, 357). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass allein aus dem Umstand einer hohen Arbeitslosigkeit und aufgrund der
regional unterschiedlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes ohne Bewerbungsbemühungen des Unterhaltsschuldners keine verlässlichen
Aussagen über die Vermittlungschancen möglich sind (OLG Köln, OLG-Report 1997, 177, 178; vgl. Bäumel, FUR 1997, 177, 178).
Aus der Tatsache, dass sich aus den EDV-Ausdrucken des Arbeitsamts ... vom 30. Mai 2003 ergibt, dass in der Zeit zwischen
Januar 1997 und Juli 2002 nur 16 Vermittlungsversuche stattgefunden haben, kann der Beklagte nichts für sich herleiten, weil
es gerade bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit, die hier gegeben ist, nicht ausreicht, sich zur Erlangung einer Arbeitsstelle
allein auf die Hilfe des Arbeitsamts zu verlassen (BGH FamRZ 1986, 244). Der Unterhaltspflichtige ist vielmehr gehalten, Eigeninitiative zu entwickeln und sich auch um Arbeitsstellen zu bemühen,
die nicht vom Arbeitsamt angeboten werden. Dass der Beklagte dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, ergibt sich daraus,
dass er Bewerbungsschreiben überhaupt nicht und lediglich zwei Absageschreiben vorgelegt hat. Der Beklagte kann sich auch
nicht auf die hohe Arbeitslosenquote im Land ... berufen, die nach den vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Eckdaten
des Arbeitsmarkts für Juni 2003 derzeit bei rund 19 % liegt. Diese Quote liegt zwar über dem Bundesdurchschnitt, besagt aber
auf der anderen Seite, dass 81 % der erwerbsfähigen Arbeitnehmer Arbeit haben. Hinzu kommt, dass der Beklagte unmittelbar
an der Stadtgrenze von ... wohnt und sich auch dort hätte intensiv um Arbeit hätte bemühen müssen.
Vor diesem Hintergrund kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Beklagte aus einer Arbeitsstelle als Zimmerer unter Zugrundelegung
des Tarifvertrages für das Bauhauptgewerbe und nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen (5 %) ein durchschnittliches Nettoentgelt
von rund 1.300 EURO (rund 2.540 DM) erzielen könnte.
Auf den Abtrag monatlicher Kreditraten von 513 EURO kann sich der Beklagte - auch nach den Ausführungen seines Prozessbevollmächtigten
in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2003 - nicht berufen, da er monatliche Zahlungen in dieser Höhe nicht nachgewiesen
hat und diesen ein entsprechender Wohnwert gegenübersteht. Darüber hinaus kann der Beklagte nicht einerseits das Grundeigentum
auf seine Ehefrau übertragen, zugleich jedoch die Hauslasten als eigene Verbindlichkeiten geltend machen.
Die im Haushalt ihrer Mutter lebenden Kläger sind als Schüler unterhaltsbedürftig. Der Beklagte ist dem Kläger zu 1 auch über
seine Volljährigkeit seit dem 4. Oktober 2002 hinaus als privilegiertem volljährigen Kind unterhaltspflichtig. Bis Juli 2002
hatte der Kläger zu 1 die Haupt- und Realschule Wesendorf besucht und ist seit August 2002 Schüler der Berufsbildenden Schule
des Landkreises ... im schulischen Berufsgrundbildungsjahr Metalltechnik. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist
der Begriff der allgemeinen Schulausbildung im Sinne von §
1603 Abs.
2 Satz 2
BGB nach dem Ausbildungsziel, der zeitlichen Beanspruchung und der Organisationsstruktur der Schule abzugrenzen (BGH FamRZ 2001,
1069 ff.; 2002, 815 ff.). Ziel des Schulbesuchs muss der Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für
die Aufnahme einer Berufsausbildung sein, während der Besuch einer Schule, die neben allgemeinen Ausbildungsinhalten bereits
eine auf ein konkretes Berufsbild bezogene Ausbildung vermittelt, nicht ausreichend ist. Den zweijährigen Besuch der höheren
Berufsfachschule für Wirtschaft und Verwaltung (Höhere Handelsschule), durch den neben dem Erwerb der Fachhochschulreife auch
die Vermittlung allgemeiner beruflicher Kenntnisse aus dem Bereich Wirtschaft und Verwaltung erfolgte, hat der Bundesgerichtshof
als allgemeine Schulausbildung eingestuft (FamRZ 2002, 815, 816).
Der Besuch des schulischen Berufsgrundbildungsjahres ist jedenfalls dann eine allgemeine Schulausbildung im Sinne von §
1603 Abs.
2 Satz 2
BGB, wenn das volljährige Kind den - bisher nicht erzielten - Hauptschulabschluss erwerben kann (allgemein bejahend: OLG Koblenz
MDR 2000, 1016; Scholz in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 5. Aufl., Rn. 459 zu § 2; Luthin/Schumacher,
Handbuch des Unterhaltsrechts, 9. Aufl., Rn 3204 m. Fn. 456; verneinend: FamRef-Kommentar-Häußermann, Rn. 9 zu §
1603 BGB; Münch-Komm-Luthin, 4. Aufl., Rn. 79 m. Fn. 127 zu §
1603 BGB; Johannsen/Henrich/ Graba, Eherecht, 3. Aufl., Rn. 8a zu §
1603 BGB). Nach §
30 Nr. 3 der Verordnung über berufsbildende Schulen vom 24. Juli 2000 (Nds. GVBl. S. 178 ff.) erwirbt den Sekundarabschluss
I - Hauptschulabschluss, wer das schulische Berufsgrundbildungsjahr besucht und in allen Fächern mindestens ausreichende Leistungen
nachgewiesen hat. Mit seinem Abgangszeugnis vom 14. Juni 2002 hatte der Beklagte den Hauptschulabschluss nach den Anforderungen
der §§ 2, 23 Abs. 1 der Verordnung über die Abschlüsse im Sekundarbereich I (Nds. GVBl. 1994, 197) mangels ausreichender Leistungen
nicht erworben, sodass auch die Erwägungen des Senats im Beschluss vom 22. März 1999 - 15 WF 57/99 (OLG-Report 1999, 175 f.) -, in dem das Berufsgrundbildungsjahr den berufsqualifizierenden Abschlüssen gleichgestellt wurde,
nicht entgegenstehen. In seiner Stellungnahme zur beruflichen Perspektive hat der Kläger zu 1 dargestellt, dass er das Berufsgrundbildungsjahr
begonnen hat, um seinen Hauptschulabschluss zu erhalten und seine Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu erhöhen. Damit war
das Ziel des Berufsgrundbildungsjahrs der Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses.
Der Besuch des Berufsgrundbildungsjahrs vermittelt keine auf ein bestimmtes Berufsbild bezogene Kenntnisse, denn nach § 15
Abs. 1 Nds. Schulgesetz ist das Berufsgrundbildungsjahr sowohl auf fachliche Kenntnisse eines der in § 1 der Verordnung über
berufsbildende Schulen genannten Berufsfelder bezogen als auch auf eine allgemeine Bildung gerichtet. Die Schüler sollen in
dem Berufsgrundbildungsjahr ihre Allgemeinbildung vertiefen sowie Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem Berufsfeld
erwerben. Eine Festlegung auf eine bestimmte Berufsausbildung erfolgt daher nicht.
Die Möglichkeit, nach § 2 der Verordnung über die Anrechnung eines schulischen Berufsgrundbildungsjahres (Nds. GVBl. 1989,1084)
den erfolgreichen Besuch eines Berufsgrundbildungsjahres als erstes Jahr der Berufsausbildung - unter den näher geregelten
Voraussetzungen - anzurechnen, steht der Einordnung des Berufsgrundbildungsjahres als allgemeine Schulausbildung nicht entgegen.
Für welchen konkreten Ausbildungsgang sich der Schüler entscheidet, steht zu Beginn des Berufsgrundbildungsjahres nicht fest,
sodass über die Möglichkeit einer Anrechnung eine Entscheidung nicht getroffen ist. Die zeitlichen und organisatorischen Voraussetzungen
einer allgemeinen Schulbildung sind unzweifelhaft gegeben.
Von April bis Juni 2001 ist der Bedarf der Kläger bei Nettoeinkünften von 2.540 DM mit jeweils 546 DM monatlich anzusetzen.
Den Gesamtbedarf von 1.092 DM kann der Beklagte mit dem oberhalb seines Selbstbehaltes von 1.500 DM verteilungsfähigen Einkommen
von 1.040 DM nicht decken, sodass der Anspruch der Kläger auf 520 DM zu reduzieren ist. Für die Zeit von Juli bis Dezember
2001 schuldet der Beklagte Kindesunterhalt nach Gruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle in Höhe von je 525 DM, ist aber bei dem
erhöhten Selbstbehalt von 1.640 DM nur in Höhe von jeweils 450 DM leistungsfähig.
Ab Januar 2002 ergeben sich bei einem Selbstbehalt von 840 EURO, einer Verteilungsmasse von 460 EURO (1.300 EURO - 840 EURO)
Zahlbeträge von jeweils 230 EURO, wobei bis zur mündlichen Verhandlung erbrachte monatliche Zahlungen des Beklagten von 255,64
EURO (2 x 127,82 EURO) anzurechnen sind.
Mit dem Abschluss des Berufsgrundbildungsjahres zum Ende Juli 2003 ist der Kläger zu 1 nicht mehr als privilegiertes volljähriges
Kind seiner Schwester, der Klägerin zu 2, unterhaltsrechtlich gleichrangig, sodass deren Anspruch in Höhe der erstinstanzlich
titulierten 269 Euro besteht. Eine Einkommensfiktion im Verhältnis zum volljährigen Kläger zu 1 ist nicht mehr gerechtfertigt,
sodass eine Erhöhung des mit 127,82 EURO titulierten Anspruchs nicht gerechtfertigt ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§
92,
97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§
708 Nr. 11,
711, 713
ZPO.