Sozialhilferecht: Kosten für die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft und Hilfe zur Pflege
Gründe:
Der Antragsteller ist wegen einer Erkrankung pflegebedürftig und von seiner Pflegekasse deshalb in Pflegestufe 2 eingestuft,
weil er nachts auch gegenwärtig noch nicht pflegebedürftig ist. Er nimmt von der Pflegekasse Pflegesachleistungen in Anspruch.
Die Antragsgegnerin hatte ab 20. Juli 1993 die Kosten für besondere Pflegepersonen für die Dauer von sechs Stunden täglich
mit drei Einsätzen täglich als Hilfe zur Pflege sowie zusätzlich 16 Stunden wöchentlich als Hilfe zur Weiterführung des Haushalts
übernommen. Mit Bescheid vom 12. Dezember 1995 begrenzte sie ihre Kostenübernahme ab 1. Januar 1996 auf insgesamt 5 Stunden
täglich, d.h. (unter Anrechnung der Pflegesachleistung der Pflegekasse) auf 3.516,35 DM (5.582,99 DM ./. 266,64 DM Pflegegeld
./. 1.800,-- DM Pflegesachleistung).
Dem Antrag des Antragstellers auf Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm Kostenübernahme
im bisherigen Umfang zu gewähren, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 15. Februar 1996 entsprochen.
Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde macht die Antragsgegnerin im wesentlichen geltend, daß sie lediglich verpflichtet sei,
Leistungen bis zu einer Höchstgrenze von 150 Stunden monatlich (5 Stunden täglich) zu bewilligen: Eine Aufstockung durch den
Sozialhilfeträger werde in den Fällen, in denen von der Pflegekasse Pflegesachleistungen gewährt würden, die Leistungen der
Pflegeversicherung aber nicht ausreichten, um den Pflegebedarf zu finanzieren, durch die Stundenzahl der nächsthöheren Stufe
begrenzt. Die Mindeststundenzahl der Pflegestufe III (5 Stunden täglich) stelle zugleich die Höchstzahl der Pflegestufe II
dar. Soweit der Antragsteller dennoch einen Mehrbedarf geltend mache, müsse ggf. der Träger der Pflegeversicherung die Sicherung
dieses individuellen Hilfebedarfes durch eine Einstufung in die Pflegestufe III vornehmen. Der Antragsteller ist dem entgegengetreten
und hat geltend gemacht, daß er wegen seines sich schleichend verschlechternden Gesundheitszustandes dringend Hilfe im bisher
gewährten Umfang benötige.
Die zulässige Beschwerde hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
1. Das Verwaltungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß § 69 b Abs. 1 Satz 1 BSHG entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin keine Leistungsbegrenzung aus der Einstufung des Hilfebedarfes für das Pflegegeld
gem. § 69 a BSHG enthält. Dem Wortlaut des § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG ist im Gegensatz zu der Vorschrift des §
36 Abs.
3 SGB XI keine absolute Leistungsgrenze bei der Pflicht zur Kostenübernahme für besondere Pflegekräfte zu entnehmen. Der Anspruch
auf Kostenübernahme gem. § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG ist lediglich durch das Erfordernis der Angemessenheit sowie dadurch begrenzt, daß die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft
erforderlich sein muß. Nach ihrem Wortlaut enthält die Vorschrift auch keine Anknüpfung an die Einstufungen des § 69 a BSHG und sie unterscheidet sich insofern von §
36 SGB XI. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Systematik der Pflegestufen wie sie in § 69 a BSHG geregelt sind. Auch wenn § 69 a BSHG die Regelung des §
15 SGB XI hinsichtlich der Stufen der Pflegebedürftigkeit übernimmt, ergibt sich daraus noch nicht, daß dies auch für die Leistungen
nach § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG Geltung beanspruchen kann. Denn anders als in §
15 Abs.
1 SGB XI, in dem die Zuordnung pflegebedürftiger Personen zu einer der drei Pflegestufen für die Gewährung von Leistungen nach dem
SGB XI generell geregelt ist, bezieht sich § 69 a BSHG lediglich auf die Leistung von Pflegegeld. Anderenfalls hätte es nahegelegen, wie in §
15 SGB XI die Stufung der Pflegebedürftigkeit auf die gesamte Hilfe zur Pflege ausdrücklich auszudehnen. Das ist nicht geschehen, so
daß im Gegenschlusse davon ausgegangen werden muß, daß es hinsichtlich der Leistungen des § 69 b Abs. 1 Satz 2 bei den sozialhilferechtlichen
Bedarfsdeckungsgrundsatz verbleiben sollte.
Mit diesem Grundsatz ist die von der Antragsgegnerin vorgenommene Begrenzung ihrer Kostenübernahme nicht vereinbar. Es liegt
auf der Hand, daß die in § 69 a Abs. 1 und Abs. 2 BSHG aufgeführten Pflegebedarfe hinsichtlich ihrer Art und ihrer Intensität höchst unterschiedlich ausfallen können. Das hat zwangsläufig
Auswirkungen auf den erforderlichen und angemessenen Umfang der Aufwendungen für besondere Pflegekräfte. Eine absolute Leistungsbegrenzung
hinsichtlich der Kostenübernahme verbietet sich mithin bei Anwendung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes von vornherein. Besonders
augenfällig wird dieses Ergebnis hinsichtlich der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Begrenzung der Leistungen im vorliegenden
Fall. Unzweifelhaft bedarf der Antragsteller aufgrund seiner Erkrankung erheblicher Pflege, dies jedoch nicht nachts, so daß
er nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe III nach §
15 Abs.
1 Nr.
3 SGB XI erfüllt. Eine Begrenzung der Leistungen auf 150 Stunden monatlich kann jedenfalls dann nicht mehr bedarfsdeckend sein, wenn
außerhalb der Nachtzeit der Pflegebedürftige wie hier überwiegend der Hilfe bedarf, denn 150 Stunden monatlich decken lediglich
einen Pflegebedarf für ca. 5 Stunden täglich.
2. Auch wenn die Antragsgegnerin demnach gemäß § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG grundsätzlich verpflichtet ist, die angemessenen Kosten der für die Pflege des Antragstellers erforderlichen besonderen Pflegekräfte
zu übernehmen, führt das nicht dazu, daß der Antragsteller bei der Heranziehung einer besonderen Pflegekraft von seinem Wunsch-
und Wahlrecht gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG uneingeschränkt Gebrauch machen kann. Die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts steht unter dem Vorbehalt, daß der Träger der
Sozialhilfe Wünschen nicht zu entsprechen braucht, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Sinn
des § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG ist es, den Gesichtspunkt der kostengünstigen Hilfe gegenüber dem der Freiheit der privaten Lebensführung des Hilfebedürftigen
dienenden Wunschrecht zum Tragen zu bringen und letzterem im Hinblick auf die mit seiner Ausübung verbundenen Kosten die aus
der Begrenzung der Sozialhilfe auf das Notwendige erforderlichen Schranken zu geben (BVerwG, Urt. vom 17.11.1994, Buchholz
436.0 § 12 BSHG Nr. 28 Seite 15).
Der Antragsteller hat mithin nur dann einen Anspruch darauf, sich zur Deckung seines individuellen Hilfebedarfes des von ihm
ausgewählten Pflegedienstes zu bedienen, wenn damit nicht unangemessene Mehrkosten verbunden sind. Soweit der Antragsteller
die Antragsgegnerin zur Übernahme von Kosten in Höhe von mehr als 5.238,-- DM verpflichtet sehen will, handelt es sich um
unangemessene Mehrkosten, auf die er einen Anspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Das ergibt sich aus folgendem:
a) Art und Umfang der Pflegebedürftigkeit des Antragstellers ergeben sich aus den Ausführungen des Gutachtens des Medizinischen
Dienstes der Krankenkassen vom 21. Juni 1995 (Seite 6 des Gutachtens). Die Darstellung seines derzeitigen Pflegedienstes,
die der Antragsteller mit Schreiben vom 4. April 1996 dem Gericht eingereicht hat, ergibt keinen Anhaltspunkt für eine wesentlich
andere Einschätzung des Pflegebedarfes. Nach dem oben Gesagten hat der Antragsteller einen Anspruch auf Übernahme der Kosten
gemäß § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG für die besonderen Pflegekräfte, die er zur Deckung dieses Pflegebedarfes heranzieht, soweit die Kosten angemessen sind.
Gegen den Umfang des dem Antragsteller durch das Verwaltungsgericht zugebilligten Pflegeaufwandes zur Deckung seines Pflegebedarfes
und die Höhe der Stundenentgelte, deren Übernahme der Antragsteller begehrt, hat die Antragsgegnerin nichts eingewandt, so
daß die einstweilige Anordnung zu einer Verpflichtung der Antragsgegnerin zu einer Kostenübernahme gem. § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG in Höhe von 6.965,-- DM führt. Dieser Betrag ergibt sich unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht tenorierten Verpflichtung
einer Hilfe zur Pflege im Umfang von täglich 6 Stunden zuzüglich 16 Stunden Haushaltshilfe wöchentlich sowie der bei sachgerechter
Auslegung von der Verpflichtung erfaßten Wegekosten (3 mal täglich) bei den von der Antragsgegnerin zugrundegelegten Stundensätzen
von 32,-- DM wochentags, 35,05 DM an Sonn- und Feiertagen und den Wegekosten von jeweils 6,25 DM bzw. 6,85 DM und der Annahme,
daß die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts nur werktags anfällt und nur mit 32,-- DM pro Stunde ohne Wegekosten zu vergüten
ist. Von den so ermittelten Gesamtkosten der Pflege in Höhe von 8.765,-- DM sind von der Pflegekasse 1.800,-- DM zu tragen.
b) Soweit damit ein Betrag von 5.238,-- DM monatlich überschritten wird, stellen sich die Kosten als unverhältnismäßig dar,
so daß eine Verpflichtung der Antragsgegnerin insoweit nicht in Betracht kommt. Denn soweit der Pflegebedarf des Antragstellers
nicht durch die Pflegesachleistung bis zu einem monatlichen Gesamtbetrag von 1.800,-- DM von seiner Pflegekasse gedeckt ist,
ist für die Deckung seines Pflegebedarfes lediglich ein monatlicher Kostenaufwand von 5.238,-- DM erforderlich. Dieser Betrag
ergibt sich bei Heranziehung eines der Pflegedienste, die gemäß §
89 SGB XI eine Vergütungsregelung nach dem sog. Leistungskomplexsystem mit der Antragsgegnerin abgeschlossen haben. Denn dann wird
der Pflegebedarf des Antragstellers wie er aus dem Gutachten des Medizinischen Dienstes vom 21. Juni 1995 ersichtlich ist,
durch Übernahme der Kosten für folgende Leistungskomplexe gedeckt: 2 X Komplex 1, 1 X Komplex 3, 3 X Komplex 5a, 3 X Komplex
6, 3 X Komplex 8b, 4 X Komplex 8a, 2 X Komplex 16a, 1 X Komplex 15a jeweils täglich sowie wöchentlich 1 X Komplex 13a, 3 X
Komplex 14, 3 X Komplex 12a sowie monatlich 1 X Komplex 9a, 1 X Komplex 10. Bei Zugrundelegung der Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen
der ambulanten Pflegedienste mit den Pflegekassen und der Antragsgegnerin ergeben sich daraus für die täglichen Leistungen
Kosten in Höhe von 219,10 DM (monatlich 365/12 = 6.664,29 DM), für die wöchentlichen Leistungen 75,60 DM (monatlich 52/12
= 327,60 DM) und für die monatlichen 46,90 DM. Die durchschnittlichen Kosten der Pflege des Antragstellers belaufen sich mithin
auf 7.038,79 DM im Monat, so daß für die Antragsgegnerin nach Abzug der Pflegesachleistungsanteile der Pflegekasse lediglich
eine Kostenübernahmeverpflichtung von 5.238,-- DM verbleibt, Daß in Hamburg - auch im Wohnbereich des Antragstellers - zu
diesem Preis Pflegeleistungen in diesem Umfang ohne weiteres zu erhalten sind, haben die den Beteiligten bekannten Nachfragen
des Beschwerdegerichts bei Pflegediensten ergeben.
Soweit der Antragsteller demgegenüber geltend macht, er habe aufgrund seiner Krankheit ein besonders schutzwürdiges Interesse
an der Fortsetzung der Pflege durch den ihn derzeit betreuenden Pflegedienst, weil der ihn seit fünf Jahren betreue, die Besonderheiten
seines Pflegebedarfes kenne und berücksichtige, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Denn zum einen wird der Antragsteller
erst seit dem 1. Dezember 1993 von dem jetzigen Pflegedienst betreut, in den Jahren zuvor hatte er andere Pflegedienste in
Anspruch genommen. Zum anderen wird der Antragsteller, wie er selbst darstellt, nicht immer von derselben Pflegekraft gepflegt,
sondern es findet hinsichtlich der Pflegekräfte immer wieder ein Wechsel statt. Da der Antragsteller ohnehin auf die Inanspruchnahme
professioneller Pflegedienste angewiesen ist, ist es ihm sozialhilferechtlich zuzumuten, sich einen anderen professionellen
Pflegedienst auszusuchen, der nach dem Leistungskomplexsystem abrechnet, so daß sein Pflegebedarf zu geringeren Kosten als
bisher gedeckt wird.
Laufende Sozialhilfeleistungen können nach der neueren Rechtsprechung des Senats für die Zukunft durch eine einstweilige Anordnung
regelmäßig nur für die Dauer eines Monats ab dem Datum der gerichtlichen Entscheidung zugesprochen werden, weil es sich nicht
um rentengleiche Dauerleistungen handelt, sondern sowohl der gegenständliche Hilfsbedarf als auch die finanzielle Hilfsbedürftigkeit
sich im Grundsatz ständig ändern können (vgl. Beschluß d. Senats v. 30.4.1996 OVG Bs IV 120/96). Das bedeutet indessen nicht, daß deshalb eine vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung aufzuheben ist, soweit
darin die Antragsgegnerin zu Leistungen für einen längeren Zeitraum verpflichtet worden ist und dieser im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung
bereits verstrichen ist. Denn wenn wie hier die sozialhilferechtlich relevante Sachlage unverändert geblieben ist, läßt sich
jetzt rückblickend ohne weiteres feststellen, daß auch für diese Zeit ein Leistungs- (Anordnungs)anspruch bestanden hat und
deshalb die einstweilige Anordnung insoweit zu Recht ergangen ist.
Aus den genannten Gründen ist die Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin aber für die Zukunft entsprechend zu begrenzen
und kann deshalb die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung auch keinen Bestand haben, soweit sie darüber
hinaus geht, nämlich die Antragsgegnerin bis zu einem ungewissen Zeitpunkt - bis zum Ablauf eines Monats nach einer Entscheidung
über den Antrag vom 2. Januar 1996 - zu vorläufigen Leistungen verpflichtet.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§
188,
155 VwGO. Bei der Kostenverteilung geht das Beschwerdegericht davon aus, daß die Antragsgegnerin durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
mit monatlich zusätzlichen Kosten in Höhe von 3.449,-- DM (6.965,-- DM ./. 3.516,-- DM) belastet worden ist, die durch die
Beschwerdeentscheidung auf 1.722,-- DM (5.238,-- DM ./. 3.516,-- DM), also ziemlich genau auf die Hälfte, reduziert worden
sind. Die Begrenzung der Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin für die Zukunft fällt kostenmäßig nicht ins Gewicht, denn
die Antragsgegnerin hätte ihr auch nach dem Tenor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts durch eine schnelle Entscheidung
über den Antrag vom 2. Januar 1996 unschwer entgehen können.