Sozialhilferecht: Vermögenseinsatz durch einen in Hausgemeinschaft lebenden Verwandten, Anrechenbarkeit von Forderungen aus
Prämiensparverträgen
Gründe:
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die Anträge der Antragsteller zu 2) und 3) auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes und von Prozesskostenhilfe in vollem Umfang abgelehnt und der Antragstellerin zu 1) vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt
unter Berücksichtigung von einem Drittel der Unterkunfts- und Heizkosten zugesprochen und in diesem Umfang Prozesskostenhilfe
bewilligt. Die Rechtsmittel führen die Antragstellerin zu 1) mit dem Ziel, Eilrechtsschutz und Prozesskostenhilfe hinsichtlich
der Unterkunftskosten in voller Höhe zu erreichen, und der Antragsgegner mit dem Ziel der Ablehnung (auch) des der Antragstellerin
zu 1) gewährten Rechtsschutzes.
Beide Zulassungsanträge bleiben ohne Erfolg.
Gemäß §
146 Abs.
4 VwGO steht den Beteiligten die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts über einstweilige Anordnungen und im Verfahren
der Prozesskostenhilfe nur zu, wenn sie vom Oberverwaltungsgericht in entsprechender Anwendung des §
124 Abs.
2 VwGO zugelassen worden ist. Gemäß §
124 Abs.
2 VwGO ist die Berufung nur zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen,
...
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats
der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht, oder ...
Gemäß §
124a Abs.
1 Satz 4
VwGO sind in dem Antrag die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
Die Antragstellerin zu 1) macht die drei genannten Zulassungsgründe geltend. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ihr
Vorbringen der Darlegungspflicht gemäß §
124 a Abs.
1 Satz 4
VwGO genügt. Denn die geltend gemachten Zulassungsgründe sind jedenfalls nicht gegeben.
Ernstliche Zweifel im Sinne von §
146 Abs.
4 in Verbindung mit §
124 Abs.
2 Nr.
1 VwGO an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen nicht. Der Senat weist das Rechtsmittel der Antragstellerin zu
1) gemäß §
122 Abs.
2 Satz 3
VwGO aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück. Zu dem Vorbringen in der Rechtsmittelschrift der Antragstellerin
zu 1) ist das Folgende zu ergänzen:
Alle drei Antragsteller (die Mutter und ihre zwei minderjährigen Kinder) haben eigene Ansprüche gemäß § 11 Abs. 1 BSHG auf Hilfe zum Lebensunterhalt -- hier: für die Unterkunft und die Heizung gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG in Verbindung mit § 3 Absätze 1 und 2 RegelsatzVO -- in Höhe je eines Drittels der Miete und Nebenkosten für die gemeinsam benutzte Wohnung (s.
zum sog. Kopfteilprinzip: BVerwG, Urt. v. 21.1.1988 -- 5 C 68.85 -- BVerwGE 79, 17). Die Berücksichtigung des gemäß § 88 BSHG einzusetzenden Sparvermögens der Kinder deckt nur deren Bedarf (und schließt deshalb ihre eigenen Hilfeansprüche aus) und
mindert den Anspruch der Antragstellerin zu 1) nicht. Deren Auffassung, dies bedeute eine Minderung ihrer Rechte "durch die
Hintertür", verkennt, dass jedes Familienmitglied einen eigenen Bedarf an Unterkunft und Heizung und einen individuellen Anspruch
auf Deckung dieses Bedarfs hat, auch wenn der Mietvertrag -- wie üblich -- nur von einem Mitglied (hier der Mutter) abgeschlossen
worden ist.
Mit Rücksicht auf die genannten, in Rechtsprechung und Schrifttum geklärten Grundsätze hat die Sache weder grundsätzliche
Bedeutung im Sinne von §
124 Abs.
2 Nr.
3 VwGO noch weicht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung eines der in §
124 Abs.
2 Nr.
4 VwGO genannten Gerichte ab.
Auch der Zulassungsantrag des Antragsgegners bleibt erfolglos, weil die geltend gemachten ernstlichen Zweifel im Sinne von
§
146 Abs.
4 in Verbindung mit §
124 Abs.
2 Nr.
1 VwGO jedenfalls nicht bestehen. Über die Bezugnahme gemäß §
122 Abs.
2 Satz 3
VwGO auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts hinaus führt der Senat das Folgende aus:
Das Sparvermögen der Antragsteller zu 2) und 3) ist gemäß §§ 11 Abs. 1, 88 Abs. 1 BSHG nur zur Deckung ihres eigenen Bedarfs zu berücksichtigen, zur Deckung des Bedarfs der Antragstellerin zu 1) (der Mutter)
ist dieses Vermögen der Kinder nicht einzusetzen.
Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht deshalb als falsch, weil zu erwarten wäre, die Antragsteller zu 2) und
3) setzten das ihnen als Vermögen (1) zuzuordnende Guthaben aus Prämiensparverträgen nach § 16 S. 1 BSHG (2) ein, um den Lebensunterhalt ihrer Mutter, der Antragstellerin zu 1), sicherzustellen.
(1) Der Senat geht davon aus, dass es einer besonderen Abrede nicht bedarf, um demjenigen, auf dessen Namen ein Sparbuch lautet,
ein eigenständiges Forderungsrecht zu geben, wenn der Anlegende sich den Besitz am Sparbuch vorbehält. Bedenken gegen eine
dahingehende Auffassung (vgl. OVG Bautzen, Beschluß v. 30.10.1997 -- 2 S 235/95 --, FEVS 48, 199; OLG Köln, Urt. v. 24.4.1995 -- 16 U 120/94 --, MDR 1995, 1027) ergeben sich aus Sicht des Senats deshalb, weil derjenige, der seine Bank anweist, einen Betrag aus seinem Vermögen einem
fremden bestimmten Konto gutzuschreiben, mit der Ausführung der Weisung seine Rechte gegen die Bank in Bezug auf das Zugewendete
verliert und damit zugleich dem Kontoinhaber ein entsprechendes Recht gegen die Bank aus der Gutschrift verschafft (vgl. BGH
Urt. v. 2.2.1994 -- IV ZR 51/93 --, NJW 1994, 931). Dem steht auch nicht die Regelung des §
808 BGB entgegen (so OVG Bautzen a.a.O. S. 202). Das Sparbuch erlaubt danach als "hinkendes Legitimationspapier", Leistungen mit
schuldbefreiender Wirkung gegenüber dem Gläubiger der Forderung an denjenigen zu erbringen, der -- ohne Forderungsinhaber
zu sein -- die Forderung ganz oder teilweise geltend macht und dabei das Sparbuch vorlegt. Die Regelung wirkt deshalb im Rechtsverhältnis
zwischen Bank und Forderungsinhaber; für die Berechtigung an der Forderung ist der Besitz des Sparbuches unerheblich (vgl.
BHG a.a.O.). Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin zu 1) in den Verträgen Nr. 43942648 und 43943653 im Kontoeröffnungsformular
sogar ausdrücklich bestimmt, dass Gläubiger der Spareinlage der Kontoinhaber sein soll, sofern der Sparkasse nichts Gegenteiliges
bekannt ist (wofür sich Anhaltspunkte nicht ergeben).
Unberücksichtigt bliebe bei einer Zuordnung des Sparguthabens zum Vermögen der Antragstellerin zu 1) auch, dass das Guthaben
gerade auf einem Prämiensparvertrag angesammelt worden ist. Hierbei handelt es sich um eine Anlageform, die von der Finanzwirtschaft
angeboten worden ist, nachdem die ursprünglich durch das Spar-Prämiengesetz (vom 22.6.1979 BGBl. I S. 702) nach Maßgabe der Verordnung zur Durchführung des Sparprämiengesetzes (in der Fassung der Bekanntmachung vom 30.11.1982 BGBl.
I S. 1590) -- SparPDV -- vorgesehene Gewährung von Arbeitnehmersparzulagen durch die Neufassung der Förderungsbestimmungen in § 2 Abs.
1 Nr. 6, § 8, § 13 Abs. 2 des 5. Vermögensbildungsgesetzes (vom 19. 1.1989, BGBl. I S. 137) entfallen ist. Voraussetzung für die ursprüngliche gesetzliche Förderung dieser Anlageform war aber, dass der Sparvertrag
eine Verpflichtung des Prämiensparers zu wiederkehrenden Leistungen enthielt, § 2 Abs. 1 S. 1 SparPDV. Anleger und Kontoinhaber
mussten danach bei dieser Anlageform personenidentisch sein.
Sowohl nach zivilrechtlichen wie nach sozialhilferechtlichen Kriterien ist danach das Sparguthaben der Antragsteller zu 2)
und 3) ihnen selbst und nicht ihrer Mutter, der Antragstellerin zu 1), als Vermögen zuzuordnen, selbst wenn sie -- als deren
gesetzliche Vertreterin oder um die Verfügungsmöglichkeit der Berechtigten tatsächlich einzuschränken -- die Sparbücher in
ihrem Besitz behielt.
(2) Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt kann der Antragstellerin zu 1) auch nicht deshalb verwehrt werden, weil die Antragsteller
zu 2) und 3) über Vermögen verfügten, dessen Einsatz nach § 16 S. 1 BSHG erwartet werden könnte. Nach § 16 S. 1 BSHG wird vermutet, dass ein Hilfesuchender Leistungen zum Lebensunterhalt von einem Verwandten oder Verschwägerten erhält, mit
dem er in Haushaltsgemeinschaft lebt, soweit dies nach seinem Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. In der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 1.10.1998 -- 5 C 32.97 --, DVBl 1999, 458 = FEVS 49, 55 = DÖV 1999, 257) und des Senats (Urt. v. 28.2.1996 -- 4 L 7378/94 --; Urt. v. 21.8.1986 -- 4 OVG A 103/82 -- V.n.b. zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins von 1987, NDV 1987, 273; Beschluß v. 24.3.1999 -- 4 L 1157/97 -- V.n.b., zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins von 1995, NDV 1995, 1) ist geklärt, dass Unterhaltspflichtige nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger
in der Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen sind. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 24.3.1999 (a.a.O.) dabei auch zum
vom Sozialhilfeträger geforderten Einsatz von Vermögen zur Deckung des Lebensunterhalts einer Person Stellung genommen, der
der vermögende Verwandte nicht gesteigert unterhaltspflichtig war. Nach Auffassung des Senates (a.a.O.) ist der Einsatz des
Vermögensstammes orientiert an Ziffer 82 der Empfehlungen des Deutschen Vereins (von 1995 a.a.O.) jedenfalls dann zu erwarten
im Sinne von § 16 S. 1 BSHG, wenn nach vollständiger Deckung des Bedarfs des vermögenden Haushaltsmitgliedes der Vermögensstamm mehr als das Zehnfache
des durch § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 DVO zu § 88 Abs. 2 Nr. 8 geschützten kleinen Barbetrages ausmacht. Der vorliegende Rechtsstreit gibt dem Senat Gelegenheit, die Untergrenze
des "Mehrfachen" der geschützten kleine Barbeträge zu bestimmen.
Nach Auffassung des Senates ist ein Einsatz von Vermögen eines Verwandten dann nicht zu erwarten, wenn dessen Gesamtvermögen
das Fünffache des durch § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 DVO zu § 88 Abs. 2 Nr. 8 geschützten kleinen Barbetrages -- gegebenenfalls nach Abzug seines eigenen ungedeckten Lebensunterhalts --
nicht übersteigt. Bei der Bestimmung dieser Untergrenze des "Mehrfachen" im Sinne der Ziffer 82 der Empfehlungen des Deutschen
Vereins lässt sich der Senat von nachstehenden Erwägungen leiten: Der Wortlaut der Empfehlungen lässt als Untergrenze bereits
sprachlich nur das Dreifache der Beträge zu. "Mehr"fach heißt jedenfalls mehr als "ein"fach, und hätte (nur) der doppelte
Betrag empfohlen werden sollen, hätte nahegelegten, dies deutlich zu machen ("zwei"fach oder doppelt). Dem Gesetz selbst ist
als Hinweis nur die Begrenzung des Vermögenseinsatzes in § 88 Abs. 3 S. 3 BSHG zu entnehmen. Diese Regelung betrifft aber den Sonderfall des Vermögenseinsatzes von Behinderten, die Eingliederungshilfe
zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte erhalten. Als erkennbar auf eine bestimmte Fallkonstellation bezogene
Regelung ist es nicht möglich, diese Grenzziehung auf den Vermögenseinsatz nach § 16 Abs. 1 BSHG zu übertragen. Deutlich wird aber, dass die allgemeinere Grenze des zu erwartenden Vermögenseinsatzes deutlich unter der
gesetzlichen Zumutbarkeitsregelung des § 88 Abs. 3 S. 3 BSHG liegen muss. Nach Auffassung des Senats muss das "Mehrfache" auch im systematischen Zusammenhang mit den Regelungen über
den Einsatz des Einkommens bestimmt werden. Nach den neugefassten Empfehlungen des Deutschen Vereins ist bei der Berechnung
des Unterhalts bei nicht gesteigert Unterhaltspflichtigen von einem angemessenen Eigenbedarf in Höhe des zivilrechtlichen
"großen Selbstbehalts" von 1.600,- DM zuzüglich eines Zuschlages von 20% auszugehen. Der so bemessene Gesamtbetrag von 1.920,--
DM beträgt etwa (je nach Zuordnung der Wohnsitzgemeinde zu einer Mietenstufe nach der Anlage 1 zu § 1 Abs. 3 WoGV das Dreifache des Regelsatzes zuzüglich angemessener Unterkunftkosten. Sich zur Ausfüllung des Zumutbarkeitskriteriums an
diesem Multiplikator zu orientieren, ließe aber die dem nicht selbst Hilfebedürftigen angesonnene Besonderheit des Vermögenseinsatzes
unberücksichtigt: Während das Einkommen wiederkehr zufließt, was dazu führt, dass der Einsatz für den Lebensunterhalt des
Verwandten oder Verschwägerten auch wiederkehrend ausgeglichen wird, ist der Einsatz des Vermögens(stammes) naturgemäß nur
einmal möglich. Dies rechtfertigt es, an die Zumutbarkeit seines Einsatzes höhere Anforderungen zu stellen.
Übersteigt das Vermögen des nicht selbst hilfebedürftigen, mit dem Hilfesuchenden in häuslicher Gemeinschaft lebenden Verwandten
oder Verschwägerten -- ohne vorherigen Abzug des Betrages, der auch dann nicht einzusetzen wäre, wenn der Verpflichtete selbst
der Hilfe. bedürfte -- nicht das Fünffache des geschützten kleinen Barbetrages, kann der Einsatz des Vermögens zugunsten des
Hilfebedürftigen nicht nach § 16 S. 1 BSHG erwartet werden.
Nach diesen Grundsätzen kann im vorliegenden Fall nicht erwartet werden, dass die Antragsteller zu 2) und 3) ihr Guthaben
aus Prämiensparverträgen zum Lebensunterhalt ihrer Mutter -- der Antragstellerin zu 1) -- einsetzen: Nach den Berechnungen
des Beklagten (Bl 151 a BA) ist auf den Sparverträgen ein Guthaben von 28.200,- DM angesammelt, das beiden Antragstellern
zu gleichen Teilen zuzuordnen ist. Den Antragstellern stünde bei eigener Hilfebedürftigkeit nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m.
§ 1 Abs. 1 Nr. 3 DVO zu § 88 Abs. 2 Nr. 8 ein geschützter kleiner Barbetrag von jeweils 3.000,- DM zu (vgl. dazu: Senat Beschluß
v. 15.9. 1994 -- 4 O 4420/94 -- V. n. b.). Das ihnen jeweils zuzuordnende Vermögen von 14.100,- DM übersteigt danach nicht das Fünffache des Schonvermögens
von 15.000,- DM.
Da nicht geltend gemacht worden ist, dass die Rechtssache unter dem Gesichtspunkt des Einsatzes von Vermögen eines Haushaltsmitglieds
grundsätzliche Bedeutung habe, ist der Senat schon mangels Darlegung gehindert, die Beschwerde entsprechend §
124 Abs.
2 Nr.
3 VwGO zuzulassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
155 Abs.
1 Satz 1,
188 Satz 2
VwGO.
Nach §
166 VwGO i. V. m. den §§
114,
115,
119 Abs.
1 Satz 2,
121 Abs.
2 ZPO ist der Antragstellerin zu 1) Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr Verfahrensbevollmächtigter beizuordnen, soweit sie
sich gegen den Zulassungsantrag des Antragsgegners verteidigt; im übrigen ist ihr Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren
abzulehnen.
Diese Entscheidung ist gemäß §
152 Abs.
1 VwGO unanfechtbar: