Rückwirkende Feststellung eines höheren Grads der Behinderung und Zuerkennung des Merkzeichens G
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Merkmal eines substantiierten Beweisantrages
Gründe:
I
Der Kläger begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X rückwirkend die Feststellung eines höheren Grads der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung des Merkzeichens G.
Der Beklagte hatte beim Kläger zuletzt einen GdB von 50 festgestellt (Bescheid vom 21.10.1999). Im Jahr 2002 lehnte der Beklagte
erstmals einen Änderungsantrag des Klägers ab (Bescheid vom 11.3.2002, Widerspruchsbescheid vom 25.3.2002). Er legte dabei
weiterhin ua einen Einzel-GdB von 30 für eine seelische Erkrankung zugrunde. In 2008 beantragte der Kläger die Überprüfung
und rückwirkende Änderung des Bescheids aus dem Jahr 2002, was der Beklagte ebenfalls ablehnte (Bescheid vom 12.8.2008, Widerspruchsbescheid
vom 8.10.2008).
Die dagegen erhobene Klage blieb ebenso erfolglos wie die Berufung (SG Urteil vom 13.2.2012, Beschluss vom 30.7.2018). Der Bescheid vom 11.3.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.3.2002
sei im Erlasszeitpunkt rechtmäßig gewesen. Die medizinischen Unterlagen rechtfertigten auch aus heutiger Sicht keine andere
Einschätzung. Insbesondere habe der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Dr. K. in seinem Gutachten vom 24.3.2004 bezogen
auf einen Zeitraum seit Oktober 1999 einen GdB auf psychiatrischem Gebiet von 30 bestätigt.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für eine beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss
des LSG. Zur Begründung macht er Verfahrensfehler geltend.
II
Der PKH-Antrag des Klägers ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter
(§
73 Abs
4 SGG) in der Lage wäre, die von dem Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach zugelassen
werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - Anhaltspunkte dafür, dass er einen der
in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall
des Klägers hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Auch ist nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass der Kläger einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler
des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist.
Das gilt zunächst für die behauptete Verletzung des §
153 Abs
4 S 1
SGG und in diesem Zusammenhang des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter. Es erschließt sich nicht, warum der vom Kläger angeführte
Teilabhilfebescheid vom 3.7.2014 einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss entgegengestanden haben sollte. Der genannte
Bescheid hat lediglich den GdB des Klägers ab 2.5.2013 geregelt und ihm nicht die verlangte rückwirkende Überprüfung und Erhöhung
ab dem Jahr 2001 zugesprochen.
Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die erforderliche ordnungsgemäße Anhörung nach §
153 Abs
4 S 2
SGG unterblieben sein könnte. Anders als der Kläger meint, braucht sich das Gericht bei einer solchen Anhörung nicht auf den
Zeitpunkt des in Aussicht gestellten Beschlusses festzulegen; es hat den Beteiligten lediglich ausreichende Zeit zur Stellungnahme
einzuräumen (in der Regel nicht weniger als zwei Wochen, vgl BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7). Das hat das LSG getan, indem es die Beteiligten mit Schreiben vom 13.2.2018 angehört und eine
Stellungnahmefrist bis zum 6.3.2018 eingeräumt hat. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat diese Frist auch genutzt und
einen Schriftsatz übersandt. Die vom Kläger insoweit gerügte Gehörsverletzung erschließt sich nicht.
Auch im Übrigen ist eine solche Gehörsverletzung nicht ersichtlich. Der Kläger meint, indem das LSG erst kurz vor dem angegriffenen
Beschluss auf die Beiziehung weiterer Verfahrensakten hingewiesen habe, habe das Gericht es ihm verwehrt, sich zu deren Inhalt
zu äußern. Indes hätte der Kläger auch kurzfristig einen Antrag auf Akteneinsicht stellen können, entweder selbst oder durch
seine Prozessbevollmächtigte. Ebenso wenig liegt eine Gehörsverletzung hinsichtlich der vernichteten Gerichtsakte L 3 U 951/99, S 3 U 321/97 nahe. Es ist weder vorgebracht noch ersichtlich, welche entscheidungsrelevanten Inhalte dieser Akte noch hätten entnommen
werden können, um dem Rechtsstreit des Klägers eine andere Wendung zu geben. Insbesondere waren zeitnahe Arztberichte über
die Folgen der Knieverletzung des Klägers aus dem Jahr 1991 und nachfolgende Behandlungen bereits Gegenstand des Verwaltungsverfahrens
über die Feststellung der Schwerbehinderung des Klägers und der daran anschließenden Gerichtsverfahren.
Soweit der Kläger eine unterlassene Beweiserhebung über seinen Gesundheitszustand auf psychiatrischem/psychologischem und
orthopädischem/unfallchirurgischem Gebiet rügt, fehlt es bereits an einem prozessordnungsgemäßen, hinreichend genauen Beweisantrag.
Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese
Tatsache (vgl Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - Juris RdNr 11 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch
zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen
keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS 2012, 230; BSG Beschluss vom 19.11.2009 - B 13 R 303/09 B - BeckRS 2010, 65789, Juris RdNr 12).
Zwar hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 6.3.2018 ua die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens
über den Kläger beantragt. Aufgrund der seit 18 Jahren andauernden ambulanten Psychotherapie und seiner Biografie sei davon
auszugehen, dass er seit Mitte der Neunzigerjahre unter einer PTBS leide, möglicherweise initialisiert durch eine Knieverletzung
im Jahr 1991 und eine nachfolgende Konversionsneurose. Indes hatte der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid bereits eine
psychische Störung des Klägers mit einem - nicht unerheblichen - Einzel-GdB von 30 zugrunde gelegt. In dieser Prozesssituation
hätte ein hinreichend substantiierter Beweisantrag daher darlegen müssen, dass und warum eine Beweiserhebung eine psychische
Störung mit darüber hinausgehendem Krankheitswert weit zurück in die Vergangenheit ergeben hätte. Je mehr Aussagen von Sachverständigen
oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede
und Differenzierungen eingehen (Senatsbeschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - Juris RdNr 11 mwN).
Nichts anderes gilt, soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 9.2.2018 (S 347 LSG-Akte) ihren Beweisantrag
vom 2.5.2013 (S 226 LSG-Akte) auf Einholung eines Sachverständigengutachtens auf dem Gebiet der Orthopädie bzw Unfallchirurgie
wiederholt hat. Auch insoweit fehlt es an der Darlegung, warum eine erneute Begutachtung im Jahr 2013 rückwirkend andere Erkenntnisse
zu den vom Beklagten in der Vergangenheit anerkannten Kniegelenksveränderungen erbracht hätte. Dasselbe trifft zu für den
wiederholten Antrag auf Einholung eines HNO-Gutachtens über den dekompensierten Tinnitus des Klägers.
Unabhängig davon ist jedenfalls von der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren nicht dargetan worden und
auch sonst nicht ersichtlich, warum das LSG sich aktuell hätte zu weiterer Beweiserhebung gedrängt sehen müssen (vgl Senatsbeschluss
vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - Juris RdNr 14), obwohl es nach dem maßgeblichen Rechtsstandpunkt des LSG auf die Veränderungen des Gesundheitszustands
des Klägers bis zum Bescheiderlass im Jahr 2002 ankam. Für dessen Beurteilung konnte das Berufungsgericht sich auf die von
ihm herangezogenen Gutachten über den Kläger stützen. Insbesondere hatte der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Dr.
Kirn mit Gutachten vom 24.3.2004 bezogen auf einen Zeitraum seit Oktober 1999 einen GdB auf psychiatrischem Gebiet von 30
festgestellt. Allein der vage Hinweis auf eine mögliche Konversionsneurose und die langjährige Psychotherapie des Klägers
reichte vor diesem Hintergrund zur Begründung weiteren Ermittlungsbedarfs nicht aus.
Ebenfalls nicht dargetan ist weiterer, auf die Vergangenheit bezogener Ermittlungsbedarf hinsichtlich des Tinnitus des Klägers,
über den dem LSG ebenfalls bereits mehrere sachverständige Gutachten bzw auf Stellungnahmen vorlagen.
Dasselbe gilt für die Beurteilung des orthopädischen Sachverhalts durch das LSG, für den es sich auf ein Sachverständigengutachten
des Professor Dr. Schröter vom 10.1.2006 stützen konnte. Demzufolge ließ sich eine Veränderung der Verhältnisse zu der dem
Bescheid vom 21.10.1999 zugrunde liegenden Befundsituation nicht objektivieren. Auch die weiteren vom LSG herangezogenen medizinischen
Unterlagen rechtfertigten rückwirkend keine andere Beurteilung. Demgegenüber ist weiterer Ermittlungsbedarf weder vom Kläger
noch von seiner Prozessbevollmächtigten konkret dargetan worden. Dies gilt umso mehr, als der in Bezug genommene Beweisantrag
vom 2.5.2013 den angeblichen neuen Ermittlungsbedarf damit begründet, mittlerweile habe sich die Kniearthrose des Klägers
verschlimmert, obwohl Streitgegenstand die Überprüfung der Bescheide aus dem Jahr 2002 war.
Schließlich könnte auch eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG, für die ohnehin nichts ersichtlich ist, nicht mit Erfolg
als Revisionszulassungsgrund gerügt werden (vgl Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - Juris RdNr 14).
Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
121 ZPO).