Versagung voller Erwerbsminderungsrente
Bindung des Rentenversicherungsträgers an ein Aktenlagegutachten
Gründe:
I
Die Klägerin, die seit November 1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit bezog und seit dem 1.7.2012 Altersrente für schwerbehinderte
Menschen erhält, wendet sich gegen die Versagung von Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen unterlassener Mitwirkung bei
der Sachverhaltsaufklärung für die Zeit von September 2010 bis Juni 2012. Nachdem sie auf der Grundlage eines Aktenlagegutachtens
von Dr. S. im Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit (BA) vom 21.6.2010 ab 9.8.2010 nicht mehr als arbeitslos geführt
wurde, beantragte sie am 10.8.2010 - zum wiederholten Mal - die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Eine von
der Beklagten vorgesehene Untersuchung durch Dr. P. wie überhaupt eine Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung lehnte
die Klägerin ab, weil zu befürchten sei, dass die Gutachter keine Befunde über ihre Wirbelsäule erheben würden. Sie bezog
sich auf medizinische Unterlagen aus dem Verfahren über die Feststellung ihrer Schwerbehinderung sowie auf Unterlagen der
BA. Nachdem dem fachärztlichen Berater der Beklagten diese Unterlagen zur Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin
nicht ausgereicht hatten, beauftragte die Beklagte Dr. A. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens. Hierauf erklärte
die Klägerin, sie sei grundsätzlich bereit, sich einer fachärztlichen Untersuchung durch Prof. Dr. Sch. zu unterziehen; die
arbeitsmedizinische Begutachtung sei die einzig sachgerechte.
Nach vorheriger Anhörung versagte die Beklagte mit Bescheid vom 17.11.2010 die beantragte Rente wegen mangelnder Mitwirkung
der Klägerin bis zu deren Nachholung. Im anschließenden Widerspruchsverfahren lehnte die Klägerin vorgeschlagene Begutachtungen
durch Dr. B. und Prof. Dr. Dr. Bu. wegen deren fehlender Zusatzausbildung zum Arbeitsmediziner ab. Eine Begutachtung durch
den nunmehr mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens beauftragten Dr. M. lehnte sie ab, weil dieser telefonisch
mitgeteilt habe, dass er eine MRT-Aufnahme benötige; die Anfertigung einer solchen Aufnahme lehne sie aus gesundheitlichen
Gründen ab. Durch Widerspruchsbescheid vom 7.4.2011 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch der Klägerin zurück.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom 21.8.2012; Urteil des Landessozialgerichts [LSG]
vom 17.9.2014). Beide Gerichte haben die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Beklagte nicht gehalten sei, ihre Gutachterauswahl
näher zu begründen und dass § 96 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) den Rentenversicherungsträger nicht an die Ergebnisse eines Gutachtens des Ärztlichen Dienstes der BA binde. Eine Bindung
an dieses Gutachten über § 44a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) scheitere daran, dass keine Entscheidung der Einigungsstelle herbeigeführt worden sei, der widersprochen werden könne; zudem
fehle es an einer gesetzlichen Regelung, die die Bindungswirkung nach dieser Vorschrift auf die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung
erstrecke. Schließlich sei der Maßstab für Erwerbsfähigkeit im SGB II und im Rentenversicherungsrecht nicht identisch. Zur Feststellung des Leistungsvermögens der Klägerin sei deren klinisch-funktionelle
Untersuchung unumgänglich.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG richtet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
(PKH) und Beiordnung von Rechtsanwältin Bä. -, K., den sie im Wesentlichen damit begründet, sie sei ihrer Mitwirkungsobliegenheit
im Verfahren zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 44a iVm § 8 SGB II nachgekommen. Das Gutachten der BA vom 21.6.2010 weise aus, dass nur noch ein Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich
bestehe. Da ein Einigungsstellenverfahren nach § 44a SGB II nicht durchgeführt worden sei, habe die Beklagte auf Einwände gegen das Gutachten vom 21.6.2010 verzichtet. Es handele sich
damit um widerspruchslos gebliebene gemeinsame Feststellungen der BA und des Rentenversicherungsträgers.
II
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
Nach §
73a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) iVm §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist
hier nicht der Fall.
Gemäß §
160 Abs
2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung
des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr
3). Ein solcher Zulassungsgrund ist nach summarischer Prüfung des Streitstoffs nicht ersichtlich.
Es ist nicht erkennbar, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Frage einer - fehlenden - Bindung des Rentenversicherungsträgers an ein Aktenlagegutachten
des Ärztlichen Dienstes der BA lässt sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Denn nach §
145 Abs
1 S 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil sie wegen einer mehr als
sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen
nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der
Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinn der gesetzlichen Rentenversicherung
nicht festgestellt worden ist. Aus Satz 2 dieser Vorschrift ergibt sich, dass die Feststellung, ob eine verminderte Erwerbsfähigkeit
vorliegt, der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung trifft. Daraus wird deutlich, dass allein der Träger der
gesetzlichen Rentenversicherung - vorliegend die Beklagte - die Frage nach einer möglichen Leistungsminderung in rentenberechtigendem
Ausmaß verbindlich klärt.
Nicht anders ist vorliegend auch der Gang des Verwaltungsverfahrens gewesen: Die BA hat durch das Aktenlagegutachten der Frau
Dr. S. vom 21.6.2010 feststellen lassen, dass ihrer Ansicht nach eine Vermittelbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
aus gesundheitlichen Gründen voraussichtlich länger als sechs Monate nicht bestehen werde. Entsprechend der - reinen - "Indizwirkung"
dieses Gutachtens hat sie die Klägerin veranlasst, einen Rentenantrag bei der Beklagten zu stellen. Diese hat indes Aufklärungsbedarf
(§ 20 SGB X) durch Erstellung eines stationären orthopädischen Gutachtens gesehen, an dem mitzuwirken sich die Klägerin - letztlich wegen
des ihr vermeintlich günstigen Gutachtens der Frau Dr. S. .... - geweigert hat. Die Aufgabe der - verbindlichen - Klärung
der Leistungsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß oblag aber nach §
145 Abs
1 S 2
SGB III allein der Beklagten; die Mitwirkung bei der Sachaufklärung oblag der Klägerin.
Soweit die Klägerin Vorschriften des SGB II anführt (§§ 8, 44a SGB II), um eine vermeintliche Pflicht des Rentenversicherungsträgers zur verbindlichen Beachtung der Untersuchungsergebnisse dritter
Stellen herzuleiten, geht sie schon deswegen fehl, weil sie nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des LSG arbeitslos
und nicht Leistungsempfängerin nach dem SGB II - sondern Bezieherin einer Rente wegen Berufsunfähigkeit - war, sodass das SGB II auf sie keine Anwendung findet.
Dass das LSG von einer höchstrichterlichen Entscheidung abgewichen sein könnte (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG), ist weder ersichtlich noch wird dies von der Klägerin behauptet.
Ein zugelassener Prozessbevollmächtigter wird schließlich auch einen Verfahrensfehler des LSG (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht mit Erfolg rügen können. Insbesondere war das LSG nicht gehalten, aufgrund der anhaltenden Weigerung der Klägerin,
sich durch einen von der Beklagten benannten Gutachter untersuchen zu lassen, seinerseits in eine Sachaufklärung einzutreten.
Denn Gegenstand des Rechtsstreits war und ist allein die Rechtmäßigkeit des (bis zur Nachholung der Mitwirkungshandlung wirkenden)
Versagungsbescheids der Beklagten.
Soweit die Klägerin vermeintliche Fehler des LSG in der Beweiswürdigung anspricht, sei sie darauf hingewiesen, dass solche
Fehler von der Rügemöglichkeit im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausdrücklich ausgenommen sind (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2 iVm §
128 Abs
1 S 1
SGG).
Da der Klägerin hiernach PKH nicht zusteht, hat sie auch keinen Anspruch auf Beiordnung von Rechtsanwältin Bä., K., §
121 ZPO.