Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Angemessenheit der Wohnfläche in Bremen
Gründe:
I
Der Kläger begehrt von dem beklagten Jobcenter Leistungen für die Unterkunft und Heizung ausgehend von der von ihm tatsächlich
gezahlten Bruttokaltmiete nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der Kläger bewohnt seit dem Jahr 2001 eine 48 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung in Bremen-W, für die er eine Bruttokaltmiete von
378,24 Euro zu zahlen hat. Bis zum 31.12.2004 bezog er Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), als Kosten der Unterkunft waren 245 Euro anerkannt, nachdem eine ihm eingeräumte insgesamt achtmonatige Frist zur Beschaffung
einer sozialhilferechtlich angemessenen Wohnung abgelaufen war. Die Rechtsvorgängerin des jetzigen Beklagten (im Folgenden:
"Beklagter") bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 1.1. bis zum 30.6.2005 Leistungen nach dem SGB II, darunter 245 Euro für
die Unterkunft und 31 Euro für die Heizung monatlich (Bescheid vom 28.11.2004, Widerspruchsbescheid vom 2.5.2005).
Das Verwaltungsgericht (VG) Bremen - Kammer für Sozialgerichtssachen - hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 28.7.2006).
Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Beklagte am 22.11.2006 dem Kläger für die umstrittene Zeit Leistungen für die Unterkunft
in Höhe von 265 Euro monatlich bewilligt. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) der Freien Hansestadt Bremen - Senat für Sozialgerichtssachen
- hat unter Änderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1.1. bis zum 30.6.2005 Leistungen
nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 291,50 Euro zu bewilligen und die Berufung im
Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 18.2.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Streitgegenstand sei nur
die Bewilligung höherer Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, bei deren Prüfung in mehreren Schritten vorzugehen
sei (Hinweis auf BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2; BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3).
Die angemessene Wohnungsgröße für Ein-Personen-Haushalte reiche in der Stadt Bremen bis 48 qm nach der Neufassung der Richtlinien
zur Durchführung der vertraglich vereinbarten Förderung der Modernisierung von Mietwohnungen in der Freien Hansestadt Bremen
vom 10.5.2004 (Amtsblatt der Freien Hansestadt Bremen [Abl] 417). Der Wohnungsstandard müsse nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz
einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen. Der räumliche Vergleichsmaßstab sei so zu wählen, dass der Leistungsberechtigte
in seinem sozialen Umfeld verbleiben könne. Bei einer Großstadt wie Bremen mit rund 548 000 Einwohnern sei eine Differenzierung
geboten. Angemessen als räumlicher Vergleichsmaßstab sei vorliegend der Stadtbezirk Bremen-West, in dem der Stadtteil W liege,
in dem der Kläger wohne. In Bremen-West wohnten ca 88 600 Einwohner, er umfasse 15 Ortsteile, in denen ein Umzug zumutbar
sei und er sei im Hinblick auf Wohnbebauung und Mietniveau ähnlich strukturiert. Die Ortsteile seien durch öffentliche Verkehrsmittel
gut miteinander verbunden.
Für die Stadt Bremen liege weder ein einfacher noch ein qualifizierter Mietspiegel vor. Der Beklagte habe auch kein schlüssiges
Konzept zur Ermittlung des Mietniveaus für eine sozialrechtlich angemessene Wohnung für Ein-Personen-Haushalte im Stadtbezirk
Bremen-West erstellt. Das vom Beklagten vorgelegte Ergebnis einer Recherche aufgrund von Wohnungsanzeigen genüge den Anforderungen
für ein schlüssiges Konzept nicht. Dem "GEWOS-Gutachten", in dem eine umfassende Erhebung des Mietwohnungsbestandes in Bremen
erfolgt sei, könne der zu ermittelnde abstrakt angemessene Mietzins für den Stadtbezirk Bremen-West nicht entnommen werden,
denn die Angaben zum Mietniveau bezögen sich auf die ganze Stadt. Daher seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
([BSG] Hinweis auf die Urteile vom 7.11.2006, aaO) zur Bestimmung des abstrakt angemessenen Mietzinses die Werte der Tabelle
zu § 8 Wohngeldgesetz (in der Fassung des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954, im Folgenden: WoGG aF) zugrunde zu legen. Diese Werte seien durch die in den GEWOS-Gutachten über die Mietsituation in Bremen enthaltenen Erkenntnisse
zu modifizieren. Der Beklagte habe vorliegend bei der Bemessung der Leistung für die Unterkunft § 8 WoGG aF und die Mietstufe IV angewandt, aber nicht die äußere rechte Spalte (Bezugsfertigkeit ab 1.1.1992), sondern die zweite
von rechts (Bezugsfertigkeit vom 1.1.1966 bis zum 31.12.1991) und einen Betrag von 265 Euro als angemessen angesehen. Dem
könne aufgrund der Untersuchungen des GEWOS-Institutes nicht gefolgt werden, weil ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen
der Anzahl der nach dem SGB II hilfebedürftigen alleinstehenden Personen und dem Bestand an Wohnraum zu diesem Mietpreis vorgelegen
habe. Als angemessener Wohnungsbestand für Alleinstehende mit bis zu 50 qm seien insgesamt 16 100 Einheiten ermittelt worden,
von denen 13 100 bis 14 500 von Haushalten nach dem SGB II und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bewohnt wurden
und weitere 310 Wohnungen leer standen. Die Anzahl der nicht angemessen wohnenden Alleinstehenden habe 5000 bis 5500 Personen
betragen, für die folglich nur 1600 bis 3000 Wohnungen zur Verfügung gestanden hätten. Nach dem GEWOS-Gutachten und den Ausführungen
der Sachverständigen S würde sich durch eine Anhebung der Mietobergrenze um 10 vH die Anzahl der angemessenen Wohnungen von
16 100 auf 24 000 erhöhen und ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Nachfrage und angemessenem Wohnungsbestand für Alleinstehende
ergeben. Der angemessene Mietzins für den Kläger betrage daher monatlich (265 + 26,50 =) 291,50 Euro. Zwar beziehe sich das
GEWOS-Gutachten auf die gesamte Stadt Bremen, der Übertragung auf den Stadtbezirk West stünden aber keine durchgreifenden
Hinderungsgründe entgegen.
Entgegen der Ansicht des Klägers beinhalte § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954, im Folgenden: SGB II aF) keine Regel, nach der eine Absenkung der Unterkunftskosten
erst sechs Monate nach Bezug von Leistungen nach dem SGB II möglich sei. Für den Kläger habe die Möglichkeit eines Umzugs
bestanden, wie sich aus dem GEWOS-Gutachten und den Erläuterungen der Sachverständigen ergebe. Der Beklagte sei nicht verpflichtet
gewesen, ihm günstigen Wohnraum nachzuweisen. Vielmehr sei es eine Obliegenheit des Klägers gewesen, sich um eine angemessene
Unterkunft zu bemühen. Ein Umzug in eine kostengünstigere Wohnung sei dem Kläger auch zuzumuten gewesen. Dagegensprechende
Gründe seien weder vorgetragen worden, noch ersichtlich.
Mit der - vom BSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Nach den Feststellungen
des OVG liege für die Stadt Bremen kein einfacher und kein qualifizierter Mietspiegel vor, auch habe der Beklagte kein schlüssiges
Konzept zur Ermittlung des Mietniveaus. Demgemäß sei der Bemessung der Leistung für die Unterkunft des Klägers zumindest der
Mietzins nach der rechten Spalte in § 8 WoGG aF in Höhe von 325 Euro zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 %, also 357,50 Euro zugrunde zu legen (Hinweis ua auf
BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3). Wäre das OVG seiner Verpflichtung nachgekommen, der Bemessung der Leistung für die Unterkunft ein
schlüssiges Konzept zugrunde zu legen und sich ggf von dem Beklagten vorlegen zu lassen, hätte es den Beklagten verpflichten
müssen, die tatsächlichen Unterkunftskosten des Klägers zu übernehmen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 18. Februar 2009 und den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts
der Freien Hansestadt Bremen vom 28. Juli 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. Mai 2005 und den Bescheid vom 22. November 2006 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen für die
Unterkunft und die Heizung in Höhe von 423,24 Euro vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 monatlich zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Auf die Revision des Klägers ist das Urteil des OVG der Freien Hansestadt Bremen aufzuheben, weil der rechtlichen Auffassung
des OVG in mehreren Punkten nicht gefolgt werden kann. Der Rechtsstreit ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) zurückzuverweisen, weil eine endgültige Entscheidung seitens des BSG mangels
ausreichender Feststellungen nicht möglich ist.
Streitgegenstand des Verfahrens ist nach den Anträgen des Klägers in den Vorinstanzen die "Übernahme seiner tatsächlichen
Unterkunftskosten" und der diesen Anspruch regelnde Bescheid des Beklagten vom 28.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2.5.2005 und der im Laufe des Berufungsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 22.11.2006. Eine Beschränkung des Streitgegenstandes
auf die Leistungen für die Unterkunft und Heizung ist zulässig, soweit es sich bei der Verfügung über diese Leistungen um
eine abtrennbare Verfügung (Verwaltungsakt iS des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) des Gesamtbescheides handelt.
Eine weitere Aufspaltung des Streitgegenstandes in die Leistungen für die Unterkunft und für die Heizung ist rechtlich nicht
möglich, weil diese Leistungen eng miteinander verknüpft sind, zB über die Wohnungsgröße (vgl mit weiterer Begründung: BSG
vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 18 ff). Hierin hat sich durch die Neufassung des § 19 Abs 1 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung
von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453), das insofern
zum 1.1.2011 in Kraft getreten ist, zumindest für laufende Verfahren über frühere Bewilligungsabschnitte nichts geändert.
Die aufgezeigten Voraussetzungen für eine Beschränkung des Streitgegenstandes sind vorliegend erfüllt, weil insbesondere der
Widerspruchsbescheid eine abtrennbare Verfügung über die Leistung für die Unterkunft und Heizung enthält. Soweit der vor dem
VG und dem OVG nicht anwaltlich vertretene Kläger in seinen Sachanträgen "die tatsächlichen Unterkunftskosten" begehrt hat,
ist hierin bei sachgerechter Auslegung seiner Anträge (vgl §
123 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) keine Beschränkung des Streitgegenstandes und Ausschluss der Leistung für die Heizung zu sehen, sodass sich für die
streitgegenständliche Zeit aufgrund der tatsächlichen Bruttokaltmiete von 378,24 Euro plus des zu zahlenden Vorschusses für
die Heizung von 45 Euro ein Betrag von 423,24 Euro ergibt.
Ob der Kläger zu dem dem Grunde nach anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II gehört, kann nicht abschließend beurteilt
werden, weil das Urteil des OVG zu einigen Grundvoraussetzungen nach §7 Abs 1 Satz 1 SGB II (Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit)
keine Feststellungen hinsichtlich des Klägers enthält.
Die vorliegend umstrittenen Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht,
soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, das insofern vom 1.1.2005 bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht geändert
wurde). Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle
(ständige Rechtsprechung vgl nur BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 [München], jeweils RdNr 12 mwN). Zwischen der Leistung für die Unterkunft und der Leistung für die
Heizung ist zu unterscheiden, wie schon im Wortlaut der Vorschrift mit der Verwendung des Plurals Leistungen sowie der Rechtsprechung
des BSG zu entnehmen ist (BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 36/08 R - BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23; zuletzt BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 [Berlin] RdNr 18).
Die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistung für die Heizung kann vom Senat nicht beurteilt werden, weil das Urteil des OVG
insofern keine weitergehenden Feststellungen enthält, außer der dem Kläger von dem Beklagten bewilligten 31 Euro.
Der Kläger könnte gegen den Beklagten einen Anspruch auf eine höhere Leistungen für die Unterkunft (Nettokaltmiete plus kalte
Betriebskosten) als die ihm vom OVG zugesprochenen 291,50 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis zum 30.6.2005 haben, weil
die Herleitung des Betrags nicht frei von Rechtsfehlern ist.
Zur Ermittlung der Leistung für die Unterkunft, auf die der dem Grunde nach Leistungsberechtigte Anspruch hat, ist in mehreren
Schritten vorzugehen: Zunächst ist die angemessene Leistung für die Unterkunft unter Zugrundelegung der sogenannten Produkttheorie
in einem mehrstufigen Verfahren abstrakt zu ermitteln (dazu 1.). Dann ist - falls insofern vom Leistungsberechtigten Einwände
vorgebracht werden - zu prüfen, ob in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum eine solche abstrakt angemessene Wohnung auch
tatsächlich hätte angemietet werden können (dazu 2.). Soweit die Aufwendungen des Leistungsberechtigten für seine Unterkunft
die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft übersteigen, sind erstere solange zu berücksichtigen, wie es ihm nicht
möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken,
in der Regel längstens für sechs Monate (§ 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aF, der durch die Einführung des neuen Satzes 2 durch das
Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706, ohne inhaltliche Änderung zu
Satz 3 wurde; zu dieser Voraussetzung unter 3.; vgl zu allen Voraussetzungen ua BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 19 ff; BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 [München], jeweils RdNr 12 ff; BSG vom 20.8.2009 - B 14 AS 65/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 26; BSG vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27 [Essen]; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 29; zuletzt: BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 [Berlin] RdNr 20 ff).
1. Die Höhe der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft des Klägers kann aufgrund der Feststellungen des OVG nicht
beurteilt werden.
Die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft ist entsprechend der soeben aufgezeigten Rechtsprechung in einem mehrstufigen
Verfahren zu ermitteln: a) Zunächst ist die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen. b) Alsdann ist der maßgebliche örtliche
Vergleichsraum festzulegen. c) Im nächsten Schritt ist unter Berücksichtigung des angemessenen einfachen Wohnungsstandards
festzustellen, welche Nettokaltmiete pro qm Wohnfläche für die angemessene Wohnungsgröße auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen
Vergleichsraumes zu zahlen ist, um die nach der Produkttheorie angemessene Nettokaltmiete zu ermitteln. d) Zu der so ermittelten
Nettokaltmiete sind noch die kalten Betriebskosten hinzuzurechnen.
a) Die angemessene Wohnungsgröße beträgt für Alleinstehende in Bremen 48 qm.
Zur Festlegung der angemessenen Wohnfläche ist auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen
(ständige Rechtsprechung seit BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 19; zuletzt BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 [Berlin]). Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsbau verweisen § 27 Abs 4, § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13.9.2001 (BGBl I 2376, "Wohnraumförderungsgesetz", im Folgenden: WoFG) wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße auf die "Bestimmungen des jeweiligen Landes".
Nach den Feststellungen des OVG ist nach der Neufassung der Richtlinien zur Durchführung der vertraglich vereinbarten Förderung
der Modernisierung von Mietwohnungen in der Freien Hansestadt Bremen vom 20.5.2004 (Abl 417 ff) für einen Ein-Personen-Haushalt
eine Wohnungsgröße bis 48 qm angemessen. An diese Regelung für die Belegung von gefördertem Wohnraum ist für die Bestimmung
der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II aus den genannten Gründen anzuknüpfen.
b) Der für den Kläger maßgebliche örtliche Vergleichsraum kann nach den derzeitigen Feststellungen des OVG nicht auf den Stadtbezirk
Bremen-West beschränkt werden.
Zur Begründung dieses von ihm angenommenen örtlichen Vergleichsraums hat das OVG angeführt, dass bei einer Großstadt wie Bremen
mit rund 548 000 Einwohnern eine Differenzierung geboten sei. Das Mietniveau sei in den einzelnen Stadtteilen unterschiedlich
hoch, es gebe Stadtteile, in denen 77 % der Mietwohnungen auf geringem Niveau liegen.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist Ausgangspunkt für die Bestimmung des Vergleichsraumes zunächst der Wohnort des Leistungsberechtigten.
Der Vergleichsraum muss einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung umfassen, um ein entsprechendes Wohnungsangebot aufzuweisen
und die notwendigen abstrakten Ermittlungen zu ermöglichen. Des Weiteren muss er aufgrund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur,
insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit, einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden.
Das BSG hat als solche Vergleichsräume die Städte München mit rund 1,36 Mio Einwohnern (BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19) und Berlin mit rund 3,4 Mio Einwohnern angesehen (BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 24). Es hat darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung auf bestimmte Bezirke oder Ortsteile
mit besonders verdichteter Bebauung und damit vorwiegend günstigem Wohnraum das Risiko einer Gettoisierung birgt.
Dem folgend kann aus der Einwohnerzahl der Stadt Bremen kein zwingender Grund für eine weitere Unterteilung der Stadt abgeleitet
werden. Dagegen spricht vielmehr die Feststellung des OVG, in bestimmten Stadtteilen würden 77 % der Mietwohnungen auf geringem
Niveau liegen, was möglicherweise die Gefahr einer Gettoisierung birgt, und die weiteren Ausführungen des OVG zum maßgeblichen
Datenbestand, bei denen oftmals auf die gesamte Stadt Bremen zurückgegriffen wurde. Ob die Stadt Bremen insgesamt die Voraussetzungen
eines Vergleichsraumes erfüllt, wird das LSG zu prüfen haben.
c) Welche unter Berücksichtigung eines einfachen Wohnungsstandards angemessene Nettokaltmiete pro qm Wohnfläche auf dem Wohnungsmarkt
des maßgeblichen Vergleichsraumes für den Kläger zugrunde zu legen ist, kann aufgrund der Feststellungen des OVG nicht bestimmt
werden.
Unabhängig von der Beantwortung der Frage nach dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum (siehe zuvor) gibt es nach den Feststellungen
des OVG für die Stadt Bremen weder einen einfachen noch einen qualifizierten Mietspiegel, und der Beklagte hat auch kein schlüssiges
Konzept zur Ermittlung des Mietniveaus für eine angemessene Wohnung für Ein-Personen-Haushalte aufgestellt. Ob aus dem GEWOS-Gutachten,
das eine umfassende Erhebung des Mietwohnungsbestandes für die gesamte Stadt Bremen enthält, entsprechende Zahlen abgeleitet
werden können, ggf in Verbindung mit weiteren Ermittlungen (vgl zB die Anhörung der Sachverständigen S und ihre sehr differenzierten
Angaben zum Wohnungsbestand für Alleinstehende in Bremen), kann vom Senat mangels weiterer Feststellungen nicht beurteilt
werden (vgl auch BSG vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - RdNr 16).
Nur wenn es nicht möglich ist, auf diesem Wege eine angemessene Nettokaltmiete zu bestimmen, kann zur Ermittlung der Leistung
für die Unterkunft auf die Tabelle zu § 8 WoGG aF zurückgegriffen werden. Dieser Rückgriff auf § 8 WoGG führt jedoch nicht zu einem geeigneten Maßstab zur Bestimmung der angemessenen Leistung für die Unterkunft iS des § 22 SGB
II, sondern beinhaltet nur eine Angemessenheitsgrenze nach oben, weswegen auch die rechte Spalte in der Tabelle zugrunde zu
legen ist (BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2; BSG vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - RdNr 15; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 29 RdNr 21 f, 27).
Gegen ein "Mischverfahren" wie es das OVG angewandt hat, bei dem von Werten aus der Tabelle nach § 8 WoGG aF ausgegangen wird und diese aufgrund bestimmter lokaler Erkenntnisse verändert werden, um ein ausgeglichenes Verhältnis
zwischen Nachfrage und angemessenem Wohnungsbestand zu erreichen, spricht schon, dass ihm keine systematische Ermittlung der
angemessenen Nettokaltmiete zugrunde liegt. Offen bleibt zB, warum von den Werten der zweiten Spalte von rechts in der Tabelle
ausgegangen wird und nicht von denen in der ganz rechten oder dritten von rechts.
d) Feststellungen zu den abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten fehlen.
2. Ob in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum eine solche abstrakt angemessene Wohnung auch tatsächlich hätte gemietet
werden können, kann mangels entsprechender Feststellungen nicht beurteilt werden (vgl BSG vom 13.4.2011 - B 14 AS 106/10 R - [Freiburg], zur Veröffentlichung vorgesehen).
3. Ob die Aufwendungen des Klägers für seine Unterkunft (Bruttokaltmiete von 378,24 Euro), wenn sie die abstrakt angemessene
Leistung für seine Unterkunft übersteigen, nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aF zu berücksichtigen sind, weil es ihm nicht möglich
oder nicht zumutbar war, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, kann
ebenfalls nicht abschließend entschieden werden.
Das OVG hat insofern zu Recht auf die schon durch den Sozialhilfeträger erfolgten Kostensenkungsinformationen hingewiesen
(BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, jeweils RdNr 23; BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 24). Individuelle Gründe, die seitens des Klägers einer Kostensenkung entgegenstehen,
hat das OVG nicht festgestellt.
4. Der Rechtsstreit ist an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückzuverweisen. Zwar hat das OVG der Freien Hansestadt Bremen "das
Urteil erlassen" (vgl §
170 Abs
2 Satz 2
SGG am Ende) und nicht das LSG Niedersachsen-Bremen. Die früheren §§ 50a ff
SGG, nach denen aufgrund Landesrechts die Sozialgerichtsbarkeit in bestimmten sozialrechtlichen Materien durch besondere Spruchkörper
der Verwaltungsgerichte ausgeübt wurde (eingeführt durch Gesetz vom 9.12.2004, BGBl I 3302), sind jedoch mit Wirkung vom 1.1.2009
aufgehoben. Die Übergangsregelung in §
206 Abs
2 SGG sieht vor, dass Verfahren, die am 1.1.2009 bei den besonderen Spruchkörpern der Verwaltungsgerichte anhängig sind, bei diesen
anhängig bleiben und entsprechend der bisherigen Rechtslage fortgeführt werden; für Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung eines
besonderen Spruchkörpers, die nach dem 31.12.2008 ergehen, ist jedoch das LSG zuständig. Entsprechend dieser vom Gesetzgeber
getroffenen Regel, die anhängigen Verfahren in der jeweiligen Instanz in den besonderen Spruchkörpern zu belassen, nach Abschluss
einer Instanz diese aber der üblichen Zuständigkeitsregelung zu unterwerfen, ist nunmehr für das zurückverwiesene Verfahren
das LSG zuständig.
5. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.