Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Zulässigkeit der Erhebung von Mahngebühren bei der Einziehung von Forderungen
der Arbeitsgemeinschaft
Gründe:
I
Der Kläger wendet sich im Rahmen der Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen die Erhebung von Mahngebühren durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).
Die Arbeitsgemeinschaft Leipzig (ARGE) hob gegenüber dem Kläger mit einem Bescheid vom 2.8.2007 die Bewilligung von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September 2005 bis Januar 2007 auf und forderte von ihm einen Betrag
in Höhe von 5886,25 Euro zurück (3266,30 Euro Regelleistung und 2619,95 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Gegen
diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Die ARGE übergab sodann den Vorgang der Regionaldirektion Sachsen
der beklagten BA zur Einziehung der Forderung. Diese betreibt auf der Grundlage einer "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung
von Dienstleistungen 2007" vom 2./3.1.2007 verschiedene Aufgaben, die in einem Dienstleistungskatalog aufgelistet sind. Darunter
fällt auch der Einzug von Forderungen für die ARGE.
Mit Schreiben vom 3.8.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrags auf. Mit einem weiteren, mit
"Mahnung" überschriebenem Schriftstück vom 14.10.2007 wies die Beklagte den Kläger auf seine noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen
in Höhe von 5915,95 Euro hin. In dieser Summe enthalten war eine Position in Höhe von 29,70 Euro, die bezeichnet wurde: "Forderung:
Mahngebühren/Bescheid: 14.10.07 RD Sachsen".
Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 als unzulässig mit der Begründung,
bei der Mahnung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, da sie keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Vielmehr
werde nur noch über die bestehende Forderung sowie über weitere Zahlungsmodalitäten unterrichtet.
Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der sich der Kläger ausschließlich gegen die Erhebung der Mahngebühren wandte, hat das
Sozialgericht Leipzig die Festsetzung der Mahngebühren aufgehoben (Urteil vom 26.5.2009). Die Berufung der Beklagten ist ohne
Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 25.2.2010 ausgeführt, die
Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren durch die Beklagte um einen Verwaltungsakt
gehandelt habe. Auch wenn die Mahnung selbst lediglich als unselbstständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckung zu qualifizieren
sei, stelle die Festsetzung von Mahngebühren in bestimmter Höhe auf gesetzlicher Grundlage ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung
zur Regelung eines Einzelfalls dar. Allerdings sei die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Festsetzung von Mahngebühren nicht
befugt gewesen, da Inhaberin der Erstattungsforderung allein die ARGE sei. Aus der Übertragung von Aufgaben an die ARGE im
Rahmen des § 44b Abs 3 SGB II folge, dass die Beklagte als Trägerin der Grundsicherung bei der Vollstreckung von Forderungen der ARGE kein eigenes Geschäft
mehr wahrnehme. Dies gelte insbesondere für solche Forderungen, die auf den kommunalen Unterkunftsleistungen beruhten. In
diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob die 2007 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen der ARGE und der Beklagten
eine nach §§ 88 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zulässige Übertragung von Aufgaben darstelle, denn zum einen habe es die Beklagte versäumt, das Tätigwerden im fremden Auftrag
hinreichend deutlich zu machen, zum anderen hätte die Beklagte gemäß § 90 Satz 2 SGB X den Widerspruch der ARGE vorlegen müssen und habe nicht selbst über ihn entscheiden dürfen.
Die Beklagte hat die vom LSG in seinem Urteil zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 31 Satz 1, 89 Abs 1 und 90 Satz 2 SGB X. Sie vertritt die Auffassung, die Erhebung von Mahngebühren stelle keinen Verwaltungsakt dar. Insbesondere habe sie die Mahngebühr
nicht in einem formalisierten Verfahren festgesetzt, sondern zusammen mit der Mahnung sei die anfallende Mahngebühr, deren
Höhe sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, eingefordert worden. Auch die äußere Form der Mahnung spreche nicht für das Vorliegen
eines so genannten "Formverwaltungsakts". Darüber hinaus sei sie auf der Grundlage der mit der ARGE gemäß § 88 SGB X abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung auch zur Erhebung der Mahngebühren berechtigt gewesen. Auch könne die Rechtswidrigkeit
zumindest des Widerspruchsbescheids nicht aus § 90 Satz 2 SGB X hergeleitet werden, wonach die Widerspruchsstelle des Auftraggebers den Widerspruchsbescheid "erlässt", denn diese Regelung
sei als Sollvorschrift auszulegen, wie sich aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ergebe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. Mai
2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG im Hinblick auf die Verwaltungsaktqualität der Erhebung der Mahngebühren für zutreffend, weist
aber ergänzend darauf hin, dass er die zwischen der Beklagten und der ARGE getroffene Verwaltungsvereinbarung für rechtswidrig
halte.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn es bestehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler (dazu
unter 1.). Die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Festsetzung von Mahngebühren konnte mit der hier zulässigen Anfechtungsklage
angegriffen werden (dazu unter 2.). Bei der Entscheidung in der Sache hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht der Revision
kein Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, ob Mahngebühren durch eine ARGE auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts
des Bundes oder des der Länder erhoben werden dürfen (dazu unter 3.a), denn jedenfalls war die beklagte BA gegenüber dem Kläger
zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt (dazu unter 3.b).
1. Es liegt hier kein eine Sachentscheidung hindernder Verfahrensfehler darin, dass die ARGE dem Verfahren nicht beigeladen
wurde. Ein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden notwendigen Beiladung gemäß §
75 Abs
2 Alt 1
Sozialgerichtsgesetz ([SGG] vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris) ist vorliegend nicht gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung gegenüber
der Beklagten und gegenüber der ARGE nicht nur einheitlich ergehen kann. Eine einheitliche Entscheidung ist aus Rechtsgründen
notwendig, wenn die gerichtliche Entscheidung im Abweisungs- oder im Stattgabefall unmittelbar und zwangsläufig Rechte des
Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder feststellt, verändert oder aufhebt (vgl BSG Urteil vom 9.2.1994 - 11 RAr 49/93 - juris; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VI, RdNr 11a). Hieran fehlt es vorliegend,
weil die ARGE allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, ohne dass ihre Rechte durch die Entscheidung
zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden.
2. Zutreffend ist der Kläger gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit der Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 SGG) vorgegangen, deren besondere Voraussetzungen hier ebenfalls gegeben sind.
Bei der in der Mahnung vom 14.10.2007 enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß
§ 31 Satz 1 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Festsetzung von Mahngebühren enthält eine für den
betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung (vgl Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz
[VwVG/VwZG], 9. Aufl 2011, §
19 VwVG RdNr 7 und §
3 VwVG RdNr 8). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der bisherigen Revisionsrechtsprechung, denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bislang lediglich entschieden, dass die Mahnung selbst kein Verwaltungsakt sei, ohne dass die Erhebung einer Gebühr
für diese Mahnung Gegenstand der Verfahren gewesen wäre (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 7; dem folgend Bundesfinanzhof Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 [PKH] - juris RdNr 8). Auch der 12. Senat des BSG ist bereits im Rahmen einer Beitragsstreitigkeit von der Verwaltungsaktqualität einer Mahngebührenfestsetzung nach §
19 Abs
2 VwVG ausgegangen (BSG Urteil vom 23.11.1992 - 12 RK 23/90 - SozR 3-7910 § 59 Nr 1 S 4). Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, sie "fordere" nur, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe
und regele nichts, nicht durch. Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus dem Gesetz,
sondern setzt voraus, dass sie - wie es etwa in §
19 Abs
2 Satz 1
VwVG heißt - "erhoben" wird. Nach der entsprechenden landesrechtlichen Regelung, auf die sich die Beklagte alternativ beruft,
ist sogar nur ein entsprechender Gebührenrahmen festgelegt (der im Übrigen bei 25 Euro endet). Auf die Frage, ob es sich aufgrund
der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben um einen so genannten formellen Verwaltungsakt handelte, gegen den bereits
deshalb die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 75/06 R - juris), kommt es hier nicht mehr an.
Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen, insbesondere fehlt es nicht an den speziell für die
Anfechtungsklage geltenden Sachurteilsvoraussetzungen. Soweit zwischen den Beteiligten bislang streitig war, ob die Beklagte
zum Erlass des Widerspruchsbescheids befugt war (§ 90 Satz 2 SGB X), berührt dies das für die Anfechtungsklage nach §
78 Abs
1 Satz 1
SGG erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht (BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu §
85 SGG).
3. Das LSG hat der Anfechtungsklage auch zu Recht stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten über die Erhebung einer Mahngebühr
ist rechtswidrig.
Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom 14.10.2007 erhobenen Mahngebühren
§
19 Abs
2 VwVG iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X ist oder §
4 Abs
2 Sächsisches
Verwaltungsvollstreckungsgesetz (SächsVwVG) iVm §§ 1, 6 Sächsisches Verwaltungskostengesetz (SächsVwKG) und Nr 1 Tarifstelle 8.1 der Anlage 1 zu § 1 des Siebten Sächsischen Kostenverzeichnisses vom 24.5.2006 (SächsGVBl 189) iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 3 Satz 1 SGB X. Für die Verwaltungsvollstreckung und damit auch für die der Vollstreckung vorgelagerten Mahnung besteht jedenfalls keine
Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB X (Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 66 RdNr 23; speziell zur Mahngebühr Augstein/App, KKZ 2002, 7). Die Frage nach der Anwendung von Bundes- oder Landesrecht bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil der Verwaltungsakt
vom 14.10.2007 ohnehin (formell) rechtswidrig ist. Die Beklagte war nämlich nach beiden Rechtsgrundlagen zur Erhebung von
Mahngebühren nicht befugt, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte (dazu unter a). Dieser Mangel, an dem der Verwaltungsakt
zur Erhebung der Mahngebühren leidet, führt zu dessen Aufhebung (dazu unter b).
a) Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes war für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde,
die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl §
3 Abs
3,
4 iVm §
19 Abs
2 VwVG). Wie sich aus den - den Senat insoweit nach §
162 SGG bindenden - Feststellungen des LSG ergibt, gilt Gleiches nach den entsprechenden Regelungen des sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts
(vgl § 13 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Satz 2 SächsVwVG sowie §§ 1, 6 SächsVwKG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Beklagte für die Erhebung von Mahngebühren zuständig
geblieben ist (aa). Etwas anderes folgt auch nicht aus der abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (bb). Ebenso wenig kann
die sachliche Zuständigkeit der Beklagten aus der entsprechenden Anwendung des § 88 SGB X hergeleitet werden (cc).
aa) Die Beklagte ist nicht befugt, einzelne Aufgabenbereiche im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne entsprechende
gesetzliche Grundlage in eigener Zuständigkeit auszuüben. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Beklagten um einen
der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich die BA und die kreisfreien Städte und Kreise (vgl auch §
12 Satz 1, § 19a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch [SGB I]). Trotz ihrer Trägereigenschaft war es der beklagten BA
verwehrt, gegenüber dem Kläger in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und der ARGE
bestimmte sich allein nach § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF, wonach die ARGE "die Aufgaben" der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahrnahm. Dabei sollte die ARGE die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (BVerfGE
119, 331, 368 mwN). Die Übertragung einzelner Aufgaben durch die Träger kollidiert mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung
der Aufgaben nach dem SGB II (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II; vgl Luthe, SGb 2011, 131, 138) und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine Art "Selbsteintrittsrecht" der Grundsicherungsträger
sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Selbsteintrittsrecht
nie ein Tätigwerden im Leistungsbereich des jeweils anderen Trägers rechtfertigen könnte. Ein einheitlicher Forderungseinzug
erfordert aber regelmäßig ein solches Tätigwerden in einem anderen Leistungsbereich. Letztlich geht auch die Beklagte (zu
Recht) davon aus, sie sei als Leistungsträgerin nicht bereits originär zuständig gewesen, denn in diesem Fall hätte es nicht
der Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen der ARGE und ihr bedurft, um im Rahmen des Forderungseinzugs tätig zu
werden.
bb) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich aber auch nicht aus § 1 der hier geschlossenen Verwaltungsvereinbarung
zur Erbringung von Dienstleistungen 2007 vom 2./3.1.2007 iVm dem dort in Bezug genommenen Dienstleistungskatalog, der auch
die Dienstleistung "Forderungseinzug" beinhaltet, iVm §§ 88 bis 90 SGB X herleiten. Dass die Übertragung von Aufgaben auf andere Leistungsträger oder auf Dritte einer gesetzlichen Grundlage bedarf,
folgt aus der grundsätzlich fehlenden Disponibilität der Zuständigkeitsregelungen für den Fall, dass hierdurch die Rechtssphäre
des Bürgers berührt wird (vgl Steinbach in Hauck/Noftz, Stand 2007, § 88 SGB X RdNr 1 mwN), was hier der Fall ist.
Nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGB X, der im Rahmen der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander das Auftragsverhältnis regelt,
kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter)
mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten
zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist.
Die Anwendung des § 88 SGB X scheitert aber bereits daran, dass diese Norm nach ihrem Wortlaut auf die Beauftragung der Beklagten durch die ARGE keine
Anwendung findet, denn das Gesetz erlaubt es nur einem Leistungsträger iS von §
12 SGB I, als Auftraggeber einen Auftragsvertrag zu schließen (vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 88 SGB X RdNr 19). Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II aF waren aber selbst nicht Leistungsträger (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20). Sie wurden vielmehr von den Trägern gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II aF zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch Vertrag errichtet. Gemäß § 44b Abs 3 SGB II aF nahm die ARGE die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger sollten der ARGE die Wahrnehmung ihrer Aufgaben übertragen. Wegen der fehlenden Leistungsträgereigenschaft
der ARGE war es ihr verwehrt, auf der Grundlage des § 88 Abs 1 SGB X ihre Aufgaben durch die Beklagte wahrnehmen zu lassen.
cc) Auch eine entsprechende Anwendung des § 88 SGB X auf den vorliegenden Fall einer Rückübertragung von Aufgaben von einer nach § 44b SGB II aF errichteten ARGE als (Misch-) Behörde auf einen ihrer beiden Leistungsträger scheidet aus. Dagegen spricht bereits die
auch verfassungsrechtlich geforderte klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeit (vgl hierzu BVerfGE 119, 331, 366), die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordert wie sie inzwischen mit § 44b Abs 4 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112)
iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II und § 44b Abs 5 SGB II auch geschaffen worden ist. Zum anderen besteht bei der "Redelegation" von der ARGE zu einem ihrer Träger die besondere Problematik
der Teilidentität der Beteiligten, die einem Vertrag als mehrseitigem Rechtsgeschäft grundsätzlich fremd ist (vgl zur Rechtsnatur
der Beauftragung nach § 88 SGB X als koordinationsrechtlichem Vertrag BSGE 69, 238, 240 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2). Auch um Interessenskollisionen vorzubeugen, bedarf es daher einer verfahrensmäßigen Absicherung einer solchen Aufgabenwahrnehmung.
Gegen die Möglichkeit der Arbeitsgemeinschaften, ihre Leistungsträger gemäß § 88 SGB X mit einzelnen Aufgaben zu beauftragen, spricht zuletzt auch, dass § 44b SGB II aF zwar durchaus von einer (entsprechenden) Anwendung der Auftragsregelungen nach §§ 88 ff SGB X ausging, dies aber allein im umgekehrten Verhältnis. Nach § 94 Abs 4 SGB X gelten § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X für ARGE'en, die nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB X iVm § 44b SGB II aF von den Leistungsträgern nach dem SGB II gegründet werden, entsprechend. Dabei ordnete § 44b Abs 3 Satz 2 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich an, dass § 88 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben muss, nicht galt.
Für die Zulässigkeit einer vertraglichen Aufgabenübertragung im hier maßgeblichen Zeitraum kann auch die zwischenzeitlich
in § 44b Abs 4 SGB II ergangene Neuregelung nicht fruchtbar gemacht werden. Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der
CDU/CSU, SPD und FDP, § 44b Abs 4 SGB II "stellt klar", dass die gemeinsame Einrichtung einzelne ihrer Aufgaben von den Trägern wahrnehmen lassen könne (BT-Drucks
17/1555, 24; wortgleich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, vgl BR-Drucks 226/10, 37 f). Es ist aber nicht zu erkennen,
worauf sich die Annahme, es handele sich lediglich um eine Klarstellung, gründet. Die Gesetzesbegründung macht im selben Zusammenhang
zudem deutlich, dass erst durch die Neuregelung "die Möglichkeit eröffnet werden" sollte, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich
auf die Leistungsträger zu übertragen (BT-Drucks, aaO).
b) Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten zur Erhebung der Mahngebühren führt zur Aufhebung des Verwaltungsakts
vom 14.10.2007. Da der Kläger allein einen Anfechtungsantrag gestellt hat, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung,
ob der Verwaltungsakt gemäß § 40 SGB X an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass er nichtig ist (BSGE 17, 139, 142; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 14a; vgl zur Frage der Nichtigkeit im Falle einer sachlichen Unzuständigkeit auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 6 f mwN). Auf die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und bloßer Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts kommt es vorliegend
auch deshalb nicht an, weil die Aufhebbarkeit des (formell) rechtswidrigen Bescheids nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen
ist. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört weder zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, noch zu den Fehlern, deretwegen nach § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann (BSG SozR 3-3300 § 20 Nr 5 S 22). Insofern ist allein festzustellen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers jedenfalls begründet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.