Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge
Funktion eines Beweisantrages
Inhaltliche Anforderungen an einen Beweisantrag in einem Rentenverfahren
Gründe:
Mit Urteil vom 27.7.2016 hat das Bayerische LSG einen Anspruch des Klägers auf Leistung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
abgelehnt und seine Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg zurückgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensfehler und trägt vor, das LSG hätte nach zwei von ihm gestellten Beweisanträgen eine
weitere Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung durchführen müssen und habe damit seine Pflicht nach §
103 SGG verletzt.
Für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwältin
S. T. beantragt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG nicht dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Soweit - wie vorliegend - Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) gerügt werden, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht
ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund
derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag
berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses
der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft
unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme
von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (BSG SozR 4-1500 §
160a Nr 3 RdNr 5 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Aufl 2014, §
160a RdNr 55). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
1. Der Kläger verweist zunächst auf seinen zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG erfolglos gestellten Antrag,
"zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger seit mindestens Mai 2008 außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes einer Tätigkeit von drei Stunden oder länger bzw. von drei Stunden bis unter sechs Stunden nachzugehen, ein
neurologisch-psychiatrischen und ein orthopädisches Sachverständigengutachten mit persönlicher Untersuchung des Klägers [...]
einzuholen."
Es fehlt bereits an der Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags. Der Kläger formuliert als "Beweisthema" letztlich
den abstrakt-generellen Tatbestand von §
43 Abs
1 S 2 und Abs
2 S 2
SGB VI und erstrebt damit im Ergebnis, dass anstelle der hierzu allein berufenen Richter (Art
92 Halbs 1
GG) unzulässigerweise den Sachverständigen die Frage nach der Begründetheit der Klage zugewiesen wird. Ein Beweisantrag muss
demgegenüber seiner Funktion nach darauf gerichtet sein, den Richtern des Tatsachengerichts die Überzeugung (§
128 Abs
1 S 1
SGG) vom Vorliegen bestimmter, aus deren maßgeblicher Sicht rechtlich relevanter Umstände zu vermitteln, die geeignet sind, im
Rahmen der Gesamtwürdigung des Verfahrensergebnisses die Formulierung des subsumtionsfähigen Untersatzes zu beeinflussen.
Im Rahmen eines Rentenverfahrens muss sich der Beweisantrag möglichst präzise mit dem Einfluss dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen
auf das verbliebene Leistungsvermögen befassen. Ein Antrag, der lediglich zum Ziel hat, eine andere (Leistungs-)Beurteilung
aufgrund der bereits geklärten Tatsachen oder eine andere Diagnosestellung zu erreichen, erfüllt diese Anforderungen grundsätzlich
nicht. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist die Behauptung einer bestimmten entscheidungserheblichen Tatsache und die Angabe
des Beweismittels für diese (zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN, RdNr 8). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger hat zudem auch die Tatsachen, aus denen sich wegen Verkennung weiteren Aufklärungsbedarfs ein Verstoß gegen die
tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) ergeben soll, nicht hinreichend substantiiert dargetan. Aus der Beschwerdebegründung wird schon nicht ersichtlich, dass
das Leistungsvermögen des Klägers "seit mindestens Mai 2008" nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG noch als klärungsbedürftig
hätte erscheinen müssen, obwohl dieses davon ausging, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch
auf Leistung einer Erwerbsminderungsrente zuletzt bei einem Leistungsfall spätestens am 30.6.2008 erfüllt waren, sodass sich
weiterer Ermittlungsbedarf jedenfalls für die Zeit ab 1.7.2008 nicht aufdrängte. Auch bleibt nach der Beschwerdebegründung
unklar, aufgrund welcher Tatumstände eine Begutachtung "mit persönlicher Untersuchung des Klägers" (vom Kläger erstmals beantragt
mit Schriftsatz vom 8.10.2013) mehr als fünf Jahre später veranlasst gewesen wäre. Der Kläger gibt die vom LSG in seinem Urteil
aufgeführten ärztlichen Befunde und Gutachten aus den Jahren 2006 bis 2008 wieder, ohne einen sich daraus aus der Sicht des
Tatsachengerichts konkret ergebenden Sachaufklärungsbedarf zu begründen. Der Vortrag des Klägers, das LSG setze sich "mit
der Bedeutung dieser auf persönlicher Untersuchung beruhenden Berichte" nicht auseinander, genügt dafür schon deshalb nicht,
weil §
160a Abs
2 S 3
SGG es ausdrücklich dem Beschwerdeführer auferlegt, seinerseits die den Verfahrensmangel begründenden Umstände - und folglich
auch fiktiv den notwendig mit der begehrten weiteren Beweisaufnahme endenden Entscheidungsgang des LSG einschließlich der
jeweils gebotenen Schlussfolgerungen und ihrer Grundlagen - zu "bezeichnen". Dies gilt auch in Bezug auf die Aussagen des
Sachverständigen Dr. M .
Soweit der Kläger des Weiteren beantragt hat, "erforderlichenfalls ein Gesamtgutachten auf Basis dieser Gutachten einzuholen",
bezeichnet er ebenfalls nicht ausreichend einen vorliegenden Verfahrensmangel (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Ein Tatsachengericht, das mehrere Gutachten aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen eingeholt hat, ist allenfalls
(und auch erst) dann verpflichtet, einen Sachverständigen zusätzlich mit einer Gesamtbeurteilung aller bereits vorliegenden
Gutachtenergebnisse zu beauftragen, wenn sich die aus der Sicht der Fachgebiete jeweils festgestellten Defizite überschneiden
und ggf potenzieren können (stRspr, zB Senatsurteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 24/03 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 3 RdNr 22 und Senatsbeschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B - Juris RdNr 9 sowie BSG Beschlüsse vom 5.9.2013 - B 13 R 203/13 B - Juris RdNr 12 und vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - Juris RdNr 13). Da sich aus dem Beschwerdevorbringen schon nicht schlüssig ergibt, dass das LSG die vom Kläger zunächst
beantragten Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischen und auf orthopädischem Fachgebiet einzuholen gehabt
hätte, kann sich in der Folge erst recht nicht das "Erfordernis" ergeben, "auf Basis dieser Gutachten" weitere Entscheidung
über die Einholung eines "Gesamtgutachtens" zu treffen.
2. Auch mit dem Hinweis auf den zweiten, in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellten Antrag "Ich beantrage zum Beweis
der Tatsache, dass die Leistungen, die der Klägers seit Juni 2006 vom portugiesischen Staat erhält, Leistungen bei Arbeitslosigkeit
bzw. bei Krankheit darstellen, eine Auskunft des portugiesischen Leistungsträgers einzuholen." hat der Kläger schon keinen
prozessordnungsgemäßen Beweisantrag aufgezeigt (vgl hierzu BSG SozR 1500 §
160 Nr 45), den das Berufungsgericht unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) übergangen haben könnte. Die Beschwerdebegründung legt selbst die Rechtsauffassung des LSG dar, dass (europa-)rechtliche
Voraussetzung für die Berücksichtigungsfähigkeit eines Aufschubtatbestandes dessen Feststellung durch den hierfür rechtlich
allein zuständigen Träger des jeweiligen ausländischen Mitgliedsstaates ist. Hiervon notwendig ausgehend wird mit dem Begehren
eine "Auskunft" des - nicht benannten - Trägers zu nicht näher bestimmten rentenrechtlichen Zeiten des portugiesischen Rechts
einzuholen, bereits kein Beweismittel benannt, das als Grundlage für die Gewinnung einer Überzeugung vom Vorliegen einer rechtlich
relevanten Tatsache in Betracht kommen könnte. Die Beschwerdebegründung setzt daher - insofern folgerichtig - der Rechtsmeinung
des LSG unter Hinweis auf weitere Normen des koordinierenden Verordnungsrechts ihrerseits im Wesentlichen nur eine eigene
abweichende Auffassung zur rechtlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Aufschubzeiten entgegen. Die Überprüfung der Rechtsanwendung
des Berufungsgerichts kann jedoch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde generell nicht erreicht werden und bleibt auch
bei möglicherweise naheliegenden Rechtsanwendungsfehlern der (statthaften und zulässig eingelegten) Revision vorbehalten.
Für die vom Kläger in seiner Beschwerdebegründung wiedergegebenen Ausführungen im Schriftsatz an das LSG vom 8.10.2013, wonach
der Kläger "Leistungen vergleichbar den Leistungen nach dem deutschen SGB II, jedenfalls aber aufgrund der Tatsache der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit bezieht", gilt ungeachtet ihrer nicht wenigstens
behaupteten Wiederholung in der mündlichen Verhandlung nicht anderes.
3. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann dem Kläger für das Beschwerdeverfahren
vor dem BSG PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht gewährt werden (vgl §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 ZPO).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.