Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung beim Bezug von Vorruhestandsgeld
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin wegen des Bezuges von Vorruhestandsgeld in der gesetzlichen Krankenversicherung
pflichtversichert ist.
Die Klägerin war bei der Beigeladenen zu 2. (im Folgenden: Arbeitgeberin) als Flugbegleiterin beschäftigt und in dieser Beschäftigung
zuletzt in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund eines
Aufhebungsvertrages vom 7.10.1992 zum 31.3.1993. In diesem Vertrag war ua vereinbart, dass die Arbeitgeberin der Klägerin
mit Vollendung des 53. Lebensjahres und damit erstmals ab Januar 1998 Vorruhestandsbezüge in Höhe von 60 vH des zuletzt gezahlten
Grundgehaltes einschließlich des anteiligen 13. Gehaltes und des Urlaubsgeldes bis zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Beantragung
von Altersruhegeld zahlen sollte. Darüber hinaus verpflichtete sich die Arbeitgeberin, die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge
zu tragen. Vom 1.4.1993 bis 31.12.1997 bezog die Klägerin Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wegen Arbeitslosigkeit. Ab 1.1.1998 erhielt sie von der Arbeitgeberin monatliche Zahlungen in Höhe von 3.501,00 DM brutto.
Auf Antrag der Arbeitgeberin stellte die beklagte Krankenkasse mit Bescheid vom 14.11.2001 fest, dass die Klägerin ab 1.1.1998
nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie in der gesetzlichen
Rentenversicherung unterlegen habe. Sie sei nicht aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Es handele sich damit bei den monatlichen
Zahlungen nicht um die Versicherungspflicht begründende Vorruhestandsleistungen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.2.2004 wies
die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück, weil auch unmittelbar vor Beginn der Zahlungen keine Versicherungspflicht
aufgrund einer Beschäftigung bestanden habe und es an einer Vereinbarung über das endgültige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.3.1993 fehle.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 16.3.2006 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil
des SG und die angefochtenen Bescheide geändert und festgestellt, dass die Klägerin vom 1.1.1998 bis zum 31.1.2005 der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund des Bezuges von Vorruhestandsgeld unterlegen habe. Im Übrigen hat es die Berufung
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Klägerin sei bei Beginn der Zahlungen der Arbeitgeberin endgültig
aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Auch sei sie aufgrund des Bezuges von Leistungen nach dem AFG unmittelbar vor dem Zahlungsbeginn sozialversicherungspflichtig gewesen. In der gesetzlichen Kranken- und in der sozialen
Pflegeversicherung sei jedoch keine Versicherungspflicht eingetreten, weil die Vorruhestandsleistungen von 3.501,00 DM monatlich
nicht die erforderliche Höhe von 65 vH des letzten Bruttoarbeitsentgelts der Klägerin, nämlich 3.757,86 DM, erreicht hätten.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) sowie die Verletzung des §
5 Abs 3
SGB V. Das LSG sei anhand eines in den beigezogenen Akten der beklagten Krankenkasse abgehefteten Entgeltnachweises für 1993 von
einem unzutreffenden Bruttoentgelt ausgegangen. Sie habe nicht damit rechnen können, dass das LSG den Inhalt des von ihr erstrittenen,
im Klageverfahren eingereichten und in den Gerichtsakten enthaltenen Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main unbeachtet
lassen würde, aus dem sich ihr tatsächliches monatliches Bruttogehalt ergebe. Danach hätten die als Vorruhestandsgeld geleisteten
Zahlungen den erforderlichen Betrag von 65 vH des regelmäßigen Bruttoentgelts überschritten. Unerheblich sei, dass sie sich
vor Beginn der Zahlungen arbeitslos gemeldet habe. Als erforderliche unmittelbar vorher bestehende Krankenversicherungspflicht
genüge eine solche aufgrund des Bezuges von Leistungen nach dem AFG.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31.7.2007 abzuändern, das Urteils des Sozialgerichts Berlin vom
16.3.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 14.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2004 in vollem Umfang
aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in der Zeit vom 1.1.1998 bis zum 31.1.2005 in der gesetzlichen Krankenversicherung
pflichtversichert war.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Zwar habe das LSG das maßgebliche regelmäßige Bruttomonatsentgelt
unzutreffend berechnet, hierauf komme es jedoch nicht an, weil nicht alle übrigen Voraussetzungen für die Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt seien. Weder sei das endgültige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vereinbart
worden noch sei die Klägerin zuletzt in ihrem Beschäftigungsverhältnis in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert
gewesen.
Der beigeladene Rentenversicherungsträger und die beigeladene Arbeitgeberin stellen keine Anträge und haben sich in der Sache
nicht geäußert.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG ihre Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, soweit die Klagen die Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung betreffen.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Klage gegen den Bescheid vom 14.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20.2.2004 sowie das Feststellungsbegehren der Klägerin, soweit diese Klagen die Feststellung der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Krankenversicherung betreffen. Soweit in den Bescheiden auch eine Regelung zur Versicherungspflicht in
der gesetzlichen Rentenversicherung getroffen worden ist, hat das LSG die Bescheide teilweise aufgehoben und Versicherungspflicht
in der Rentenversicherung festgestellt. Da in diesem Umfang das Urteil des LSG nicht mit der Revision angegriffen worden ist,
ist es insoweit rechtskräftig geworden. Hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung
hat die Klägerin ihr Anfechtungs- und Feststellungsbegehren im Revisionsverfahren nicht mehr aufrechterhalten.
2. Die Beklagte hat zutreffend das Nichtbestehen von Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt.
Für den Erlass der angegriffenen Bescheide war die beklagte Krankenkasse zuständig. Sie hatte über das Bestehen oder Nichtbestehen
der Versicherungspflicht aufgrund des von der Klägerin behaupteten Bezuges von Vorruhestandsleistungen in der gesetzlichen
Krankenversicherung als zuständige Einzugsstelle nach §§ 28i, 28h Abs
2 SGB IV zu entscheiden, weil gemäß §
5 Abs
3 SGB V die Bezieher von Vorruhestandsleistungen den gegen Entgelt beschäftigten Versicherten gleichgestellt werden. Die Voraussetzungen
der hier allein für eine Versicherungspflicht in Betracht kommenden Vorschrift des §
5 Abs
3 SGB V erfüllt die Klägerin nicht.
In der gesetzlichen Krankenversicherung sind nach §
5 Abs
3 SGB V iVm §
5 Abs
1 Nr
1 SGB V versicherungspflichtig Bezieher von Vorruhestandsgeld, wenn sie unmittelbar vor Bezug des Vorruhestandsgeldes versicherungspflichtig
waren und das Vorruhestandsgeld mindestens in Höhe von 65 vH des Bruttoarbeitsentgelts iS des § 3 Abs 2 des Gesetzes zur Förderung von Vorruhestandsleistungen (Vorruhestandsgesetz - VRG -, in Kraft gesetzt zum 1.5.1984 durch Art 1 des Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand vom 13.4.1984, BGBl I 601) gezahlt wird. Krankenversicherungspflicht
beim Bezug von Vorruhestandsleistungen iS des VRG kann weiter bestehen, auch nachdem Vorruhestandsvereinbarungen nicht mehr durch Zuschüsse nach dem VRG gefördert werden (vgl zur Rentenversicherungspflicht Urteil des Senats vom 24.9.2008, B 12 R 10/07 R mwN, SozR 4-2600 § 3 Nr 4). Die Versicherungspflicht setzt dabei voraus, dass eine Vereinbarung der Vertragsparteien über
das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Grundlage für die Zahlung der als Vorruhestandsgeld bezeichneten Leistungen ist, die
Zahlung 65 vH des bisherigen Bruttoarbeitsentgeltes erreicht und unmittelbar vor dem Bezug des Vorruhestandsgeldes Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Krankenversicherung bestand.
Versicherungspflicht unmittelbar vor dem Bezug des Vorruhestandsgeldes iS von §
5 Abs
3 SGB V besteht dabei nur dann, wenn der Zahlungsempfänger zuletzt in dem Arbeitsverhältnis, aufgrund dessen Vorruhestandsgeld gezahlt
wird, krankenversicherungspflichtig war. Bestand im Zeitpunkt der Beendigung dieses Beschäftigungsverhältnisses keine Versicherungspflicht,
trat diese aber später aufgrund eines anderen Sachverhalts vor Beginn des tatsächlichen Bezuges von Vorruhestandsgeld ein,
reicht dies nicht aus. Dies folgt aus der Bedeutung der Forderung, dass vor dem Bezug von Vorruhestandsgeld Versicherungspflicht
bestanden haben müsse.
Die Vorschrift des §
5 Abs
3 SGB V ersetzte ab 1.1.1989 die Vorschrift des § 165 Abs 2 Satz 2 der
Reichsversicherungsordnung (
RVO), die mit dem Gesetz zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand vom 13.4.1984 zum 1.5.1984 in Kraft
getreten war. Während das VRG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen die Bundesanstalt für Arbeit Zuschüsse an Arbeitgeber zur Aufwendung für Vorruhestandsleistungen
gewährte, regelte § 165 Abs 2 Satz 2
RVO die Voraussetzungen für die Krankenversicherungspflicht der Leistungsbezieher während des Vorruhestandsgeldbezuges. Diese
Vorschrift stellte die Bezieher von Vorruhestandsgeld den gegen Entgelt Beschäftigten gleich. Durch die Fiktion des Fortbestehens
der Beschäftigung sollte dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer während des Bezugs von Vorruhestandsgeld der notwendige Sozialversicherungsschutz
durch eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten bleiben. Der Versicherungsschutz sollte nicht
aufgrund der Beendigung der anhängigen Beschäftigung entfallen, sondern für die Dauer des Bezuges von Vorruhestandsgeld fortbestehen
und so weiter geführt werden, wie er bis dahin bestand. Personen, die unmittelbar vor dem Bezug von Vorruhestandsgeld nicht
krankenversicherungspflichtig waren, sollten durch die Zahlung von Vorruhestandsgeld jedoch nicht versicherungspflichtig werden.
Eine bestehende freiwillige Krankenversicherung sollte weder durch das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis noch durch den
Bezug von Vorruhestandsgeld berührt werden (vgl BT-Drucks 10/880 S 14, 19). Der Regelungsinhalt des § 165 Abs 2 Satz 2
RVO hat sich weder durch das Auslaufen der nach § 14 VRG bis zum 31.12.1988 befristeten Regelungen noch durch die Ersetzung des § 165 Abs 2 Satz 2
RVO ua durch §
5 Abs
3 SGB V geändert. Eine inhaltliche Änderung der Voraussetzungen der Krankenversicherungspflicht bei Vorruhestandsgeldbezug erfolgte
damit nicht (vgl BR-Drucks 200/88 S 159 f sowie zur Rentenversicherungspflicht Urteil des Senats vom 24.9.2008, B 12 R 10/07 R mwN, SozR 4-2600 §3 Nr 4). Die unveränderte Fortführung des bisherigen Versicherungsschutzes wird jedoch nur erreicht,
wenn die "unmittelbar" zuvor bestehende Pflichtversicherung eine Pflichtversicherung ist, die bis zur Beendigung der Beschäftigung
besteht, die der Vorruhestandsabrede zugrunde liegt. Der Begriff "unmittelbar vor Bezug des Vorruhestandsgeldes" verhindert,
dass auf Versicherungsverhältnisse abgestellt wird, die während der Beschäftigung bestanden, sich aber im Zeitpunkt der Beendigung
bereits geändert hatten. Das Gesetz bezieht sich insoweit offensichtlich nur auf den Regelfall, dass das Vorruhestandsgeld
an das Ende des Arbeitsverhältnisses direkt anschließt.
Nur wenn auf den Versicherungsstatus im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgestellt wird, kann auch der Arbeitgeber
als Vertragspartner der Vorruhestandsvereinbarung seine Verpflichtungen aus dieser Vereinbarung vorhersehen. Bei nachträglich
begründeter Versicherungspflicht entstehen für ihn sonst nach §§
249,
253 SGB V Pflichten zur Tragung und Zahlung von Beiträgen. Wollte man den Eintritt von Versicherungspflicht vom Verhalten des Arbeitnehmers
nach Beendigung des Arbeitsvertrages und vor Beginn der Zahlung von Vorruhestandsgeld abhängig machen, könnte der Arbeitnehmer
die Belastungen des Arbeitgebers einseitig verändern. Unerheblich ist, dass im hier zu entscheidenden Fall durch das Arbeitsgericht
die arbeitsrechtliche Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt ist. Diese
auf die individual-rechtliche Vereinbarung der Klägerin und des Arbeitgebers gestützte Entscheidung kann die öffentlich-rechtlichen
Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht ersetzen.
Die Klägerin war nicht - wie erforderlich - unmittelbar vor dem Bezug von Vorruhestandsgeld in ihrer Beschäftigung bei der
Arbeitgeberin in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig. Zuletzt war sie bis zum Ende ihrer Beschäftigung
zum 31.3.1993 nicht krankenversicherungspflichtig beschäftigt. Die danach begründete Krankenversicherungspflicht aufgrund
des Bezuges von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit ist für die Begründung der Versicherungspflicht nach §
5 Abs
3 SGB V unbeachtlich. Ist danach Versicherungspflicht nach dieser Vorschrift schon ausgeschlossen, weil keine Versicherungspflicht
in dem den Bezug von Vorruhestandsgeld begründenden Beschäftigungsverhältnis bestand, kann offenbleiben, ob die Zahlungen
überhaupt Vorruhestandsgeld im Sinne der Rechtsprechung waren. Aus den Feststellungen des LSG ergibt sich jedenfalls nicht,
dass eine Vereinbarung über das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben getroffen wurde. Offenbleiben kann auch, ob entgegen der
mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge angegriffenen Feststellung des LSG Vorruhestandsleistungen mindestens
in Höhe von 65 vH des Bruttoarbeitsentgeltes iS des § 3 Abs 2 VRG gezahlt wurden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.