Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Geltendmachung von Revisionsgründen bei mehreren
Begründungen für einen Urteilsspruch
Gründe:
I
Der bei der beklagten Ersatzkasse versicherte, 1982 geborene Kläger, der vor allem an einer Tetraparese leidet und in die
Pflegestufe 3 eingestuft wurde, ist mit seinem Begehren auf Erstattung der Kosten für zwischen März 2006 und Juni 2007 durchgeführte,
erstmals am 20.2.2006 beantragte Petö-Behandlungen in Höhe von 5.174 Euro bei der Beklagten (Bescheide vom 27.7.2006, 13.4.2007,
23.7.2007) und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Wesentlichen ausgeführt: Einem
Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V stehe entgegen, dass ein Sachleistungsanspruch auf die Petö-Behandlungen nicht bestanden habe. Es habe an einer ärztlichen
Verordnung der Therapie gefehlt. Zudem habe der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) keinen Beschluss über die Anwendbarkeit der
Therapie gefasst. Für einen Verstoß gegen Verfassungsrecht bestehe demnach kein Anhaltspunkt. Im Übrigen sei zweifelhaft,
ob die aus Ungarn angereiste Konduktorin eine zugelassene Heilmittelerbringerin sei und im Hinblick auf das Kausalerfordernis
in §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 2
SGB V, ob die Beklagte die Gewährung der Therapie bereits vor Therapiebeginn mündlich abgelehnt habe (Urteil vom 8.10.2009).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtssache nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG.
1. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage
im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung
ist (vgl zB Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR
3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Hinreichende Darlegungen dazu enthält die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger formuliert folgende Rechtsfragen:
1. Ist der Kostenerstattungsanspruch gemäß §
13 Abs
3 SGB V für ein nicht zur ärztlichen Versorgung zugelassenes Heilmittel bereits deshalb ausgeschlossen, weil es an einer vertragsärztlichen
Verordnung des Heilmittels mangelt?
2. Verstößt der generelle Ausschluss der Petö-Therapie von der vertragsärztlichen Versorgung gegen §
92 Abs
1 Satz 1
SGB V?
3. Ist der Ausschluss der Petö-Therapie von der vertragsärztlichen Versorgung verfassungsgemäß?
a) Im Hinblick auf die erste Rechtsfrage legt der Kläger die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage
ist nämlich grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden
worden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). In diesem Fall muss deshalb dargetan
werden, dass für die Frage - zB mit Blick auf einschlägige Kritik im Schrifttum oder bei den Instanzgerichten - erneut Klärungsbedarf
entstanden ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38 BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Dem entspricht das Beschwerdevorbringen
nicht. Das BSG hat bereits entschieden, dass eine Kostenerstattung für selbst beschaffte Arznei- und Heilmittel im In- und
Ausland zwar nicht stets eine vertragsärztliche, aber eine ärztliche Verordnung voraussetzt. Es hat dies dem systematischen
Zusammenhang des §
15 Abs
1 und des §
73 Abs
2 Satz 1
SGB V entnommen (BSGE 79, 257, 260 = SozR 3-2500 §
13 Nr 13 S 65 f; vgl zum EU-Ausland BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 13 f) und auf vergleichbare Bestimmungen im Beihilferecht
und in den Musterbedingungen für die private Krankenversicherung hingewiesen (BSGE 86, 66, 70 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 91). Auf diese Rechtsprechung und darauf, dass nach den für den Senat bindenden Feststellungen
des LSG (vgl §
163 SGG) es an einer ärztlichen Verordnung fehlte, geht die Beschwerdebegründung nicht ein. Sie nennt keine Gründe für einen erneuten
Klärungsbedarf.
b) Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger schon nicht hinreichend darlegt, dass die zweite und dritte Rechtsfrage trotz
der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BSG klärungsbedürftig sind (zur zweiten Rechtsfrage etwa zur Bedeutung der Richtlinien
nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
5 iVm §
135 Abs
1 SGB V und zu den Voraussetzungen eines Systemversagens: BSG SozR 4-2500 §
27 Nr 10 RdNr 22 ff mwN, insbesondere zur Petö-Behandlung vgl BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 1 RdNr 13 f; zur dritten Rechtsfrage,
insbesondere zu den Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung eines Leistungsanspruchs zuletzt: BSG SozR 4-2500
§ 27 Nr 16 RdNr 13 ff mwN). Denn der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass es auf die Beantwortung dieser Fragen
im Revisionsverfahren ankommen wird, mithin, dass die Rechtsfragen im konkreten Rechtsstreit auch entscheidungserheblich sind.
Werden von einem Gericht mehrere selbstständige Begründungen gegeben, die den Urteilsausspruch schon jeweils für sich genommen
tragen, muss in der Beschwerde für jede der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund mit Erfolg geltend gemacht werden (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nr 5, 38; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap IX RdNr 51, 69 mwN). Daran fehlt es hier.
Das LSG hat einen Leistungsanspruch nämlich nicht nur wegen der fehlenden Empfehlung der Petö-Behandlungsmethode durch eine
Richtlinie des GBA verneint, sondern auch, weil eine ärztliche Verordnung und die ärztlichen Überwachung der Behandlung nicht
vorlagen. Diese weitere, die ablehnende Entscheidung des LSG tragende Begründung greift die Beschwerdebegründung nicht mit
einer zulässigen Verfahrensrüge an (dazu 1a). Dies aber wäre erforderlich gewesen, um die Entscheidungserheblichkeit auch
der zweiten und dritten Rechtsfrage zu begründen.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.