Nichtzulassungsbeschwerde
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Unkenntnis über den Vertretungszwang kein Wiedereinsetzungsgrund
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom
30. August 2017 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde wird abgelehnt.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt D. aus H.
zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 46 215,35 Euro festgesetzt.
Gründe:
I
Mit Urteil vom 30.8.2017 hat das LSG Niedersachsen-Bremen die Berechtigung der beklagten Krankenkasse zur Zwangsvollstreckung
aus der vollstreckbaren Ausfertigung einer Grundschuldbestellungsurkunde bejaht und die Vollstreckungsabwehrklage des Klägers
als unbegründet beurteilt. Dem lag eine zwischen der Beklagten und dem Kläger als Inhaber eines Optikbetriebes am 8.12.2005
getroffene Vereinbarung zugrunde, die das LSG als wirksames, selbstständiges, abstrakt konstitutives Schuldanerkenntnis (iS
von §
781 BGB) ausgelegt hat. Ansprüche des Klägers auf Herausgabe der Ausfertigung der Grundschuldbestellungsurkunde wie auch zur Verpflichtung
zur Rückerstattung bereits geleisteter Zahlungen aus der Vereinbarung hat es verneint. Das Urteil ist der damaligen Prozessbevollmächtigten
des Klägers am 14.9.2017 zugestellt worden.
Mit einem persönlich unterzeichneten Schreiben vom 12.10.2017 - beim BSG am 16.10.2017 eingegangen - hat der Kläger "Zulassungsbeschwerde" beim BSG gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen eingelegt. Mit Schreiben vom 17.10.2017
ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass er Nichtzulassungsbeschwerde nur wirksam durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten einlegen (§
73 Abs
4 SGG) und ggf Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beim BSG beantragen könne. Mit Schriftsatz vom 6.11.2017 - am selben Tag beim BSG eingegangen - hat der jetzige Prozessbevollmächtigte Nichtzulassungsbeschwerde, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und
PKH unter seiner Beiordnung beantragt. Er hat ausgeführt, dass die ihm vorliegende, an den Kläger übersandte Abschrift des
LSG-Urteils keine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe. Im weiteren Schreiben vom 14.11.2017 hat er vorgetragen, dass die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG habe.
Auf Nachfrage bei der damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers hat diese dem BSG am 15.11.2017 mitgeteilt, dass ihr eine beglaubigte und vollständige Abschrift des LSG-Urteils einschließlich der Rechtsmittelbelehrung
zugegangen sei. Der Kläger sei von ihr hinsichtlich der Einlegung der Beschwerde sowie der einzuhaltenden Frist mit Schreiben
vom 20.9.2017 entsprechend unterrichtet worden (s Bl 78 ff BSG-Akte). "In Kenntnis einer eidesstattlichen Versicherung" hat der Kläger daraufhin am 25.1.2018 versichert, dass er die Abschrift
des Berufungsurteils in der Form und mit sämtlichen Seiten - wie sie ihm von der damaligen Prozessbevollmächtigten übersandt
worden sei - vollständig dem jetzigen Prozessbevollmächtigten übergeben habe. Der einfachen Abschrift sei keine Rechtsmittelbelehrung
beigefügt gewesen; die beglaubigte Abschrift sei ihm nicht ausgehändigt worden. Daher habe er nicht gewusst, dass er Nichtzulassungsbeschwerde
nur durch einen Prozessbevollmächtigten einlegen könne.
II
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.8.2017 ist
wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde (§
160a Abs
1 S 2
SGG) in entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (1.). Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte
Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde konnte nicht entsprochen werden (2.). Der Antrag auf Bewilligung von PKH
war mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen (3.).
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist verspätet eingelegt worden. Das Berufungsurteil ist der damaligen Prozessbevollmächtigten
des Klägers am 14.9.2017 zugestellt worden. Somit war die Beschwerde gegen die Nichtzulassung innerhalb eines Monats nach
Zustellung des Berufungsurteils (§
160a Abs
1 S 2
SGG) bis zum 16.10.2017 (an einem Montag, §
64 Abs
3 SGG) einzulegen. An diesem Tag hat der Kläger lediglich privatschriftlich Beschwerde eingelegt. Eine formgerechte Beschwerde
(§
73 Abs
4 SGG) ist erst durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten am 6.11.2017 beim BSG eingegangen. Dadurch wurde die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision versäumt. Zur Einlegung
der Beschwerde wurde auch nicht die Jahresfrist nach §
66 Abs
2 SGG eröffnet. Denn die Rechtsmittelbelehrung ist ordnungsgemäß erteilt worden und entspricht den Anforderungen von §
66 Abs
1 und §
73 Abs
4 SGG. Die beglaubigte Abschrift des Urteils mit der erforderlichen Rechtsmittelbelehrung ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers
zugestellt worden. Dies hat die damalige Prozessbevollmächtigte in ihrem Schreiben vom 15.11.2017 an das BSG ausdrücklich bestätigt. Der Kläger hat diesen Umstand weder in Abrede gestellt noch in Zweifel gezogen.
2. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist auch nicht deshalb rechtzeitig eingelegt, weil Wiedereinsetzung
in die versäumte Frist nach §
67 SGG beantragt worden ist. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach §
67 Abs
1 SGG voraus, dass die Frist ohne Verschulden versäumt wurde. Der Vortrag der Klägers, dass er eine einfache Abschrift des Urteils
von der damaligen Prozessbevollmächtigten erhalten habe, der keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt gewesen sei, reicht hierfür
nicht aus, ebenso wenig seine Erklärung vom 25.1.2018, selbst wenn ihr Inhalt als zutreffend unterstellt wird. Aus ihr ergibt
sich kein Wiedereinsetzungsgrund. Denn regelmäßig - und so auch hier - stellt eine Unkenntnis über den Vertretungszwang keinen
Wiedereinsetzungsgrund dar (vgl BVerwG Beschluss vom 7.10.2009 -9B 83/09 - NVWZ-RR 2010, 366; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/ders/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
67 RdNr 7d mwN). Mangelnde Rechtskenntnis entschuldigt eine Fristversäumnis in aller Regel nicht. Denn ein juristisch nicht
vorgebildeter Beteiligter muss zu für ihn nicht geläufigen Rechtsfragen grundsätzlich juristischen Rat einholen (vgl BVerwG
aaO). Besondere Umstände, die dafür sprechen, dass der Kläger davon ausgehen durfte, ohne Beteiligung eines Rechtsanwalts
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil einlegen zu können, sind nicht ersichtlich. Dem Kläger
wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, die damalige Prozessbevollmächtigte auf ihr Schreiben vom 20.9.2017 kurzfristig zu
kontaktieren und die bei ihm bestehende Unkenntnis durch eine einfache Nachfrage zeitgerecht auszuräumen. Dies wäre umso naheliegender
gewesen, als die Prozessbevollmächtigte ihn mit Schreiben vom 20.9.2017 auf die Möglichkeit der Einlegung der Beschwerde hingewiesen
und zugleich mitgeteilt hatte, dass sie ohne seine ausdrückliche schriftliche Anweisung nichts weiter veranlassen werde und
für den Fall, dass er ihre "Mithilfe" benötige, um Rückruf bat. Aus Sicht der Prozessbevollmächtigten bestand jedenfalls kein
Anlass anzunehmen, dass der vor dem LSG rechtsanwaltlich vertretene Kläger - ohne dass für das Berufungsverfahren ein gesetzlicher
Vertretungszwang besteht - nunmehr ein Beschwerdeverfahren vor dem BSG ohne juristischen Sachverstand durchführen werde.
3. Dem Antrag auf Bewilligung von PKH (§
73a SGG iVm §§
114 ff
ZPO) für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG kann nicht entsprochen werden. Er war abzulehnen,
weil es aus den vorgenannten Gründen an hinreichender Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung mit der bereits beim BSG eingereichten Beschwerdebegründung vom 14.11.2017 des anwaltlichen Bevollmächtigten des Klägers fehlt. Es kann daher offenbleiben,
ob der Kläger bereits mit seinem privatschriftlichen Schreiben vom 16.10.2017 sinngemäß Antrag auf PKH gestellt hat. Da dem
Antragsteller PKH nicht zusteht, entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Halbs 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.