Anspruch auf Kostenerstattung für ein selbstbeschafftes Spezialtherapierad in der gesetzlichen Krankenversicherung
Sachleistungsanspruch auf Versorgung als Hilfsmittel zum Ausgleich einer bereits bestehenden Behinderung
Erschließung des Nahbereichs im Umfeld der Wohnung
Gründe:
I
Im Streit ist der Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung für ein selbstbeschafftes Hilfsmittel (Therapiedreirad-Tandem
nach Maß mit Tretkraftunterstützung durch Hilfsmotor; im Folgenden: Spezialtherapierad).
Die 1993 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet an einer globalen Entwicklungsverzögerung,
Gleichgewichtsstörung und Hüftdysplasie links sowie an einem statomotorischen Entwicklungsdefizit (Grad der Behinderung 100;
Merkzeichen G und H). Der im Juli 2012 bei der Beklagten gestellte Antrag auf Versorgung mit einem ärztlich verordneten Spezialtherapierad
blieb erfolglos, weil das Hilfsmittel dem Freizeitausgleich diene und zur Erschließung des Nahbereichs der Wohnung der Klägerin
mit Blick auf ihre vorhandene Gehfähigkeit nicht erforderlich sei; ggf reiche dafür ein Schieberollstuhl aus. Zur Förderung
des Gleichgewichtssinns stünden andere Möglichkeiten und Maßnahmen wie Krankengymnastik zur Verfügung. Die Zuständigkeit eines
anderen Kostenträgers lasse sich den Angaben der Klägerin nicht entnehmen, weshalb keine Weiterleitung des Antrags nach §
14 SGB IX möglich sei (Bescheid vom 31.8.2012; Widerspruchsbescheid vom 6.12.2012).
Das dagegen angerufene SG hat - nach zwischenzeitlicher Selbstbeschaffung des Spezialtherapierads durch die Klägerin - die Beklagte unter Aufhebung
der ablehnenden Bescheide verurteilt, der Klägerin die von ihr aufgewandten Kosten von 7697 Euro zu erstatten. Es hat sich
hierfür auf ein von ihm eingeholtes neurologisches Sachverständigengutachten gestützt. Das Hilfsmittel sei erforderlich zur
Vorbeugung einer drohenden Behinderung (§
33 Abs
1 Satz 1 Var 2
SGB V). Der Vorbeugung einer Behinderung diene ein Hilfsmittel auch, wenn sich eine bereits bestehende Behinderung zu verschlimmern
drohe. Davon sei hier auszugehen, denn der Klägerin drohe ohne die regelmäßige Nutzung des Spezialtherapierads die Verschlimmerung
der bestehenden Gleichgewichts- und Koordinationsstörung (Urteil vom 23.2.2017). Dem hat sich das LSG angeschlossen und die
Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 23.4.2018).
Mit ihrer dagegen gerichteten Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des §
33 Abs
1 Satz 1 Var 2
SGB V. Das LSG habe die Rechtsprechung des BSG zu den Begrenzungen des Anspruchs auf Hilfsmittelversorgung zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung und zum mittelbaren
Behinderungsausgleich (§
33 Abs
1 Satz 1 Var 1 und 3
SGB V) unberücksichtigt gelassen. Diese Begrenzungen müssten auch auf die - hier einschlägige - Hilfsmittelversorgung zur Vorbeugung
einer drohenden Behinderung übertragen werden, um deren Umgehung zu verhindern.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. April 2018 und des Sozialgerichts Hannover vom 23. Februar
2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die auf medizinische Ermittlungen gestützten tatrichterlichen Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG).
Der Klägerin steht entgegen der Auffassung der Vorinstanzen zwar kein Anspruch auf Kostenerstattung für das Hilfsmittel zur
Vorbeugung einer drohenden Behinderung zu, aber für sie kommt ein Anspruch zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung in
Betracht. Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat jedoch nicht abschließend über den von der Klägerin
gegen die Beklagte geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Selbstbeschaffung des Spezialtherapierads
iHv 7697 Euro entscheiden.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind zum einen die Urteile der Vorinstanzen, durch die die Beklagte zur von der Klägerin
begehrten Kostenerstattung für das selbstbeschaffte Spezialtherapierad verurteilt worden ist, und zum anderen der Bescheid
der Beklagten vom 31.8.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.12.2012, durch den die begehrte Versorgung mit einem
Spezialtherapierad abgelehnt worden ist. Hiergegen wendet sich die Klägerin zutreffend mit der nach Selbstbeschaffung auf
Kostenerstattung gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1, Abs
4 SGG), deren Abweisung die Beklagte mit ihrer Revision begehrt. Prozessuale Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats
nicht entgegen.
2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Kostenerstattung ist §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 2
SGB V (idF des
SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Danach sind, wenn eine KK eine Leistung
zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der
KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Nach §
13 Abs
3 Satz 2
SGB V iVm §
15 Abs
1 Satz 4 Alt 2
SGB IX (in der og bis 31.12.2017 geltenden Fassung des
SGB IX [im Folgenden aF]) ist der Rehabilitationsträger zur Erstattung einer vom Leistungsberechtigten selbstbeschafften erforderlichen
Leistung ua dann verpflichtet, wenn er diese zu Unrecht abgelehnt hat und zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast
des Versicherten ein Ursachenzusammenhang besteht. Ob die begehrte Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, richtet sich nach
dem für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsrecht (vgl nur BSG Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 9 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 1 KR 31/07 R - SozR 4-2500 § 43 Nr 1 RdNr 16). Die Sachleistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die Versorgung
ihrer Versicherten mit Hilfsmitteln bestimmt sich nach §
33 SGB V. Der ursprüngliche Sachleistungsanspruch wandelt sich dann in einen Kostenerstattungsanspruch um (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15 R - BSGE 123, 144 = SozR 4-2500 § 13 Nr 34, RdNr 14).
Rechtsgrundlage für die ursprünglich begehrte Hilfsmittelversorgung ist §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V (idF des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes - GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen
und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (Var 1), einer
drohenden Behinderung vorzubeugen (Var 2) oder eine Behinderung auszugleichen (Var 3), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind.
Zwar ergibt sich hier ein Sachleistungsanspruch nicht aus §
33 Abs
1 Satz 1 Var 1 und 2
SGB V (dazu 3. und 4.). In Betracht kommt aber ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 2
SGB V iVm einem Sachleistungsanspruch nach §
33 Abs
1 Satz 1 Var 3
SGB V, über den der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG indes nicht abschließend entscheiden kann (dazu 5.).
3. Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Versorgung mit dem Spezialtherapierad, ein bewegliches sächliches Hilfsmittel
iS des §
33 SGB V (vgl zum Hilfsmittelbegriff nur BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 3 KR 14/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr
11), ergibt sich nicht aus §
33 Abs
1 Satz 1 Var 1
SGB V.
Beim Einsatz von Hilfsmitteln des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V ist nach deren Funktionalität und schwerpunktmäßiger Zielrichtung bzw Zwecksetzung zu differenzieren (vgl nur BSG Urteil vom 15.3.2018 - B 3 KR 18/17 R - BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 23 ff). Ein Hilfsmittel dient iS des §
33 Abs
1 Satz 1 Var 1
SGB V der "Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung", wenn es im Rahmen einer Krankenbehandlung (§
27 Abs
1 Satz 1
SGB V), dh zu einer medizinisch-therapeutischen Behandlung einer Erkrankung als der Kernaufgabe der GKV nach dem
SGB V eingesetzt wird (vgl nur BSG, aaO, RdNr 24).
Der Krankenbehandlung können zwar auch Hilfsmittel zur Ermöglichung oder Förderung der körperlichen Mobilisation dienen, aber
nur in besonders gelagerten Fällen mit einem spezifischen Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung. Ein solcher
Bezug kommt Hilfsmitteln zur körperlichen Mobilisation zu, die in engem Zusammenhang mit einer andauernden, auf einem ärztlichen
Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und die für die gezielte
Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V als erforderlich anzusehen sind (vgl dazu zuletzt näher BSG Urteil vom 15.3.2018 - B 3 KR 4/16 R - juris RdNr 43; BSG Urteil vom 8.8.2019 - B 3 KR 21/18 R - juris RdNr 22).
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, weil das von der Klägerin selbstbeschaffte Spezialtherapierad nach den nicht mit Revisionsrügen
angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl §
163 SGG) keiner kurativen Krankenbehandlung und damit nicht iS des §
33 Abs
1 Satz 1 Var 1
SGB V der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient. Es wird nicht spezifisch eingesetzt zur positiven kurativ-therapeutischen
Einwirkung auf eine Krankheit, dh auf den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand als solchen, im Rahmen ärztlich verordneter
Krankenbehandlung bzw als Teil eines verordneten Therapiekonzepts. Der Einsatz des Spezialtherapierads zielt im Schwerpunkt
nicht auf die Krankheit, sondern die Behinderung der Klägerin.
4. Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Versorgung mit dem Spezialtherapierad ergibt sich entgegen der Ansicht der Vorinstanzen
nicht aus §
33 Abs
1 Satz 1 Var 2
SGB V.
Ein Hilfsmittel kann auch losgelöst von einem kurativen Behandlungskonzept als Mittel der medizinischen Rehabilitation eingesetzt
werden, wenn es der "Vorbeugung einer drohenden Behinderung" dient. Ein Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation zielt
nicht primär auf das Erkennen, Heilen, Verhüten einer Verschlimmerung oder Lindern von Beschwerden einer "Krankheit" (§
27 Abs
1 Satz 1
SGB V), sondern in erster Linie darauf, eine "Behinderung" oder "Pflegebedürftigkeit" abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen,
ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (vgl §
11 Abs
2 Satz 1
SGB V; §
4 Abs
1 Nr
1, §
26 Abs
1 Nr
1 SGB IX aF). Als Leistung zur medizinischen Rehabilitation ist das Hilfsmittel dann grundsätzlich unter Beachtung der Regelungen
des
SGB IX zu erbringen (§
11 Abs
2 Satz 3
SGB V).
Nach §
2 Abs
1 SGB IX aF sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. Ein Hilfsmittel dient als
Leistung zur medizinischen Rehabilitation der Vorbeugung einer drohenden Behinderung (§
33 Abs
1 Satz 1 Var 2
SGB V), wenn es eine erwartbare Teilhabebeeinträchtigung verhindert (dazu a). Daran fehlt es - abweichend von der Einschätzung
der Vorinstanzen - hier (dazu b).
a) Ein Hilfsmittel ist erforderlich, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, wenn ein konkretes Behinderungsrisiko besteht,
und es im Schwerpunkt um die Vermeidung von krankheitsbedingten Funktionsabweichungen geht, die in sachlicher und zeitlicher
Hinsicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Teilhabebeeinträchtigung führen können. Bei bereits bestehenden krankheitsbedingten
Funktionsabweichungen dient das Vorbeugen einer Behinderung der Vermeidung des Eintritts von (weiteren) zu erwartenden Teilhabebeeinträchtigungen.
Es geht jeweils um das präventive Abwenden einer nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft
und in Form eines ansonsten nicht mehr behebbaren Dauerzustands zu erwartenden konkreten Behinderung als typische Folge einer
bestimmten Krankheit so früh wie möglich (vgl bereits BSG Urteil vom 22.4.2009 - B 3 KR 11/07 R - BSGE 103, 66 = SozR 4-2500 § 33 Nr 22, RdNr 25: konkretes Behinderungsrisiko in sachlicher und zeitlicher Hinsicht; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 16 f).
Bei einer bereits bestehenden Behinderung dient ein Hilfsmittel (nur) zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung, wenn mit
dessen Einsatz im Schwerpunkt die Verschlimmerung der vorhandenen Behinderung verhütet oder der Hinzutritt einer wertungsmäßig
neuen Behinderung abgewendet wird. Dies erfordert, dass in sachlicher und zeitlicher Hinsicht die dauerhafte Verschlimmerung
der bestehenden Behinderung oder der Hinzutritt einer wertungsmäßig neuen Behinderung konkret drohen, denen vorzubeugen den
Schwerpunkt des Hilfsmitteleinsatzes bildet. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die präventive Abwendung einer drohenden
weitergehenden Behinderung weder Krankenbehandlung noch Behinderungsausgleich. Der Regelungsgehalt des Tatbestandes der Hilfsmittelversorgung
nach §
33 Abs
1 Satz 1 Var 2
SGB V (Vorbeugung einer drohenden Behinderung) lässt sich auf diese Weise bestimmen und findet im Verhältnis zu den Ansprüchen
nach §
33 Abs
1 Satz 1 Var 1
SGB V (Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung) und insbesondere nach §
33 Abs
1 Satz 1 Var 3
SGB V (Ausgleich einer Behinderung) eine eigenständige Bedeutung, die - ungeachtet möglicher Überschneidungen im Einzelfall - eine
abgrenzungsfähige Rechtsanwendung erlaubt.
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich den Feststellungen des LSG aber nicht entnehmen. Nach diesen dient das
Spezialtherapierad nicht im vorbeschriebenen Sinne im Schwerpunkt dazu, einer drohenden Behinderung der Klägerin vorzubeugen.
Die krankheitsbedingten Funktionsabweichungen der Klägerin wie auch ihre hieraus folgenden Teilhabebeeinträchtigungen lagen
im Zeitpunkt der beantragten Versorgung mit dem Hilfsmittel wie der Selbstbeschaffung seit Jahren vor, ohne dass nach den
Feststellungen des LSG Anhaltspunkte für darüber hinausgehende in sachlicher und zeitlicher Hinsicht konkret zu erwartende
qualitative und zeitnahe dauerhafte Veränderungen im oben beschriebenen Sinne ersichtlich sind, deren Vorbeugung das Spezialtherapierad
im Schwerpunkt dienen soll. Daher kann auch die Frage offen bleiben, ob und inwieweit die von der Beklagten angenommenen Begrenzungen
des Anspruchs auf Hilfsmittelversorgung zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung zutreffend sind.
5. Ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit dem Spezialtherapierad kommt indes zum Ausgleich ihrer bereits bestehenden
Behinderungen nach §
33 Abs
1 Satz 1 Var 3
SGB V in Betracht.
a) Ein Hilfsmittel dient als Leistung zur medizinischen Rehabilitation dem "Ausgleich einer Behinderung", wenn es seinem Zweck
entsprechend die Auswirkungen der Behinderung beseitigt oder mindert und damit der Befriedigung eines Grundbedürfnisses dient.
Leistungen zum Zweck des Behinderungsausgleichs sind nicht unbegrenzt von der GKV zu erbringen. Vielmehr ist deren Aufgabenbereich
im Rahmen der medizinischen Rehabilitation von den Aufgabenbereichen anderer Rehabilitationsträger und der Eigenverantwortung
der Versicherten abzugrenzen. Die GKV hat nicht jegliche Folgen von Behinderung in allen Lebensbereichen durch Hilfsmittel
auszugleichen. Im Bereich des von ihr zu erfüllenden Behinderungsausgleichs bemisst sich die originäre Leistungszuständigkeit
der GKV nach dem Zweck des Hilfsmittels, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder
mindert und damit der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens und einem möglichst selbstbestimmten
und selbstständigen Leben dient. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen zählen ua das Gehen und Stehen sowie das Erschließen
eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Für den Versorgungsumfang, insbesondere Qualität, Quantität und Diversität,
kommt es entscheidend auf den Umfang der mit dem begehrten Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile im Hinblick auf das
zu befriedigende Grundbedürfnis an. Es besteht Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche
Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung (vgl - frühere Rspr zusammenfassend - BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 42; vgl auch BSG Urteile vom 15.3.2018 - B 3 KR 4/16 R - juris RdNr 46 und - B 3 KR 12/17 R - juris RdNr 43 f). Im Ergebnis kommt es daher auf den Umfang der mit dem Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile an,
ohne dass hierfür maßgeblich die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Behinderungsausgleich heranzuziehen
wäre (vgl dazu zuletzt nur BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 31 ff unter Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 18, auch mit Relativierungen zur Relevanz dieser Unterscheidung).
In der Rechtsprechung des Senats ist als ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens das Erschließen eines körperlichen
Freiraums und in Bezug auf Bewegungsmöglichkeiten das Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs der Wohnung von Versicherten
mit einem Hilfsmittel anerkannt. Maßgebend für den von der GKV insoweit zu gewährleistenden Behinderungsausgleich ist grundsätzlich
der Bewegungsradius, den ein nicht behinderter Mensch üblicherweise noch zu Fuß erreicht. In den Nahbereich einbezogen ist
zumindest der Raum, in dem die üblichen Alltagsgeschäfte in erforderlichem Umfang erledigt werden. Hierzu gehören nach einem
abstrakten Maßstab die allgemeinen Versorgungswege (Einkauf, Post, Bank) ebenso wie die gesundheitserhaltenden Wege (Aufsuchen
von Ärzten, Therapeuten, Apotheken) und auch elementare Freizeitwege (vgl näher zu diesem Grundbedürfnis BSG Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 7/10 R - BSGE 108, 206 = SozR 4-2500 § 33 Nr 34, RdNr 34 ff; BSG Urteil vom 30.11.2017 - B 3 KR 3/16 R - SozR 4-2500 § 139 Nr 9 RdNr 19 f; vgl auch - frühere Rspr zusammenfassend - BSG Urteil vom 15.3.2018 - B 3 KR 4/16 R - juris RdNr 47).
Bei der Prüfung eines Anspruchs auf ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich darf das zu befriedigende Grundbedürfnis der
Erschließung des Nahbereichs nicht zu eng gefasst werden in Bezug auf die Art und Weise, wie sich Versicherte den Nahbereich
der Wohnung zumutbar und in angemessener Weise erschließen. Dies folgt unter Beachtung der Teilhabeziele des
SGB IX (vgl §
11 Abs
2 Satz 3
SGB V), insbesondere ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen (vgl §
1 SGB IX aF), aus dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot des Art
3 Abs
3 Satz 2
GG als Grundrecht und objektive Wertentscheidung iVm dem Recht auf persönliche Mobilität nach Art
20 UN-Behindertenrechtskonvention.
Dem ist dadurch Rechnung zu tragen, dass im Rahmen des Behinderungsausgleichs zu prüfen ist, ob der Nahbereich ohne ein Hilfsmittel
nicht in zumutbarer und angemessener Weise erschlossen werden kann und insbesondere durch welche Ausführung der Leistung diese
Erschließung des Nahbereichs für einen behinderten Menschen durch ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich verbessert, vereinfacht
oder erleichtert werden kann. Hinzu kommt ggf die Prüfung, ob eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität zur Wahrnehmung
eines anderen Grundbedürfnisses notwendig ist (vgl bereits BSGE 108, 206 = SozR 4-2500 § 33 Nr 34, RdNr 41; BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 9 RdNr 22). Dabei ist dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen (vgl §
9 Abs
1 Satz 1 und
2 SGB IX aF iVm §
33 SGB I) volle Wirkung zu verschaffen (vgl bereits BSG Urteil vom 15.3.2018 - B 3 KR 4/16 R - juris RdNr 48; BSG Urteil vom 8.8.2019 - B 3 KR 21/18 R - juris RdNr 27). Dies bedeutet auch, dass die Leistung dem Leistungsberechtigten viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung
der Lebensumstände lässt und die Selbstbestimmung fördert (vgl §
9 Abs
3 SGB IX aF).
Der Senat sieht sich bei dieser auf das zu befriedigende Grundbedürfnis nach Mobilität gerichteten grundrechtsorientierten
Auslegung des §
33 Abs
1 Satz 1 Var 3
SGB V im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG zum Paradigmenwechsel, den Art
3 Abs
3 Satz 2
GG mit sich gebracht hat, und der Menschen mit Behinderungen ermöglichen soll, so weit wie möglich ein selbstbestimmtes und
selbstständiges Leben zu führen (zuletzt BVerfG [stattgebender Kammerbeschluss] vom 30.1.2020 - 2 BvR 1005/18). Der Anspruch auf ein Hilfsmittel der GKV zum Behinderungsausgleich ist danach nicht von vornherein auf einen Basisausgleich
im Sinne einer Minimalversorgung beschränkt. Vielmehr kommt ein Anspruch auf Versorgung im notwendigen Umfang bereits in Betracht,
wenn das begehrte Hilfsmittel wesentlich dazu beiträgt oder zumindest maßgebliche Erleichterung verschafft, Versicherten auch
nur den Nahbereich im Umfeld der Wohnung in zumutbarer und angemessener Weise zu erschließen.
b) Ausgehend hiervon kommt ein Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung für das selbstbeschaffte Spezialtherapierad als
einem Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich in Betracht. Das von der Klägerin begehrte Hilfsmittel ist geeignet, ihrem Wunsch
nach erheblicher Verbesserung ihrer Mobilität auch im Nahbereich zu entsprechen. Ein anderes ebenso geeignetes Hilfsmittel
iS von §
33 SGB V, das dem Ziel des Behinderungsausgleichs gleichwertig entsprechen würde, ist nach den Feststellungen des LSG nicht ersichtlich.
Das Verweisen auf das Heilmittel der Krankengymnastik (s §
32 Abs
2 Satz 2
SGB V, dazu BSG SozR 4-2500 § 43 Nr 1 RdNr 29) oder auf die Benutzung eines Schieberollstuhls scheidet von vornherein aus.
Über das Vorliegen der Voraussetzungen des Anspruchs kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen
jedoch nicht abschließend entscheiden. Die Vorinstanzen haben wie schon die Beklagte nicht hinreichend geprüft, ob das Spezialtherapierad
zum Erschließen des Nahbereichs der Wohnung im Einzelfall der Klägerin nach den vorgenannten Maßgaben erforderlich ist. Es
fehlen insbesondere Feststellungen dazu, auf welche Art und Weise sich die im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung 19 Jahre alte,
in ihrer Entwicklung verzögerte Versicherte unter Berücksichtigung ihrer gesamten Funktionseinschränkungen und Lebenssituation
auch nur den Nahbereich ihrer Wohnung ohne das Spezialtherapierad tatsächlich mit und ohne Hilfe anderer zumutbar und in angemessener
Weise erschließen konnte und welche Gebrauchsvorteile das Rad zur Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Mobilität vorliegend
bietet.
Im Rahmen der vom LSG vorzunehmenden Prüfung, ob das Grundbedürfnis der Klägerin nach Mobilität den Einsatz des Spezialtherapierads
als Hilfsmittel zulasten der GKV erforderlich macht, bedarf es zwar der Würdigung, ob es an der Erforderlichkeit fehlen kann,
wenn das Rad wegen seiner Leistungsfähigkeit das Maß des Notwendigen überschreitet (vgl §
33 Abs
1 Satz 5 aF bzw Satz 9
SGB V idF des Terminservice- und Versorgungsgesetzes vom 6.5.2019, BGBl I 646). Hierbei sind indes auch einzelfallbezogene Umstände
zu berücksichtigen, wenn aufgrund derer eine alternative Hilfsmittelversorgung zur zumutbaren und angemessenen Erschließung
des Nahbereichs der Wohnung unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts der Klägerin nicht in Betracht kommt. Allein der Umstand,
dass das Spezialtherapierad neben der Erschließung des Nahbereichs auch Freizeitinteressen dienen kann, schließt nicht bereits
die Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Mobilität aus. Ebenso steht einem Anspruch
nicht bereits entgegen, dass das Rad über einen elektrischen Hilfsmotor verfügt. Ob vorliegend Anlass für eine Kostenbeteiligung
der Klägerin besteht, wird das LSG ggf zu prüfen und zu entscheiden haben.
Ausschlüsse stünden einer Kostenerstattung für das selbstbeschaffte Spezialtherapierad nicht entgegen. Weder ist dieses als
speziell für die Fortbewegung behinderter Menschen mit verantwortlicher Begleitperson entwickelte und nach Maß angefertigte
Rad ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens iS von §
33 Abs
1 Satz 1 Halbsatz 2
SGB V (vgl zu Sonderanfertigungen BSG SozR 4-2500 §
33 Nr
32 RdNr
25) noch nach §
34 Abs
4 SGB V oder durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 SGB V ausgeschlossen.
6. Ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit dem Spezialtherapierad und ein hieraus abgeleiteter Kostenerstattungsanspruch
gegen die Beklagte kommt zudem unter dem Gesichtspunkt einer aufgedrängten Zuständigkeit (§
14 SGB IX aF) der Beklagten für einen Sachleistungsanspruch aus dem Bereich eines anderen Rehabilitationsträgers in Betracht. Auch
hierüber ist dem Senat eine abschließende Entscheidung verwehrt.
Für einen Sachleistungsanspruch aus dem Bereich eines anderen Rehabilitationsträgers (vgl §
6 Abs
1 SGB IX aF) war die Beklagte als zuerst angegangener Rehabilitationsträger (§
14 Abs
2 Satz 1
SGB IX aF) mangels Weiterleitung des Rehabilitationsantrags im Verhältnis zur Klägerin umfassend zuständig geworden. Einen "Rehabilitationsantrag"
stellte die Klägerin durch ihren Antrag auf Kostenübernahme für ein auf ihre Bedürfnisse angepasstes Spezialtherapierad unter
Hinweis ua auf ihre Behinderung (zu den - niedrigen - Anforderungen an einen Antrag auf Teilhabeleistungen und den - hohen
- Anforderungen an dessen Prüfung vgl BSG Urteil vom 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R - BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19, RdNr 22 ff; vgl insoweit zum Meistbegünstigungsantrag zuletzt BSG Urteil vom 4.4.2019 - B 8 SO 12/17 R - juris RdNr 22, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-3500 §
53 Nr
9 vorgesehen). Die mangels Weiterleitung dieses Rehabilitationsantrags nach §
14 Abs
2 Satz 1
SGB IX aF begründete Zuständigkeit der Beklagten als zuerst angegangener Leistungsträger erstreckt sich nicht mehr nur auf die Hilfsmittel
der GKV zur medizinischen Rehabilitation, sondern im Außenverhältnis zur Klägerin auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt
in deren Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind.
In Betracht kommt hier ein Anspruch nach dem Eingliederungshilferecht (§§ 53 ff SGB XII in der bis 31.12.2019 geltenden Fassung des SGB XII [im Folgenden aF]) als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (vgl zuletzt nur BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 46 ff; vgl auch BSG Urteil vom 15.3.2018 - B 3 KR 4/16 R - juris RdNr 50 ff). Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft iS von §
55 SGB IX aF haben die Aufgabe, dem behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und schließen ausdrücklich
subsidiär an die vorrangigen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation an. Deshalb gehören zu den Leistungen zur Teilhabe
am Leben in der Gemeinschaft solche Hilfsmittel, die den Ausgleich einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
bezwecken und daher zwar regelmäßig - ebenso wie die Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation - die Alltagsbewältigung
betreffen, aber nicht mehr von der medizinischen Teilhabe umfasst sind; es handelt sich dabei insbesondere um Hilfsmittel,
die dem behinderten Menschen den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am
öffentlichen und kulturellen Leben ermöglichen (vgl BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 49).
Weder die Beklagte noch die Vorinstanzen haben diese rehabilitationsrechtlichen Aspekte hinreichend geprüft (zu den Anforderungen
an eine KK als Rehabilitationsträgerin nach dem
SGB IX vgl BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 43 und 47; zu den Anforderungen an die Tatsachengerichte vgl BSG, aaO, RdNr 44 und 48). Kommt das LSG nach der Wiedereröffnung des Berufungsverfahrens zu dem Ergebnis, dass kein Anspruch
der Klägerin auf das streitige Spezialtherapierad als Leistung der medizinischen Rehabilitation ausgehend von den unter 5.
formulierten Maßstäben besteht, wird es zu prüfen haben, ob das Rad für die soziale Teilhabe der Klägerin erforderlich ist,
und wird es ggf weiter zu prüfen haben, ob die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin zum Zeitpunkt der Entstehung
der Kosten einer Leistungsgewährung entgegenstehen (§ 19 Abs 3 iVm §§ 82 ff SGB XII aF).
Soweit die Beklagte im Außenverhältnis zur Klägerin allein zuständig und umfassend leistungspflichtiger Rehabilitationsträger
geworden ist, kann die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auch in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe eingreifen,
falls dieser nach den og Rechtsvorschriften - und ohne die Zuständigkeitskonzentration gemäß §
14 SGB IX aF - originär leistungspflichtig gewesen wäre. In solchen Fällen bleibt der ursprünglich leistungspflichtige Rehabilitationsträger
dem erstangegangenen Rehabilitationsträger nach Maßgabe des §
14 Abs
4 SGB IX aF erstattungspflichtig und ist damit nach §
75 Abs
2 Alt 1
SGG zum Rechtsstreit gegen den erstangegangenen Rehabilitationsträger notwendig beizuladen (vgl BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 50).
7. Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.