SGB-XII-Leistungen
Verfassungskonformität der Regelbedarfssätze
Grundsatzrüge
Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage
Darstellung einer bestimmten Gesetzesauslegung
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist.
2. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihr angestrebten Entscheidung (sog. Breitenwirkung) dargelegt werden.
3. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Frage erfordert Ausführungen dazu, dass die Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich
entschieden ist bzw. dass sie unabhängig davon nicht außer Zweifel steht oder sie für den Fall - liegt Rechtsprechung vor
- weiter oder erneut klärungsbedürftig ist.
4. Insbesondere ist die Klärungsbedürftigkeit nicht schon durch die Darstellung einer bestimmten Gesetzesauslegung hinreichend
dargelegt.
Gründe:
I
Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.12.2013 bis 30.11.2014.
Der Kläger bezieht neben seiner Altersrente ergänzend Grundsicherungsleistungen. Er ist der Auffassung, die Regelsätze seien
verfassungswidrig zu niedrig. Die auf höhere Leistungen gerichtete Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg (Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Berlin vom 23.11.2015; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Berlin-Brandenburg vom 9.3.2017).
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verstoß gegen das rechtliche
Gehör geltend und beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren sowie die Beiordnung
seiner Bevollmächtigten.
Es stelle sich folgende Rechtsfrage:
"Sind die 'Maßgaben' in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts seiner Entscheidung vom 23. Juli 2014 (1 BvL 10/12; Randnummern 76-81, 83-86, 89, 90, 105, 109, 113, 114 - 121, 130, 135, 137, 141 - 147 und 149) hermeneutisch zwingend so
auszulegen, dass eine Verfassungskonformität der angeführten Normen erst nach ihrer Erfüllung, der Nachbesserung der Gesetzestexte
durch den Gesetzgeber im Sinne dieser Maßgaben, möglich wird oder stellen die vom Bundesverfassungsgericht gewählten Formulierungen
eine uneingeschränkte Bejahung der Verfassungskonformität der strittigen Normen dar?"
Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinen Entscheidungen vom 9.2.2010
und 23.7.2014 die Regelbedarfssätze nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz grundsätzlich für verfassungskonform erklärt habe.
Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 23.7.2014 allerdings eine Formulierung gebraucht, die diesen Schluss gerade nicht
ohne Weiteres zulasse. Diese laute: "1. § 20 [...] sind nach Maßgabe der Gründe mit Artikel
1 Absatz
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel
20 Absatz
1 des
Grundgesetzes vereinbar (Leitsatz 1 der Entscheidung)".
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein fristgerecht geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter
nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht, denn jedenfalls fehlt es an einer hinreichenden
Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Frage erfordert Ausführungen dazu, dass
die Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden ist bzw dass sie unabhängig davon nicht außer Zweifel steht oder
sie für den Fall - liegt Rechtsprechung vor - weiter oder erneut klärungsbedürftig ist. Insbesondere ist die Klärungsbedürftigkeit
nicht schon durch die Darstellung einer bestimmten Gesetzesauslegung hinreichend dargelegt (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7; SozR 1500 § 160a Nr 59).
Mit der Frage, wie die 'Maßgaben' in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 23.7.2014 auszulegen
sind, formuliert der Kläger schon keine konkrete Rechtsfrage. Die Frage nach der Auslegung einer Entscheidung des BVerfG ist
derart allgemein gehalten, dass sie nicht zur Grundlage der weiteren Prüfung taugt, inwieweit Klärungsbedürftigkeit dargelegt
worden ist (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 305). Sinngemäß beruft sich der Kläger darauf, dass
die für die Bemessung der Regelbedarfe maßgeblichen Regelungen des SGB XII bzw des Regelbedarfsermittlungsgesetzes gegen Verfassungsrecht verstießen. Es kann dahinstehen, ob sich unter Berücksichtigung
der Regelung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz die aufgeworfene Rechtsfrage ernsthaft stellt. Denn jedenfalls ist ihre Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt.
Beruft sich der Beschwerdeführer auf die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung, bedarf es zur ordnungsgemäßen
Begründung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage neben der genauen Bezeichnung der Norm substanzieller Argumentation
unter Erörterung der Ausgestaltung und des Bedeutungsgehalts der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen sowie der Auseinandersetzung
mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160a RdNr 14e mwN). Der Kläger benennt jedoch noch nicht einmal die einfachgesetzlichen Regelungen, die seiner Auffassung nach
gegen Verfassungsrecht verstoßen (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BVerwG Beschluss vom 9.3.1993 - 3 B 105/92), geschweige denn setzt er sich mit den zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze bereits ergangenen Entscheidungen
des BSG auseinander. Allein der Umstand, dass der Kläger anderer Auffassung ist als das LSG, genügt nicht, eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache hinreichend darzulegen. Denn damit rügt der Kläger letztlich nur die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung
des LSG, die jedoch der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen kann.
Soweit der Kläger neben der grundsätzlichen Bedeutung der Sache als Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht, ist die Beschwerde schon deshalb unzulässig, weil dieser
Zulassungsgrund erst nach Ablauf der Begründungsfrist geltend gemacht wurde. Der Verfahrensfehler ist in der am 24.7.2017
(§
164 Abs
2 Satz 1
SGG) und damit am letzten Tag der Begründungsfrist per Fax eingegangenen (unvollständigen, die Seiten 5 und 6 fehlen) Beschwerdebegründung
nicht enthalten; er findet sich erst in dem nach Ablauf der Begründungsfrist am 27.7.2017 eingegangenen Original. Zwar ist
es einem Beschwerdeführer gestattet, das bisher Vorgetragene auch nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist noch zu verdeutlichen
bzw zu erläutern; neue, bisher nicht aufgeworfene Rechtsfragen oder einen weiteren Zulassungsgrund geltend zu machen, ist
jedoch nach Fristablauf unzulässig (BSG Beschluss vom 13.6.2001 - B 10/14 EG 4/00 B - Juris RdNr 13). Solche Gründe dürfen daher bei der Prüfung der Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht berücksichtigt
werden (BFHE 168, 17). Auf den zur Unvollständigkeit des Faxes ergangenen Hinweis des Senats hat der Kläger mitgeteilt, dass sein Begehren und
die tragenden rechtlichen Erwägungen hinreichend aus der per Telefax übermittelten Beschwerdebegründung hervorgingen. Eine
neue, selbständige Begründung sei auf den Seiten 5 und 6 des Begründungsschriftsatzes nicht enthalten. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand hat der Kläger nicht gestellt.
Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§
73a Abs
1 SGG, §
114 Abs
1 ZPO) bietet, ist dem Kläger auch keine PKH zu bewilligen. Mit der Ablehnung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts
(§
121 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.